BGH Beschluss v. - XI ZR 144/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GVG § 132 Abs. 2; ZPO § 520; ZPO § 521 Abs. 2; ZPO § 529 Abs. 1; ZPO § 530; ZPO § 531 Abs. 2; ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1; ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2; ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3; ZPO § 533; AGBG § 9; BGB § 768 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: LG Dresden 6 O 5142/04 vom OLG Dresden 12 U 1605/05 vom

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Bank, begehrt vom Beklagten, einem Rechtsanwalt, Zahlung aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft.

Die Klägerin gewährte der Hauptschuldnerin, der Gesellschaft bürgerlichen Rechts D. , mit Kreditbestätigung vom 13. Juni/ einen bis zum befristeten, durch Grundschuld gesicherten Barkredit in Höhe von 1,4 Millionen DM. Mit Bürgschaftserklärung vom , die die Klägerin am annahm, verbürgte sich der Beklagte für die Forderung der Klägerin gegenüber der Hauptschuldnerin bis zu einem Höchstbetrag von 37.500 DM. Der Sollsaldo auf dem Kreditkonto belief sich zum auf 1.138.859,27 DM.

Unter dem kündigte die Klägerin den Kredit und forderte den Beklagten mit Schreiben vom erfolglos zur Zahlung der Bürgschaftssumme bis auf. Nach weiteren vergeblichen Versuchen, die Bürgschaftsschuld zu realisieren, kündigte sie dem Beklagten mit Schreiben vom an, die Angelegenheit unverzüglich ihrem Rechtsanwalt zur weiteren Beitreibung zu übergeben. Am hat sie Klage auf Zahlung von 19.173,44 € zuzüglich Zinsen eingereicht.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung, mit der der Beklagte erstmals auch die Verjährung der Hauptschuld geltend gemacht hat, hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Hauptforderung sei zwar verjährt. Die Verjährungseinrede, bei der es sich nicht nur um neuen Sachvortrag, sondern um eine rechtsgestaltende Handlung handele, sei aber als neues Verteidigungsmittel des Beklagten nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen. Gleiches gelte für das von ihm ebenfalls erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) wegen Teilabtretung der Sicherungsgrundschuld.

Mit der - vom Berufungsgericht "soweit Leistungsverweigerungsrechte des Beklagten nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO als neue Verteidigungsmittel nicht berücksichtigt wurden" zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

II.

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Zulassung der erstmals in zweiter Instanz erhobenen Verjährungseinrede ab.

1. Die uneingeschränkt eingelegte Revision ist zulässig (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die vom Berufungsgericht vorgenommene Zulassungsbeschränkung ist unzulässig und damit unwirksam. Zwar kann die Zulassung der Revision auf ein geltend gemachtes Zurückbehaltungsrecht beschränkt werden (vgl. BGHZ 45, 287, 289; MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl. § 543 Rdn. 40; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO 21. Aufl. § 546 Rdn. 29 m.w.Nachw.). Unzulässig ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber eine Beschränkung auf die Frage der Verjährung, weil sie auf eine einzelne Rechtsfrage abzielt (, WM 1995, 2107, 2108 und vom - I ZR 2/04, NJW-RR 2007, 182, 184 Tz. 19; a.A. Wenzel aaO Rdn. 41; Grunsky aaO). Gleiches gilt für die Beschränkung der Zulassung auf die prozessuale Vorfrage, ob die Zurückweisung der Einreden des Beklagten nach § 531 Abs. 2 ZPO zu Recht erfolgt ist (vgl. , NJW 1982, 1535 und vom - IVb ZR 52/86, NJW 1987, 3264 f.; Wenzel aaO Rdn. 42). Folge ist, dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist (, WM 2005, 1076, 1077 und vom - VI ZR 151/05, NJW-RR 2006, 1098, 1099 Tz. 8 m.w.Nachw.).

2. Das Berufungsgericht hat eine wirksame Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten zu Recht bejaht.

a) Zutreffend hat es die nach § 9 AGBG unwirksame weite Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in dem Umfang für wirksam gehalten, in dem sie sich auf den Kredit bezogen hat, der Anlass für die Abgabe der Bürgschaftserklärung war (vgl. BGHZ 143, 95, 102 m.w.Nachw.). Das war, wie das Berufungsgericht mit Tatbestandswirkung (§§ 314, 559 Abs. 2 ZPO) festgestellt hat, nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin der Barkredit in Höhe von 1,4 Millionen DM.

b) Weiter hat es rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Klägerin die Höhe der Hauptforderung durch Mitteilung des von der Hauptschuldnerin anerkannten Schlusssaldos hinreichend dargelegt hat und dass Höhe und Bestand der Hauptforderung unstreitig sind, weil der Beklagte sie erstinstanzlich nicht bestritten hat. Sein erstmaliges Bestreiten der Kontokorrentabrede und der Höhe der Hauptforderung in der Berufungsinstanz hat es rechtsfehlerfrei als neues Verteidigungsvorbringen gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht zugelassen.

c) Ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht eine Verwirkung des Klageanspruchs verneint hat, weil der Beklagte angesichts der seit 1996 in größeren zeitlichen Abständen unternommenen Versuche der Klägerin, die Bürgschaftssumme zu realisieren, nicht darauf vertrauen konnte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Nachdem die Klägerin ihm im September 2000 gedroht hatte, die Angelegenheit zur Beitreibung einem Rechtsanwalt zu übergeben, durfte er nicht annehmen, dass sie die Bürgschaftsforderung nicht mehr geltend machen wolle. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin danach noch etwa vier Jahre bis zur gerichtlichen Geltendmachung der Forderung verstreichen ließ. Als Rechtsanwalt musste sich der Beklagte darauf einstellen, dass sie die erst am ablaufende Verjährungsfrist ausschöpfen werde.

3. Die durch die Bürgschaft gesicherte Hauptforderung ist - wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - mit Ablauf des verjährt (§ 195 BGB a.F., Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB), weil die Klägerin nach der fälligkeitsbegründenden Kündigung des Kreditvertrages am unstreitig keine verjährungsunterbrechende oder -hemmende Maßnahme gegen die Hauptschuldnerin ergriffen hat. Hierauf kann sich auch der Beklagte gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen. Dem steht nicht entgegen, dass die Hauptforderung erst nach Erhebung der Bürgschaftsklage verjährt ist (BGHZ 139, 214, 216 ff.). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte die Bürgschaftsklage die Verjährung auch nicht ausnahmsweise wegen Verselbständigung der Bürgschaftsforderung durch Wegfall der Hauptschuldnerin hemmen (vgl. dazu Senat BGHZ 153, 337, 342 f.).

4. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt damit von der Zulassung der erstmals in zweiter Instanz erhobenen Verjährungseinrede des Beklagten ab. Sie ist vorrangig vor der Zulassung des ebenfalls erstmals zweitinstanzlich geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts zu beantworten, weil dieses im Erfolgsfall lediglich zu einer eingeschränkten Verurteilung Zug um Zug (§ 274 BGB) führt, die Verjährungseinrede hingegen zur Klageabweisung.

III.

1. a) Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs vertritt in seiner Entscheidung vom (X ZR 165/04, GRUR 2006, 401, 404 Tz. 26 f. = MDR 2006, 766, 767 = BGHReport 2006, 599, 601 f.) die Auffassung, die erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Verjährungseinrede sei auch bei unstreitiger Tatsachengrundlage nur zuzulassen, wenn einer der Ausnahmetatbestände des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO vorliege. Die Verjährungseinrede gehöre zu den Verteidigungsmitteln, deren rechtzeitige Geltendmachung durch § 531 Abs. 2 ZPO sichergestellt werden solle. Habe sich der Schuldner nicht bereits außergerichtlich auf Verjährung berufen, müsse dem Umstand, dass bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz Verjährung eingetreten sei, deshalb grundsätzlich durch Erhebung der Einrede in dieser Instanz Rechnung getragen werden.

b) Danach wäre die Verjährungseinrede im Streitfall nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vorliegen.

aa) Nach seinen zutreffenden Ausführungen ergab sich aus dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beklagten kein Anhaltspunkt dafür, dass er sich auf die verspätete Geltendmachung der Hauptforderung berufen wollte. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO greifen damit nicht ein.

bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht auch die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO verneint. Nachlässigkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel fahrlässig nicht bereits in erster Instanz vorgetragen wird. Hierzu zählt jede Verletzung der Prozessförderungspflicht (§ 282 ZPO), derzufolge die Parteien grundsätzlich gehalten sind, Vorbringen, das zur Abkürzung des Verfahrens geeignet ist, alsbald vorzutragen oder zumindest anzukündigen (Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO 26. Aufl. § 531 Rdn. 31; Greger, ebenda § 282 Rdn. 3; MünchKommZPO/Prütting, 2. Aufl. § 282 Rdn. 16). Hierzu hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass der Ablauf der Verjährung zum dem Grunde nach bekannt und der Beklagte demnach durch nichts an der Erhebung der Einrede bereits in erster Instanz gehindert war.

Der Annahme von Nachlässigkeit steht nicht entgegen, dass es im materiellen Recht weder eine Pflicht gibt, die Einrede der Verjährung alsbald geltend zu machen, noch (von Verwirkung abgesehen) überhaupt eine zeitliche Beschränkung (a.A. Meller-Hannich JZ 2005, 656, 664 und NJW 2006, 3385, 3387 f.). Die materiell-rechtliche Befugnis, den Zeitpunkt der Geltendmachung der Einrede frei zu wählen, wird bei der Verjährung ebenso wie bei den Gestaltungsrechten der Anfechtung oder Aufrechnung im gerichtlichen Verfahren durch das Prozessrecht beschränkt (vgl. zur Aufrechnung: BGHZ 24, 97, 98; 34, 274, 279; 91, 293, 302 ff.; zur Anfechtung: BGHZ 42, 37, 39 ff.; 94, 29, 34 m.w.Nachw.). Eine solche prozessuale Beschränkung ist zwar ausgeschlossen, wenn die zeitliche Entscheidungsfreiheit gerade das Wesen des Gestaltungsrechts ausmacht (vgl. BGHZ 94, 29, 34 f. zum vertraglichen Optionsrecht). Das ist bei der Verjährungseinrede aber nicht der Fall.

cc) Der Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO steht auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des , WM 2004, 288, 289 und vom - VII ZR 229/03, NJW-RR 2005, 1687, 1688; a.A. OLG Brandenburg OLGR 2005, 21, 23 ff.; OLG Saarbrücken OLGR 2007, 589, 590 f.) erst im Laufe des Verfahrens geschaffene materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen ohne Rücksicht auf Präklusionsvorschriften in den Rechtsstreit eingeführt werden können. Diese Rechtsprechung beschränkt sich ausdrücklich auf den Fall einer erstmals fälligkeitsbegründenden Schlussrechnung in zweiter Instanz, deren Präklusion gerade keine abschließende Klärung zwischen den Parteien zur Folge hätte, sondern einen weiteren Rechtsstreit über dieselbe Werklohnforderung. Eine solche Folge tritt bei Präklusion der Verjährungseinrede nicht ein.

2. Der XI. Zivilsenat, der die Vorlagefrage bisher - ebenso wie der VIII. Zivilsenat (Urteil vom - VIII ZR 174/04, WM 2005, 948, 949) - offen gelassen hat (Urteil vom - XI ZR 56/06, WM 2007, 731, 732 Tz. 19), möchte der Rechtsprechung des X. Zivilsenats nicht folgen und § 531 Abs. 2 ZPO nicht auf die Verjährungseinrede anwenden, wenn sie zwar erstmals in zweiter Instanz im Prozess erhoben wird, zwischen den Parteien aber sowohl die Erhebung der Einrede als auch die sie begründenden tatsächlichen Umstände unstreitig sind. Da der X. Zivilsenat auf Anfrage mitgeteilt hat, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten, ist die Sache gemäß § 132 Abs. 2 GVG dem Großen Senat für Zivilsachen beim Bundesgerichtshof vorzulegen.

IV.

Nach Auffassung des Senats ist die vorgelegte Rechtsfrage zu verneinen.

1. Nach der Grundsatzentscheidung des IX. Zivilsenats vom (IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 141 ff.) kann neuer unstreitiger Tatsachenvortrag nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Das Berufungsgericht hat solches Vorbringen vielmehr gemäß § 529 Abs. 1 ZPO selbst dann seiner Entscheidung zugrunde zu legen, wenn dadurch eine Beweisaufnahme erforderlich wird.

Dieser Entscheidung haben sich der II. Zivilsenat (Urteile vom - II ZR 394/02, WM 2005, 295, 296 und vom - II ZR 111/05, WM 2007, 1932, 1938 Tz. 63), der III. Zivilsenat (Urteil vom - III ZR 105/05, BGHZ 166, 29, 31 Tz. 6), der IV. Zivilsenat (Urteile vom - IV ZR 47/04, FamRZ 2005, 1555, 1557 und vom - IV ZR 89/05, NJW 2006, 298, 299 Tz. 19) und der VIII. Zivilsenat (Beschluss vom - VIII ZR 61/04, WM 2006, 1115 Tz. 5) angeschlossen.

Dem entsprechen sowohl die überwiegende instanzgerichtliche Rechtsprechung (OLG Hamm NJW 2003, 2325 f. zu vorprozessual erklärter Aufrechnung; OLG Nürnberg OLGR 2003, 351; OLG Oldenburg OLGR 2004, 54, 55; OLG Karlsruhe MDR 2004, 1020; OLG Schleswig OLGR 2005, 120, 121; OLG Frankfurt am Main OLGR 2005, 558, 560 und OLGR 2007, 448, 449; OLG Rostock OLGR 2006, 916, 917; KG Berlin KGR 2007, 502, 503; a.A. , juris Tz. 43 ff., insoweit in ZIP 2006, 2122 ff. nicht abgedruckt) als auch die herrschende Meinung in der Literatur (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 531 Rdn. 13; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 531 Rdn. 28; Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. § 531 Rdn. 16; Saenger/Wöstmann, ZPO 2. Aufl. § 531 Rdn. 5; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO 28. Aufl. § 531 Rdn. 1; Zimmermann, ZPO 7. Aufl. § 531 Rdn. 6; Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO 26. Aufl. § 531 Rdn. 21; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht 16. Aufl. § 137 Rdn. 59; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen 7. Aufl. Rdn. 475; Geisler, jurisPR-BGHZivilR 3/2005 Anm. 1 und AnwBl 2006, 609, 611; Heinrich WuB VII A. § 531 ZPO 1.05; Noethen MDR 2006, 1024, 1025 f.; Rixecker NJW 2004, 705, 707; Roth JZ 2005, 174, 175 und JZ 2006, 9, 15; Schmidt NJW 2007, 1172, 1173; Schultz BGHReport 2005, 320; Schwenker IBR 2005, 180; s. auch Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 531 Rdn. 8, § 533 Rdn. 10; Crückeberg MDR 2003, 10, 11; Rimmelspacher, in: Festschrift für Schlosser 2005 S. 747 ff.; a.A. Burgermeister BGHReport 2005, 455 f.; Drossart BrBp 2004, 4, 8; Ostermeier ZZP 120 (2007), 219, 220 ff.; Stackmann NJW 2007, 9, 10).

2. Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob diese Rechtsprechung auch auf Einreden, die eine Partei geltend machen muss, übertragen werden kann.

a) Der IV. Zivilsenat (Urteil vom - IV ZR 89/05, NJW 2006, 298, 299 Tz. 19) hat im Anschluss an die Grundsatzentscheidung des IX. Zivilsenats (BGHZ 161, 138, 141 ff.) entschieden, dass die erstmalige Berufung des Versicherers auf den Ablauf der Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VVG in der zweiten Instanz nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden kann, wenn der Ablauf der Ausschlussfrist unstreitig ist.

Speziell für die Einrede der Verjährung hat der III. Zivilsenat in seiner Entscheidung vom (BGHZ 166, 29, 31 Tz. 6) in einem obiter dictum ausgeführt, auch eine erstmals in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede dürfe nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden, wenn die den Verjährungseintritt begründenden Umstände zwischen den Parteien unstreitig seien.

b) In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wird die Zulassung der Verjährungseinrede auf der Basis unstreitigen Vorbringens nach Erlass des Urteils des IX. Zivilsenats zunehmend befürwortet (OLG Naumburg OLGR 2006, 141 f.; OLG Karlsruhe OLGR 2006, 526, 528; , juris Tz. 41 ff. unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung; OLG Stuttgart BKR 2006, 280, 285; OLG Celle NJW-RR 2006, 1530, 1531; , juris Tz. 38 ff.; OLG Schleswig, Urteil vom - 5 U 101/06 S. 15 (rechtskräftig durch Senatsbeschluss vom - XI ZR 58/07); vorher bereits OLG Karlsruhe MDR 2005, 412 f. und LG Berlin Grundeigentum 2004, 690 f.).

Auch in der Literatur wird diese Ansicht mit steigender Tendenz vertreten (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 531 Rdn. 13; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 531 Rdn. 28; Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. § 214 Rdn. 3 - a.A. noch 65. Aufl.; Zimmermann, ZPO 7. Aufl. § 531 Rdn. 10, 13 Nr. 3; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen 7. Aufl. Rdn. 476; v. Berg IBR 2007, 165; Deubner JuS 2007, 528, 530; Meller-Hannich NJW 2006, 3385, 3386 ff. sowie JZ 2005, 656, 664 f.; Noethen MDR 2006, 1024, 1026 f.; Rixecker NJW 2004, 705, 707; Sohn BauR 2003, 1933 ff.; Vogel IBR 2007, 589; im Ergebnis auch Staudinger/Peters, BGB Neubearb. 2004 § 214 Rdn. 11: grundsätzlich gilt § 531 Abs. 2 ZPO, es sei denn, die Einrede beschleunigt - wie meist - die Erledigung des Rechtsstreits; sowie wohl auch jurisPK-BGB/Lakkis, 3. Aufl. Stand August 2007 § 214 Rdn. 22).

c) Demgegenüber wird die Auffassung des X. Zivilsenats überwiegend in älteren, vor dem Grundsatzurteil des IX. Zivilsenats ergangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen geteilt (KG KGR 2003, 392, 394; OLG Brandenburg BauR 2003, 1256, 1257; OLG Oldenburg MDR 2004, 292; OLG Düsseldorf FamRZ 2004, 1222 - Einrede beschränkter Erbenhaftung - und Grundeigentum 2004, 625; OLG Frankfurt am Main OLGR 2004, 249; OLG München BauR 2004, 1982), aber auch in einigen neueren Entscheidungen vertreten (OLG Hamm MDR 2006, 695 - Einrede beschränkter Erbenhaftung; , juris Tz. 60, insoweit in OLGR 2006, 139 nicht abgedruckt; OLG Saarbrücken OLGR 2007, 589, 591 f. - Erlass eines Überleitungsbescheids; OLG Oldenburg, Urteil vom - 5 U 106/06, juris Tz. 27 - Einwand hypothetischer Einwilligung im Arzthaftungsprozess (Revision anhängig unter VI ZR 198/07); , juris Tz. 23).

Auch ein Teil der Literatur hat sich gegen die Zulassung der erstmaligen Verjährungseinrede in der zweiten Instanz ausgesprochen (MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. § 214 Rdn. 4; Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO 26. Aufl. § 531 Rdn. 22; Drossart BrBp 2004, 4, 7 f.; Geisler AnwBl 2006, 609, 611 (zurückhaltender in: jurisPR-BGH-Zivilrecht 39/2007 Anm. 4); Lenkeit IBR 2003, 170; Müller BrBp 2004, 35, 37; Ostermeier ZZP 120 (2007), 219, 224 ff.; Roth JZ 2005, 174, 176 und JZ 2006, 9, 15; Schenkel MDR 2005, 726 ff.; Siegburg BauR 2003, 291 f.; wohl auch Henrich, in: Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 214 Rdn. 2; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB 11. Aufl. § 214 Rdn. 3; Stackmann NJW 2007, 9, 10; im Ergebnis auch Gerken, in: Wieczorek/Schütze, Zivilprozessordnung und Nebengesetze, 3. Aufl. § 531 Rdn. 23: grundsätzlich gilt § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO, es sei denn, unabhängig von der Verjährungseinrede müsste eine Zurückverweisung erfolgen, so dass der Beklagte die Einrede im ersten Rechtszug wiederholen könnte).

3. Nach Auffassung des XI. Zivilsenats kann - ausgehend von der Grundsatzentscheidung des IX. Zivilsenats (BGHZ 161, 138, 141 ff.) - die erstmalige Erhebung der Verjährungseinrede in zweiter Instanz bei unstreitiger Tatsachengrundlage zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht anders behandelt werden als sonstiger unstreitiger Tatsachenvortrag, der - wie oben dargelegt - nach nahezu einhelliger Meinung nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden darf. Dafür sprechen folgende Gründe:

a) Nach der Grundsatzentscheidung des IX. Zivilsenats fällt unstreitiges Vorbringen generell nicht unter die "neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel" im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO. Danach ist dieser Begriff ebenso wie im bisherigen Recht auszulegen, in dem die Vorschriften über die Behandlung verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel anerkanntermaßen nur für streitiges und damit beweisbedürftiges Vorbringen galten (BGHZ 161, 138, 142 unter Hinweis auf BGHZ 76, 133, 141; so auch VI. Zivilsenat, BGHZ 164, 330, 333; , BGHReport 2004, 1378, 1379 und vom - II ZR 394/02, WM 2005, 295, 296; Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 § 531 Rdn. 8; a.A. , juris Tz. 47 ff.; Ostermeier ZZP 120 (2007), 219, 223 f.).

Da die rechtliche Einordnung des unstreitigen Vorbringens mithin unerheblich ist, ergibt sich daraus bei konsequenter Anwendung für die Verjährungseinrede: Wenn der Beklagte in der zweiten Instanz erstmals unbestritten vorträgt, er habe sich vorprozessual oder während des erstinstanzlichen Verfahrens außergerichtlich auf Verjährung berufen, und die verjährungsbegründenden Umstände ebenfalls unstreitig sind, so ist dieses Vorbringen zu berücksichtigen. Gleiches gilt, wenn der Beklagte die Verjährungseinrede während des zweitinstanzlichen Verfahrens außergerichtlich erhebt und diese neue Tatsache unbestritten in den Prozess einführt. Nichts spricht angesichts dessen dafür, eine während des zweitinstanzlichen Verfahrens im Prozess erhobene Verjährungseinrede bei unstreitiger Tatsachengrundlage nicht zu berücksichtigen. Einen stichhaltigen Grund für eine Differenzierung zwischen diesen Fallgestaltungen gibt es nicht.

b) Die vom X. Zivilsenat vorgenommene Differenzierung zwischen Sachverhalten, die ohne besondere Geltendmachung entscheidungserheblich sind und solchen, die erst durch Wahrnehmung eines materiell-rechtlichen Leistungsverweigerungsrechts entscheidungserheblich werden (Urteil vom - X ZR 165/04, GRUR 2006, 401, 404 Tz. 27), findet im Prozessrecht keine Stütze. Der prozessuale Einredebegriff erfasst sowohl Einwendungen als auch Einreden im materiellen Sinne (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht 16. Aufl. § 101 Rdn. 1 ff.; Motive zum Entwurf des BGB, Band I 1888 S. 359 f.). Dementsprechend unterscheidet § 531 Abs. 2 ZPO nicht zwischen Einwendungen und Einreden im materiellen Sinne, sondern gilt für sämtliche neue "Angriffs- und Verteidigungsmittel", worunter nach §§ 282, 146 ZPO ausdrücklich sowohl Einwendungen als auch Einreden zu verstehen sind.

Im Prozess können Einreden, aber auch materiell-rechtliche Einwendungen grundsätzlich erst dann Bedeutung erlangen, wenn sie von einer Partei vorgetragen, d.h. in den Rechtsstreit eingeführt werden. So setzt etwa die Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Einwendung eines Rücktritts Vortrag sowohl zu den Rücktrittsvoraussetzungen als auch zur Rücktrittserklärung voraus. Ein erst während der Berufungsinstanz erklärter Rücktritt ist, wenn das Vorbringen zu den Rücktrittsvoraussetzungen unstreitig ist, nach § 529 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen, obwohl die Ausübung des Rücktrittsrechts, das in erster Instanz nicht genutzt wurde, nachträglich die Entscheidungsbasis und den Prüfungsumfang des Gerichts verändert. Dass dies bei Erhebung einer Verjährungseinrede in zweiter Instanz anders sein soll, überzeugt nicht.

c) Aus § 533 ZPO lässt sich entgegen der Ansicht des X. Zivilsenats nichts gegen die Zulassung einer erstmals zweitinstanzlich erhobenen Verjährungseinrede herleiten. Es handelt sich um eine spezielle Präklusionsvorschrift, die durch besondere Zulassungsvoraussetzungen verhindern soll, dass der Streitstoff auf dem Wege der Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage erweitert und damit das Novenverbot umgangen wird (vgl. Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 § 533 Rdn. 1; Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO 26. Aufl. § 533 Rdn. 1). Aus dieser Spezialregelung folgt nicht, dass der Gesetzgeber unstreitiges neues Vorbringen in zweiter Instanz generell nur unter solchen besonderen Voraussetzungen zulassen wollte. Vielmehr spricht umgekehrt gerade das Fehlen einer entsprechenden Regelung für die Verjährungseinrede dafür, dass es insoweit - ebenso wie bei anderen prozessualen Einreden - bei der allgemeinen Präklusionsregelung bleiben sollte (vgl. Meller-Hannich NJW 2006, 3386, 3387; Noethen MDR 2006, 1024, 1026 f.).

Hinzu kommt, dass nach § 533 ZPO bei unstreitigem Sachverhalt und Sachdienlichkeit in der Berufungsinstanz sogar über einen neu eingeführten Streitgegenstand zu entscheiden ist. Es erscheint daher verfehlt, die Zulassung der weniger weit reichenden Verjährungseinrede - bei der in der Regel Sachdienlichkeit vorliegen dürfte - von strengeren Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl. OLG Naumburg OLGR 2006, 141, 142; ferner OLG Celle NJW-RR 2006, 1530, 1531).

d) Anders als Befürworter der vom X. Zivilsenat vertretenen Auffassung meinen (s. zuletzt , juris Tz. 23), sprechen auch Sinn und Zweck des § 531 Abs. 2 ZPO oder der Wille des Gesetzgebers nicht gegen die Zulassung der Verjährungseinrede bei unstreitiger Tatsachengrundlage. Auch insoweit haben die Erwägungen in der Grundsatzentscheidung des IX. Zivilsenats (BGHZ 161, 138, 143) Gültigkeit.

Durch § 531 Abs. 2 ZPO soll die Zulassung neuen Vorbringens auf das Maß beschränkt werden, das sich aus der geänderten Funktion des Berufungsverfahrens als Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung ergibt (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 1, 58, 59 f.; 61, 94, 100; 14/6036 S. 2, 118, 123; Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 § 531 Rdn. 6). Die geänderte Funktion gebietet den Ausschluss von Leistungsverweigerungsrechten bei unstreitiger Tatsachengrundlage aber ebenso wenig wie in anderen Fällen unstreitigen Vorbringens. Auch nach der Reform des Zivilprozesses besteht seine Aufgabe weiterhin darin, subjektive Rechte festzustellen und zu verwirklichen; ebenso hat die Verhandlungs- und Dispositionsmaxime, nach der die Parteien den der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legenden Prozessstoff bestimmen, weiterhin Geltung (vgl. BGHZ 161, 138, 143 m.w.Nachw.). Das gilt auch für das reformierte Berufungsverfahren. Gerade im Zusammenhang mit dessen Neugestaltung hat der Gesetzgeber wiederholt das anerkennenswerte Interesse der Parteien betont, mit Hilfe der erneuten Überprüfung ihres Falles eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überzeugende und gerechte Entscheidung zu erlangen (vgl. BT-Drucks. 14/6036 S. 26, 118, 124; BGHZ 160, 83, 91, 92). Deshalb enthalten die Präklusionsvorschriften auch kein absolutes Novenverbot mit strikter Bindung an die erstinstanzlichen Feststellungen, sondern sollen das Berufungsgericht (nur) von solchen Tatsachenfeststellungen entlasten, die bereits in erster Instanz richtig und vollständig getroffen wurden (s. BT-Drucks. 14/4722 S. 61; 14/6036 S. 123). Das Berufungsverfahren ist weiterhin - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Fehlerkontrolle und -beseitigung sich nicht nur auf Rechtsfragen, sondern auch auf die Tatsachengrundlage des Rechtsstreits erstreckt (vgl. Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 § 529 Rdn. 4 ff.; Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO 26. Aufl. § 529 Rdn. 1 m.w.Nachw.).

Dieser gesetzlichen Aufgabenzuweisung und Zielsetzung widerspräche es bei der Verjährungseinrede ebenso wie bei sonstigem unstreitigen Vorbringen, wenn das Berufungsgericht gehalten wäre, eine von den Parteien vorgetragene unstreitige Ergänzung des Vortrags um die Erhebung der Einrede und deren Voraussetzungen nicht zu berücksichtigen, weil es damit sehenden Auges auf einer falschen, von keiner Seite (mehr) geltend gemachten Grundlage eine materiell unrichtige Entscheidung treffen müsste. Der Einwand, das erstinstanzliche Urteil bleibe trotz zweitinstanzlich erhobener Verjährungseinrede materiell richtig und gerecht (so Schenkel MDR 2005, 726 f.), trifft nur auf der Grundlage des dem erstinstanzlichen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zu. Maßgeblich für das Berufungsgericht ist aber die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung (vgl. BGHZ 161, 138, 144 unter Hinweis auf BGHZ 158, 295, 307 f. m.w.Nachw.; , juris Tz. 49). Diese hat sich durch die Erhebung der Verjährungseinrede, einer geschäftsähnlichen Handlung des sachlichen Rechts, nachträglich zu Lasten des Gläubigers verändert, indem der von ihm geltend gemachten Forderung ihre Durchsetzbarkeit genommen wurde (vgl. BGHZ 156, 269, 271). Dies müsste der Richter bei Nichtzulassung der Verjährungseinrede ignorieren und damit wissentlich eine Forderung zusprechen, die der Gläubiger nach materiellem Recht gerade nicht mehr gerichtlich durchsetzen können sollte.

e) Schließlich stellt die Präklusion der Verjährungseinrede, deren Zulassung den Rechtsstreit nicht verzögern würde, eine unverhältnismäßige Sanktion dar, die im Hinblick auf den grundrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

Präklusionsvorschriften haben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen ihrer zwangsläufig nachteiligen Auswirkungen auf das Bemühen um eine materiell richtige Entscheidung und ihrer einschneidenden Folgen für die säumige Partei strengen Ausnahmecharakter (vgl. BVerfGE 60, 1, 6; 75, 302, 312 m.w.Nachw.). Es ist dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich nicht verwehrt, neues Vorbringen - wie in § 531 Abs. 2 ZPO geschehen - auch dann im Berufungsverfahren auszuschließen, wenn seine Zulassung zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits führen würde (vgl. BVerfGE 55, 72, 94 und NJW 2005, 1768, 1769). Präklusionsnormen sind aber - wie sämtliches Verfahrensrecht - weder Selbstzweck noch haben sie Strafcharakter, sondern sollen lediglich einer sachgerechten Entscheidungsfindung dienen. Ihrem strengen Ausnahmecharakter ist daher auch bei der Anwendung im Einzelfall unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 55, 72, 93; BGHZ 75, 340, 348; Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 § 531 Rdn. 7). Das aber wäre bei Nichtzulassung der Verjährungseinrede trotz unstreitiger Tatsachengrundlage nicht mehr gewahrt.

Der Ausschluss der Verjährungseinrede dient bei unstreitiger Tatsachengrundlage gerade nicht der materiell richtigen und gerechten Entscheidungsfindung, sondern führt im Gegenteil dazu, dass dieser Zweck des Berufungsverfahrens verfehlt wird. Für die betroffene Partei ist der Ausschluss der Einrede besonders hart, weil sie - anders als in den Fällen des § 533 ZPO - nicht mehr in einem anderen Verfahren geltend gemacht werden kann, sondern endgültig verloren ist.

Die Nichtzulassung ist auch nicht wegen schützenswerter Interessen der Allgemeinheit oder des Prozessgegners geboten. Das allgemeine Interesse an der schonenden Inanspruchnahme der "knappen Ressource Recht" wird durch die Zulassung nicht wesentlich tangiert. Ist das der Einrede zugrunde liegende Tatsachenvorbringen unstreitig, kann es ohne weiteres der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde gelegt und damit zügig eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen werden; einer etwaigen verzögernden Geltendmachung der Einrede kann im Übrigen durch § 530 ZPO i.V. mit §§ 520, 521 Abs. 2 ZPO begegnet sowie bei der Kostenentscheidung Rechnung getragen werden (§ 97 Abs. 2 ZPO).

Anerkennenswerte Interessen des Prozessgegners stehen einer Zulassung der Einrede auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts prozessualer Gerechtigkeit und des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren nicht entgegen (a.A. Schenkel MDR 2005, 726, 727; , juris Tz. 57 f.). Soweit der Gegner sich zu neuem Vorbringen (etwa bei Erhebung der Einrede in der Berufungsverhandlung) nicht sofort erklären kann, besteht die Möglichkeit eines Schriftsatznachlasses.

Die Nichtzulassung der Verjährungseinrede bei unstreitiger Tatsachengrundlage wäre eine reine Strafe für nachlässiges prozessuales Verhalten, die sich - anders als im Fall des § 530 ZPO - weder durch prozessökonomische Gründe noch durch schützenswerte Interessen des Prozessgegners rechtfertigen lässt. Dem Gesichtspunkt materieller Gerechtigkeit ist daher durch Zulassung der Einrede Vorrang zu geben (vgl. OLG Hamm NJW 2003, 2325, 2326; OLG Karlsruhe MDR 2004, 1020 und OLGR 2006, 526, 528; OLG Frankfurt am Main OLGR 2005, 558, 561).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1312 Nr. 18
AAAAC-70034

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein