Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen, 13 B 929/07 vom VG Düsseldorf, 26 L 803/07 vom
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung des Ruhens seiner Approbation als Arzt sowie der Einziehung seiner Approbationsurkunde.
1. Der Beschwerdeführer ist griechischer Staatsangehöriger. Ihm wurde 1982 die Approbation als Arzt erteilt. Er ist Facharzt für innere Medizin, Teilbereich Nephrologie, und betreibt als zugelassener Vertragsarzt seit 1998 eine eigene Praxis, in der er zu 95 % Dialysebehandlungen durchführt. Privatpatienten behandelt er nicht.
Im Dezember 2004 erstattete die Kassenärztliche Vereinigung nach einer Überprüfung seiner Praxis gegen den Beschwerdeführer Anzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung durch die Durchführung von medizinisch nicht indizierten Dialysebehandlungen und wegen Betruges.
Daraufhin wurde im Juli 2005 die Vertragsarztzulassung des Beschwerdeführers widerrufen und die sofortige Vollziehung angeordnet. Mangels hinreichender formeller Begründung ordnete das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung der hiergegen erhobenen Klage an.
Hinsichtlich des bereits im Januar 2005 erfolgten und für sofort vollziehbar erklärten Widerrufs der Genehmigung zur Durchführung von Dialysebehandlungen ordnete das Landessozialgericht mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung der Klage an. Zugleich erging gemäß § 86b Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Auflage, dass der Beschwerdeführer von der Dialysegenehmigung nur zur Weiterbehandlung der sich bei ihm gegenwärtig in laufender Behandlung befindlichen Dialysepatienten Gebrauch machen darf. Die Genehmigung zur Durchführung von Dialysen habe für den Beschwerdeführer existentielle Bedeutung. Daher komme die sofortige Vollziehung des Widerrufs nur zur sofortigen Abwehr konkreter Gefahren für Leib und Gesundheit der Patienten in Betracht. Dieser Gefahr könne durch die Auflage wirksam begegnet werden, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass bei den gegenwärtig in Behandlung befindlichen Patienten die medizinische Indikation fehle.
Mit weiterem Beschluss vom lehnte das Landessozialgericht einen Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung ab, die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Vertragsarztzulassung anzuordnen. Eine konkrete Gefährdung von Patienten während des Hauptsacheverfahrens sei angesichts der Auflage, keine neuen Patienten anzunehmen, nicht feststellbar.
Im Januar 2007 erhob die Staatsanwaltschaft nach Einholung eines Sachverständigengutachtens Anklage wegen Körperverletzung und Betrugs gegen den Beschwerdeführer. Ihm wird zur Last gelegt, im Zeitraum vom bis sowie im Zeitraum vom bis sechs Patienten in 1.222 Fällen vorsätzlich ohne medizinische Indikation dialysiert und dadurch gesundheitlich geschädigt sowie diese Leistungen unberechtigt abgerechnet zu haben. Der Beschwerdeführer trat dem Gutachten entgegen und machte geltend, nach den aktuellen Empfehlungen zur Dialysebehandlung habe aufgrund der Laborwerte und der bestehenden Begleiterkrankungen der Patienten durchaus eine Dialyseindikation bestanden. Das Amtsgericht forderte daraufhin bei dem Sachverständigen eine ergänzende Stellungnahme an, die noch nicht erstellt wurde. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist bisher nicht entschieden.
Mit Bescheid vom wurden das Ruhen der Approbation des Beschwerdeführers und die Herausgabe der Approbationsurkunden sowie die sofortige Vollziehung der Verfügungen angeordnet. Die im Strafverfahren erhobenen Vorwürfe seien so schwerwiegend, dass sie - sollten sie sich als zutreffend herausstellen - die Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs begründeten. Der Beschwerdeführer habe die ihm vorgeworfenen Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen. Die Ermessensentscheidung falle zu seinen Lasten aus, auch wenn dies schwerwiegende Auswirkungen auf seine berufliche und wirtschaftliche Existenz habe. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er weiterhin Dialysen ohne medizinische Indikation durchführe. Der Schutz der Patienten, des besonderen ärztlichen Vertrauensverhältnisses und der Funktionsfähigkeit der Krankenkassen überwiege die Interessen des Beschwerdeführers. Er könne die Praxis durch einen geeigneten Vertreter fortführen lassen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge zum Schutz vor der Begehung weiterer Straftaten während des laufenden Verfahrens. Da der Beschwerdeführer erklärt habe, auf die Durchführung von Dialysebehandlungen nicht verzichten zu können, drohe eine Schädigung der wichtigen Gemeinschaftsgüter Gesundheitsversorgung und Gesundheitsschutz. Über den Widerspruch des Beschwerdeführers ist noch nicht entschieden.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab. Die angegriffenen Verfügungen seien offensichtlich rechtmäßig. Die allgemeine Interessenabwägung gehe zu Lasten des Beschwerdeführers. Die Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz müsse auch bei Berücksichtigung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Schranken gegenüber den Interessen der Allgemeinheit zurücktreten. Der Beschwerdeführer beharre auf der Vertretbarkeit seiner fachlichen Auffassung. Das zwinge zu dem Schluss, dass die konkrete Gefahr bestehe, er werde weiterhin nicht notwendige Dialysen einleiten und bereits eingeleitete fortführen. Dem stünden die Entscheidungen des Landessozialgerichts nicht entgegen. Es sei unhaltbar, aufgrund der Erklärung und Auflage, keine Neupatienten aufzunehmen, eine zukünftige Gefährdung zu verneinen. Es gebe kein Indiz dafür, dass sich der Beschwerdeführer an die Auflage halten werde. Außerdem werde die Gesundheit der Altpatienten gefährdet, weil bisher nicht gutachterlich festgestellt sei, dass deren Behandlung medizinisch indiziert sei. Der Umstand, dass keine weiteren Fälle bekannt geworden seien, könne allein auf einer fehlenden Überprüfung beruhen.
Mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurück. Der Senat schloss sich zunächst den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an. Nach den ärztlichen Gutachten seien die beanstandeten Dialysebehandlungen nicht indiziert gewesen. Das sei durch ein weiteres vom Sozialgericht im dortigen Verfahren eingeholtes Gutachten verdeutlicht worden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er halte sich strikt an die Auflage des Landessozialgerichts und nehme keine Neupatienten an, könne die Entscheidung nicht in Frage stellen. Bei der Anordnung des Ruhens der Approbation handele es sich um eine vorübergehende Maßnahme, die dazu bestimmt sei, in unklaren oder Eilfällen dem Arzt die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit zu untersagen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit und zum Schutz der Patienten geboten sei. Sie sei damit von ihrer Natur her auf schnellen Vollzug angelegt.
Vorliegend begegne die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken, wobei sich der Beschwerdeführer zwar nicht unmittelbar auf Art. 12 Abs. 1 GG berufe könne, aber entsprechende Maßstäbe anzuwenden seien. Verfassungsrechtlich erforderlich sei die Feststellung, dass der Sofortvollzug schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich sei. Ein solches Risiko sei gegeben. Die lange Dauer und systematische Durchführung medizinisch nicht notwendiger Dialysebehandlungen offenbare Charaktereigenschaften, die eine Wiederholung gleicher oder ähnlicher Verstöße befürchten ließen. Dem Beschwerdeführer fehle weiterhin die Einsicht. Das Wohlverhalten seit nunmehr etwa 2,5 Jahren sei mit großer Wahrscheinlichkeit durch die laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren veranlasst, lasse aber keinen Schluss auf eine nachhaltig geänderte Einstellung zur Indikation von Dialysebehandlungen zu. Unter anderem vor dem Hintergrund finanzieller Probleme bestehe die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer nicht an die Selbstbeschränkung auf Altpatienten halte. Es könne kein Verständnis unter Patienten und Ärzten erwartet werden, wenn der Beschwerdeführer weiterhin praktizieren dürfte. Die wirtschaftlichen und persönlichen Auswirkungen des Ruhens der Approbation lägen als Folge seines Fehlverhaltens allein in seinem Verantwortungsbereich und seien deshalb nicht geeignet, einen Vorrang gegenüber den Interessen der Patienten zu begründen. Die Entscheidung ergehe in Kenntnis des Beschlusses der 2. Kammer des Ersten Senats des und 2851/04). Das dortige Entscheidungsergebnis zum Orientierungsmaßstab zu machen würde bedeuten, dass die zum Schutz der Patienten bestehenden approbationsrechtlichen Bestimmungen ins Leere gingen und ihre Wirksamkeit verlören. Darüber hinaus schließe man sich der Entscheidung auch deshalb nicht an, weil es dort (nur) um Abrechnungsbetrug gegangen sei, während es vorliegend um den Schutz von Personen gehe.
2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG.
Er könne sich als EU-Bürger auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Jedenfalls stehe ihm über Art. 2 Abs. 1 GG ein entsprechender Schutz zu. Die angegriffene Entscheidung verletze ihn in diesem Recht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer die Berufsfreiheit beeinträchtigenden Verfügung nur unter strengen Voraussetzungen und zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes statthaft. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, denn konkrete Gefahren seien durch seine weitere Berufstätigkeit nicht zu befürchten. Konkrete Gefahren seien in der angegriffenen Entscheidung auch nicht benannt. Eine Gefährdung von Patienten sei insbesondere deshalb ausgeschlossen, weil er nur noch Altpatienten behandle. Das Vorliegen der Dialysevoraussetzungen sei für diese bei der Überprüfung seiner Praxis durch die Kassenärztliche Vereinigung bestätigt worden. Privatpatienten habe er ohnehin nicht. Er halte sich strikt an den Beschluss des Landessozialgerichts; er habe keine neuen Patienten aufgenommen und werde das weiterhin nicht machen. Auch habe er seine Einstellung hinsichtlich der Indikation einer Dialysebehandlung geändert. Insofern sei nicht richtig berücksichtigt worden, dass ihm seit über 2,5 Jahren kein neuer Vorwurf gemacht worden sei.
Unhaltbar sei die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, er werde aus finanziellen Gründen neue Patienten annehmen. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Seine laufenden Kosten seien durch die Behandlung der verbliebenen Patienten gedeckt. Aufgrund eines Vergleichs habe die Kassenärztliche Vereinigung das zunächst einbehaltene Honorar ausgezahlt; die streitige Rückforderung sei bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren durch Bankbürgschaft gesichert. Dessen ungeachtet sei bisher nicht erwiesen, dass ihm überhaupt ein ärztlicher Fehler vorzuwerfen sei. Das Amtsgericht habe zu dem im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten eine ergänzende Stellungnahme angefordert. Das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten sei oberflächlich und widersprüchlich und deshalb nicht verwertbar. Es fehle somit an konkreten Gründen für den Sofortvollzug. Außerdem seien die schwerwiegenden beruflichen Folgen nicht richtig gewichtet worden. Er müsse seine Praxis schließen, seine zwei Angestellten entlassen und verliere seine Patienten, ohne dass dieser Schaden reparabel sei.
Angesichts dessen sei es auch nicht gerechtfertigt, seinen Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) einstweilen zurückzustellen.
Art. 20 Abs. 3 GG sei verletzt, weil sich das Oberverwaltungsgericht entgegen § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht an den einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts orientiert habe.
3. Die Aussetzung der Vollziehung der gerichtlichen Entscheidungen und der Ausgangsverfügungen im Wege der einstweiligen Anordnung sei geboten. Die Folgenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausgehen. Anderenfalls müsse er seine Praxis schließen. Seine Bank habe bereits signalisiert, in diesem Fall seine Kreditlinien zu kündigen. Deshalb sei auch eine Fortführung der Praxis durch einen Vertreter praktisch unmöglich. Außerdem seien die Einnahmen hierfür nicht ausreichend. Dem stünden keine konkreten Gefahren für Patienten gegenüber. Allenfalls könne die Kassenärztliche Vereinigung zu einer verstärkten Überwachung seiner Abrechnungen veranlasst sein.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
1. Nach §§ 32, 93d Abs. 2 BVerfGG kann die Kammer im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
a) Mit der Anordnung des Ruhens der Approbation, der Einziehung der Approbationsurkunde und der Anordnung der sofortigen Vollziehung beider Verfügungen wird die berufliche Betätigung des Beschwerdeführers beeinträchtigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 44, 105 <117 ff.>; stRspr). Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob sich der Beschwerdeführer als EG-Ausländer auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann; er hat aber über die Grundrechtsgewährleistung aus Art. 2 Abs. 1 GG Anspruch auf eine entsprechende Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfGE 35, 382 <400 f.>; stRspr).
Hierbei können es überwiegende öffentliche Belange ausnahmsweise rechtfertigen, den Grundrechtsschutz einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug des Ruhens einer Approbation sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptverfahrens ausschließen (vgl. BVerfGK 2, 89 <93 f.>). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. BVerfGE 44, 105 <121>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 540/04 -, NVwZ-RR 2004, S. 545 <545 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2820/04 und 2851/04 -).
b) Des Weiteren gewährt das - auch Ausländern zustehende - Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Grundrechtsträger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 35, 382 <401 f.>; 93, 1 <13>; stRspr). Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>). Nur überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dabei ist der Rechtsschutzanspruch umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <402>).
Ob die angegriffene Entscheidung diesen Maßstäben Rechnung trägt, ist zweifelhaft und bedarf der Überprüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Dabei wird zu prüfen sein, ob die Annahme einer Gefahrenlage für wichtige Gemeinschaftsgüter, die den Sofortvollzug zu rechtfertigen vermag, mit konkreten Tatsachen nachvollziehbar belegt wurde und ob die schwerwiegenden Folgen, die für den Beschwerdeführer mit der Anordnung des Sofortvollzuges verbunden sind, in angemessener Weise gegen die konkret zu befürchtenden Folgen im Fall des Eintritts der aufschiebenden Wirkung abgewogen wurden. Außerdem wird zu prüfen sein, ob das Ausgangsgericht Bedeutung und Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers nicht bereits hinsichtlich der Anordnung des Ruhens der Approbation verkannt und deshalb den dargestellten Maßstab für die Prüfung des Sofortvollzugs in verfassungswidriger Weise relativiert hat (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Erlass der Grundverfügung BVerfGE 44, 105 <119>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2820/04 und 2851/04 -; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2403/06 -, JURIS).
3. Die hiernach gebotene Folgenabwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch den Vollzug der Anordnung des Ruhens der Approbation und der Urkundeneinziehung schon jetzt schwere und kaum wiedergutzumachende wirtschaftliche und berufliche Nachteile. Er könnte seinen Beruf nicht mehr ausüben mit der Folge des Verlusts seiner Praxis, seines Patientenstamms und seines Rufs. Er könnte auch nicht im Angestelltenverhältnis tätig werden. Wäre der Beschwerdeführer an jeder eigenen Berufstätigkeit gehindert und sein Ruf beschädigt, könnte auch die in Aussicht gestellte Erlaubnis zum Weiterbetrieb der Praxis durch einen Vertreter die erhebliche Belastung nicht entscheidend verringern. Da dem Beschwerdeführer für diesen Fall zudem die Kündigung seiner Kreditlinien droht, ist zu befürchten, dass er seine Praxis ohnehin schließen müsste. Zudem erscheint es nachvollziehbar, dass in Anbetracht der verringerten Patientenzahl der Ertrag der Praxis nicht zur Finanzierung eines Vertreters und des eigenen Lebensunterhalts ausreichen würde.
Erginge die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde später aber keinen Erfolg, so könnte der Beschwerdeführer seine Praxis einstweilen weiter betreiben. Hierdurch drohen derzeit keine konkreten Gefahren. Der Gefahr, dass der Beschwerdeführer neue Kassenpatienten annimmt und entsprechend seiner umstrittenen fachlichen Auffassung eine Dialysebehandlung beginnt, ist durch die Auflage des Landessozialgerichts wirksam begegnet. Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Auflage missachten wird, mit der ihm das Gebrauchmachen seiner Genehmigung zur Durchführung von Dialysebehandlungen nur für die Weiterbehandlung seiner Altpatienten gestattet wurde. Er hat seit mehr als zwei Jahren keine neuen Patienten angenommen. Außerdem schließt die Auflage die vertragsärztliche Abrechnung der Behandlung anderer Patienten aus. Eine Gefährdung der Altpatienten ist ebenfalls nicht ersichtlich. Deren Behandlung war offenbar Gegenstand der Überprüfung durch die Kassenärztliche Vereinigung und wurde nicht beanstandet. Letztlich steht nur die Möglichkeit im Raum, dass der Beschwerdeführer Privatpatienten annimmt und nach seinen umstrittenen Indikationsmaßstäben dialysiert. Konkrete Anhaltspunkte hierfür lassen sich indes nicht feststellen. Obwohl die Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung bereits seit Juli 2005 läuft, hat der Beschwerdeführer seiner Selbstbeschränkung entsprechend keine Privatpatienten angenommen. Das hätte insbesondere dann nahe gelegen, wenn seine Praxis entgegen seiner Darstellung erhebliche finanzielle Schwierigkeiten hätte. Die Dauer des unbeanstandeten Verhaltens stützt außerdem sein Vorbringen, dass er seine Einstellung hinsichtlich der Indikation von Dialysebehandlungen geändert habe. Auch wenn dies möglicherweise nur unter dem Druck der gegen ihn laufenden Verfahren und für deren Dauer geschah, lässt sich damit - worauf es ankommt - bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine konkrete Gefährdung von Patienten nicht feststellen.
Die aufgezeigten Folgen einer fortgesetzten beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers fallen somit weniger ins Gewicht und müssen hinter seinen grundrechtlich geschützten Belangen zurückstehen. Soweit die abstrakte Gefahr der nicht indizierten Behandlung von Privatpatienten nicht völlig ausgeschlossen ist, kann dieser durch eine verstärkte Überwachung des Beschwerdeführers begegnet werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats - 1 BvR 540/04 -, NVwZ-RR 2004, S. 545 <546>).
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
5. Wegen der besonderen Dringlichkeit ergeht diese Entscheidung unter Verzicht auf die Anhörung des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens (§ 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAC-73953