Unzutreffende Umsetzung von Gemeinschaftsrecht durch § 4 Nr. 21 Buchstabe b UStG; Indizwirkung der Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde
Leitsatz
1. § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG nicht zutreffend um. Es ist fraglich, ob eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift möglich ist.
2. Ein Steuerpflichtiger kann sich für die Umsatzsteuerfreiheit seiner Leistungen unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
3. Für die Annahme eines „Schul- und Hochschulunterrichts” i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG ist entscheidend, ob vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden und ob die Leistungen der bloßen Freizeitgestaltung gedient haben.
4. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, dass eine Einrichtung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet, ist ein Indiz dafür, dass Leistungen, die tatsächlich dem Anforderungsprofil der Bescheinigung entsprechen, nicht den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben.
Gesetze: UStG 1993 § 4 Nr. 21 Buchst. bRichtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und jFGO § 42AO § 175 Abs. 1AO § 351 Abs. 1
Instanzenzug: (EFG 2005, 740) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Ballett- und Tanzstudio (folgend Ballettstudio), für das sie in den Umsatzsteuererklärungen 1995 bis 1997 zunächst steuerbare und steuerpflichtige Umsätze erklärte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte daraufhin die Umsatzsteuer erklärungsgemäß fest. Für 1995 hob das FA im Änderungsbescheid vom den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Mit Schreiben vom legte die Klägerin eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde vom vor, worin bescheinigt wird, dass die Klägerin ordnungsgemäß Kenntnisse und Fertigkeiten für einen späteren Beruf vermittelt bzw. auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet. Gleichzeitig beantragte die Klägerin, ihre für die Streitjahre 1995 bis 1998 erklärten Umsätze als steuerfrei zu behandeln. Hierzu legte sie berichtigte (für 1995 bis 1997) bzw. erstmalige (für 1998) Steuererklärungen vor, in denen die Umsätze als steuerfrei ausgewiesen wurden.
Aufgrund einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich zwei von hundert Ballettschülern die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Musikhochschule ablegten und eine weitere Berufsausbildung anstrebten. Das FA ging aus diesem Grund davon aus, dass auch nur 2 v.H. der Gesamtumsätze der Klägerin steuerfrei seien, und erließ für die Streitjahre entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide.
Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde vom vor, worin diese bestätigt, dass die der Klägerin am erteilte Bescheinigung bereits ab dem Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Tätigkeit im März 1990 gültig sei.
In der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Umsatzsteuer für 1998 aus nicht im Streit befindlichen Gründen auf 7 286 DM herab. Hinsichtlich des Streitstoffes blieb der Einspruch ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies mit seinem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2005, 740 veröffentlichten Urteil die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Umsätze der Klägerin seien nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) von der Umsatzsteuer befreit, weil das von ihr betriebene Ballettstudio weder eine private „Schule” noch eine „andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung” i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 sei. Allgemeinbildende Einrichtungen seien solche, die ein breit gefächertes Wissen vermittelten, ohne die Organisationsform der Schule zu haben. Nicht zu den allgemeinbildenden Einrichtungen gehörten gewerbliche Unternehmen, die nur spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten —wie das von der Klägerin betriebene Ballettstudio— vermittelten. Selbst wenn man die Unterrichtung in Ballett zur Allgemeinbildung rechne, bleibe es dabei, dass im Studio der Klägerin kein breit gefächertes Wissen wie in der Schule vermittelt werde, sondern allenfalls ein kleiner Ausschnitt hieraus.
Die Klägerin betreibe auch keine berufsbildende Schule oder Einrichtung i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993. Diese Vorschrift setze voraus, dass die Einrichtung Leistungen erbringe, die ihrer Art nach den Zielen der Berufsaus- oder der -fortbildung dienten, indem sie spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten vermittle. Darunter fielen die Tanz- und Ballettkurse der Klägerin nicht, weil sie die Kursteilnehmer nicht auf einen bestimmten Beruf, sondern allenfalls auf die Aufnahmeprüfung vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts vorbereiteten. Die Kurse seien nicht Teil einer gesetzlich geregelten Berufsausbildung oder Berufsfortbildung. Die Rechtslage sei ähnlich wie bei Fahr- oder Jagdschulen, die ebenfalls keine berufsbildenden Einrichtungen seien.
Dieses Verständnis des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 entspreche auch dem Gemeinschaftsrecht, das in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eine sehr allgemein gefasste Formulierung vorgegeben und damit dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum eröffnet habe, der es ermögliche —wie in § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 geschehen— die Steuerbefreiung auf allgemein- oder berufsbildende Einrichtungen zu beschränken.
Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin, mit der sie Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993) geltend macht.
Sie trägt im Wesentlichen vor, die Beschränkung der Steuerbefreiung nach dem Anteil der Schülerinnen und Schüler, die sich tatsächlich auf eine Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule für Musik und Tanz vorbereiten, verstoße gegen § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993. Diese Regelung stelle nicht auf die Ziele der Personen ab, die die Einrichtung besuchten, sondern darauf, ob der Einrichtung generell die Eigenschaft einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung zukomme.
Entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stehe der Finanzverwaltung keine eigene Prüfungskompetenz hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 zu. Eine andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung sei immer in dem Umfang anzunehmen, wie der begünstigte Bereich einer erteilten Bescheinigung i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 reiche. Andernfalls gehe der Prüfungsaufwand für die Ausstellung der Bescheinigung ins Leere.
Eine Einrichtung, die —wie das von ihr, der Klägerin, betriebene Ballettstudio— künstlerischen Tanz unterrichte, sei sowohl als andere allgemeinbildende als auch als andere berufsbildende Einrichtung anzuerkennen.
Gegenstand der Allgemeinbildung sei nicht nur die Wissensvermittlung in geistigen Fächern, sondern auch die kulturelle Bildung. Auf die Vermittlung eines breit gefächerten Wissens könne es nicht ankommen.
Das von ihr betriebene Ballettstudio sei eine berufsbildende Einrichtung, weil es auf den Beruf des Tänzers ausgerichtet sei. Ohne professionelle Ausbildung bereits im Vorschulalter sei das spätere Studium des Tanzes und damit die Ausübung des Berufes des Tänzers nicht möglich; das Erlernen von Standardtänzen sei dagegen in jedem Alter möglich. Die Zielsetzung, die konzeptionelle Ausgestaltung und die Durchführung der Leistungen ihres Ballettunterrichts unterschieden sich von den Leistungen freier Unterrichtseinheiten grundlegend.
Schließlich seien ihre Umsätze auch aus Gründen der Gleichbehandlung von der Umsatzsteuer zu befreien, weil die städtische Musikschule der Stadt D bzw. einzelne Gymnasien, die auch Kurse der tänzerischen Früherziehung anböten, als öffentliche Einrichtungen steuerbefreit seien. Gleiches gelte auch für die staatlichen Ballettschulen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung die Umsatzsteuer 1995 bis 1998 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Die Umsätze der Klägerin sind gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 steuerfrei, soweit es sich um Leistungen gehandelt hat, die nicht lediglich den Charakter bloßer Freizeitgestaltung gehabt haben. Die Feststellungen des FG lassen keine Beurteilung zu, ob und in welchem Umfang das der Fall gewesen ist.
1. Nach der in den Streitjahren 1995 bis 1998 geltenden Vorschrift des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG um (vgl. , BFHE 188, 462, BStBl II 1999, 578, unter II.2.; vom V R 4/05, BFHE 217, 327, BFH/NV 2007, 2215, unter II.2.b bb). Gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer:
... „i) die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;”
2. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom V R 28/04 (BFHE 217, 59, BFH/NV 2007, 1604, unter II.2.c aa) ausgeführt hat, wurde diese Richtlinienbestimmung —wie auch andere in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführte Steuerbefreiungen— vom nationalen Gesetzgeber bisher lediglich dadurch „umgesetzt”, dass er die schon bei Inkrafttreten der Richtlinie 77/388/EWG vorhandenen, teilweise bereits im UStG 1951 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen unverändert weitergeführt hat.
Der Senat lässt im Streitfall offen, ob die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen aus § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 folgt und inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift möglich wäre. Denn die Klägerin kann sich grundsätzlich für die Umsatzsteuerfreiheit der streitigen Leistungen auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen (zur Berufbarkeit ausführlich , BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143; vom V R 32/03, BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900).
a) Die Klägerin erfüllt die persönlichen Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG, weil es sich bei ihr um eine „andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung” handelt.
aa) Der Begriff „Einrichtung” ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen (Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-498/03, Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., Slg. 2005, I-4427, BFH/NV Beilage 2005, 310, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2005, 453 Rz 35; z.B. BFH-Urteil in BFHE 217, 59, BFH/NV 2007, 1604). Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht —wie z.B. in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG—, kann das Streben nach Gewinnerzielung die Inanspruchnahme dieser Befreiungen nicht ausschließen (EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd. in Slg. 2005, I-4427, BFH/NV Beilage 2005, 310, UR 2005, 453 Rz 40 und 43; BFH-Urteil in BFHE 217, 59, BFH/NV 2007, 1604).
bb) Nach den Feststellungen des FG besitzt die Klägerin eine Bescheinigung, wonach sie eine Einrichtung i.S. von § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 ist, die auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Das genügt für die Anerkennung durch den Mitgliedstaat Deutschland als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung.
b) Bei den von der Klägerin ausgeführten Leistungen kommt die Steuerbefreiung für „Schul- oder Hochschulunterricht” i.S. von Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht.
Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG bezieht sich auf verschiedene Unterrichtsformen, ohne diese zu definieren (vgl. , Horizon College, BFH/NV Beilage 2007, 389, UR 2007, 587). Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” beschränkt sich dabei nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394, UR 2007, 592 Rz 26). Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Haderer ist zwar zu Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG ergangen, wonach die Mitgliedstaaten „den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht” von der Steuer befreien. Es gibt aber keine Gründe dafür, den Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” in Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG anders auszulegen als in Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. EuGH-Urteil Horizon College in BFH/NV Beilage 2007, 389, UR 2007, 587 Rz 17 und 20 und Schlussanträge der Generalanwältin vom in den Rs. C-434/05, Horizon College, Slg. 2007, 4793, und C-445/05, Haderer, Slg. 2007, 4841 Rz 40).
Bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Steuerbefreiungen ist zwar zu berücksichtigen, dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG umschrieben sind, eng auszulegen sind, weil Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt (, Velvet & Steel, BFH/NV Beilage 2007, 294, UR 2007, 379 Rz 14, m.w.N.). Eine besonders enge Auslegung des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht” würde aber die Gefahr einer unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuerrechts in den Mitgliedstaaten hervorrufen (EuGH-Urteil Haderer in BFH/NV Beilage 2007, 394, UR 2007, 592 Rz 24).
c) Das FG wird deshalb prüfen müssen, ob —wie die Klägerin unter Hinweis auf entsprechende staatliche Schulen und Ergänzungsschulen vorträgt— vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden und ob die Leistungen der Klägerin der bloßen Freizeitgestaltung gedient haben. Hierbei wird es Folgendes berücksichtigen müssen:
aa) Eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf solche Unterrichtsleistungen, die sich an Personen richten, bei denen nach den Umständen anzunehmen ist, dass sie sich auf einen Beruf oder eine Prüfung vor einer juristischen Person vorbereiten, lässt sich nicht daraus herleiten, dass die Leistungen gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 „unmittelbar” dem Schul- und Bildungszweck dienen müssen. Auf die Ziele der Personen, die die Einrichtung besuchen, kommt es für die Steuerbefreiung nicht an. Entscheidend sind vielmehr die Art der erbrachten Leistungen und ihre generelle Eignung als Schul- oder Hochschulunterricht (vgl. zur Berufsaus- oder -fortbildung: , BFHE 204, 355, BStBl II 2004, 252; in BFHE 188, 462, BStBl II 1999, 578; VII C 73.75, BStBl II 1977, 334). Deshalb ist es auch ohne Belang, wie hoch der Anteil der Schüler ist, die den Ballettunterricht tatsächlich im Hinblick auf eine Berufsausbildung oder eine Prüfungsvorbereitung besuchten oder später tatsächlich den Beruf des Tänzers ergriffen haben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 355, BStBl II 2004, 252, m.w.N.).
bb) Die Bescheinigungen der zuständigen Landesbehörde vom und sind nicht nur für die Frage der Anerkennung einer Einrichtung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG von Bedeutung (s. oben unter II.2.a bb). Die Bescheinigungen haben auch insofern Indizwirkung, als —sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen— davon auszugehen ist, dass Leistungen, die tatsächlich dem Anforderungsprofil der Bescheinigung entsprechen, nicht den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben.
Solche gegenteiligen Anhaltspunkte, die zur Annahme reiner Freizeitgestaltungen führen, können sich zum Beispiel aus dem Teilnehmerkreis oder aus der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben. So sind Kurse, die von ihrer Zielsetzung auf reine Freizeitgestaltung gerichtet sind, ausgeschlossen. Darunter fallen zum Beispiel Kurse, die sich an Eltern von Schülern richten, um die Wartezeit während des Unterrichts der Kinder sinnvoll zu nutzen, Kurse für Senioren oder allgemein am Tanz interessierte Menschen. Kurse hingegen, die es einem Teilnehmer ermöglichen, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung schließlich beruflich zu nutzen, fallen unter die Steuerbefreiung auch dann, wenn von dieser Möglichkeit nur wenige Teilnehmer Gebrauch machen. Hierfür spricht insbesondere auch Kapitel V Abschn. 1 Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 288, S. 1). Danach umfassen die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG erbracht werden, Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienten. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich. Für Schulunterricht und Hochschulunterricht ist ein direkter Bezug zu einem Beruf deshalb nicht erforderlich.
3. Die Anfechtungsbeschränkung des § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) steht einer Herabsetzung der Umsatzsteuer für das Streitjahr 1995 nicht entgegen. Die Bescheinigungen vom und wirken auf das Jahr 1995 zurück (, BStBl II 1995, 913; , BStBl I 1995, 827) und stellen entweder Grundlagenbescheide i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO oder rückwirkende Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar (zur Problematik vgl. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175 AO Rz 262). Ob die Rückwirkung bei einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG 1993 ausgeschlossen ist (so , BFHE 176, 146, BStBl II 1995, 912; a.A. BMF, a.a.O.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die durch Art. 8 Nr. 6 des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes vom (BGBl I 2004, 3310) eingefügte Vorschrift des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis gilt, ist gemäß Art. 97 § 9 Abs. 3 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung erstmals anzuwenden, wenn die Bescheinigung oder Bestätigung nach dem vorgelegt oder erteilt wird, und spielt im vorliegenden Fall schon deshalb keine Rolle.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2012 II Seite 267
BB 2008 S. 975 Nr. 19
BFH/NV 2008 S. 1078 Nr. 6
BFH/PR 2008 S. 358 Nr. 8
BStBl II 2012 S. 267 Nr. 6
DB 2008 S. 1080 Nr. 20
DStR 2008 S. 919 Nr. 19
DStRE 2008 S. 721 Nr. 11
GStB 2008 S. 26 Nr. 7
HFR 2008 S. 837 Nr. 8
KÖSDI 2008 S. 16012 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2008 S. 1627
RIW 2008 S. 416 Nr. 6
SJ 2008 S. 9 Nr. 12
StB 2008 S. 192 Nr. 6
StBW 2008 S. 5 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2008 S. 446
UR 2008 S. 552 Nr. 14
UStB 2008 S. 166 Nr. 6
UVR 2008 S. 259 Nr. 9
GAAAC-77621