Änderung des Verlustrücktrags als Voraussetzung für die Änderung eines Verlustfeststellungsbescheides
Gesetze: EStG § 10d, AO § 169, AO § 170, AO § 171 Abs. 10
Instanzenzug: BFH XI R 31/06 (Verfahrensverlauf)
Gründe
I. Die verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Sie reichten die Einkommensteuererklärung 1993 verbunden mit einer Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum am beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) ein. Das FA stellte mit Bescheid vom einen verbleibenden Verlustabzug zum fest, der in der Folgezeit mehrmals geändert wurde. Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ergingen auch zum und zum .
Die Kläger waren an mehreren Gesellschaften beteiligt. Die Einkünfte hieraus wurden gesondert und einheitlich festgestellt und dem FA mitgeteilt. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1992 ergab sich danach ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von rd. 1,3 Mio. DM. Dieser Verlust wurde vollständig in das Jahr 1990 und aufgrund eines Fehlers des FA in Höhe von 1 297 701 DM zusätzlich in das Jahr 1991 zurückgetragen. Im Einkommensteuerbescheid für 1991 vom wurde —neben dem fehlerhaften Verlustrücktrag aus 1992— ein Verlustrücktrag aus 1993 in Höhe von 445 934 DM berücksichtigt.
Der fehlerhafte Rücktrag der 1992 entstandenen Verluste in das Jahr 1991 wurde im Rahmen einer im Mai 1999 begonnenen Betriebsprüfung betreffend Einkommensteuer 1994 bis 1996 aufgedeckt.
Aufgrund einer Mitteilung vom über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1992 betreffend die M-GbR verringerte sich der nicht ausgeglichene Verlust des Klägers für den Veranlagungszeitraum 1992 um 240 759 DM. Zu einer weiteren Verringerung in Höhe von 66 893 DM führte der geänderte Feststellungsbescheid vom betreffend die X-KG. Insgesamt reduzierte sich danach der im Veranlagungszeitraum 1992 nicht ausgeglichene Verlust des Klägers um 307 652 DM. In dieser Höhe berichtigte das FA sowohl den Verlustrücktrag nach 1990 als auch den fehlerhaft vorgenommenen Verlustrücktrag nach 1991.
Die Einkommensteuerfestsetzung 1990 wurde wegen des in Höhe von 240 759 DM geminderten Verlustrücktrags mit Bescheid vom und wegen des in Höhe von 66 893 DM geminderten Verlustrücktrags mit Bescheid vom nach § 10d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) geändert.
Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1991 unterblieb mangels steuerlicher Auswirkung. Das FA ging davon aus, dass der jeweils geringere Verlustrücktrag aus 1992 in Höhe von 240 759 DM bzw. 66 893 DM durch einen entsprechend höheren Verlustrücktrag aus 1993 ausgeglichen wird. Dadurch ergab sich weiterhin eine Einkommensteuer 1991 von Null DM.
Wegen des höheren Verlustrücktrags aus 1993 und der dadurch bedingten Minderung des verbleibenden Verlustabzugs zum um 240 759 DM bzw. 66 893 DM erließ das FA am und am jeweils entsprechend geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum .
Beim Erlass des geänderten Verlustfeststellungsbescheids vom berücksichtigte das FA zusätzlich, dass sich die Einkünfte der Kläger im Veranlagungszeitraum 1993 aus ihrer Beteiligung an der M-GbR laut Mitteilung vom aufgrund des Feststellungsbescheids vom um 217 442 DM gemindert hatten. Die sich daraus ergebende Erhöhung des verbleibenden Verlustabzugs zum wurde nach § 177 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) mit dem fehlerhaft zu hoch festgestellten Verlustabzug saldiert, der aus dem zu niedrigen Rücktrag der nicht ausgeglichenen Verluste des Jahres 1993 in das Jahr 1991 resultierte.
Die Minderung des verbleibenden Verlustabzugs in Höhe von insgesamt 307 652 DM setzte sich in den —mehrfach geänderten— Bescheiden über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den , und fort.
Die Kläger begehrten mit ihrer Anfechtung der geänderten Verlustfeststellungsbescheide zum , zum und zum eine Erhöhung des jeweils verbleibenden Verlustabzugs des Klägers um 307 652 DM.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus: Das FA habe den aufgrund geänderter Grundlagenbescheide um insgesamt 307 652 DM verminderten Verlust des Jahres 1992 gemäß § 10d Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG zum Anlass nehmen dürfen, nicht nur den Verlustrücktrag in das Jahr 1990, sondern auch den Verlustrücktrag in das Jahr 1991 in entsprechender Höhe zu berichtigen. Insoweit sei die Festsetzungsverjährung gehemmt gewesen. Der anschließende Verlustrücktrag in Höhe von 307 652 DM aus dem Jahr 1993 in das Jahr 1991 sei zu Recht vorgenommen worden. Er habe eine Minderung des verbleibenden Verlustabzugs zum in Höhe von 307 652 DM zur Folge gehabt. Die entsprechende Änderung der Verlustfeststellungsbescheide zum sei von § 10d Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG (jetzt: § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG) gedeckt. Die Folgeänderungen in den geänderten Verlustfeststellungsbescheiden zum und zum seien gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 171 Abs. 10 und § 181 Abs. 1 Satz 1 AO rechtmäßig. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1421 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 10d Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Verlustfeststellungsbescheide zum und zum vom sowie den Verlustfeststellungsbescheid zum vom dahin zu ändern, dass der verbleibende Verlustabzug des Klägers um 307 652 DM erhöht wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Der angefochtene geänderte Verlustfeststellungsbescheid zum vom ist insoweit rechtswidrig, als sich darin der um insgesamt 307 652 DM geminderte verbleibende Verlustabzug fortsetzte, der in den geänderten Verlustfeststellungsbescheiden zum vom und vom festgestellt worden war.
Bei Erlass der geänderten Verlustfeststellungsbescheide zum vom und vom waren die Voraussetzungen für eine Bescheidsänderung nicht erfüllt.
Nach § 10d Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG sind Feststellungsbescheide über den verbleibenden Verlustabzug zu ändern, wenn sich (erstens) die nach § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Beträge ändern und (zweitens) deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist oder eine solche Maßnahme (nur) mangels steuerlicher Auswirkung unterbleibt. Die nach § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Beträge sind der bei Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (hier: 1993) nicht ausgeglichene Verlust, die nach § 10d Abs. 1 EStG abgezogenen, d.h. zurückgetragenen und die nach § 10d Abs. 2 EStG abziehbaren Beträge sowie der auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellte verbleibende Verlustabzug.
Im Streitfall hatten sich bei Erlass der geänderten Verlustfeststellungsbescheide zum vom und vom die nach § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Beträge nicht geändert. Denn weder am noch am lagen die Voraussetzungen für einen höheren Rücktrag von nicht ausgeglichenen Verlusten aus dem Jahr 1993 in das Jahr 1991 vor.
a) Sind für vorangegangene Veranlagungszeiträume —wie hier für den Veranlagungszeitraum 1991— bereits Steuerbescheide erlassen worden, so sind sie zwar gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Änderung des Bescheids des Rücktragsjahres nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO entgegensteht.
Nach § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG endet die Verjährungsfrist für Rücktragsjahre nicht, bevor die Verjährungsfrist des Veranlagungszeitraums abgelaufen ist, in dem Verluste nicht ausgeglichen werden. Unter Verjährungsfrist in diesem Sinne ist die Festsetzungsfrist zu verstehen (vgl. z.B. , BFHE 195, 286, BStBl II 2001, 564, m.w.N.). Der Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustrücktragsjahr wird bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr insoweit hinausgeschoben, als sich durch die Berücksichtigung des Verlustabzugs der Steuerbetrag ändert. Der Verlustabzug ist insoweit zu berücksichtigen, als für das Verlustentstehungsjahr die Festsetzungsfrist bezogen auf die nicht ausgeglichenen Verluste noch nicht abgelaufen ist (, BFHE 169, 365, BStBl II 1993, 231).
Danach lief die Festsetzungsfrist für die Berichtigung des Verlustabzugs im Rahmen der Einkommensteuer 1991 parallel zur Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1993 ab (§ 10d Abs. 1 Satz 3 EStG). Letztere Frist endete am (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Nach diesem Zeitpunkt konnte eine Berichtigung nicht mehr durchgeführt werden.
b) Ein anderes Ergebnis lässt sich nicht im Hinblick auf den Bescheid vom über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1993 für die M-GbR begründen, aus dem sich eine Erhöhung des negativen Gesamtbetrags der Einkünfte für das Jahr 1993 um 217 442 DM ergab. Denn dieser Bescheid hemmte als Grundlagenbescheid die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1993 nicht umfassend, sondern gemäß § 171 Abs. 10 AO nur im Ausmaß seiner Bindungswirkung. Den gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eröffneten Änderungsrahmen zugunsten des Klägers in Höhe von 217 442 DM hat das FA bei Erlass des geänderten Verlustfeststellungsbescheids 1993 vom ausgeschöpft, indem es eine Fehlersaldierung nach § 177 Abs. 2 AO vorgenommen hat.
c) Deshalb ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob die Verlustfeststellungsbescheide 1993 vom und vom auch deshalb rechtswidrig waren, weil bei ihrem Erlass die Feststellungsfrist bereits abgelaufen war (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 169 ff. AO) und der bei Erlass von Feststellungsbescheiden nach Ablauf der Feststellungsfrist gemäß § 181 Abs. 5 Satz 2 AO erforderliche Hinweis darauf fehlte, dass die getroffenen Feststellungen nur für solche Steuerfestsetzungen Bedeutung haben sollen, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist (vgl. z.B. , BFHE 186, 485, BStBl II 1999, 4; vom IV R 118/90, BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381, beide m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681).
2. Die Verlustfeststellungsbescheide zum vom und zum vom sind insoweit rechtswidrig, als sich darin die Minderung des verbleibenden Verlustabzugs zum um 307 652 DM fortsetzte. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Verlustfeststellungsbescheide auf den Schluss der Veranlagungszeiträume 1994 und 1995 waren nicht erfüllt. Denn der auf den Schluss des Veranlagungszeitraums 1993 festzustellende verbleibende Verlustabzug i.S. von § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG hatte sich —wie oben dargelegt— nicht in Höhe von insgesamt 307 652 DM gemindert.
3. Da die Revision schon aus den vorgenannten Gründen Erfolg hat, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Änderung des Verlustes für das Jahr 1992 zu einer doppelten Berichtigung, also nicht nur des Einkommensteuerbescheids 1990, sondern auch des Einkommensteuerbescheids 1991 führen konnte.
4. Die Übertragung der Berechnung des verbleibenden Verlustabzugs auf das FA folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 378 Nr. 3
HFR 2008 S. 215 Nr. 3
PAAAC-70389