BVerwG Urteil v. - 1 C 27.06

Leitsatz

Der Berufungsführer muss nach Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen; es genügt nicht, dass der Berufungsantrag und die Berufungsgründe im Antrag auf Zulassung der Berufung enthalten sind (Bestätigung der Rspr).

Gesetze: VwGO § 124a Abs. 6 Satz 1; VwGO § 125 Abs. 2; ZPO § 544 Abs. 6 Satz 2; ZPO § 551 Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug: VG München VG M 7 K 03.7206 vom VGH München VGH 24 B 06.28 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Die Klägerin, eine rumänische Staatsangehörige, wendet sich gegen ihre Ausweisung und begehrt die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung.

Sie reiste im August 1990 im Besitz eines Aufnahmebescheids in das Bundesgebiet ein; das Vertriebenenverfahren blieb ohne Erfolg. Im Anschluss daran wurde ihr eine bis zum gültige Aufenthaltsbefugnis erteilt.

Mit Bescheid vom wies die Beklagte die Klägerin wegen unerlaubten Aufenthalts aus dem Bundesgebiet aus, untersagte ihr die Wiedereinreise, lehnte den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung ab und drohte ihr für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung nach Rumänien an. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom ab.

Mit Schriftsatz vom beantragte die Klägerin in einem ersten Teil (unter "A") die Zulassung der Berufung und begründete diesen Antrag; zugleich enthielt der Schriftsatz für den Fall der Zulassung der Berufung in einem zweiten Teil (unter "B") die Berufungsanträge sowie die Berufungsbegründung. Darüber hinaus beantragte die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Bevollmächtigten.

Mit Beschluss vom ließ der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zu. Der Beschluss enthielt die Belehrung, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen sei, die Begründung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen sei und die Begründungsfrist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden könne. Des weiteren wurde darauf hingewiesen, dass die Begründung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten müsse; mangele es an einem dieser Erfordernisse, sei die Berufung unzulässig. Der Beschluss wurde der Klägerin am zugestellt.

Mit Schriftsatz vom übergab die Klägerin die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege. Mit Beschluss vom bewilligte der Verwaltungsgerichtshof für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe und ordnete ihre Bevollmächtigten bei. Einen weiteren Schriftsatz reichte die Klägerin nicht ein.

Nach Anhörung der Klägerin verwarf der Verwaltungsgerichtshof die Berufung mit Beschluss vom . Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der am abgelaufenen Frist begründet worden sei. Der Umstand, dass die Klägerin bereits im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom neben dem Zulassungsantrag auch Berufungsanträge gestellt und die Berufung für den Fall des Erfolges ihres Zulassungsantrags begründet habe, genüge nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision und rügt die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass die Fristenregelungen in § 124a VwGO vor allem Ausdruck des Beschleunigungsgedankens seien. Mit Blick auf diesen Zweck sei nicht ersichtlich, warum die Berufungsbegründung in einem gesonderten Schriftsatz zu erfolgen habe, wenn zuvor eine - den Anforderungen an eine Berufungsbegründung genügende - Erklärung abgegeben worden sei. Die Absicht des Berufungsführers, das Berufungsverfahren durchzuführen, bedürfe keiner weiteren Kundgabe. Solle ein Verfahren nicht mehr fortgeführt werden, erfolge üblicherweise eine ausdrückliche prozessbeendende Erklärung. Auch habe der Bundesgerichtshof zu § 544 Abs. 6, § 551 Abs. 3 Satz 3 ZPO entschieden, dass die Revision vor Zustellung des Zulassungsbeschlusses begründet werden könne. Aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter dem habe sie schließen dürfen, dass die Begründung der Berufung durch gesonderten Schriftsatz nicht (mehr) erforderlich sei. Außerdem sei sie vom Verwaltungsgericht durch das am bei ihr eingegangene Schreiben missverständlich belehrt worden.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

II

Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs die Berufung zu Recht gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwGO verworfen, weil die Klägerin das Rechtsmittel nicht rechtzeitig begründet hat.

Gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist die Berufung in den Fällen des Absatzes 5 der Vorschrift, d.h. der Zulassung des Rechtsmittels auf Antrag durch das Oberverwaltungsgericht, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Rechtsmittelführer nach Zulassung der Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen muss (so bereits BVerwG 9 C 6.98 - BVerwGE 107, 117 <120 f.> und BVerwG 6 C 31.98 - BVerwGE 109, 336 <338 f.> jeweils zu § 124a Abs. 3 VwGO i.d.F. des 6. VwGOÄndG vom , BGBl I S. 1626; BVerwG 4 C 6.03 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26 sowie Beschlüsse vom - BVerwG 3 B 112.02 - BayVBl 2003, 442 und vom - BVerwG 1 B 429.02 - NVwZ 2003, 868 jeweils zu § 124a Abs. 6 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom , BGBl I S. 3987).

Das Erfordernis einer fristgebundenen, nach Zulassung der Berufung einzureichenden Berufungsbegründung gemäß § 124a Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 VwGO ist kein bloßer Formalismus. Es dient in erster Linie der Klarstellung durch den Berufungsführer, ob, in welchem Umfang und weshalb er an der Durchführung des Berufungsverfahrens ggf. auch unter veränderten tatsächlichen Verhältnissen festhalten will ( BVerwG 9 B 491.99 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 13). Da bei einem erfolgreichen Zulassungsantrag das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt wird und es keiner Einlegung der Berufung bedarf (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO), hat das durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz in den Rang einer Zulässigkeitsvoraussetzung erhobene Erfordernis der Berufungsbegründung an Bedeutung gewonnen. Mit dem Berufungsbegründungsschriftsatz dokumentiert der Berufungskläger nach Erlass des Zulassungsbeschlusses, dass er an dem Berufungsverfahren ggf. auch bei nur teilweise zugelassener Berufung noch interessiert ist. Unzumutbares wird ihm damit nicht abverlangt. Soweit er im Zulassungsantrag bereits erschöpfend vorgetragen hat, genügt es, wenn er darauf in einem innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eingehenden Schriftsatz Bezug nimmt ( BVerwG 9 C 6.98 - a.a.O. S. 121). Das Erfordernis eines gesonderten fristgebundenen Schriftsatzes nach Erlass des Zulassungsbeschlusses dient entgegen der Auffassung der Revision auch der Verwirklichung des Beschleunigungsgedankens; denn es entlastet das Berufungsgericht beim Ausbleiben der Berufungsbegründung von der häufig aufwendigen Sichtung und Prüfung, ob schon die Begründung des Zulassungsantrags die erforderlichen Elemente einer Berufungsbegründung enthält. Andernfalls träten an die Stelle klarer prozessualer Kriterien Elemente wertender Würdigung. Deshalb reicht es nicht aus, dass - wie im vorliegenden Fall - die für den Fall der Zulassung der Berufung gestellten Berufungsanträge und die Begründung der Berufung schon in dem Schriftsatz enthalten waren, mit dem die Zulassung der Berufung beantragt worden war.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch mit Blick auf die Entscheidung des (Az. IV ZR 140/03 - NJW 2004, 2981) fest. Nach dieser Entscheidung kann die Revision im Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung bereits vor der Zulassung durch das Revisionsgericht begründet werden (kritisch demgegenüber Büttner, NJW 2004, 3524 ff.). Eine Rechtsprechungsdivergenz, die nach dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe rechtfertigte, liegt nicht vor; denn die maßgeblichen prozessrechtlichen Vorschriften erweisen sich nicht als inhaltsgleich. So ist § 551 Abs. 2 Satz 1 ZPO, der die Einreichung der Revisionsbegründung betrifft, offener ausgestaltet als § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO (so auch BVerwG 5 B 26.05 - <juris Rn. 5>); zudem gilt im Zivilprozessrecht die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde im Falle der Stattgabe als Einlegung der Revision (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO), so dass sich die Argumentation des Bundesgerichtshofs nicht ohne weiteres auf das Verwaltungsprozessrecht übertragen lässt.

Das Berufungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Schriftsatz der Klägerin vom , mit dem um Gewährung von Prozesskostenhilfe gebeten und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen übergeben wurden, den inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung nicht genügt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag der am ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kein schutzwürdiges Vertrauen darauf zu begründen, dass die Klägerseite die Berufung bereits form- und fristgerecht begründet hätte. Die Frist zur Berufungsbegründung endete erst mit Ablauf des (Montag), so dass ein entsprechender Schriftsatz noch bis 24:00 Uhr beim Verwaltungsgerichtshof hätte eingehen können. Zudem ist der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe der Klägerseite erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zugegangen. Schließlich hat die Klägerin keine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt, so dass nicht ersichtlich ist, auf welche Weise der Gedanke des Vertrauensschutzes für die Fristwahrung von Bedeutung sein könnte.

Der Verweis auf das am bei der Klägerin eingegangene Schreiben mit erstinstanzlichem Aktenzeichen und dem Hinweis "... sofern die Begründung noch nicht eingereicht wurde, ist diese beim Verwaltungsgerichtshof einzureichen", verhilft der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts erging offensichtlich in dem auf die Zulassung der Berufung gerichteten Antragsverfahren. Für die Dauer der Frist zur Begründung der Berufung ist demgegenüber nur die korrekte Belehrung im Zulassungsbeschluss vom von Bedeutung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 € festgesetzt (§ 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).

Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1014 Nr. 14
TAAAC-71270