BVerwG Urteil v. - 5 C 4.07

Leitsatz

Die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung achteinhalb Jahre nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde ist nicht mehr zeitnah und kann daher nicht auf die Ermächtigung in § 48 VwVfG (hier: i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin) gestützt werden (im Anschluss an - BVerfGE 116, 24).

Gesetze: RuStAG § 9; VwVfG § 48

Instanzenzug: VG Berlin, VG 2 A 123.02 vom OVG Berlin-Brandenburg, OVG 5 B 15.03 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Der Kläger, ein am geborener ehemaliger pakistanischer Staatsangehöriger, reiste im Jahre 1981 als Asylsuchender erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrags wurde er Ende April 1987 nach Pakistan abgeschoben. Nach neuerlicher Einreise im Januar 1989 heiratete er im Oktober 1989 eine deutsche Staatsangehörige. Die zuständige Ausländerbehörde erteilte ihm zuerst eine befristete, nachfolgend eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Ehe wurde Anfang März 1997 rechtskräftig geschieden.

Im November 1992 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. In dem Antragsformular gab er unter der Rubrik "Ehegattin" ausschließlich die Personalien seiner deutschen Ehefrau an, im Abschnitt "Kinder" als Geschlecht des ersten Kindes "männlich"; weitere Angaben zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnort des ersten Kindes waren mit weißer Farbe unkenntlich gemacht. In einem dem Antrag beigefügten handschriftlichen Lebenslauf teilte der Kläger lediglich mit, er sei verheiratet. Am erhielt der Kläger die Urkunde über die Einbürgerung.

Nachdem im November 1999 Visa zu einer Familienzusammenführung beantragt wurden, stellte die Ausländerbehörde fest, dass der Kläger am in Pakistan eine Zweitehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen eingegangen war und als Vater dreier in den Jahren 1991, 1993 sowie 1995 geborener pakistanischer Kinder im Geburtsregister seines Heimatdorfes eingetragen ist.

Das beklagte Land nahm mit Bescheid vom die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband nach § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und ordnete unter Androhung eines Zwangsgeldes die Rückgabe der Einbürgerungsurkunde an. Die Einbürgerung des Klägers sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Aufgrund der Zweitehe sei die zur Einbürgerung auf der Grundlage von § 9 RuStAG führende gesetzliche Vermutung widerlegt, durch die eheliche Gemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen werde sich die Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schneller als allgemein üblich vollziehen. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er seine Zweitehe verschwiegen und dadurch die Einbürgerungsbehörde arglistig getäuscht habe.

Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht den Rücknahmebescheid des Beklagten mit der Erwägung aufgehoben, nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts könne eine rechtswidrige Einbürgerung nicht zurückgenommen werden.

Die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es folge der neueren Rechtsprechung des -), nach der die zeitnahe Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung auf der Grundlage des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts grundsätzlich zulässig sei und nicht das in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG statuierte Verbot der Entziehung der Staatsangehörigkeit verletze. Der Kläger habe auch seine Einbürgerung erschlichen, indem er über seine in Pakistan geschlossene Zweitehe arglistig getäuscht habe. Die Rücknahme sei hier aber nicht zeitnah erfolgt. Der Begriff "zeitnah" beziehe sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum. Im vorliegenden Fall könne dahingestellt bleiben, wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verlaufe, da bei dem verstrichenen Zeitraum von achteinhalb Jahren jedenfalls nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden könne. Unabhängig hiervon sei die Rücknahme der Einbürgerung auch deswegen rechtswidrig, weil sie an einem durchgreifenden Ermessensfehler leide. Der Beklagte habe weder die Dauer des Aufenthaltes des Klägers in Deutschland noch die seit der Einbürgerung verstrichene Zeit als solche hinreichend berücksichtigt und in seine Abwägung einfließen lassen.

Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei hier die Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung auf der Grundlage von § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin auch achteinhalb Jahre nach der Einbürgerung noch möglich. Denn dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass eine Rücknahme auf der Grundlage des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts lediglich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne möglich sein solle; auch der Grundsatz der Vorhersehbarkeit der Entscheidung gebiete diese Annahme nicht.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

Das Berufungsgericht hat die Aufhebung des angefochtenen Bescheids des Beklagten vom durch das Verwaltungsgericht zu Recht bestätigt. Im Einklang mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist es davon ausgegangen, § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin stelle keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers dar, weil diese nicht zeitnah erfolgt ist (1.). Auch die verfügte Verpflichtung, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben, ist danach rechtswidrig (2.).

1. Für die Rücknahme der nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts im Jahre 1993 erschlichenen Einbürgerung fehlte es achteinhalb Jahre danach an der erforderlichen hinreichend bestimmten und vorhersehbaren Ermächtigungsgrundlage.

a) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung grundsätzlich auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 VwVfG - hier i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin - gestützt werden (vgl. BVerwG 1 C 19.02 - BVerwGE 118, 216 und vom - BVerwG 1 C 6.03 - BVerwGE 119, 17; BVerwG 5 B 132.07 - juris). Mit Rücksicht auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 GG bietet § 48 VwVfG nur in bestimmten Fällen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme von Einbürgerungen ( - BVerfGE 116, 24; dem folgend auch Beschluss des Senats vom , a.a.O.; - AuAS 2007, 77; VGH Mannheim, Urteil vom - 13 S 2794/06 - AuAS 2007, 264). Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom a.a.O. hierzu ausgeführt hat, schließt Art. 16 Abs. 1 GG die Rücknahme erschlichener oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkter Einbürgerungen zwar nicht aus. Die Anwendung der allgemein geltenden Rücknahmeermächtigung steht aber nur "für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst erwiesenermaßen getäuscht hat", in Einklang mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Nur für diesen Fall enthält § 48 VwVfG ein für den Betroffenen berechenbares rechtsstaatliches Abwägungsprogramm und ist dessen Anwendung auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unbedenklich (BVerfG a.a.O. S. 52).

b) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Bundesverfassungsgericht auch nach der Ansicht des erkennenden Senats die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage bei nicht zeitnaher Rücknahme nicht offen gelassen. Nur bei einer zeitnahen Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung sehen die die Entscheidung tragenden Richter des Bundesverfassungsgerichts die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die erforderliche Eingriffsgrundlage als gewährleistet an (BVerfG a.a.O.). In anderen Fallkonstellationen ist § 48 VwVfG dagegen "keine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Rechtszustandes", "weil die grundrechtlich geschützte Erwartung eines Eingebürgerten eine am Maßstab des Gesetzes ausreichend vorhersehbare Verwaltungsentscheidung verlangt" (BVerfG a.a.O. S. 59). Insoweit ist es dem Gesetzgeber vorbehalten, insbesondere die Rechtsfolgen eines Fehlverhaltens im Einbürgerungsverfahren für den Bestand der Staatsangehörigkeit näher zu regeln (BVerfG a.a.O. S. 60). Dem schließt sich der Senat an.

c) Die Einbürgerung des Klägers ist nicht in diesem Sinne "zeitnah" zurückgenommen worden (vgl. zu diesem zeitlichen Aspekt auch VGH Mannheim, Urteil vom - 13 S 2885/06 - InfAuslR 2008, 41; anderer Ansicht offenbar OVG Lüneburg, Urteil vom - 13 LC 468/03 - juris). Zutreffend geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass der vom Bundesverfassungsgericht verwendete Begriff zeitnah sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum bezieht und nicht auf eine Entschließungsfrist der Behörde ab Kenntniserlangung der rücknahmebegründenden Umstände, wie sie etwa in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG vorgesehen ist. Denn der Bestimmtheit und Voraussehbarkeit von Eingriffen sowie der Stabilität von Statusentscheidungen kommen im Staatsangehörigkeitsrecht besondere Bedeutung zu. Sowohl für den Einzelnen als auch für das Gemeinwesen muss hinreichend klar sein, ab welchem Zeitpunkt der Statusentzug ausgeschlossen ist (vgl. hierzu bereits - InfAuslR 1997, 82; VGH Mannheim, Urteil vom , a.a.O.).

Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung verläuft, bedarf auch im vorliegenden Fall keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung. Ebenso wie das Berufungsgericht kann der Senat offenlassen, wann genau und unter welchen Gesichtspunkten die Rücknahme generell nicht mehr auf § 48 VwVfG gestützt werden kann, solange der Bundesgesetzgeber keine spezielle Regelung trifft. Der Senat neigt freilich nicht dazu, als Anknüpfungspunkt auf die vom Berufungsgericht herangezogenen strafrechtlichen Verjährungsbestimmungen (vgl. etwa § 78 Abs. 3 Nr. 4 und 5 StGB) bzw. die Tilgungsregelungen für strafrechtliche Verurteilungen nach dem Bundeszentralregistergesetz (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BZRG) abzustellen. Ebenso wenig ist die in § 124 Abs. 3 BGB statuierte absolute zehnjährige Ausschlussfrist entsprechend anwendbar (für eine 5-Jahresgrenze entsprechend § 24 Abs. 2 Satz 2 StAngRegG vgl. -, InfAuslR 1998, 505 f. und - InfAuslR 2002, 81).

Bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am und deren Rücknahme am verstrichenen Zeitraum von achteinhalb Jahren jedenfalls kann nach der Überzeugung des Senats nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden. Im Übrigen ist es in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, bei einer noch zu schaffenden spezialgesetzlichen Regelung für die Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen zu bestimmen, ob eine zeitliche Begrenzung und ggf. welche gelten soll, und die Voraussetzungen, zeitlichen Grenzen und Rechtsfolgen - auch für etwa betroffene Dritte - bereichsspezifisch und vorhersehbar festzulegen (vgl. zur bisherigen parlamentarischen Diskussion den Entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem Staatsangehörigkeitsneuregelungsgesetz vom , BTDrucks 14/535 und den Gesetzesentwurf der Bundestagsfraktion "Bündnis 90/Die Grünen" zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts vom , BTDrucks 16/2650; ferner die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" vom zu dem und die Antwort der Bundesregierung vom , BTDrucks 16/2413 hierauf sowie die Stellungnahme des Bundesrats vom , BRDrucks 224/07 zu dem Entwurf des inzwischen - ohne die geforderte Neuregelung - verabschiedeten Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union). Dem Gesetzgeber ist es vorbehalten, in dem durch Art. 16 Abs. 1 GG gesetzten Rahmen durch eine differenzierende Regelung sowohl den Anforderungen an rechtsstaatliche Bestimmtheit als auch der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem vom Bundesverfassungsgericht betonten Anliegen Rechnung zu tragen, dass eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen darf (BVerfG a.a.O. S. 49).

d) Da die Rücknahme der Einbürgerung danach bereits mangels der erforderlichen gesetzlichen Rechtsgrundlage rechtswidrig ist, kann offen bleiben, ob sie darüber hinaus an einem im gerichtlichen Verfahren zu beanstandenden Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) leidet. Im rechtlichen Ansatz teilt der Senat die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts dazu, dass die Zeitdauer des Aufenthaltes des Klägers in Deutschland und der zwischen der Einbürgerung und deren Rücknahme verstrichene Zeitraum als maßgebliche Abwägungsgesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens einzustellen sind.

2. Der Bescheid des Beklagten ist zu Recht auch insoweit aufgehoben worden, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde aufgefordert wurde.

Nachdem die Einbürgerung nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Fundstelle(n):
EAAAC-77464