BVerwG Beschluss v. - 3 B 84.07

Leitsatz

Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV verlangt für die Aufhebbarkeit eines Verwaltungsaktes der Deutschen Demokratischen Republik nicht, dass die dem Verwaltungsakt widersprechenden Vertragsbestimmungen die Beseitigung rechtsstaatswidriger Zustände zum Ziel haben.

Gesetze: EV Art. 19

Instanzenzug: VG Berlin, VG 15 A 200.01 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

Das umstrittene, bis zum volkseigene Grundstück wurde mit Entscheid des Landrats des Kreises vom mit Zustimmung der Treuhandanstalt vom unter Berufung auf das Kommunalvermögensgesetz an die Klägerin, mit Bescheid des Oberfinanzpräsidenten der auf der Grundlage des Vermögenszuordnungsgesetzes hingegen der Beigeladenen zugeordnet. Mit dem angefochtenen Bescheid vom hob die Beklagte den Entscheid vom auf. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die behaupteten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf zwei selbstständige tragende Begründungen gestützt. In derartigen Fällen kann die Revision nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt (stRspr; vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 19.90 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22 und vom - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4, jew. m.w.N.). Daran fehlt es.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte für befugt gehalten, den Entscheid des Landrats vom zurückzunehmen. Hierzu hat es zum einen - selbstständig tragend - auf Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV Bezug genommen. Nach dieser Vorschrift können vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik dann aufgehoben werden, wenn sie mit den Regelungen dieses Vertrages unvereinbar sind. Das Verwaltungsgericht hat näher ausgeführt, dass der genannte Entscheid mit Art. 21, 22 EV sowie auch mit der einschränkenden Maßgabe nach Anl. II Kap. IV Abschnitt III Nr. 2 des Einigungsvertrages unvereinbar sei, unter der die Bestimmungen des Kommunalvermögensgesetzes als fortgeltend anzusehen seien.

Die Klägerin hält insofern sinngemäß für klärungsbedürftig, ob Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV dahin einschränkend auszulegen sei, dass nur die Unvereinbarkeit mit solchen Regelungen des Einigungsvertrages die Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten der Deutschen Demokratischen Republik begründe, die die Beseitigung rechtsstaatswidriger Zustände zum Ziel hätten. Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Es liegt auf der Hand und erfordert daher nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens, dass die Frage zu verneinen ist. Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind, können - nach näherer Maßgabe der zur Ausführung erlassenen gesetzlichen Bestimmungen (vgl. BVerwG 7 C 23.96 - BVerwGE 104, 186 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108) - schon nach Art. 19 Satz 2 Alt. 1 EV aufgehoben werden; hierzu hätte es der Anfügung der zweiten Alternative nicht bedurft. Im Übrigen muss angenommen werden, dass die Vertragsparteien des Einigungsvertrages die Regelungen dieses Vertrages auch durchgesetzt wissen wollten. Damit wäre eine Auslegung von Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV unvereinbar, die einen DDR-Verwaltungsakt, der im Widerspruch zu den Regelungen des Vertrages steht, für unabänderlich erklärte, zumal einen solchen, der erst nach Abschluss des Vertrages erlassen wurde.

b) Das Verwaltungsgericht hat die Rücknahme des Entscheides vom auch deshalb für rechtmäßig angesehen, weil die Voraussetzungen des § 48 VwVfG erfüllt seien. Insofern wirft die Klägerin die Frage auf, ob Art. 19 Satz 3 EV die Anwendung des § 48 VwVfG auf anfänglich rechtswidrige DDR-Verwaltungsakte erlaube (offengelassen im BVerwG 3 C 31.98 - Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 6 S. 6). Wie gezeigt, kann diese Frage allein der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung mehr verleihen. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Grundsätze, die das - SozR 3-8100 Art. 19 Nr. 8 = VIZ 2002, 247) unter Billigung durch das - BVerfGE 117, 302) für sozialrechtliche Ansprüche mit Blick auf § 44 SGB X aufgestellt hat, auch für andere Sachgebiete verallgemeinert werden können und ob bejahendenfalls eine Ausnahme für solche DDR-Verwaltungsakte zu machen ist, die nach der politischen Wende in der DDR im Zuge der Umgestaltung der Rechts- und Sozialordnung erlassen worden sind.

2. Die Revision kann auch nicht deswegen zugelassen werden, weil das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (stRspr; vgl. BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 Nr. 302 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Klägerin beruft sich zwar auf die Anforderungen an die Ausübung des in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffneten Rücknahmeermessens, die der Senat aus § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG hergeleitet hat ( BVerwG 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 = Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 16). Sie legt indes nicht dar, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hätte. Das ist auch nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat die Ausübung des behördlichen Rücknahmeermessens unter diesem Gesichtspunkt überhaupt nicht geprüft; die Klägerin hatte dies im vorhergehenden Verfahren auch nicht verlangt. Dann aber rügt sie jetzt nur eine unrichtige Rechtsanwendung. Das kann nicht zur Zulassung der Revision führen.

3. Die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist schon nicht schlüssig dargetan, so dass die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zugelassen werden kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass sie vor ihrer Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch bereits als Rechtsträgerin eingetragen gewesen sei. Sie legt indes nicht dar, welche Bedeutung dieser Umstand für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gehabt haben soll. Sie stellt zwar einen Zusammenhang zu der Fristbestimmung in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG her, geht aber selbst davon aus, dass diese Vorschrift insofern für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Rolle gespielt habe. Damit verkennt sie, dass sich der Umfang der Amtsermittlungspflicht danach bemisst, was das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner eigenen Rechtsauffassung für entscheidungserheblich ansehen musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.

Fundstelle(n):
KAAAC-72459