BVerwG Beschluss v. - 7 B 9.08

Leitsatz

Die für die Berechnung der Abwasserabgabe zu ermittelnde Zahl der Schadeinheiten ist bei Überschreitung eines für das ganze Jahr bestehenden Bescheidwertes auch dann auf der Grundlage dieses Wertes für das ganze Jahr zu erhöhen, wenn für einen Teilzeitraum ein Wert heraberklärt und der heraberklärte Wert eingehalten wurde.

Gesetze: AbwAG § 4 Abs. 4; AbwAG § 4 Abs. 5

Instanzenzug: VG Köln, VG 14 K 6521/01 vom OVG Münster, OVG 9 A 3798/04 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der Kläger leitet in einer Kläranlage gereinigtes Abwasser in ein Gewässer ein. Im wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid ist der Überwachungswert für den Parameter CSB auf 80 mg/l festgesetzt. Bei einer Überprüfung am wurde eine Konzentration von 339 mg/l CSB gemessen. Dies war die einzige festgestellte Überschreitung des Überwachungswerts im Jahr 1998. Am erklärte der Kläger gegenüber der zuständigen Behörde, dass er im Zeitraum vom 1. August bis zum einen "verminderten Überwachungswert" für CSB von 60 mg/l einhalten werde. Diesen Wert hielt er dann ein.

Bei der Festsetzung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1998 erhöhte die Beklagte die Zahl der Schadeinheiten für CSB um 161,87 %. Dies ist die Hälfte des Vomhundertsatzes, um den der am gemessene Wert den Überwachungswert von 80 mg/l überschritten hatte. Der Erklärung eines Werts von 60 mg/l CSB für die Zeit vom 1. August bis maß die Behörde keine Bedeutung für die Festsetzung der Zahl der Schadeinheiten zu.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, ob die für die Berechnung der Abwasserabgabe zu ermittelnde Zahl der Schadeinheiten bei Überschreitung eines für das ganze Jahr bestehenden Bescheidwertes auch dann auf der Grundlage dieses Wertes für das ganze Jahr zu erhöhen ist, wenn für einen Teilzeitraum ein Wert heraberklärt und der heraberklärte Wert eingehalten wurde.

Diese Frage lässt sich - mit dem Oberverwaltungsgericht - ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens bejahen.

Die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstofffracht errechnet sich - außer bei Niederschlagswasser und bei Kleineinleitungen - nach den Festlegungen des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheides (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Die auf dieser Grundlage ermittelte Zahl der Schadeinheiten wird erhöht, wenn die Überwachung ergibt, dass ein der Abgabenberechnung zugrunde zu legender Überwachungswert im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt (§ 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG). Die Erhöhung richtet sich nach dem Vomhundertsatz, um den der höchste gemessene Einzelwert den Überwachungswert überschreitet (§ 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG). Wird der Überwachungswert einmal nicht eingehalten, so bestimmt sich die Erhöhung nach der Hälfte des Vomhundertsatzes (§ 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG).

Erklärt der Einleiter gegenüber der zuständigen Behörde, dass er im Veranlagungszeitraum - und damit im Kalenderjahr (vgl. § 11 Abs. 1 AbwAG) - während eines bestimmten Zeitraums, der nicht kürzer als 3 Monate sein darf, einen niedrigeren Wert als den im Bescheid festgelegten Überwachungswert einhalten wird, so ist die Zahl der Schadeinheiten für diesen Zeitraum grundsätzlich nach dem erklärten Wert zu ermitteln (§ 4 Abs. 5 Satz 1 AbwAG). Ergibt die behördliche Überwachung aber, dass ein nach § 4 Abs. 1 AbwAG der Abgabenberechung zugrunde zu legender Überwachungswert nicht eingehalten ist, finden § 4 Abs. 1 bis 4 AbwAG Anwendung (§ 4 Abs. 5 Satz 6 AbwAG). Nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG sind Überwachungswerte die Werte des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheids und nicht gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 AbwAG heraberklärte Werte.

Davon ausgehend lässt sich die gestellte Frage schon nach dem eindeutigen Wortlaut und der eindeutigen Systematik des Gesetzes bejahen:

Ergibt die Überwachung, dass ein Bescheidwert nicht eingehalten ist, ist die Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten nach § 4 Abs. 4 AbwAG zu berechnen. Danach ist die Zahl der Schadeinheiten für den gesamten Veranlagungszeitraum zu erhöhen, wenn in diesem Zeitraum der Bescheidwert einmal nicht eingehalten wurde.

§ 4 Abs. 5 AbwAG dagegen regelt, unter welchen Voraussetzungen die Zahl der Schadeineinheiten nach einem dem Bescheidwert unterschreitenden Erklärungswert zu berechnen ist. Danach ist ein heraberklärter Wert unter anderem dann für die Berechnung der Zahl der Schadeinheiten ohne Bedeutung, wenn die behördliche Überwachung ergibt, dass ein Bescheidwert nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt (§ 4 Abs. 5 Satz 6 AbwAG). In diesem Fall ist die Zahl der Schadeinheiten nach dem Bescheidwert zu errechnen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG) und gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG zu erhöhen. Diese Erhöhung ist dann für das ganze Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum vorzunehmen (§ 11 Abs. 1 AbwAG).

Ob danach die Zahl der Schadeinheiten auch dann für das ganze Jahr zu erhöhen ist, wenn ein Bescheidwert nur für einen Teil des Veranlagungszeitraums vorliegt, ist hier nicht entscheidungserheblich und kann deshalb dahinstehen.

Würde man dagegen die von der Beschwerde gestellte Frage verneinen, wäre § 4 Abs. 5 Satz 6 AbwAG nur anwendbar, wenn der Überwachungswert in dem Zeitraum, für den der Wert heraberklärt war, überschritten wurde. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, würde die Vorschrift dann - soweit es um den Überwachungswert geht - ins Leere laufen. Der Erklärungswert ist immer niedriger als der Überwachungswert (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 AbwAG). Eine Überschreitung des Überwachungswerts bedeutet daher immer auch eine Überschreitung des heraberklärten Werts. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 1. Variante AbwAG sind dann § 4 Abs. 1 bis 4 schon deshalb anwendbar, weil die Einhaltung des erklärten Werts nicht nachgewiesen wird. § 4 Abs. 5 Satz 6 2. Variante, wonach § 4 Abs. 1 bis 4 AbwAG auch dann anwendbar sind, wenn ein nach § 4 Abs. 1 AbwAG der Abgabenberechnung zugrunde zu legender Überwachungswert nicht eingehalten ist oder nicht als eingehalten gilt, hätte dann keine Bedeutung mehr.

Dieses Ergebnis entspricht auch - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - dem Willen des Gesetzgebers. Die hier maßgebliche Fassung des § 4 Abs. 5 Satz 6 AbwAG, welche die Vorschrift durch das Vierte Änderungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz vom (BGBl I S. 1453) erhalten hat, sollte bewirken, dass eine Veranlagung nach den niedrigeren erklärten Werten auch dann nicht mehr erfolgen kann, wenn der Bescheidwert nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BTDrucks 12/6281 S. 4 und 8).

Für das gefundene Ergebnis sprechen schließlich Sinn und Zweck des Gesetzes:

Das Regelungssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG zielt darauf ab, durch den Druck der Abgabenbelastung den Einleiter anzuhalten, die festgelegten Überwachungswerte von sich aus einzuhalten und sogar möglichst zu unterbieten, um damit zugleich den wasserrechtlichen Verwaltungsvollzug ohne Verlust an Effektivität zu entlasten. Der Gesetzgeber hat sich zur Verstärkung dieser abgabenrechtlichen Flankierungswirkung bewusst für harte finanzielle Folgen bei Überschreitung der Überwachungswerte entschieden (vgl. BTDrucks 10/5533, S. 9 f.) und ausdrücklich schon eine einmalige Überschreitung als Rechtfertigung für eine überproportionale Abgabensteigerung ausreichen lassen (vgl. BVerwG 7 C 5.06 - Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 14 S. 1 <4 f.>). Damit wäre es nicht vereinbar, wenn ein Einleiter nach Feststellung einer Überschreitung des Überwachungswerts die finanziellen Folgen der Überschreitung durch eine Heraberklärung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 AbwAG zu einem großen Teil vermeiden könnte.

Der Einwand der Beschwerde, es bestehe nach einer festgestellten Überschreitung eines Bescheidwerts kein Anreiz mehr für eine Heraberklärung mit dem Ziel der Verbesserung der Abwassergüte, rechtfertigt - wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - kein anderes Ergebnis. Den mit einer Heraberklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG verbundenen Anreiz zur Verringerung der Gewässerbelastung hat der Gesetzgeber durch die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 6 AbwAG nur dann eröffnet, wenn die maßgeblichen Überwachungswerte im Veranlagungszeitraum eingehalten werden. Bei ihrer Überschreitung soll es bei der üblichen Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten nach § 4 Abs. 4 Satz 2 bis 4 AbwAG verbleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.

Fundstelle(n):
BAAAC-79811