BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 1532/07

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 93a; BVerfGG § 93b; StGB § 51 Abs. 1; StGB § 51 Abs. 3; StGB § 51 Abs. 3 Satz 1; StGB § 55 Abs. 1 Satz 1; StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; StGB § 57a Abs. 2; StPO § 154; StPO § 154 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2

Instanzenzug: KG Berlin 1 AR 944/98 - 2 Ws 227/07 vom LG Berlin 542 StVK 1435/06 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Bundesverfassungsgericht prüft gerichtliche Entscheidungen nur in einem eingeschränkten Umfang nach. Ihm obliegt keine umfassende Kontrolle daraufhin, ob die Gerichtsentscheidungen das jeweilige Fachrecht "richtig" im Sinne einer größtmöglichen Gewähr der Gerechtigkeit anwenden. Das Bundesverfassungsgericht greift vielmehr nur ein, wenn die Gerichte übersehen, dass ihre Entscheidung Grundrechte berührt, oder wenn sie die Bedeutung und Tragweite von Grundrechten nicht hinreichend berücksichtigen oder wenn sie sonst aus sachfremden und damit objektiv willkürlichen Gründen entscheiden (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>).

Entscheidungen über die Anrechnung erlittener Untersuchungshaft oder anderer Freiheitsentziehungen betreffen den Umfang der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe und berühren damit grundsätzlich die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Person (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2232/94 -, NStZ 1999, S. 24 f.; vom - 2 BvR 2535/95 u.a. -, NStZ 1999, S. 125 f.; vom - 2 BvR 116/99 -, NStZ 1999, S. 477). Dieses Freiheitsrecht beeinflusst als objektive, für alle Bereiche des Rechts geltende Wertentscheidung auch die Auslegung und Anwendung des § 51 Abs. 1 StGB. Deshalb genügt ein sich lediglich auf den Wortlaut der Vorschrift berufendes, formales Verständnis des § 51 Abs. 1 StGB der Bedeutung und Tragweite des Freiheitsrechts nicht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 116/99 -, NStZ 1999, S. 477).

2. Gemessen an diesen Maßstäben begegnen die angegriffenen Entscheidungen, die eine Anrechung der für das amerikanische Militärverfahren verbüßten Haft auf die Mindestverbüßungszeit der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a Abs. 2 StGB ablehnen, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Der bloße Umstand, dass hinsichtlich der der militärgerichtlichen Verurteilung vom und dem zugrunde liegenden Taten eine Gesamtstrafe nicht gebildet werden konnte, weil die ausländische (Militär-)Strafe wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit nicht gesamtstrafenfähig war, begründete keine verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer entsprechenden Anwendung des § 51 Abs. 1 StGB. Es entspricht der Struktur des Strafverfahrens, dass bei einem Zusammentreffen einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit weiteren Freiheitsstrafen, die aufgrund prozessualer Zufälligkeiten nicht nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB gesamtstrafenfähig sind, die darin liegende Härte erforderlichenfalls bei der Strafzumessung wegen der neuen Tat zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2025/06 -, juris). Ein solcher Härteausgleich wurde im vorliegenden Fall dadurch vorgenommen, dass im davon abgesehen wurde, die besondere Schwere der Schuld im Sinne von § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB festzustellen; trotz einer Vielzahl schuldsteigernder Umstände sah das Landgericht nur deshalb von einer entsprechenden Feststellung ab, weil es eine erhebliche Benachteiligung des Beschwerdeführers darin sah, dass die Verurteilung des Militärgerichts vom nicht im Wege einer nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe in die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe einbezogen werden konnte.

Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Nachteil aus der nicht zulässigen Gesamtstrafenbildung darüber hinaus noch zusätzlich durch eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 StGB zu kompensieren, besteht im vorliegenden Fall nicht.

Verfassungsrechtlich geboten ist eine Anrechnung verfahrensfremder Haft immer dann, wenn zwischen der die Untersuchungs- oder Auslieferungshaft auslösenden Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt, ein funktionaler Zusammenhang besteht oder zwischen ihnen ein irgendwie gearteter sachlicher Bezug bestanden hat. So sind Entscheidungen mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen, in denen die Verfahren, für die Untersuchungshaft verbüßt worden war, nach § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf das mit einer Verurteilung einhergehende Verfahren eingestellt worden sind, eine Anrechnung aber unterblieben ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 116/99 -, NStZ 1999, S. 477). Ferner ist über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 StGB hinaus verfahrensfremde Untersuchungshaft jedenfalls dann auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 15/01 -, NStZ 2001, S. 501). In der fachgerichtlichen Rechtsprechung wird ein funktionaler Zusammenhang auch dann bejaht, wenn in dem Verfahren, das später zu einer Verurteilung führt, zwar ein Haftbefehl erlassen wird, dieser aber nicht - dauerhaft - vollzogen, sondern hierfür - zeitweilig - Überhaft notiert wird, weil in einem anderen Verfahren gegen denselben Beschuldigten bereits ein Haftbefehl besteht und auch vollstreckt wird (vgl. BGHSt 43, 112 <120> m.w.N.).

Ausgangspunkt einer verfassungsgemäßen Anwendung des § 51 Abs. 1 StGB ist die Überlegung, dass es bei dem Bestehen eines spezifischen Zusammenhangs zweier Verfahren nicht dazu kommen soll, dass Untersuchungshaft in einem Verfahren verbüßt wird und nach einer Einstellung oder einem Freispruch in diesem Verfahren die verbüßte Haft nicht auf die in dem zusammenhängenden Verfahren verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird. Die Anrechnung soll verhindern, dass die Summe der Haftzeiten, die für die in einem spezifischen Zusammenhang stehenden Verfahren verbüßt wurden und noch zu verbüßen sind, in einem mit dem Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht mehr vereinbaren Maß über die Höhe der insgesamt vollstreckbaren Freiheitsstrafen hinausgeht.

Dementsprechend lagen den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Sachverhalte zugrunde, in denen die Untersuchungshaft anlässlich von Verfahren vollzogen wurde, die später durch eine Einstellung nach § 154 StPO (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2352/93 -, NStZ 1994, S. 607 f.; vom - 2 BvR 2232/94 -, NStZ 1999, S. 24 f.; vom - 2 BvR 116/99 -, NStZ 1999, S. 477) oder einen Freispruch (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1447/99 -, NStZ 2000, S. 277 ff.) des Beschuldigten beendet wurden. Auch unter dem Gesichtspunkt der potentiellen Gesamtstrafenfähigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 15/01 -, NStZ 2001, S. 501) ging es nicht darum, dass allein das Vorliegen zweier Freiheitsstrafen, aus denen ausnahmsweise eine Gesamtstrafe nicht gebildet werden konnte, eine zusätzliche Anrechnung der in einem Verfahren erlittenen und dort anrechenbaren Haft auch auf das andere Verfahren gebot. Vielmehr ging es in der zugrunde liegenden Entscheidung darum, dass aus der vorläufigen Anrechnung von Untersuchungshaft, die bereits für eine noch nicht rechtskräftige und damit noch nicht vollstreckbare Freiheitsstrafe verbüßt worden war, auf eine vollstreckbare Freiheitsstrafe, aus der mit der (noch) nicht rechtskräftigen Freiheitsstrafe nach Eintritt der Rechtskraft eine Gesamtfreiheitsstrafe hätte gebildet werden müssen, ein vorläufiges Vollstreckungshindernis hinsichtlich der vollstreckbaren Freiheitsstrafe folgte, das bis zur Rechtskraft der noch zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe wirkte. Wenn hingegen die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus rechtlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen ist, liegt eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit in diesem Sinne nicht vor.

Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Kammergerichts, § 51 Abs. 1 StGB bezwecke nicht eine doppelte Anrechnung der Militärhaft sowohl auf die Militärstrafe als auch auf die lebenslange Freiheitsstrafe, nicht zu beanstanden. Dass es zu einer solchen doppelten Anrechnung käme, hat das Kammergericht nach Einholung einer amtlichen Auskunft der US-Verbindungsstelle für Rechtsangelegenheiten nachvollziehbar damit begründet, dass sich der Beschwerdeführer nach amerikanischem Militärstrafrecht bereits vom an bis zur Überstellung an die deutschen Behörden in Vollstreckungshaft befand und diese Haftzeit demgemäß in dem Militärstrafverfahren angerechnet wird. Dieser fachgerichtlichen Beurteilung ist der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten.

b) Auch der Gesichtspunkt, dass seit dem Überhaft für den Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom notiert war, begründet keine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Anrechnung der Militärhaft. Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit es verfassungsrechtlich geboten ist, eine funktionale Verfahrenseinheit auch dann anzunehmen, wenn in dem Verfahren, das später zu einer Verurteilung führt, ein Haftbefehl erlassen wird, dieser aber nicht vollzogen, sondern hierfür Überhaft notiert wird. Denn auch hier ist die Annahme des Kammergerichts, unter dem Gesichtspunkt der Überhaftnotierung solle die funktionale Verfahrenseinheit nur dann zu einer Anrechnung der Haft führen, soweit eine entsprechende Anrechnung nicht bereits in dem anderen Verfahren erfolgt (vgl. auch Stree, NStZ 1998, S. 136 <137>), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

c) Die Strafvollstreckungsgerichte waren auch von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, über eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 3 StGB die vom Beschwerdeführer verbüßte Militärhaft anzurechnen. Das Kammergericht hat in Übereinstimmung mit der fachgerichtlichen Auffassung (vgl. BGHSt 35, 172 <177>) ausgeführt, dass § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB verhindern solle, dass der Täter durch eine Doppelverurteilung, zu der es in zulässiger Weise wegen fehlenden Strafklageverbrauchs eines früher ergangenen ausländischen Strafurteils kommen kann, im Ergebnis schlechter gestellt wird als er stehen würde, wenn er für die Tat nur einmal, nämlich im inländischen Verfahren verurteilt worden wäre. Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB sei eine im Ausland vollstreckte Strafe aber auch dann anzurechnen, wenn die ausländische Strafvollstreckung eine selbständige prozessuale Tat betrifft, die im inländischen Erkenntnis nicht mitabgeurteilt wird, die aber Gegenstand des inländischen Strafverfahrens gewesen ist (vgl. BGHSt 35, 172 <177>; -, NJW 1990, S. 1428). Nach Auffassung der fachgerichtlichen Rechtsprechung und des Schrifttums setzt § 51 Abs. 3 StGB jedenfalls voraus, dass eine Doppelverurteilung im konkreten Fall rechtlich zulässig wäre, weil die Anrechnung einen Ausgleich für diesen Fall schaffen soll (vgl. -, NStZ 2001, S. 163 <164>; Franke, in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 2003, § 51 Rn. 19; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 51 Rn. 16). An dieser einfachrechtlichen Zwecksetzung muss sich auch eine verfassungskonforme Rechtsanwendung im Ausgangspunkt orientieren. Es ist mithin nicht zu beanstanden, dass das Kammergericht mit der Begründung, dass der deutschen Gerichtsbarkeit keine konkurrierende Zuständigkeit hinsichtlich der der militärgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten zustand, eine Anrechnung entsprechend § 51 Abs. 3 StGB ablehnte. Die aus der fehlenden Gesamtstrafenfähigkeit der vom Militärgericht verhängten Freiheitsstrafe und der vom Landgericht Berlin verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe folgenden Nachteile sind bereits erheblich dadurch gemildert worden, dass das Landgericht davon abgesehen hat, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Strafvollstreckungsgerichte, die nach Auffassung des Beschwerdeführers verbliebenen Nachteile durch eine vom Zweck des § 51 Abs. 3 StGB nicht gebotene Rechtsanwendung zu kompensieren, besteht nicht.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
EAAAC-71223