Leitsatz
[1] a) Die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO hat als Höchstfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand absoluten Charakter und verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten.
b) Im Hinblick darauf ist die Vorschrift allerdings nicht anwendbar, wenn die Ursache der Fristüberschreitung nicht in der Sphäre der Partei liegt, sondern allein dem Gericht zuzurechnen ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479). Das ist auch dann der Fall, wenn das Rechtsmittelgericht zwar innerhalb der Jahresfrist über einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entschieden, dies dem Antragsteller aber nicht mitgeteilt hatte und der Antragsteller auch sonst keine Kenntnis von der Entscheidung erlangt hat.
Gesetze: ZPO § 234 Abs. 3
Instanzenzug: AG Hamburg-Altona, 315a C 156/05 vom LG Hamburg, 309 S 43/06 vom
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche nach gescheiterter Ehe. Mit Urteil vom hat das Amtsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 635,02 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Urteil wurde dem Beklagten am zugestellt. Mit einem am (Montag) eingegangenen Schriftsatz begehrte der Beklagte Prozesskostenhilfe "für die beabsichtigte Berufung" und kündigte an, das "Gesuch" weiter zu begründen. Beigefügt war ein weiterer Schriftsatz vom , der als "Berufung" bezeichnet, vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten aber nicht unterschrieben war. Mit Schriftsatz vom beantragte der Beklagte, "die Frist zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs vom um 1 Monat bis zum zu verlängern". Nach antragsgemäßer Verlängerung der "Frist zur Begründung des PKH-Antrages" begründete der Beklagte "das Prozesskostenhilfegesuch" mit einem am eingegangenen Schriftsatz vom .
Mit Beschluss vom wies das Landgericht den Antrag des Beklagten auf Prozesskostenhilfe zurück, weil die beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Beschluss wurde am an die Klägerin, nicht aber an den Beklagten zugestellt. In der Folgezeit wurden die Akten weggelegt. Auf einen Schriftsatz des Beklagten vom wurde ihm am antragsgemäß Akteneinsicht gewährt. Dabei stellte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten fest, dass das Landgericht bereits über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden hatte. Mit einem am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist. Er versicherte anwaltlich, erst durch die Akteneinsicht am Kenntnis von der Entscheidung des Landgerichts erhalten zu haben, und legte eine eidesstattliche Versicherung des Beklagten vor, derzufolge auch dieser bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt habe. Mit weiterem Schriftsatz vom , eingegangen am selben Tag, legte er Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil ein. Mit Schriftsatz vom - ebenfalls eingegangen am selben Tag - begründete er seine Berufung.
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, weil die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht eingehalten sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. und vom - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 88, 118, 123 ff., BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hatte der Beklagte die Berufung allerdings nicht bereits rechtzeitig eingelegt und begründet. Weder ist dem Schriftsatz vom , der dem Prozesskostenhilfegesuch beigefügt war, eine wirksame Berufung zu entnehmen, noch enthält der am eingegangene Schriftsatz vom eine wirksame Berufungsbegründung.
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein mit einem Schriftsatz auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbundener weiterer Antrag als zulässiges unbedingtes Rechtsmittel oder als bedingt eingelegtes und somit unzulässiges Rechtsmittel zu werten ist. Erfüllt der weitere Schriftsatz die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nur als - durch die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe - bedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 und BGHZ 165, 318, 320 f. = FamRZ 2006, 400). Erfüllt der eingegangene Schriftsatz die gesetzlichen Anforderungen an ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung hingegen nicht, spricht dies im Rahmen der Auslegung eher dagegen, dass damit ein unbedingtes wegen des Formverstoßes unzulässiges Rechtsmittel eingelegt werden sollte. In solchen Fällen ist der Schriftsatz nur dann als unbedingtes Rechtsmittel oder unbedingte Rechtsmittelbegründung auszulegen, wenn sich dies aus den übrigen Umständen ergibt.
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung des Beklagten weder rechtzeitig eingelegt noch begründet worden.
Gegen ein rechtzeitig eingelegtes unbedingtes Rechtsmittel spricht schon der Zusammenhang der beiden Schriftsätze vom . Der als "Berufung" bezeichnete Schriftsatz ist nicht unterschrieben und erfüllt damit nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Berufung (BGHZ 92, 251, 255 = NJW 1985, 328, 329). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die Unterschrift hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. insoweit - FamRZ 2006, 1269 f.), weil das gleichzeitig eingegangene und unterschriebene Prozesskostenhilfegesuch vom eindeutig dagegen spricht, dass die mit demselben Telefax übermittelte und ausdrücklich als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnete Anlage trotz fehlender Unterschrift mit dem Willen beigefügt war, sie als unbedingte Berufungseinlegung an das Gericht zu übermitteln. Auch wurde lediglich Prozesskostenhilfe für eine "beabsichtigte Berufung" begehrt. Im Einklang damit hat der Beklagte in der Folgezeit lediglich beantragt, "die Frist zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs" zu verlängern. Entsprechend hat das Landgericht auch nur diese Frist bis zum verlängert. Deswegen enthält der am eingegangene Schriftsatz vom entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch keine rechtzeitige Berufungsbegründung. Denn weil die Begründungsfrist nicht zugleich verlängert worden war, war sie schon am abgelaufen.
3. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten allerdings zu Unrecht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Rechtsmittel- oder -begründungsfrist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Rechtsmittelkläger innerhalb der Frist Prozesskostenhilfe beantragt hatte und auf deren Bewilligung vertrauen durfte (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901 f. und vom - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548). Dann ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn er dies innerhalb der mit Kenntnis der Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch beginnenden Wiedereinsetzungsfrist beantragt und innerhalb der Frist auch die versäumte Prozesshandlung nachholt (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 34/04 - NJW-RR 2005, 1586 und vom - XII ZB 207/06 - FamRZ 2007, 801, 802).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn der Kläger, der innerhalb der Berufungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt hatte, hat erst infolge seines Akteneinsichtsgesuchs am Kenntnis von der Entscheidung über dieses Gesuch erhalten. Bereits am hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und jeweils fristgerecht am die Berufung eingelegt und sie am begründet (vgl. §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht entgegen.
Nach ständiger Rechtsprechung hat diese Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte zwar absoluten Charakter und verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Im Hinblick auf diesen Zweck ist die Vorschrift aber ausnahmsweise dann nicht anwendbar, wenn die Überschreitung der Frist nicht in der Sphäre der Partei lag, sondern allein dem Gericht zuzurechnen ist, z.B. wenn das Berufungsgericht innerhalb der Jahresfrist nicht über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden hat ( - ZMR 1978, 152; vgl. auch BAG NJW 1982, 1664). Liegt also die für die Versäumung der Jahresfrist ausschlaggebende Ursache allein beim Gericht, steht der Ablauf der Jahresfrist einer Wiedereinsetzung nicht entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479).
So liegt der Fall auch hier. Weil das Berufungsgericht die Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe zwar der Klägerin, nicht aber dem Beklagten als Antragsteller mitgeteilt hatte, hatte dieser keine Kenntnis hiervon und durfte weiter auf eine Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen. Denn insoweit macht es keinen Unterschied, ob das Rechtsmittelgericht einen bereits ergangenen Beschluss nicht mitgeteilt oder über den Antrag auf Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden hat (vgl. insoweit - ZMR 1978, 152). Auch wenn eine Entscheidung ergangen, diese dem Antragsteller aber nicht bekannt ist, kann es kein Mitverschulden des Antragstellers begründen, dass er sich innerhalb der Jahresfrist nicht erkundigt hat, ob inzwischen eine Entscheidung ergangen sei. Denn mangels entgegenstehender Anhaltspunkte durfte er davon ausgehen, dass über seinen Antrag noch nicht entschieden sei.
4. Weil dem Beklagten schon wegen der schuldlosen Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, kommt es nicht darauf an, ob der angefochtene Beschluss, der sich auch im Rahmen der Anwendbarkeit des § 234 Abs. 3 ZPO nicht mit der beantragten Prozesskostenhilfe auseinandersetzt, überhaupt hinreichend begründet war und schon deshalb keinen Bestand haben kann.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 878 Nr. 12
GAAAC-75249
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja