Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1; ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt.; ArbGG § 72a Abs. 1
Instanzenzug: ArbG Berlin, 36 Ca 11414/06 vom LAG Berlin-Brandenburg, 21 Sa 432/07 vom
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz.
Die Beklagte betreibt ein Bildungsinstitut, in dem der Kläger nach einem 2003 abgeschlossenen Studienvertrag bis 2006 zum IT-Systemkaufmann umgeschult werden sollte. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte den Studienvertrag mit dem Kläger fristlos wegen des Verhaltens des Klägers während der bisher absolvierten Ausbildung. Diese Kündigung wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom (- 18 Sa 806/05 -, - 18 Sa 1244/05 -) für unwirksam befunden. Daraufhin hat der Kläger die Beklagte auf Ersatz des ihm durch die Kündigung entstandenen Schadens iHv. 11.534,32 Euro in Anspruch genommen, welchen er im Wesentlichen mit dem entgangenen Verdienst begründet, den er bei unverzögertem Abschluss seiner Umschulung zwischenzeitlich hätte erzielen können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger einen Schaden iSv. § 249 BGB nicht hinreichend dargetan habe. Der Kläger habe nicht vorgetragen, seine Ausbildung bei der Beklagten hätte von ihm mit Erfolg abgeschlossen werden können.
Für seine Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht am (- 21 SHa 286/07 -) Prozesskostenhilfe bewilligt, weil das vom Kläger beabsichtigte Rechtsmittel hinreichende Erfolgsaussichten biete. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, zu einem ersatzfähigen Schaden zähle grundsätzlich auch ein "entgangener" Vertragsschluss.
Allerdings müsse es sich um den Verlust einer rechtlichen Position handeln, auf die der Geschädigte einen Anspruch habe, wofür er darlegungsbelastet sei.
Weil entsprechende rechtliche Hinweise bisher nicht erteilt worden seien, sei der Vortrag nachholbar, die Annahme unzureichender Erfolgsaussichten sei daher nicht gerechtfertigt (Bl. 91 RS VorA). In der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom nahm das Landesarbeitsgericht den Rechtsstandpunkt ein, allein die Tatsache der rechtskräftig festgestellten Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Vertragsverhältnisses durch die Beklagte sei dem Grunde nach "schadenersatzauslösend". Sodann verkündete das Landesarbeitsgericht einen Beweisbeschluss, demzufolge ein Zeuge zur Frage vernommen werden sollte, ob dem Kläger versprochen worden sei, nach erfolgreicher Ausbildung zum IT-Systemkaufmann eine Anstellung angeboten zu bekommen (Bl. 172 VorA). Die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung und die Beweisaufnahme wurde auf Mittwoch, den , anberaumt.
Am übermittelte das Landesarbeitsgericht den Prozessbevollmächtigten der Parteien den Hinweis, zur Vermeidung "überraschender" Erörterungen müsse auf den rechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine unwirksame außerordentliche Kündigung zwar durchaus eine Vertragsverletzung sein könne, zum Schadensersatz jedoch nur dann verpflichte, wenn der Kündigende die Unwirksamkeit der Kündigung oder die ungehörigen Begleitumstände gekannt habe bzw. bei gehöriger Sorgfalt hätte kennen müssen und daraus ein Schaden entstanden sei. Der bisher vom Gericht angenommene und nicht weiter problematisierte anderslautende Rechtsstandpunkt sei zumindest erörterungsbedürftig. Eine vorsorgliche Abladung des geladenen Zeugen sei seitens der Vorsitzenden nicht zu veranlassen, weil der Beweisbeschluss von der Kammer in vollständiger Besetzung getroffen worden sei (Bl. 200 f. VorA). Eine schriftliche Stellungnahme einer der Parteien erfolgte bis zur mündlichen Verhandlung am Folgetag nicht mehr.
Nach der Niederschrift der zweiten Berufungsverhandlung vom (Bl. 207 f. VorA) verhandelten die Parteien zum Aspekt des Verschuldens der Beklagten streitig. Mit der Beschwerdebegründung lässt der Kläger vortragen, das Berufungsgericht habe die Frage offengelassen und erklärt, entweder reichten die Entscheidungsgründe im früheren Verfahren aus oder den Parteien müsste insoweit noch eine Auflage erteilt werden. Das Gericht habe den wechselseitig erfolgten Vortrag der Parteien unterbrochen und erklärt, diese erhielten Gelegenheit, dies schriftlich vorzutragen. Nach Darstellung des Beklagtenvertreters habe das Gericht nach Aufhebung des Beweisbeschlusses vom darauf hingewiesen, dass nach dem Ergebnis der Beratungen der Beweisbeschluss aufzuheben war und die Schlussberatung entweder das Ergebnis haben werde, der Aktenstand reiche für eine Entscheidung aus oder es erfordere weiteren Vortrag. Nach dem in Kopie überlassenen Terminsvermerk des Beklagtenvertreters (Bl. 85 SenA) hat das Berufungsgericht die Aufhebung des Beweisbeschlusses nach Zwischenberatung mit den Worten "jedenfalls heute nicht" erläutert, die Alternative "ausreichender Aktenstand oder weiterer Vortrag" bezog sich auf die Frage "Verschulden Kündigung?".
Nachdem in der mündlichen Verhandlung der Beweisbeschluss aufgehoben und der Zeuge entlassen worden war, verkündete das Landesarbeitsgericht am Schluss des Sitzungstages das angefochtene Urteil, mit dem die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht tragend darauf abgestellt (unter A II 1 c bb (2) (a) und (b) der Gründe, vgl. Seite 10 f. der Entscheidungsgründe, Bl. 16 f. SenA), der Kläger habe Tatsachen nicht so vollständig dargelegt, dass der klagweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch schlüssig erscheine. Er selbst habe Tatsachen vorgetragen, die einem rechtlichen Schluss auf die Normvoraussetzungen des von ihm geltend gemachten Rechts oder Anspruchs entgegenstünden. Denn aus dem vom Kläger eingereichten landesarbeitsgerichtlichen Urteil im Kündigungsschutzprozess lasse sich der Schluss ziehen, die Beklagte habe dort nicht hinreichend vorgetragen oder Beweis angeboten und zum Teil habe das Berufungsgericht die Vorfälle anders bewertet. Das spreche ausschlaggebend dagegen, dass die Beklagte die Unrichtigkeit oder "Anderswertigkeit" der von ihr als kündigungsrelevant angesehenen Umstände bereits bei Kündigungsausspruch erkannt habe oder auch nur hätte erkennen müssen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Dagegen richtet sich die auf Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
II. Die nach § 72a Abs. 1 in Verb. mit § 72 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. ArbGG zulässige Beschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen kann, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Ein Gericht verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte ( - DStRE 2004, 1050, zu III 2 a der Gründe; - Rn. 16, EzA GG Art. 103 Nr. 9; - 5 AZN 187/05 - AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 7 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 104). Es verletzt darüber hinaus bei der Gewährung rechtlichen Gehörs die im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebote des Vertrauensschutzes sowie des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG, - BVerfGE 53, 115, 127), wenn es entgegen einem zuvor gegebenen Hinweis auf tragende rechtliche Gesichtspunkte abstellt, für die die Möglichkeit weiteren Vortrags angekündigt worden war (vgl. auch -NJW 2004, 2149 f.).
2. Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das anzufechtende Urteil ist für den Kläger eine Überraschungsentscheidung.
a) Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es in Person der Vorsitzenden am und in Gestalt der Kammer am in einer Rechtsfrage von dem bisher ausdrücklich eingenommenen Standpunkt abgerückt ist. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist. Ihm ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen. Vielmehr muss ein Verfahrensbeteiligter, wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und sich bei seinem Vortrag darauf einstellen. Etwas anderes gilt, wenn das Gericht ausdrücklich seine Rechtsauffassung offengelegt hat, jedoch von dieser wieder abzurücken sich gehalten sieht. Dann gebietet der verfassungsrechtlich geschützte Grundsatz des fairen Verfahrens, den Parteien einen korrigierenden Hinweis und Gelegenheit zum weiteren Vortrag zu geben. Dem ist das Landesarbeitsgericht vorliegend mit seinem Hinweisschreiben am Vortag der zweiten Berufungsverhandlung nachgekommen. Dabei kann es infolge des weiteren Verlaufs dahinstehen, ob bei einer so knappen Zeitspanne zwischen Hinweis und Beginn der mündlichen Verhandlung (weniger als 25 Stunden, vgl. Bl. 199, 202, 171 VorA) in jedem Fall ein Schriftsatznachlass zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs geboten gewesen wäre.
b) Es kann auch dahinstehen, ob die Würdigung des rechtskräftigen Urteils im Kündigungsschutzprozess durch das Berufungsgericht den Schluss trägt, für die Beklagte sei nicht vorhersehbar gewesen, dass sich die Kündigung als nicht rechtsbeständig erweisen würde. Ein Rechtsfehler insofern wäre nur bei zugelassener Revision überprüfbar.
c) Jedenfalls, das ergibt sich notwendig aus der Begründung des Berufungsurteils, kann nach den Gründen des rechtskräftigen Urteils im Kündigungsschutzprozess nicht ausgeschlossen werden, dass für die Beklagte aus anderen Umständen die Unrichtigkeit oder "Anderswertigkeit" ihrer Kündigungsgründe erkennbar war. Dies hat das Landesarbeitsgericht in der mündlichen Verhandlung vom auch erkannt und daher - was beide Prozessbevollmächtigte übereinstimmend berichten - den Hinweis gegeben, entweder die "Entscheidungsgründe im früheren Verfahren" oder der "Aktenstand" reiche aus oder die Parteien dürften weiteren Vortrag halten. Dabei kann der Hinweis auf einen "Aktenstand" oder "Entscheidungsgründe im früheren Verfahren" nur sinnvoll gewesen sein, wenn man ihn auf das Problem der Klagschlüssigkeit bezieht als Voraussetzung für eine "jedenfalls heute nicht" stattfindende Beweisaufnahme. Dies konnten und durften der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vom nicht anders verstehen. Für den Fall, dass nach Aktenlage - wegen Unschlüssigkeit der Klage oder Unerheblichkeit der von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen - die Beweisaufnahme entbehrlich erscheinen sollte, wurde die Gelegenheit zu weiterem Vortrag für beide Seiten durch das Gericht angekündigt. Zu diesem Hinweis setzt sich das Landesarbeitsgericht mit dem verkündeten Urteil und seiner Begründung in Widerspruch. Bei Gewährung von rechtlichem Gehör in einem fairen Verfahren hätte es jedenfalls am die Berufung des Klägers nicht infolge fehlender Klagschlüssigkeit zurückweisen dürfen. Daher hat es dem Kläger zur Frage des schuldhaften Verhaltens der Beklagten bei Kündigungsausspruch erneut Gelegenheit zum Vortrag und der Beklagten zur Erwiderung zu geben. Es ist ebenso wenig auszuschließen, dass das Landesarbeitsgericht aufgrund des weiteren Vortrags beider Parteien zu einer anderen Entscheidung kommt, wie es sicher ist, dass im Ergebnis die gleiche Entscheidung noch einmal zu fällen ist.
III. Der Senat hat von seiner Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch gemacht. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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BAAAC-78061
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