Verletzung des Rechts auf Gehör bei Erlass eines Urteils trotz Vertagung
Gesetze: FGO § 119 Nr. 3, FGO § 126 Abs. 4, GG Art. 103
Instanzenzug:
Gründe
I. In der Sache war ursprünglich streitig, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) für seinen Sohn (S) für den Zeitraum, in dem dieser seinen Grundwehrdienst ableistete (Juli 2001 bis März 2002) und in den Folgemonaten bis zur Aufnahme des Universitätsstudiums am (April 2002 bis September 2002) Anspruch auf Kindergeld hat. Im Klageverfahren hatten sich der Kläger und die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bereiterklärt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung vom hat das Finanzgericht (FG) —Einzelrichter— folgenden Beschluss gefasst:
„Die Sache wird vertagt.
Das Verfahren 9 K 1942/03 wegen Kindergeld für den Zeitraum Juli 2001 bis September 2002 wird getrennt in die Verfahren 9 K 1942/03 wegen Kindergeld für den Zeitraum Juli 2001 bis März 2002 und 9 K 1279/06 wegen Kindergeld für den Zeitraum April 2002 bis September 2002.”
Mit Urteil, eingegangen bei der Serviceeinheit des FG am (zugestellt an den Kläger am ) wies das FG in der Sache 9 K 1942/03 die Klage ohne weitere mündliche Verhandlung ab.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision sinngemäß wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Nach dem Sitzungsprotokoll vom sei die Sache vertagt worden. Das Verfahren 9 K 1942/03 sei getrennt worden in die Verfahren 9 K 1942/03 wegen Kindergeld für den Zeitraum Juli 2001 bis März 2002 und 9 K 1279/06 wegen Kindergeld für den Zeitraum April 2002 bis September 2002. Aus der Gerichtsakte gehe nicht hervor, dass den Beteiligten eine Entscheidung zugestellt worden sei. Erstmals mit Schreiben vom habe das Gericht mitgeteilt, dass die Klage abweisungsreif gewesen sei, soweit der Kläger Kindergeld für die Zeit des Grundwehrdienstes beansprucht habe. Folge man dem Tenor des Urteils vom , habe der Richter als Einzelrichter nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom für Recht erkannt: „Die Klage wird abgewiesen.” Anhand des Protokolls vom sei nicht feststellbar, wann vom Richter das Urteil vom in der Sache 9 K 1942/03 erlassen und verkündet worden sei. Im Schreiben vom führe der Richter nur aus, dass das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom einen Trennungsbeschluss verkündet habe und dass er wegen des Inhalts auf das beigefügte Sitzungsprotokoll verweise. Von ihm werde nicht mitgeteilt, wann in dem Verfahren 9 K 1942/03 ein abweisendes Urteil verkündet worden sei. Den Verkündungsvermerk gemäß § 105 Abs. 6 FGO habe der Urkundsbeamte auf dem Urteil nicht angebracht und dieser sei deshalb auch nicht unterschrieben. Das am ausgefertigte Urteil sei ein Scheinurteil und deshalb aufzuheben. Wenn durch Beschluss die Sache vertagt werde, könne anschließend kein Urteil erlassen werden.
Die Familienkasse tritt der Beschwerde entgegen, hat aber von einer eigenen Stellungnahme abgesehen.
II. Die Beschwerde ist begründet.
Sie führt nach § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG, da das Urteil auf einem Verfahrensmangel beruht.
1. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes bzw. § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt, indem sein Urteil ohne weitere mündliche Verhandlung ergangen ist. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat das FG die Sache „vertagt”. Eine Vertagung ist aber die Bestimmung eines neuen Termins nach Beginn eines Termins (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 91 Rz 2). Möglicherweise hat das FG den Begriff der Vertagung nicht in diesem Sinne verstanden. Da es bei der Auslegung jedoch auf die Sicht der Beteiligten ankommt, konnten diese erwarten, dass ein neuer Termin bestimmt würde. Das FG hätte von sich aus eine erneute mündliche Verhandlung durchführen oder einen Verzicht nach § 90 Abs. 2 FGO herbeiführen müssen (vgl. , BFH/NV 2005, 1068).
2. Im Streitfall ist der Verfahrensverstoß auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der sog. Ergebnisrichtigkeit (vgl. in diesem Zusammenhang § 32 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes) entsprechend § 126 Abs. 4 FGO unbeachtlich.
§ 126 Abs. 4 FGO ist nach ständiger Rechtsprechung auch im Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbar (z.B. Senatsbeschluss vom III B 160/03, BFH/NV 2005, 1075; , BFH/NV 2007, 486).
Kommt es nämlich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf die nachträglich vorgebrachten Tatsachen an, so kann das Rechtsmittel, auch wenn die Entscheidungsgründe eine Verletzung des geltenden Rechts ergeben, sich die Entscheidung aber im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig darstellt, zurückzuweisen sein. Zwar ist § 126 Abs. 4 FGO grundsätzlich auf Verfahrensmängel, die absolute Revisionsgründe i.S. des § 119 FGO enthalten, nicht anzuwenden. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nach § 119 Nr. 3 FGO ein solcher absoluter Revisionsgrund, d.h. das Urteil als solches ist in einem solchen Fall stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, ohne dass es weiterer Ausführungen zur Sache bedürfte (, BFHE 195, 530, BStBl II 2001, 681), jedoch gilt für die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO) dann eine Ausnahme, wenn sich die Verletzung nur auf einzelne tatsächliche Feststellungen bezieht, auf die es für die Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommen kann (Senatsbeschluss vom III B 73/03, juris; , BFH/NV 2006, 1309). So verhält es sich im Streitfall aber nicht. Wird einem Beteiligten —wie im Streitfall— insgesamt die Möglichkeit genommen in einem neu anzuberaumenden Termin zum Gesamtergebnis des Verfahrens Stellung zu nehmen, so kann das Beschwerdegericht (im Rahmen der analogen Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO) das angefochtene Urteil nicht auf seine sachlich-rechtliche Richtigkeit überprüfen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 195, 530, BStBl II 2001, 681).
3. Der Senat hält es daher —ohne dass es auf die Begründetheit der Klage ankommt— für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstelle(n):
NAAAC-72607