Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: KSchG § 1 Abs. 5; GG Art. 12; GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: ArbG Koblenz, 7 Ca 2558/04 vom LAG Rheinland-Pfalz, 1 Sa 674/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Außerdem begehrt der Kläger Weiterbeschäftigung.
Der 1970 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger trat 1998 als Maschinenbediener in die Dienste der Beklagten. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie und beschäftigte am Standort R bei N regelmäßig etwa 300 Arbeitnehmer.
Wegen einer geplanten betrieblichen Umstrukturierung vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat R unter dem einen Interessenausgleich mit einer Liste der Namen von 35 zu entlassenden Arbeitnehmern. Der Name des Klägers befindet sich auf der Liste.
Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum .
Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und Weiterbeschäftigung begehrt. Er hat das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe bestritten. Die Beklagte könne sich nicht auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG berufen. Diese Regelung sei wegen Verstoßes gegen Art. 12 und Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig. Außerdem sei eine Weiterbeschäftigung in einem anderen Werk (Betrieb) der Beklagten möglich gewesen. Die Beklagte hätte ihm einen dort vorhandenen freien Arbeitsplatz im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG erstrecke sich nicht auf das Fehlen freier Arbeitsplätze in einem anderen Betrieb des Unternehmens. Der Kläger, dem 56 Sozialpunkte zugemessen worden waren, hat auch die Sozialauswahl gerügt und sich dabei auf nicht gekündigte Arbeitnehmer bezogen, die bis zu 12 Punkte weniger aufwiesen. Schließlich sei auch der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom nicht beendet wurde,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger während der Dauer des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat sich auf dringende betriebliche Gründe und insoweit vor allem auf § 1 Abs. 5 KSchG berufen. Die gesetzlich angeordnete Vermutungswirkung führe nicht zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Rechte des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzverfahren. Sie erstrecke sich auch auf die Frage, ob in einem anderen Betrieb des Unternehmens eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vorhanden sei. Die Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Die betreffenden Arbeitnehmer seien zT nicht mit dem Kläger vergleichbar. Im Übrigen sei die Sozialauswahl nicht grob fehlerhaft. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden, wie sich aus der entsprechenden Bestätigung im Interessenausgleich ergebe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine ursprünglichen Klageanträge weiter.
Gründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung des Klägers vom sei aus dringenden betrieblichen Gründen erfolgt. Insoweit greife die vom Kläger nicht widerlegte Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG ein. Diese Regelung begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast den durch einfache rechtliche Normen bewirkten Schutz grundrechtlicher Gewährleistungen nicht leer laufen lassen dürfe. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG seien erfüllt. Die Vermutungswirkung beziehe sich auch auf die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG. Die Sozialauswahl sei nicht grob fehlerhaft. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt, insbesondere sei der Betriebsrat ausreichend über die Kündigungsgründe unterrichtet gewesen.
B. Diesen Ausführungen stimmt der Senat nicht in allen Punkten zu. Ob die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSd. § 1 Abs. 2 iVm. § 1 Abs. 5 KSchG sozial gerechtfertigt ist, kann der Senat auf Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vor und die Norm begegnet auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ob sich die von § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ausgelöste Vermutung hier auch auf das Fehlen eines freien Arbeitsplatzes in einem anderen Betrieb des Unternehmens der Beklagten erstreckte, steht aber noch nicht fest. Ebenso kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilt werden, ob die Sozialauswahl grob fehlerhaft ist.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu Recht als erfüllt angesehen. Gegen die zutreffenden und weitgehend unter Bezugnahme auf das arbeitsgerichtliche Urteil begründeten Würdigungen des Landesarbeitsgerichts wendet sich auch die Revision nicht.
II. Damit wird nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermutet, dass die Kündigung des Klägers durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten in R entgegenstehen. Diese Vermutung hat der Kläger, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht entschieden hat, nicht widerlegt.
1. Soweit die Revision geltend macht, der Kläger habe detailliert vorgetragen, dass die von der Beklagten behaupteten und dem Interessenausgleich zugrunde gelegten Produktionszahlen die Kündigung von 35 Arbeitnehmern im Werk R rechnerisch nicht rechtfertigen könnten und darüber hinaus auch Produktionszuwächse von der Beklagten prognostiziert seien, ist dieser Einwand unbehilflich. Der Interessenausgleich wurde wegen geringerer Auslastungszahlen geschlossen. Die Beklagte hat deshalb insgesamt 35 Arbeitsplätze im Werk R abgebaut, wie in § 2 des Interessenausgleichs ausdrücklich festgehalten. Das ist ausreichend.
2. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich das Landesarbeitsgericht auf eine letztlich am Gesichtspunkt der Unvernunft und Willkür orientierte Überprüfung beschränkt hat. Ob der Arbeitsplatzabbau mathematisch exakt zum Wegfall von 35 Arbeitsplätzen führt, hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Kündigung. Es ist grundsätzlich Sache des Unternehmers zu entscheiden, welche Anzahl von Arbeitsplätzen er in seinem Unternehmen künftig dauerhaft einrichten bzw. vorhalten will.
3. Ob die durch § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ausgelöste Vermutung auch das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in anderen Betrieben (hier: Werk S) erfasst, steht noch nicht fest.
a) Die Reichweite der durch § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ausgelösten Vermutung im Hinblick auf die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den betroffenen Arbeitnehmer ist seit seiner erstmaligen Einführung durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom (BGBl. I S. 1476) umstritten.
Teilweise wurde hierzu vertreten, dass neben dem Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 KSchG für eine betriebsbedingte Kündigung insgesamt vermutet werden und damit auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens (Bader NZA 1996, 1125, 1133; Gaul AuA 1998, 168, 169; Löwisch NZA 1996, 1009, 1011; ders. RdA 1997, 80, 81; Preis NZA 1997, 1073, 1086; Bernd Preis DB 1998, 1614, 1616; Schiefer DB 1998, 925, 927). Andererseits wurde auch vertreten, dass das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens von der Vermutung nicht erfasst wurde (Fischermeier NZA 1997, 1089, 1096 f.; Giesen ZfA 1997, 145, 173; Kothe BB 1998, 946, 950).
b) Der Senat hat die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG aF bisher nur auf die fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf freien Arbeitsplätzen im Beschäftigungsbetrieb bezogen angewandt (vgl. Senat - 2 AZR 536/97 - BAGE 88, 363; - 2 AZR 111/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11).
c) Auch zu der durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom (BGBl. I S. 3002) mit Wirkung zum wortgleich wieder eingeführten und nunmehr geltenden Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG wird neuerlich diese Diskussion geführt. Überwiegend wird vertreten, auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens sei von der Vermutung erfasst (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 11; APS-Kiel 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 785g; HWK-Quecke 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 428; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 416; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1166m jeweils mwN; Eylert/Schinz AE 2004, 219, 227; Thüsing/Stelljes BB 2003, 1673, 1677). Andere nehmen an, das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens werde nicht in jedem Fall von § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG erfasst (Däubler NZA 2004, 177, 183; HaKo-Gallner 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 652, 648; KR-Griebeling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 703f).
d) Der Senat schließt sich im Grundsatz der überwiegend vertretenen Auffassung an. Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Gesetzesbegründung und das erkennbare Ziel des Gesetzgebers sowie praktische Gesichtspunkte sprechen dafür, die Reichweite der Vermutung auf den gesamten Komplex der dringenden betrieblichen Erfordernisse zu erstrecken. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG soll helfen, Kündigungen, die auf Grund von Betriebsänderungen notwendig werden, einfach, rechtssicher und zugleich sozial ausgewogen zu gestalten. Dem würde es widersprechen, den zentralen Gesichtspunkt, nämlich die Frage der Betriebsbedingtheit aufzuspalten und verschiedenen Beurteilungsmaßstäben zu unterwerfen. Allerdings ist die damit verbundene Beschneidung der prozessualen Rechte des gekündigten Arbeitnehmers nur so lange gerechtfertigt, als das vom Gesetzgeber vorausgesetzte kollektive Gegengewicht, nämlich die Mitprüfung der zugrunde liegenden Gegebenheiten durch den Betriebsrat auch stattgefunden hat. Davon ist regelmäßig auch dann auszugehen, wenn es im Interessenausgleich nicht ausdrücklich erwähnt ist. Bestreitet aber der Arbeitnehmer in erheblicher Weise, dass sich der Betriebsrat im Rahmen der Verhandlungen mit Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben überhaupt befasst hat und trägt darüber hinaus konkrete Anhaltspunkte für solche Beschäftigungsmöglichkeiten vor, so ist es am Arbeitgeber, wenn er die weitgehende Vermutungswirkung erhalten will, die Befassung der Betriebsparteien mit der Frage der Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben darzulegen und zu beweisen.
aa) Diese Einschränkung der Vermutungswirkung für den hier in Rede stehenden Bereich ist nach Auffassung des Senats geboten, um die durch § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG eintretende Beschränkung der prozessualen Rechte des Arbeitnehmers in Zweifelsfällen auf den nach dem Konzept des Gesetzes bestehenden Rahmen zu begrenzen. Die faktisch eintretende Einschränkung des individuellen Kündigungsschutzes ist nur so lange und nur deshalb gerechtfertigt, als bzw. weil ein betrieblich-kollektiver Schutz an seine Stelle tritt. Ist jedoch - wegen der Kompetenzgrenzen des Betriebsrats - zweifelhaft, ob die betrieblich-kollektive Prüfung der Beschäftigungsmöglichkeit den gesamten Bereich des individuellen Kündigungsschutzes erfasst hat, so muss dem Arbeitnehmer eine Möglichkeit verbleiben, seinen etwaigen Zweifel klären zu lassen.
bb) Der Arbeitgeber und der Betriebsrat haben es ihrerseits in der Hand, durch die inhaltliche Gestaltung von Verhandlungen und Interessenausgleich etwaige Zweifel an der Reichweite ihrer Überprüfungen von vornherein nicht aufkommen zu lassen.
e) Die danach notwendige differenzierte Betrachtungsweise hat das Landesarbeitsgericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - außer Acht gelassen. Es wird nunmehr den Parteien Gelegenheit geben müssen, unter Beachtung der vorstehend beschriebenen Rechtslage Stellung zu nehmen. Demgemäß wird das zu erwartende Vorbringen dann zu würdigen sein. Der Kläger hat bisher schon verschiedentlich auf seiner Meinung nach vorhandene Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in S hingewiesen.
III. Im Zuge des neuerlichen Berufungsverfahrens hat das Landesarbeitsgericht sich allerdings nicht nochmals mit der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG, der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 5 Satz 2 iVm. Abs. 3 KSchG und der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zu befassen. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind insoweit zutreffend und eine hiervon abweichende Beurteilung ist auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens in der Revisionsinstanz nicht angezeigt.
1. § 1 Abs. 5 KSchG begegnet entgegen der Auffassung des Klägers keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Weder verletzt die Norm den Kläger in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG noch liegt ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Gebot des fairen Verfahrens vor.
a) Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Während es bei der Berufswahl um die Entscheidung des Einzelnen geht, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will, betrifft die Arbeitsplatzwahl die Entscheidung, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte. Die Arbeitsplatzwahl ist folglich der Berufswahl nachgeordnet und konkretisiert diese. Sie ist ihrerseits der Berufsausübung vorgeordnet, die erst an dem gewählten Arbeitsplatz stattfindet. Bei der Wahl des Arbeitsplatzes geht es vielmehr um die Entscheidung für eine konkrete Betätigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Gegenstand des Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes ist der Entschluss des Einzelnen, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen. Dazu zählt namentlich bei abhängig Beschäftigten auch die Wahl des Vertragspartners samt den dazu notwendigen Voraussetzungen, insbesondere der Zutritt zum Arbeitsmarkt. Ebenso wie die freie Berufswahl sich nicht in der Entscheidung zur Aufnahme eines Berufs erschöpft, sondern auch die Fortsetzung und Beendigung eines Berufs umfasst, bezieht sich die freie Arbeitsplatzwahl neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch auf den Willen des Einzelnen, diese beizubehalten oder aufzugeben. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz demnach gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Mit der Wahlfreiheit ist aber weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden. Ebenso wenig verleiht das Grundrecht unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes auf Grund privater Dispositionen. Insoweit obliegt dem Staat lediglich eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Bestandsschutzvorschriften hinreichend Rechnung tragen. Direkte staatliche Eingriffe in bestehende Arbeitsverhältnisse müssen sich aber stets an dem Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes messen lassen ( - BVerfGE 84, 133, zu C III 1 der Gründe; - 1 BvR 454/91 ua. - BVerfGE 85, 360, zu C III 1 a der Gründe; - 1 BvR 1243/95 ua. - BVerfGE 96, 152, zu C I der Gründe; - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, zu B I 1 der Gründe; - 1 BvR 1554/89 ua. - BVerfGE 98, 365, zu C III 1 der Gründe; - 1 BvR 2110/93 - AP GG Art. 12 Nr. 112, zu IV 1 der Gründe).
b) Der objektive Gehalt der Grundrechte kann auch im Verfahrensrecht Bedeutung erlangen (vgl. - BVerfGE 97, 169, zu B I 3 b cc der Gründe). Der gerichtlichen Durchsetzung von Grundrechtspositionen dürfen keine praktisch unüberwindlichen Hindernisse entgegengesetzt werden (vgl. - BVerfGE 89, 276, zu C I 2 e der Gründe für das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 2 GG). Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast darf den durch einfachrechtliche Normen bewirkten Schutz grundrechtlicher Gewährleistungen nicht leerlaufen lassen (vgl. Oetker ArbuR 1997, 41, 53; Huster NJW 1995, 112, 113). Auch für die Wirksamkeit des gerichtlichen Kündigungsschutzes ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast von besonderer Bedeutung.
c) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 1 Abs. 5 KSchG nicht in bestehende Arbeitsverhältnisse und damit nicht in die grundrechtlich geschützte Position des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift. § 1 Abs. 5 KSchG ist eine das private Vertragsrecht ausgestaltende Norm, die alleine am objektiven Gehalt des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist. Dieses Grundrecht ist erst dann verletzt, wenn der Gesetzgeber seiner aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitenden Pflicht zum Schutz der Arbeitnehmer vor Arbeitgeberkündigung nicht hinreichend nachgekommen ist ( - BVerfGE 97, 169, zu B I 2 der Gründe).
d) Dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Arbeitnehmers an einer Erhaltung seines Arbeitsplatzes steht das Interesse des Arbeitgebers gegenüber, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen, und ihre Zahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken. Er übt damit regelmäßig seine Berufsfreiheit iSv. Art. 12 Abs. 1 GG, jedenfalls aber seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit aus, die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. Die somit gegenläufigen Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden ( - BVerfGE 97, 169, zu B I 3 a der Gründe; - 1 BvR 567/89 - und - 1 BvR 1044/89 - BVerfGE 89, 214, zu B II 2 b der Gründe).
e) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Gesetzgeber bei der Einführung des § 1 Abs. 5 KSchG zulässigerweise das Ziel verfolgt, Massenarbeitslosigkeit durch Stärkung der Wachstumskräfte für mehr Beschäftigung zu bekämpfen. Dazu hat er im Kündigungsschutzrecht ua. durch § 1 Abs. 5 KSchG mehr Transparenz und Rechtssicherheit herbeiführen wollen. Das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom (BGBl. I S. 3002) wollte Hindernisse für Neueinstellungen abbauen, Änderungen nahm der Gesetzgeber dort vor, wo nach seiner Einschätzung das bis dahin geltende Recht schwer handhabbar und zu starr war (BT-Drucks. 15/1204 S. 8).
f) Dem Gesetzgeber, der diese Interessen zu einem gerechten Ausgleich bringen will, ist ein weiter Gestaltungsfreiraum eingeräumt. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt in seiner politischen Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung. Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, das heißt die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit. Eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten kann daher in einer solchen Lage nur festgestellt werden, wenn eine Grundrechtsposition den Interessen des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann (so etwa - BVerfGE 81, 242; - 1 BvR 567/89 - und - 1 BvR 1044/89 - BVerfGE 89, 214, zu B II 2 b der Gründe).
g) Der Gesetzgeber hat seine Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG mit der Einführung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG nicht verletzt.
aa) Der gewählte Weg hält sich innerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Er hat die Interessen der Arbeitnehmer an der Vermeidung eines grundlosen Arbeitsplatzverlustes ebenso wie die Belange der Arbeitgeber ausreichend berücksichtigt. Auch hat der Gesetzgeber keine unüberwindlichen Hindernisse im Bereich des Prozessrechts für Arbeitnehmer aufgerichtet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber die Voraussetzungen einer Betriebsänderung darlegen muss, dass ferner die Kündigung aus Anlass der Betriebsänderung erfolgt sein und der gekündigte Arbeitnehmer im Interessenausgleich namentlich aufgeführt sein muss (Senat - 2 AZR 111/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11, zu C II der Gründe; - 2 AZR 55/98 - BAGE 88, 355, zu II 1 a der Gründe; jeweils noch zu § 1 Abs. 5 KSchG aF).
bb) Einen weiteren Schutz der Rechtsposition des Arbeitnehmers hat der Gesetzgeber dadurch vorgesehen, dass § 1 Abs. 5 KSchG nur zur Anwendung kommen kann, wenn der Betriebsrat einen entsprechenden Interessenausgleich mit Namensliste mit dem Arbeitgeber vereinbart. Damit hat der Gesetzgeber den vom Arbeitnehmer gewählten Vertretungsgremium im Betrieb eine entscheidende Rolle zuerkannt. Nur wenn dieses Gremium, welches nach § 2 Abs. 1 BetrVG mit dem Arbeitgeber vertrauensvoll zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammenzuarbeiten hat, den Interessenausgleich mit Namensliste abschließt, kann § 1 Abs. 5 KSchG zur Anwendung kommen. Durch die Einbindung der Arbeitnehmervertreter in das Verfahren werden bereits vor Ausspruch der Kündigung die Arbeitnehmerinteressen stärker als bei anderen Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 5 KSchG berücksichtigt.
cc) Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber nicht zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste gezwungen werden. Dem Betriebsrat kann es gelingen, die Kündigung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern zu verhindern und für die von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer bessere Sozialplanleistungen als Kompensation durchzusetzen. Durch die Einschaltung des Betriebsrats im Vorfeld der Kündigung ist eine über den bloßen Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG und die Anhörung nach § 102 BetrVG hinausgehende Einflussmöglichkeit gegeben.
dd) Auch hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, etwaige Zweifel an der Erstreckung der Vermutung auf andere Betriebe prozessual zur Geltung zu bringen. Handelt auf Arbeitnehmerseite der örtliche Betriebsrat, so bezieht sich die Vermutung ohne weiteres auf die dringenden betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstehen und die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit in diesem Betrieb. Bezweifelt der Arbeitnehmer die Prüfung der Beschäftigungsmöglichkeit in anderen Betrieben, so erstreckt sich die Vermutung darauf nur dann, wenn der Arbeitgeber eine solche Prüfung nachweist. Wenn der Gesamtbetriebsrat im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 50 BetrVG den Interessenausgleich mit Namensliste abschließt, besteht eine ausreichende Legitimation auch für die Frage der fehlenden Weiterbeschäftigung in einem anderen Betrieb ( -). Auch dies sichert die Rechtsposition des Arbeitnehmers.
ee) Weiter hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG eine widerlegbare gesetzliche Vermutung für das Vorliegen dringender betrieblicher Interessen enthält. § 292 ZPO sieht für den Fall einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung die Möglichkeit des Gegenbeweises ausdrücklich vor. Dies mag im Einzelfall für den Arbeitnehmer mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, ist aber nicht ausgeschlossen (vgl. etwa Senat - 2 AZR 571/01 - BAGE 104, 131, zu II 2 b der Gründe im Falle eines Interessenausgleichs nach § 125 InsO).
h) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts, dass die Darlegungslast des Pflichtigen, wenn es um Geschehnisse aus dem Bereich der anderen Partei geht, durch eine sich aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO ergebende Mitwirkungspflicht des Gegners gemindert wird. Darüber hinaus erlegt die Rechtsprechung dem Gegner der primär behauptungs- und beweisbelasteten Partei dann eine gewisse (sekundäre) Behauptungslast auf, wenn eine darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind ( - NJW 1990, 3151; - VI ZR 388/97 - NJW 1999, 714 mwN; - V ZR 115/01 - NJW-RR 2002, 1280 mwN; - NZA 2004, 489 = NJW 2004, 2848, zu II 3 b aa der Gründe). Dies hat, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zur Folge, dass bei fehlender Kenntnis und fehlender Kenntnismöglichkeit des Arbeitnehmers regelmäßig eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers besteht (siehe auch: Eylert/Schinz AE 2004, 219, 227).
2. Ob die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 Abs. 5 iVm. § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam ist, steht ebenfalls noch nicht fest.
a) Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Durch § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG soll den Betriebspartnern ein weiter Spielraum bei der Sozialauswahl eingeräumt werden. Das Gesetz geht davon aus, dass ua. durch die Gegensätzlichkeit der von den Betriebspartnern vertretenen Interessen und durch die auf beiden Seiten vorhandene Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse gewährleistet ist, dass dieser Spielraum angemessen und vernünftig genutzt wird. Nur wo dies nicht der Fall ist, sondern der vom Gesetzgeber gewährte Spielraum verlassen wird, so dass der Sache nach nicht mehr von einer "sozialen Auswahl" die Rede sein kann, darf grobe Fehlerhaftigkeit angenommen werden ( -). Dabei kommt es stets auf das konkrete Auswahlergebnis an ( - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 86 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 70).
b) Anhand des bisher festgestellten Sachverhalts kann nicht beurteilt werden, ob die Sozialauswahl grob fehlerhaft in diesem Sinne ist. Der vom Landesarbeitsgericht übernommene Ansatzpunkt des Arbeitsgerichts, die Punktedifferenz von 10 zwischen dem Kläger und der Mitarbeiterin S sei schon für sich genommen so gering, dass eine grobe Fehlerhaftigkeit ausgeschlossen werden könne, stimmt mit der og. Auffassung des Senats nicht überein. Die Höhe der Punktedifferenz kann zwar ein Indiz gegen oder für grobe Fehlerhaftigkeit darstellen, ist aber für sich genommen regelmäßig nicht hinreichend aussagefähig. Deshalb kann auch nicht angenommen werden, jedes Abweichen des Arbeitgebers von der aus der Tabelle folgenden Punktereihenfolge führe zu "grober" Fehlerhaftigkeit. Die Punktedifferenz kann aus unterschiedlichen Gründen zustande gekommen sein. So mag bei einem gekündigten Arbeitnehmer, der in allen Auswahlgesichtspunkten mehr Punkte aufweist als sein nicht gekündigter Kollege, die Schlussfolgerung nahe liegen, dass die Fehlerhaftigkeit "grob" war, weil in diesem Fall offenkundig nach keinem der sozialen Gesichtspunkte ausgewählt wurde. Anders mag es liegen, wenn sich der Punktevorsprung nur aus einem oder zwei Sozialdaten ergibt. Insoweit wird das Landesarbeitsgericht den Sachverhalt aufklären und anhand der oben wiedergegebenen Maßstäbe neu beurteilen müssen.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Kündigung auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung auch im Falle eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG keinen geringeren Anforderungen unterliegt und ausführlich und detailliert sich mit den Einwendungen des Klägers auseinandergesetzt hat. Diese Würdigungen und rechtlichen Ausführungen sind aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Auch die vom Kläger in der Revisionsbegründung neuerlich geltend gemachten Umstände rechtfertigen keine von der des Landesarbeitsgerichts abweichende Beurteilung.
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PAAAC-75755
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