Mangel der Vertretung nach § 119 Nr. 4 FGO wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung; Nachweis der Zustellung der Ladung; keine Zugangsnachweis durch Sendebericht eines Telefaxgerätes
Gesetze: FGO § 53 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 119 Nr. 4, AO § 122
Instanzenzug: , 1 K 306/05
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob am 15. und Klagen gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) für die Streitjahre 1994 und 1995 vom sowie für die Streitjahre 1997 und 1998 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom und .
Mit Verfügungen vom forderte der Senatsvorsitzende des Finanzgerichts (FG) die Klägerin unter Setzung einer Frist mit ausschließender Wirkung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, bis spätestens den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen.
Die gesetzten Fristen wurden durch den Berichterstatter des FG antragsgemäß bis zum verlängert.
Innerhalb der verlängerten Fristen bezeichnete die Klägerin die Klagebegehren nicht.
Mit Gerichtsbescheiden vom wies das FG die Klagen als unzulässig ab. Die Gerichtsbescheide wurden dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt.
Die Klägerin beantragte am mündliche Verhandlungen. Am machte der Berichterstatter des FG den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf die Zustellung des Gerichtsbescheides aufmerksam.
Mit Verfügungen des Senatsvorsitzenden des wurden Termine zur mündlichen Verhandlung auf den bestimmt. Aufgrund von Anträgen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurden diese Termine durch Verfügung des Senatsvorsitzenden des aufgehoben. Diese Verfügungen enthalten eine weitere Terminbestimmung auf „Mittwoch, , 11.30 Uhr” mit dem Zusatz „Eine Ladung zu diesem Termin wird noch gesondert ergehen”. Durch weitere Verfügungen des Senatsvorsitzenden des FG wurden die Termine zur mündlichen Verhandlung auf den um 10.00 Uhr —nicht wie zuvor angekündigt um 11.30 Uhr— bestimmt.
Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde die Ladung gegen Empfangsbekenntnis per Telefax übermittelt. Die Geschäftsstelle des FG erinnerte den Prozessbevollmächtigten vergeblich an die Rücksendung der Empfangsbekenntnisse. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte in der Folge telefonisch beim Berichterstatter die Verschiebung der Termine.
In den Terminen zur mündlichen Verhandlung am um 10.00 Uhr —aufgerufen um 10.29 Uhr— erschien für die Klägerin niemand. Die Sachen wurden in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verhandelt. Erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung um 10.34 Uhr erschien gegen 11.30 Uhr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in Begleitung des Geschäftsführers der Klägerin.
Mit Urteilen vom stellte das FG fest, dass die Gerichtsbescheide vom als Urteile wirken. Zur Begründung der Ordnungsmäßigkeit der Ladungen zur mündlichen Verhandlung führte es unter anderem aus, die Zustellung einer Ladung sei auch ohne Rücksendung des vollständig ausgefüllten Empfangsbekenntnisses wirksam, wenn der Empfänger das zuzustellende Schriftstück in Kenntnis der Zustellungsabsicht tatsächlich entgegengenommen habe. Bei Übersendung eines Schriftstücks gegen Empfangsbekenntnis sei —ebenso wie bei der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung)— die Vermutung gerechtfertigt, dass der Zugang spätestens am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post erfolgt sei.
Im Streitfall sei die Klägerin ordnungsgemäß zu den Terminen der mündlichen Verhandlung am geladen worden. Die Ladungen seien durch Verfügungen des Senatsvorsitzenden des erfolgt. Die diesen Verfügungen entsprechenden Ladungen, in denen die Terminstunde mit 10.00 Uhr bezeichnet worden sei, seien dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis per Telefax am übermittelt worden. Da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Empfangsbekenntnisse nicht, wie es von ihm zu erwarten gewesen wäre, zurückgesandt habe, seien die Zustellungen auch ohne Rücksendung der vollständig ausgefüllten Empfangsbekenntnisse wirksam, da der Empfänger die zuzustellenden Schriftstücke in Kenntnis der Zustellungsabsicht tatsächlich entgegengenommen habe. Insoweit werte das FG die Äußerung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Nachgang zur mündlichen Verhandlung als unzutreffend. Denn die Sendeberichte vom dokumentierten eindeutig, dass die Ladungen an den Prozessbevollmächtigten abgesandt worden seien. Trotz weiterer, die Termine zur mündlichen Verhandlung betreffender Kontaktaufnahmen mündlicher und schriftlicher Art habe der Prozessbevollmächtigte zu keinem früheren Zeitpunkt gerügt, dass er die Ladungen nicht erhalten habe.
Dass frühere Verfügungen des Senatsvorsitzenden des FG die Terminstunde ursprünglich auf 11.30 Uhr gelegt hätten, stünde dem nicht entgegen. Die Verfügungen hätten lediglich die Aufhebung der Termine vom und die Ankündigung zum Gegenstand, dass neue Termine am , 11.30 Uhr stattfänden, um der Klägerin und deren Prozessbevollmächtigtem entsprechende terminliche Dispositionen zu ermöglichen. Sie beinhalteten keine Ladung. Eine rechtliche Bindung habe insoweit nicht bestanden.
Gegen diese Urteile wendet sich die Klägerin mit den vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerden, mit denen sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Verletzung rechtlichen Gehörs, mangelnde Vertretung sowie Nichtberücksichtigung eines Beteiligtenwechsels des Beklagten als Verfahrensmängel rügt.
Im Wesentlichen trägt sie vor, das FG habe ihren Prozessbevollmächtigten nicht zu den Terminen am , 10.00 Uhr geladen. Solche Ladungen seien dem Prozessbevollmächtigten weder im Original noch per Telefax zugegangen. Da auch keine Empfangsbekenntnisse vorgelegen hätten, hätten diese ebenfalls nicht an das FG übersandt werden können. Aufgrund der Terminankündigungen für den sei ihr Prozessbevollmächtigter davon ausgegangen, dass die Termine am um 11.30 Uhr stattfinden würden. Wegen Terminschwierigkeiten an diesem Tag habe sich dieser durch seine Sekretärin an das Gericht gewandt. Dieses sei bereit gewesen, die Termine auf 8.30 Uhr vorzuverlegen. Da jedoch der für nachmittags anberaumte Termin am habe verlegt werden können, habe es keiner Terminverschiebung mehr für den bedurft, so dass es bei den Terminen am habe verbleiben können. Entsprechend sei auch die Sekretärin des Prozessbevollmächtigten mit dem Berichterstatter verblieben. Dies habe dieser auch in einem Aktenvermerk vom so in der Akte vermerkt. Da der Prozessbevollmächtigte außer den Terminankündigungen keine anderweitigen Ladungen erhalten habe, sei er entsprechend den Terminankündigungen davon ausgegangen, dass die Termine am um 11.30 Uhr stattfinden würden. Dementsprechend sei er auch gegen 11.20 Uhr im Gerichtssaal erschienen.
II. 1. Die Verfahren werden gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, weil es zweckmäßig ist, über die mit den gleichen Gründen erhobenen Beschwerden einheitlich zu entscheiden.
2. Die Beschwerden sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.
a) Die Urteile des FG beruhen auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Klägerin war in den Terminen zur mündlichen Verhandlung nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten und hat der Prozessführung insoweit auch nicht zugestimmt.
aa) Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 4 FGO gerügt. Ein solcher Verfahrensmangel liegt vor, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war und auch nicht der Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (vgl. § 119 Nr. 4 FGO). Eine mangelnde Vertretung ist auch dann gegeben, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist und deshalb nicht erschienen ist (vgl. , BFH/NV 2002, 1472, m.w.N.).
bb) Im Streitfall ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht ordnungsgemäß geladen worden.
Gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.d.F. des Art. 2 Abs. 19 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren vom (BGBl I 2001, 1206) kann einem Anwalt gemäß § 174 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein Schriftstück, wie die Ladung, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Die Zustellung kann nach § 174 Abs. 2 ZPO auch durch Telekopie bewirkt werden (vgl. , BFH/NV 2004, 531). Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO genügt zum Nachweis der Zustellung das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, welches auch durch Telekopie oder als elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) an das Gericht zurückgesandt werden kann (§ 174 Abs. 4 Satz 2 ZPO; vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 531).
(1) Im Streitfall ist der Nachweis der vom FG angeordneten Zustellungen der Ladungen gegen Empfangsbekenntnis nicht erbracht.
Die Zustellung wird in § 166 ZPO als Bekanntgabe eines Schriftstückes in der im Einzelnen in der ZPO näher bestimmten Form definiert, während ihre Beurkundung (z.B. durch das anwaltliche Empfangsbekenntnis) dem Nachweis der Zustellung dient (so , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2005, 3216; dem folgend , BStBl II 2007, 583; im Ergebnis auch , Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 130a VwGO Nr. 72, und , Die öffentliche Verwaltung 2006, 788).
Die Empfangsbekenntnisse befinden sich —anders als in dem Fall, der dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 531 zugrunde liegt— nicht in den Gerichtsakten, so dass es an dem Nachweis der vom FG angeordneten Zustellungen der Ladungen gegen Empfangsbekenntnis nach § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO fehlt.
(2) Eine Heilung des sich hieraus ergebenden Formmangels wäre nach § 189 ZPO nur anzunehmen, wenn dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Ladungen tatsächlich zugegangen wären. Davon kann aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgegangen werden (vgl. BVerwG-Urteil in Buchholz 310, § 130a VwGO Nr. 72).
Insbesondere wegen der verschiedenen Möglichkeiten von Unterbrechungen und Störungen der Datenübermittlung im öffentlichen Netz, die nicht notwendigerweise im Ergebnisprotokoll des Sendegeräts registriert werden, kann durch ein Telefax-Sendeprotokoll weder der Zugang des Telefax bewiesen noch ein Anscheinsbeweis für einen Zugang erbracht werden (vgl. , NJW 1995, 665; Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 8 U 1043/93, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungsreport Zivilrecht 1994, 1485). Entgegen der Rechtsansicht des FG kann daher bei Übersendung einer Ladung mittels Telekopie gegen Empfangsbekenntnis unter Hinweis auf den (BFH/NV 2002, 212) nicht vermutet werden, dass der Zugang spätestens am „dritten Tag nach der Aufgabe zur Post” erfolgt sei, da es an einer solchen —anders als in dem vom BFH entschiedenen Streitfall— bei der Übermittlung mittels Telekopie fehlt. Auch aus dem vom Gericht im Sitzungsprotokoll (Bl. 326) zitierten (BFH/NV 2006, 309) ergibt sich nichts anderes, da dort der Zugang des Urteils auch ohne Rücksendung des Empfangsbekenntnisses nachgewiesen werden konnte, weil gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde erhoben worden war.
Anhaltspunkte dafür, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Ladung tatsächlich erhalten hat, ergeben sich im Streitfall auch nicht daraus, dass sich der Prozessbevollmächtigte bzw. dessen Mitarbeiterin um Terminverlegungen bemühte, wenn dem Prozessbevollmächtigten vorab mittels Verfügung des Senatsvorsitzenden des FG neue Termine am selben Tag —jedoch zu einer anderen Terminzeit als in der Ladung— angekündigt wurden, und der Prozessbevollmächtigte zu dieser Terminzeit tatsächlich erscheint.
3. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidungen nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Rechtsstreite zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde —wie vorliegend— nicht nur auf einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern auch auf weitere Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gestützt ist (vgl. , BFH/NV 2004, 1554).
4. Da bereits der erörterte Verfahrensmangel zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG führt, kann auf sich beruhen, ob die von der Klägerin ferner geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen.
5. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz FGO abgesehen, der auch für das Verfahren nach § 116 Abs. 6 FGO Anwendung findet (vgl. , BFH/NV 2007, 1910, m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 583 Nr. 4
SAAAC-70819