BFH Beschluss v. - X B 89/07

Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens; Rüge einer fehlerhaften Kostenentscheidung

Gesetze: FGO § 76, FGO § 96, FGO § 82, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) erhobenen Verfahrensrügen wurden nicht entsprechend § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) weicht nicht von den Urteilen des Sächsischen und des (BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226) ab.

1. a) Ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, insbesondere wenn das Gericht bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgeht, welcher dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten widerspricht, oder wenn das Gericht eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat (vgl. z.B. die Nachweise aus der Rechtsprechung des BFH bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 80). Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 96 FGO nicht gebietet, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (, BFH/NV 2000, 673).

b) Im Streitfall hat das FA die Rüge, das FG habe seine Überzeugung, die Steuerfestsetzung und das Steuerstrafverfahren seien dazu benutzt worden, den Kläger von einem Antrag auf Übersiedlung in die damalige Bundesrepublik Deutschland abzuhalten, entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, nicht schlüssig dargelegt.

Hierzu macht es lediglich geltend, die Formulierung in der Rapportmeldung vom schließe nicht aus, das einzelne Straftaten, etwa die Steuerverkürzung, erst später aufgenommen worden seien, was auch nicht lebensfremd erscheine. Es weist weiter darauf hin, dass eine Formulierung im wesentlichen Ermittlungsergebnis der Steuerfahnderin den Schluss nahelege, dass das Schreiben vom erster Ausgangspunkt von Ermittlungen der Steuerverwaltung selbst wegen Steuerverkürzung gewesen sein könnte. Das FA führt weiter aus, im Schlussbericht der Steuerfahndung vom stehe, „aufgrund von Ermittlungen anderer Untersuchungsorgane wurde bekannt” und nicht: stand bereits fest, dass…. Die Wahl dieser Formulierung und die ihr folgende detaillierte Darstellung der Maßnahmen und Feststellungen eines am durch den Staatsanwalt der Stadt X eingeleiteten Ermittlungsverfahrens sprächen dagegen, dass dessen Ergebnis von Anfang an vorgegeben war. Vielmehr würden die vom FG unberücksichtigten Umstände nahelegen, dass in dem Ermittlungsverfahren einige Erkenntnisse, die die Steuerverwaltung bereits seit 1977 hatte, aufgegriffen worden seien, aber für steuerliche Feststellungen ausreichend konkrete Ergebnisse erst im Laufe späterer Ermittlungen zu Tage getreten seien. Anlass und zeitlicher Ablauf der operativen Maßnahmen des Ministerium für Staatssicherheit würden vielmehr dafür sprechen, dass sich dessen steuerliche Erkenntnisse lediglich als Nebenprodukt der Überwachung des Klägers wegen anderer Umstände bzw. Straftaten ergeben hätten.

Ein möglicher Verfahrensfehler lässt sich diesem Sachvortrag bereits im Ansatz nicht entnehmen. Die möglicherweise fehlerhafte Auslegung von Schriftsätzen bzw. die unzutreffende Einschätzung von Geschehensabläufen ist grundsätzlich kein verfahrensrechtlicher, sondern ein materieller Fehler, der als solcher die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt (vgl. , BFH/NV 2005, 2215). Wie der Tatbestand des angefochtenen Urteils zeigt, hat das FG insbesondere den Bericht der Steuerfahndung zur Kenntnis genommen. Dass es ihm einen anderen Stellenwert beigemessen hat als das FA, berührt ausschließlich Fragen der dem materiellen Recht zuzuordnenden Rechtsanwendung, nicht aber solche der Ordnungsmäßigkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens (Senatsbeschluss vom X B 165/05, BFH/NV 2007, 42). Im Streitfall ist im Übrigen die Bewertung des Geschehens durch das FA selbst nach dessen Beschwerdebegründung nicht zwingend.

2. Auch soweit das FA einwendet, das FG habe den Sachverhalt nicht hinreichend erforscht, weil es den Kläger nicht zu den konkreten Umständen des Ankaufes von Kfz-Teilen befragt habe, ist der gerügte Verfahrensmangel der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht schlüssig dargelegt. Ein Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht ergibt sich daraus nicht.

a) Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgebracht, das FG habe gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen weiter aufzuklären, so muss der Beschwerdeführer u.a. substantiiert vortragen, aus welchen genau bezeichneten Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, warum der Beschwerdeführer —jedenfalls wenn er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war— nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 50 i.V.m. § 120 Rz 70, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

b) An entsprechenden Ausführungen fehlt es im Streitfall. Insbesondere hat das FA nicht dargelegt, warum es in der mündlichen Verhandlung den Kläger, der persönlich angehört wurde, nicht selbst zu den erworbenen Kfz-Teilen konkret befragt oder sogar eine Beteiligtenvernehmung nach § 450 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 82 FGO beantragt habe (, BFH/NV 2004, 77).

3. Eine die einheitliche Rechtsprechung gefährdende Divergenz liegt nicht vor. Das FG ist bei seiner Entscheidung nicht vom Urteil des Sächsischen abgewichen.

a) Nach dieser Entscheidung ist es nicht erforderlich, bei der Klärung der Frage, welche Rechtsfolgen die Aufhebung einer rechtsstaatswidrigen Steuerfestsetzung nach sich zieht, auf die Vorschriften der Abgabenordnung (AO) zurückzugreifen. Der Gesetzgeber habe vielmehr die Rückgabe rechtsstaatswidriger Vermögensentziehungen den Vorschriften des Vermögensgesetzes unterworfen. Im Streitfall war das FG lediglich der Auffassung, dass der Antrag des Klägers auf Auszahlung der eingezogenen Gelder und auf Zahlung von Schadensersatz kein selbständiger Antrag sei, da die Rückzahlung der auf die Bescheide gezahlten Beträge notwendige Folge der Aufhebung sei. Auf die Frage, ob auf den Erstattungsanspruch die Vorschriften der AO oder aber des Vermögensgesetzes anzuwenden sind, ging das FG —anders als in der Beschwerdebegründung vorgetragen— nicht ein.

b) Selbst wenn unterstellt würde, dass das FG in der Frage der Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes eine andere Auffassung als das vom FA zitierte Urteil des Sächsischen FG verträte, wäre diese —vorgebliche— Divergenz in der Hauptsache nicht entscheidungserheblich gewesen. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung lediglich den Antrag auf Aufhebung der Steuerbescheide gestellt hat, war auch nur darüber im Urteil zu befinden. Eine möglicherweise abweichende Auffassung des FG hätte sich allein in der Kostenentscheidung auswirken können. Die Rüge einer fehlerhaften Kostenentscheidung kann jedoch wegen § 145 FGO nicht zur Zulassung der Revision führen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde in der Hauptsache keinen Erfolg hat (siehe auch Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 145 FGO Rz 14, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

4. Das FG-Urteil weicht auch nicht von der Entscheidung des BFH in BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226 ab, wonach die Schätzung ein Verfahren ist, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist. Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung hat es nicht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, eine Schätzung von gewerblichen Betriebseinnahmen erfordere zwingend einen belegmäßigen Nachweis dieser Einnahmen. Vielmehr hat es sachverhaltsbezogen erkannt, die Besteuerungsgrundlagen könnten nicht auf der Basis schlüssiger Schätzungsgrundlagen herabgesetzt werden, da sich in den Akten keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine plausible Schätzung befänden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 599 Nr. 4
KÖSDI 2008 S. 15924 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15928 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15934 Nr. 3
WAAAC-71405