Beweiskraft eines Empfangsbekenntnisses; Urteilszustellung an eine Sozietät
Instanzenzug:
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) —X-KG— im Streitjahr (1995) Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder, wie von ihr erstmals im Einspruchsverfahren geltend gemacht, aufgrund der Beendigung einer Betriebsaufspaltung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hat. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das vorinstanzliche Urteil vom wurde gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (§ 53 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO— i.V.m. § 174 der Zivilprozessordnung —ZPO—). Das Empfangsbekenntnis ist von Rechtsanwalt D unter Beifügung des Stempels der Sozietät sowie des Datums „” unterschrieben worden.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde mit Schreiben vom , das am selben Tag (einem Montag) per Telefax beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, erhoben. Die Beschwerdeschrift ist von Steuerberater J —einem weiteren Angehörigen der Sozietät, der die Klägerin vor dem FG vertreten hatte— unterschrieben; sie enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass das Urteil des FG am zugestellt worden sei und die Beschwerdebegründung innerhalb der gesetzlichen Frist nachgereicht werde. Der Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) wurde jedoch erst mit Schreiben vom gestellt; er ist dem BFH —wiederum per Telefax— an diesem Tag (einem Mittwoch) zugegangen.
Mit Schreiben vom hat der Vorsitzende des beschließenden Senats der Sozietät mitgeteilt, dass die gesetzliche Begründungsfrist von zwei Monaten am abgelaufen und der Fristverlängerungsantrag demgemäß verspätet gestellt worden sei. Er hat deshalb die Fristverlängerung (unter gleichzeitigem Hinweis auf § 56 FGO) abgelehnt.
Daraufhin hat der nunmehr für das Beschwerdeverfahren bestellte Rechtsanwalt S. mit Schriftsatz vom im Wesentlichen vorgetragen, dass das Urteil tatsächlich am zugestellt worden sei. Da die Sekretärin (Frau D.), die zudem mit der Vorbereitung der Feier zum 66. Geburtstag des Seniorpartners (Steuerberater J) beschäftigt gewesen sei, an diesem Tag vergessen habe, den Eingangsstempel umzustellen, seien die am eingegangenen Schriftstücke noch mit dem Datum abgestempelt worden. Rechtsanwalt D, der in der Kanzlei allein für die Fristeneingabe zuständig sei, habe das FG-Urteil zusammen mit den Tageseingängen vom (einem Freitag) durchgesehen und sich mit dem Fall der Klägerin —angesichts seiner Bedeutung— länger befasst. Danach habe er das Urteil sowie die weiteren der Fristenüberwachung unterliegenden Dokumente in das in seinem Zimmer hierfür vorgesehene Fach abgelegt, um die Frist am Montag, dem in das Fristenbuch einzutragen. Die Entscheidung des FG sei wesentlicher Gesprächsstoff auf der anschließenden Geburtstagsfeier gewesen. Aus dem in Kopie beigefügten Fristenbuch ergebe sich, dass der Eintrag tatsächlich auch am Montag () in das elektronisch geführte Verzeichnis vorgenommen worden sei. Eine spätere Änderung sei technisch ausgeschlossen. Das Programm berechne nach Eingabe automatisch die Fristen, so dass für die Nichtzulassungsbeschwerde der und nicht der erfasst worden sei. Das Empfangsbekenntnis habe der Rechtsanwalt J erst am Mittag des unterschrieben und hierbei —ohne sich weitere Gedanken zu machen— das Stempeldatum () übernommen. Da im Streitfall erwiesen sei, dass das Empfangsbekenntnis den Zustellungstag unrichtig bezeuge, sei dem Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist zu entsprechen.
Mit weiteren Schreiben vom 18. Juli und wurde zum einen die Beschwerde begründet, zum anderen der Vortrag zum Zustellungszeitpunkt ergänzt. Rechtsanwalt D habe —wie den bereits eingereichten Kopien des fälschungssicheren Fristenkontrollbuchs sowie der nunmehr vorgelegten anwaltlichen Versicherung zu entnehmen— aufgrund der Zustellung am die korrespondierenden Fristen zur Einlegung und Begründung der Beschwerde auf den und auf den notiert. In der anwaltlichen Versicherung erklärt Herr D u.a., er sei sich deshalb sicher, dass das FG-Urteil erst am eingegangen sei, weil er es bei der Geburtstagsfeier auch mit den zuständigen Bearbeitern (Steuerberater J und M) diskutiert habe.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat vorgetragen, dass vorliegend der Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses nicht geführt worden sei. Den eingereichten Unterlagen (Posteingangsbuch) seien keine Fristvermerke und damit auch keine Fristenkontrolle (hier: betreffend Beschwerdebegründungsfrist) zu entnehmen. Wäre —wie geboten— die Frist zur Beschwerdebegründung im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde erneut geprüft worden, hätte anhand des Empfangsbekenntnisses auffallen müssen, dass die Frist mit dem geendet habe. Im Übrigen sei der auch in der Beschwerdeschrift als Zustellungstag genannt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme —wegen mangelhafter Fristenkontrolle— nicht in Betracht.
Die Klägerin hat hierauf erwidert, dass Rechtsanwalt D —gemäß seiner anwaltlichen Versicherung— das „Empfangsbekenntnis am ausgefüllt und entsprechende Fristen…in das Fristenkontrollbuch…eingetragen (habe)”. Auch sei die Beschwerdebegründungsfrist von Steuerberater M Anfang Juli 2007 noch einmal überprüft und (erneut) auf den festgelegt worden.
II. Da die Klägerin die Beschwerdebegründungsfrist nicht gewahrt hat, ist die Beschwerde unzulässig und damit zu verwerfen.
1. Dabei hat der Senat davon auszugehen, dass das vorinstanzliche Urteil am zugestellt wurde und die Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) am Dienstag, dem abgelaufen ist. Demgemäß konnte dem nach Ablauf dieser Frist eingegangen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nicht mehr stattgegeben werden (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO).
a) Wird ein Urteil gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (§§ 166 Abs. 1 und 174 ZPO i.V.m. § 53 Abs. 2 FGO), so steht der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen, dass —wie vorliegend— der Zustellungsadressat als solcher (z.B. Anwalt oder Steuerberater; § 172 ZPO; § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO) in dem Formular namentlich nicht genannt (vgl. , BFH/NV 2003, 1072), sondern das Empfangsbekenntnis an die Sozietät gerichtet wird, der der Bevollmächtigte angehört. Auch ist bei einer Sozietät grundsätzlich jeder Sozius berechtigt, Zustellungen für die anderen Angehörigen der Gesellschaft entgegenzunehmen (, Versicherungsrecht —VersR— 1969, 887, und , BGHZ 67, 10, 12 f.; Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 174 Rz 7). Dies wird auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt; vielmehr hat ihr Prozessbevollmächtigter ausdrücklich erklärt, dass Rechtsanwalt D nach der Organisation der Sozietät für die Fristeneingabe ausschließlich (alleine) zuständig gewesen sei. Seine Empfangsberechtigung erstreckte sich somit auch auf die von Steuerberater J betriebenen finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. allgemein zur Zustellungsvollmacht Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 53 Rz 51, m.w.N.)
b) Das ausgefüllte Empfangsbekenntnis erbringt nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich den vollen Beweis dafür, dass das Schriftstück an dem vom Empfänger angegebenen Tag tatsächlich zugestellt wurde (§ 53 Abs. 2 FGO, §§ 174 und 418 Abs. 1 ZPO). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Datums ist zwar zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Er ist allerdings nicht schon dann erbracht, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht; vielmehr sind an einen solchen Gegenbeweis in dem Sinne „strenge Anforderungen” zu stellen, dass —zur Überzeugung des Gerichts— die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses vollständig entkräftet und damit jede Möglichkeit seiner Richtigkeit ausgeschlossen sein muss (z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 206/05, BFH/NV 2006, 1667, und vom VIII B 11/96, BFH/NV 1997, 459; , Buchholz, 303, § 418 ZPO Nr. 14; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 174 Rz 24; Zöller/Stöber, a.a.O., § 174 Rz 20; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 53 Rz 53, jeweils m.w.N.).
c) An Letzterem fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil der Vortrag, Rechtsanwalt D habe die Urteilsausfertigung erst am erhalten, offensichtlich lückenhaft ist.
aa) Zum einen ist dem Senat keine schriftliche Bestätigung von der als Sekretärin beschäftigten Frau D. zu dem Vortrag vorgelegt worden, nach dem der auf der Urteilsausfertigung angebrachte Eingangsstempel versehentlich das Datum des Vortages trägt (). Zum anderen fehlt —obgleich das FA auf diesen Gesichtspunkt ausdrücklich hingewiesen hat— jeder Nachweis darüber, dass Rechtsanwalt D am Montag, dem die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist entweder in ein Fristenkontrollbuch eingetragen hat oder in sonstiger Weise einen solchen Eintrag veranlasst hat. Die vorgelegten Kopien sind vielmehr mit „Posteingangsbuch-Standardliste” überschrieben und enthalten, soweit hier von Interesse, lediglich unter der Spalte „Posteingang” das Datum ; in der letzten Zeile der folgenden Spalte („Eingangsart”) wurde —nachträglich— der Vermerk angebracht: „NZB am per FAX an BFH”. Des Weiteren fehlt eine substantiierte Erläuterung dazu, weshalb Rechtsanwalt D am Tag der Erfassung des vorinstanzlichen Urteils im Posteingangsbuch () das Empfangsbekenntnis handschriftlich mit dem Datum versehen hat. Zu Recht weist das FA darauf hin, dass es angesichts der (behaupteten) Bedeutung, die alle Sozietätsangehörigen dem finanzgerichtlichen Verfahren der Klägerin beigemessen haben, näherer Erläuterungen bedurft hätte, weshalb die nicht miteinander zu vereinbarenden Eintragungen Rechtsanwalt D nicht bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses aufgefallen sind. Schließlich —und vor allem— lässt die Klägerin jegliche Ausführungen dazu vermissen, weshalb noch in der am (einem Montag) per Telefax dem BFH übermittelten und von Steuerberater J unterschriebenen Beschwerde ausdrücklich davon ausgegangen worden ist, dass das vorinstanzliche Urteil am zugestellt worden sei. Insoweit hätte besonderer Anlass bestanden, die fehlende Übereinstimmung mit den —nach dem Vortrag der Klägerin— von Rechtsanwalt D notierten Beschwerdefristen nachvollziehbar zu erläutern; auch wäre hierbei darauf einzugehen gewesen, weshalb Steuerberater J —trotz der nach dem Vortrag der Klägerin elektronisch abweichend ermittelten Fristen— auch einen Monat nach Eingang des FG-Urteils noch von einer am bewirkten Zustellung ausgegangen ist.
bb) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Verweis der Klägerin auf den (BFHE 216, 481, BStBl II 2007, 583). Der Hinweis lässt nicht nur außer Acht, dass die Ausführungen dieses Beschlusses, nach denen in der Regel kein Grund bestehe, der Erklärung eines Rechtsanwalts über den Tag des Zugangs eines Schriftstücks zu misstrauen, nicht die Frage betreffen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beweiswirkung einer von dem betreffenden Rechtsanwalt zunächst selbst (hier mit dem ) beurkundeten Zustellung vollständig entkräftet wird. Hinzu kommt, dass die Entscheidung über einen solchen Gegenbeweis nicht anhand allgemein bestimmbarer Kriterien, sondern nach Maßgabe der aus den Umständen des Einzelfalls gewonnenen richterlichen Überzeugung zu treffen ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 459).
2. Die Frist zur Beschwerdebegründung wurde somit versäumt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Zwar kann das Gericht die Entscheidung darüber, dass eine versäumte oder verspätet nachgeholte Prozesshandlung als rechtzeitig vorgenommen gilt, nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO ohne (ausdrücklichen) Antrag treffen. Jedoch sind auch in diesem Fall die Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 48, m.w.N.). Dem Vortrag des Beteiligten muss deshalb entnommen werden können, dass er ohne Verschulden gehindert war, die in Frage stehende (gesetzliche) Frist zu wahren (§ 56 Abs. 1 FGO). Hieran fehlt es im Streitfall, da nach den vorstehenden Ausführungen unter II.1.c der Gründe dieses Beschlusses nicht von einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle ausgegangen werden kann und die Klägerin sich das Verschulden ihres Bevollmächtigen zurechnen lassen muss (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAC-75928