BFH Beschluss v. - VIII B 92/07

Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht; Rüge wegen Nichterhebung der angebotenen Beweise; Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf Akteneinsicht; Prüfungsanordnung als Ermessensentscheidung

Gesetze: FGO § 76, FGO § 78, FGO § 96, FGO § 102, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, AO § 193

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Die Darlegung eines Verfahrensmangels erfordert, diejenigen Tatsachen schlüssig zu bezeichnen, die den gerügten Verfahrensmangel ergeben sollen. Dazu müssen die entsprechenden Prozessvorgänge genau umschrieben werden. Schlüssig ist das Vorbringen, wenn die vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, den behaupteten Verfahrensmangel ergeben. Ferner ist grundsätzlich darzutun, weshalb das angefochtene Urteil —nach der insoweit maßgebenden, ggf. auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des Finanzgerichts (FG)— i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 60/06, BFH/NV 2007, 1341; vom VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521).

Fehlende oder unrichtige Feststellungen sowie eine vermeintlich unzutreffende Beweiswürdigung stellen allenfalls nicht zur Zulassung der Revision führende materiell-rechtliche Mängel des angefochtenen Urteils dar (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 36/06, BFH/NV 2007, 2293, m.w.N.; vom VIII B 210/06, BFH/NV 2007, 2286).

2. Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO

a) Soweit das FG im angefochtenen Urteil begründet, weshalb es von der Erhebung beantragter Beweise abgesehen hat, genügt für eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO die schlichte Rüge der Nichtbefolgung der Beweisantritte.

Ebenso sind Ausführungen dazu, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden sei oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei, entbehrlich, wenn sich die Rüge aus dem angefochtenen Urteil selbst ergibt (, BFH/NV 2006, 2297, m.w.N.).

b) Indes hat das FG u.a. ausgeführt, nach dem Sachvortrag des Klägers sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) vor Erlass der angefochtenen Prüfungsanordnung bereits verlässliche Kenntnisse über die steuerlich relevanten Verhältnisse des Klägers gehabt habe.

Die Anordnung einer Außenprüfung gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) —hier in abgekürzter Form nach § 203 AO— stellt, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, eine vom FG nach § 102 Satz 1 FGO lediglich eingeschränkt auf Ermessensfehler hin nachprüfbare Ermessensentscheidung dar.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind für die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensentscheidungen jedoch die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. , BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545; Gräber/

von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 102 Rz 13, m.w.N.).

Das FG hat indessen, ohne dass der Kläger zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben hätte, insoweit ausgeführt, dass es der jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor dem FG fachkundig vertretene Kläger unterlassen habe, Tatsachen zu behaupten und unter Beweis zu stellen, aufgrund welcher Umstände und Tatsachen das unstreitig ursprünglich vorhandene abstrakte Prüfungsbedürfnis vor Erlass der angefochtenen Prüfungsanordnung weggefallen gewesen sein solle. Soweit die Einvernahme des Prüfers als Zeuge dafür beantragt worden ist, dass die als aufklärungsbedürftig angesehenen Tatsachen (Finanzierung der Anschaffungskosten für die in der Prüfungsanordnung angegebenen Eigentumswohnungen, die Kapitaleinkünfte sowie der Arbeitslohn des Klägers bei der X-GmbH) bereits amtskundig seien, ist nicht erkennbar, dass dies bereits zum maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung der Fall gewesen ist. Soweit der Kläger sich hierzu auf die Einspruchsentscheidung vom beruft, ergibt sich aus der Einspruchsentscheidung und dem dort in Bezug genommenen Schreiben der Betriebsprüfung vom das genaue Gegenteil.

Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Festsetzungsverjährung hat das FG die Frage zum einen als eine Rechtsfrage und nicht als eine einem Beweis zugängliche Tatfrage beurteilt, zum anderen ausgeführt, eine Prüfungsanordnung verstoße allenfalls dann gegen das Übermaßverbot, wenn die Verjährung des Steueranspruchs im Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung bereits sicher feststehe, was das FG indes im Streitfall verneint hat.

Für die Beurteilung eines Verfahrensmangels ist indes, wie ausgeführt, die materiell-rechtliche Auffassung des Gerichts maßgebend.

c) An der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ändert auch das Interesse des Klägers an einer unmittelbaren gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Prüfungsanordnung nichts.

Vielmehr ist es bei einer veränderten Sachlage dem Betroffenen zuzumuten, insoweit ein neues Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen und wegen evtl. veränderter Verhältnisse die Aufhebung des im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßigen Verwaltungsaktes gemäß § 131 Abs. 1 AO zu beantragen. Diese Vorschrift ist nicht nur auf sog. Dauerverwaltungsakte, sondern auch auf solche Verwaltungsakte anwendbar, die noch nicht vollzogen worden sind (BFH-Urteil in BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545).

3. Keine Gewährung der Akteneinsicht gemäß § 78 Abs. 1 FGO

a) Nach § 78 Abs. 1 FGO haben die Beteiligten Anspruch auf Einsicht in die dem Gericht vorgelegten Akten. Das sind diejenigen Akten, die dem Gericht tatsächlich vorliegen, weil sie ihm von der aktenführenden Behörde vorgelegt worden sind, weil sie nach deren Ansicht den Streitfall betreffen (§ 71 Abs. 2 FGO), oder weil sie von dem Gericht nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO beigezogen worden sind.

Hingegen besteht kein Anspruch auf Einsicht in die dem Gericht tatsächlich nicht vorliegenden Akten (BFH-Beschlüsse vom V B 82/00, BFH/NV 2001, 622, m.w.N.; vom VII B 321/02, BFH/NV 2004, 499).

Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht ebenso wenig wie ein Anspruch darauf, dass sich das Gericht zum Zwecke der Gewährung von Akteneinsicht Akten vorlegen lässt, die es aus seiner Sicht für seine Entscheidungsfindung nicht benötigt (BFH-Beschlüsse vom I B 87/07, juris; vom XI B 59/06, BFH/NV 2007, 737).

Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt im Übrigen nur dann vor, wenn einem Beteiligten die Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt worden ist (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 737, m.w.N.; vom II B 100/05, juris; vom II B 109/97, BFH/NV 1998, 1498, jeweils m.w.N.).

b) Ausweislich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom vor dem FG lagen die Einkommensteuerakten dem Gericht im Zeitpunkt der Akteneinsicht durch den Prozessvertreter des Klägers am nicht mehr vor. In die Bp-Handakte hat der Prozessvertreter im Übrigen Einsicht genommen.

c) Sollte der Kläger mit seinem Vorbringen zugleich rügen wollen, das FG habe insoweit seine Amtsermittlungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, weil es die Beiziehung angeblich in der Bp-Handakte fehlender Aktenteile unterlassen habe, so fehlt es insoweit jedenfalls an der Darlegung, welche Aktenteile nicht vorhanden gewesen sein sollen und welche für die Entscheidung des FG entscheidungserheblichen Tatsachen sich aus diesen angeblich fehlenden Aktenteilen ergeben hätten (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1498).

Das FG hat nicht nur hinsichtlich der Bp-Handakten für den Kläger bzw. die X-GmbH als auch hinsichtlich der Einkommensteuerakten und der Strafermittlungsakten eine hinreichend substantiierte Darlegung vermisst, weshalb der Inhalt dieser Akten in dem allein die Prüfungsanordnung gegen den Kläger betreffenden Klageverfahren entscheidungserheblich gewesen sein sollen. Auch insoweit ist der für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung maßgebliche Zeitpunkt (Ziff. II.2.b der Entscheidungsgründe) zugrunde zu legen.

Überdies hat das FG den Akteninhalt der Einkommensteuerakte als unstreitig zugrunde gelegt und zudem verdeutlicht, dass die abgekürzte Außenprüfung bei dem Kläger gerade der Überprüfung der vor Beginn der Außenprüfung bekannten Aktenlage gedient habe. Schließlich waren im Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung gegen den Kläger weder die strafrechtlichen Ermittlungen noch die Außenprüfung bei der X-GmbH abgeschlossen (vgl. Niederschrift des ).

4. Eigene Ermessensentscheidung des FG

Das FG hat sich ersichtlich im Rahmen seiner ihm nach § 102 Satz 1 FGO eingeräumten Prüfungskompetenz auf die Überprüfung von Ermessensfehlern des FA bei Erlass der Prüfungsanordnung beschränkt. Insbesondere hat es zutreffend die Behauptung des Klägers zugrunde gelegt, er habe die Anschaffungskosten für die Eigentumswohnungen aus erspartem Eigenkapital in Höhe von ca. 670 000 DM finanziert; von einer Geldanlage in dieser Höhe bei der X-GmbH ist nirgends die Rede.

5. Unzulässige Beweisantizipation

Der Kläger hat selbst in der Beschwerdebegründung nicht konkret dargetan, welche substantiierten und nachprüfbaren Angaben er zur Herkunft der zur Finanzierung der Anschaffungskosten für Eigentumswohnungen eingesetzten Mittel, auf die sich die von ihm beanstandeten Ausführungen des FG im angefochtenen Urteil auf S. 6 beziehen, wo und wann gemacht haben will.

Noch im maßgebenden Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung war dieser Sachverhalt nicht aufgeklärt; denn der Kläger hat lediglich lapidar mit Schreiben vom hierzu bemerkt: „Immobilieneigentum muss man vorher bezahlen, also braucht man Geld. Geld hat man, wenn man entsprechend spart. Dieser Finanztrick scheint in ihrer Generation nicht mehr geläufig zu sein ...”

6. Aktenverstoß

a) Die Nichtberücksichtigung von Umständen, die richtigerweise —ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts— in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, kann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das FG Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt lässt oder seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachkommt. Insbesondere ist der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen. Das FG darf bei seiner Überzeugungsbildung nicht eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt lassen oder bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgehen —sog. Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten—.

Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt hingegen nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend der klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung aus der Sicht des Klägers fehlerhaft erscheint. Insoweit handelt es sich allenfalls um einen nicht zur Zulassung der Revision führenden materiell-rechtlichen Fehler, nicht jedoch um einen Verfahrensverstoß (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 2286, 2289, m.w.N.; in BFH/NV 2007, 1521).

b) Entgegen der Behauptung des Klägers hat das FG das Schreiben vom sowie die Einspruchsentscheidung gewürdigt. Entscheidungserheblich ist die Prüfungsbedürftigkeit der drei von der Prüfungsanordnung erfassten Fragenkomplexe jedoch aus der Sicht der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. der Entscheidung über den Anfechtungseinspruch gegen die Prüfungsanordnung.

Entgegen der Behauptung des Klägers bringt der Prüfer in dem Schreiben vom gerade unmissverständlich hinsichtlich der von ihm beschriebenen Sachverhalte die Notwendigkeit einer Prüfung durch eine Außenprüfung zum Ausdruck und hält eine Aufklärung durch Einzelermittlungen für nicht ausreichend.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
XAAAC-74481