BFH Beschluss v. - VII B 97/07

Lohnsteuerhaftung des Geschäftsführers einer Aktiengesellschaft

Gesetze: AO § 34, AO § 69

Instanzenzug:

Gründe

I. Zusammen mit Herrn F. war der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Geschäftsführer einer AG, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und nach Schlussverteilung zwischenzeitlich wieder aufgehoben worden ist. Für Lohnsteuerrückstände aus Zeiten vor Insolvenzeröffnung nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) beide Geschäftsführer in Haftung. Einspruch und Klage blieben bis auf eine geringfügige Reduzierung der Haftungssumme erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) sah eine haftungsbegründende grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers darin, dass er nicht sichergestellt habe, über das —als zutreffend unterstellte— ausreichende Guthaben auf dem Geschäftskonto der AG im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuerzahlungen verfügen zu können. Da dieses Guthaben im Wesentlichen aus von den Geschäftspartnern der AG widerrufbaren Lastschrifteinzügen resultierte, habe der Kläger nicht von einem „echten”, sondern nur von einem buchungstechnischen Guthaben ausgehen können. Mangels eines von der Bank eingeräumten ausreichend hohen Dispositionskredits hätte er sich deshalb rechtzeitig, das heißt noch vor Fälligkeit der Lohnsteuerabzugsbeträge, vergewissern müssen, ob die Bank die Überweisungsaufträge an das FA auch durchführen werde.

Der Kläger hält die Zulassung der Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil für geboten, weil es in der Frage, ob auf dem Geschäftskonto ein „echtes” Guthaben vorhanden gewesen sei, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs —BGH— (Urteil vom VIII ZR 255/76, BGHZ 70, 177) abgewichen sei und weil es sich hinsichtlich dieser, das Urteil tragenden Rechtsauffassung, um eine das rechtliche Gehör des Klägers verletzende Überraschungsentscheidung handele.

Das FA tritt dem unter Hinweis auf die Aufgabe der vom Kläger zitierten Rechtsprechung durch das (BGHZ 118, 171) entgegen und verweist im Übrigen darauf, dass der Kläger selbst im Einspruchsverfahren ein Schreiben der Bank vorgelegt habe, wonach Lastschriften mit Sechs-Wochen-Frist als Kreditbeanspruchung gesehen würden.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, noch wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

1. Der Zulassungsgrund der Sicherung der Rechtsprechungseinheit umfasst zwar die vom Kläger gerügte Divergenz des FG-Urteils von der Rechtsprechung anderer Gerichte (, BFH/NV 2002, 205). Mit der von ihm zitierten Entscheidung des BGH kann aber eine Abweichung der finanzgerichtlichen Entscheidung nicht begründet werden, da der BGH in der vom FA bezeichneten späteren Entscheidung ausdrücklich die seinerzeit formulierte Auffassung, der Buchung in Folge Lastschrifteinzugs komme rechtsbegründende Kraft auch dann zu, wenn die Gutschrift unter der Voraussetzung „Eingang vorbehalten” erteilt worden sei, aufgegeben hat. Für den Fall des Scheckinkassos hebt der BGH sinngemäß hervor, dass dem Kontoinhaber der eingezogene Betrag erst dann zusteht, wenn der Scheck durch Belastung des Ausstellerkontos eingelöst und der Scheckbetrag gutgeschrieben worden ist. Dies entspricht auch der Situation im Lastschriftverfahren (vgl. dazu , BGHSt 50, 147). Mit der Formulierung, der Kläger habe nicht von einem „echten”, sondern nur von einem buchungstechnischen Guthaben ausgehen können, befindet sich das FG auf einer Linie mit dieser BGH-Rechtsprechung.

2. Die gerügte Verletzung des Rechts auf Gehör i.S. des § 96 Abs. 2 FGO i.V.m. Art. 103 des Grundgesetzes liegt ebenfalls nicht vor. Dieser Verfahrensmangel setzt voraus, dass das Gericht einen bisher nicht erörterten Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung gemacht hat, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen. Der Einwand, die vom FG zugrunde gelegte Rechtsauffassung, es habe kein „echtes” Guthaben auf dem Bankkonto der AG im Zeitpunkt der Lohnsteuerfälligkeit vorgelegen, sei für den Kläger zu keinem Zeitpunkt ersichtlich gewesen, rechtfertigt den Vorwurf der Gehörsverletzung nicht. Denn gerade der Umstand, dass die Bank die Lohnsteuerlastschrift vom Konto der AG nicht vollzogen hat, weil das dort verbuchte Guthaben auf stornierungsgefährdeten Lastschrifteinzügen beruhte, ist im außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren wiederholt thematisiert worden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht des § 76 Abs. 2 FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert oder sogar die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus andeutet (, BFH/NV 2006, 1497; , BVerfGE 96, 189, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 2305).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 922 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2008 S. 4726
IAAAC-78290