Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB IX § 90 Abs. 2a
Instanzenzug: ArbG Solingen, 1 Ca 2065/04 lev vom LAG Düsseldorf, 17 Sa 1321/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision nur über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung vom .
Der am geborene Kläger ist seit dem bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Hofmitarbeiter und Kraftfahrer im Bereich W beschäftigt. Er beantragte am beim Versorgungsamt Köln seine Anerkennung als Schwerbehinderter.
Mit Bescheid vom stellte das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Auf den Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom wegen eines Hirnschadens des Klägers mit Lernbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten sowie eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms rückwirkend zum ein GdB von 50 anerkannt.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis wegen einer halbstündigen Pauseneinlegung am und einer Verspätung am ordentlich zum . Ob das Kündigungsschreiben dem Kläger am 29. September oder zugegangen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum .
Der Kläger hat sich mit seiner Klage ua. gegen diese Kündigungen und vorangegangene Abmahnungen vom , , und gewandt. Er hat zur ersten Kündigung vom vor allem die Auffassung vertreten, sie sei wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam.
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ua. ausgeführt: Die Kündigung sei aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Der Kläger habe wiederholt nach Abmahnungen seine arbeitsvertraglichen Pflichten eklatant verletzt. Die Pflichtenverstöße vom 30. August und seien die Endpunkte einer langen Fehlentwicklung. Er habe häufig unentschuldigt gefehlt. Die Kündigung sei auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam. Der Kläger könne sich insbesondere nicht auf den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX berufen. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei seine Schwerbehinderteneigenschaft unstreitig nicht nachgewiesen gewesen. Sein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft vom sei auch nicht rechtzeitig vor dem Zugang der Kündigung gestellt worden. Die Kündigung sei dem Kläger am durch Übergabe des Kündigungsschreibens an seine Mutter zugegangen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht durch Teilurteil festgestellt, dass die Kündigung vom rechtsunwirksam ist; im Übrigen hat es den Rechtsstreit ausgesetzt. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegen das Teilurteil zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Kündigung vom auf Basis der bisherigen tatsächlichen Feststellungen noch nicht wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SBG IX iVm. § 134 BGB nichtig. Dies wäre nur der Fall, wenn das Kündigungsschreiben vom dem Kläger erst am zugegangen ist. Sollte das Kündigungsschreiben dem Kläger bereits am zugegangen sein, so wird das Landesarbeitsgericht das Vorliegen von verhaltensbedingten Kündigungsgründen näher prüfen müssen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seines der Klage insoweit stattgebenden Teilurteils im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung vom sei wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers zum Zeitpunkt der Kündigung stehe fest. Eine Zustimmung des Integrationsamtes liege nicht vor. Sie sei auch nicht entbehrlich gewesen. § 90 Abs. 2a SGB IX greife im Entscheidungsfall nicht ein. Es reiche aus, dass der Kläger schon am seine Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt habe und die Beklagte am mit der Klageschrift hierüber informiert worden sei. Eine schuldhafte Säumnis des Klägers im Sinne der 2. Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX liege nicht vor.
B. Dem folgt der Senat nicht.
I. Die Kündigung vom ist jedenfalls dann nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig, wenn sie dem Kläger am zugegangen ist. In diesem Fall war die Beklagte nicht verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen.
1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Für schwerbehinderte Menschen findet das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX gemäß § 90 Abs. 2a SGB IX, eingeführt mit Wirkung ab durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom (BGBl. I S. 606), keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGG IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das heißt, bei Zugang der Kündigung muss entweder bereits die Schwerbehinderung anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) oder der Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung (bzw. der Gleichstellungsantrag) muss vom Arbeitnehmer mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt worden sein ( - EzA SGB IX § 90 Nr. 1 und - 2 AZR 324/06 -).
2. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, steht noch nicht fest.
a) Zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens vom , wobei es insoweit auf das Zustellungsdatum nicht ankommt, war die Anerkennung des Klägers als schwerbehinderter Mensch noch nicht erfolgt und damit nicht iSv. § 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX nachgewiesen (vgl. Senat - 2 AZR 217/06 - EzA SGB IX § 90 Nr. 1). Sie erfolgte vielmehr erst durch den Widerspruchsbescheid vom . Ein Nachweis im Sinne der gesetzlichen Regelung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn zum Kündigungszeitpunkt das Anerkenntnisverfahren noch nicht abgeschlossen und damit die Schwerbehinderung noch nicht anerkannt ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch später mit Rückwirkung erfolgt (siehe ua. KR-Etzel 7. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 29 b; Griebeling NZA 2005, 494, 496; Schlewing NZA 2005, 1218, 1221; Stahlhacke/Preis/Vossen-Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1472 b; HWK-Zirnbauer §§ 85-92 SGB IX Rn. 27).
b) Nach § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX steht dem Kläger der Sonderkündigungsschutz nicht zu, wenn das Kündigungsschreiben vom ihm noch am zugegangen ist.
aa) Nach § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX finden die Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz keine Anwendung, wenn das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.
bb) Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom (- 2 AZR 217/06 - EzA SGB IX § 90 Nr. 1; s. weiter - 2 AZR 324/06 -) angenommen hat, bleibt hiernach der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen trotz fehlenden Nachweises nur dann bestehen, wenn der Antrag so frühzeitig vor dem Kündigungszugang gestellt worden ist, dass eine Entscheidung vor dem Ausspruch der Kündigung bei einer ordnungsgemäßen Mitwirkung des Antragstellers binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX möglich gewesen wäre. § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX verweist auf die Fristen des § 14 Abs. 2 Satz 2 und 4 sowie Abs. 5 Satz 2 und 5 SGB IX und deren entsprechende Anwendung. Hiernach hat der Rehabilitationsträger normalerweise und regelmäßig - ohne Gutachterbeteiligung - innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang über den Antrag zu entscheiden (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Nach der Rechtsprechung des Senats muss deshalb der Antrag der erwerbstätigen Person mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung mit den erforderlichen Angaben gestellt worden sein, so dass über ihn eine positive Entscheidung vor Kündigungsausspruch bei ordnungsgemäßer Bearbeitung hätte ergehen können (vgl. - 2 AZR 217/06 - EzA SGB IX § 90 Nr. 1; - 2 AZR 324/06 -). § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX erweist sich damit nach der Rechtsprechung des Senats als Bestimmung einer Vorfrist, die dem Zweck der gesetzlichen Regelung, nämlich eine missbräuchliche Antragstellung und die Durchführung eines aussichtslosen Feststellungsverfahrens zu verhindern und der Rechtssicherheit zu dienen, entspricht (vgl. - 2 AZR 217/06 - aaO).
cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze kann sich der Kläger für den Fall, dass ihm das Kündigungsschreiben am zugegangen sein sollte, nicht auf den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen nach SGB IX berufen, da er seinen Antrag erst am und damit nicht rechtzeitig, nämlich mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung, gestellt hat.
dd) Die Kündigung vom ist jedoch nach § 134 BGB iVm. § 85 SGB IX nichtig, wenn sie dem Kläger erst am zugegangen ist. In diesem Fall genießt der Kläger Sonderkündigungsschutz nach dem SGB IX. Der Antrag wäre dann rechtzeitig gestellt worden.
II. Aus den vorstehenden Überlegungen resultiert, dass dem Revisionsgericht noch keine eigene Sachentscheidung möglich ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts enthält keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zum Kündigungssachverhalt. Der Rechtsstreit muss deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dabei wird das Berufungsgericht zunächst den Zugang der Kündigungserklärung vom klären müssen. Sollte die Kündigungserklärung dem Kläger bereits am zugegangen sein, wird es weiter den verhaltensbedingten Kündigungsgrund aufklären und prüfen müssen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAC-71954
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein