Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache; Voraussetzungen einer wirksamen Antragsrücknahme
Gesetze: FGO § 137, FGO § 138, FGO § 69 Abs. 4
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Antragsteller, Kläger und Revisionskläger (Antragsteller) betrieb vor dem Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren wegen der Einkommensteuerbescheide 1991 bis 1994. Er machte dort u.a. geltend, hinsichtlich der Pachtforderungen seines Betriebsaufspaltungs-Besitzunternehmens gegenüber der Betriebsgesellschaft, der F-GmbH, seien bereits in den Streitjahren Teilwertabschreibungen vorzunehmen. Der Antragsgegner, Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) habe die Anschaffungskosten für Grundstücke, die er, der Antragsteller, von seiner Ehefrau, der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erworben habe, in unzutreffender Höhe berücksichtigt. Zudem habe das FA zu Unrecht Erschließungskosten im Streitjahr 1994 nicht gewinnmindernd berücksichtigt. Auch seien die vom Betriebsprüfer vorgenommenen Anpassungsbuchungen nicht nachvollziehbar.
In einem weiteren vor dem FG betriebenen Klageverfahren wegen der Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1994 sowie wegen der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf die Stichtage bis machte der Antragsteller zusätzlich geltend, zwischen der F-GmbH und dem Einzelunternehmen des Antragstellers habe in den Streitjahren eine Organschaft im gewerbesteuerlichen Sinn bestanden.
Das FG hat beide Klagen abgewiesen. Hiergegen haben in dem die Einkommensteuer betreffenden Rechtsstreit der Antragsteller und die Klägerin und in dem anderen Rechtsstreit der Antragsteller allein jeweils Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Die Beschwerden wurden jeweils ausführlich begründet. Der angerufene Senat hat durch die nicht mit einer Begründung versehenen Beschlüsse X B 68/05 und X B 69/05 (vgl. § 116 Abs. 5 Satz 2 letzter Halbsatz der Finanzgerichtsordnung —FGO—) vom die Revision jeweils zugelassen. Sie wurden den Beteiligten am zugestellt. Am und damit innerhalb der vom Vorsitzenden des angerufenen Senats verlängerten Frist zur Begründung der Revision (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO) wurden die Revisionen begründet.
Bereits mit Schreiben vom stellte der Antragsteller beim FA den Antrag, die Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1994 auszusetzen. Zur Begründung trug er vor, die Voraussetzungen hierfür seien offensichtlich gegeben. Denn der Bundesfinanzhof (BFH) habe die Revision gegen das hinsichtlich dieser Streitgegenstände ergangene Urteil zugelassen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Es führte in seiner Verfügung vom aus, eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) komme nur in Betracht, wenn nicht nur ein geringer Grad der Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei und somit nicht nur geringfügige Aussichten bestünden, dass der Rechtsbehelf Erfolg haben werde. Allein wegen der Zulassung der Revision könne AdV nicht gewährt werden. Auch liege die Revisionsbegründung noch nicht vor.
Mit seinem danach am beim BFH gestellten AdV-Antrag beantragte der Antragsteller, die Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1994 und die (ablehnenden) Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf die Stichtage bis auszusetzen. Zur Begründung verwies der Antragsteller auf seine diese Streitgegenstände betreffende Revisionsbegründung im Verfahren X R 46/06.
Durch die Verfügung vom setzte das FA die Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide in vollem Umfang aus. Hinsichtlich des Antrags auf AdV der angefochtenen Verlustfeststellungsbescheide vertrat das FA den Standpunkt, dieser sei gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO unzulässig, denn insoweit habe der Antragsteller beim FA keinen Antrag gestellt. Es erklärte jedoch seine Bereitschaft, auch hinsichtlich dieser Bescheide AdV zu bewilligen, sofern der Antragsteller die auszusetzenden Beträge beziffere. Hierauf teilte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom mit, sofern sich das FA seiner Ankündigung entsprechend verhalte, würden sich die Anträge des Antragstellers durch nachträgliche Erfüllung erledigt haben. In einem nachfolgenden Absatz dieses Schreibens führte der Prozessbevollmächtigte aus, eines gesonderten Antrags auf AdV der Verlustfeststellungsbescheide bedürfe es nicht, weil es sich insoweit um Folgebescheide handle. Die Vollziehung eines Folgebescheids sei von Amts wegen auszusetzen, wenn AdV hinsichtlich des Grundlagenbescheids bewilligt werde. Die Anträge, die Vollziehung der Verlustfeststellungsbescheide auszusetzen, seien entbehrlich gewesen. Wörtlich wird im Anschluss hieran ausgeführt: „Die Anträge werden zurückgenommen”.
Im nachfolgenden Schriftverkehr mit dem FA bezifferte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die zu den Stichtagen bis anzusetzenden vortragsfähigen Gewerbeverluste. Das FA setzte mit Verfügung vom die Vollziehung der Verlustfeststellungsbescheide hinsichtlich der dort im Einzelnen genannten Beträge aus.
Hierauf erklärten der Antragsteller und das FA hinsichtlich des Antrags auf AdV der streitigen Gewerbesteuermessbescheide den Rechtsstreit jeweils in der Hauptsache für erledigt.
Bezüglich der AdV der Verlustfeststellungsbescheide ist der Antragsteller der Auffassung, insoweit habe sich ebenfalls der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, weil das FA AdV hinsichtlich dieser Bescheide gewährt habe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass zuvor der insoweit beim BFH gestellte AdV-Antrag zurückgenommen worden sei. Denn die Rücknahme sei lediglich im Vorgriff auf die in Aussicht gestellte Abhilfe erfolgt. Es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Anträge hätten vermieden werden können, wenn das FA von vornherein seiner Pflicht entsprochen hätte, die Vollziehung der Verlustfeststellungsbescheide auszusetzen. Auch soweit sich der Rechtsstreit wegen der AdV der Gewerbesteuermessbescheide erledigt hätte, seien die Kosten vom FA zu tragen. Dem FA seien aufgrund der Zulassung der Revision sowie im Hinblick auf das Vorverfahren die Gründe dafür bekannt gewesen, weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide bestehen. Eines neuen Antrags nach Einreichung der Revisionsbegründung habe es nicht bedurft.
Das FA vertritt die Auffassung, dem Antragsteller seien die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Soweit das Verfahren die AdV der Verlustfeststellungsbescheide betreffe, folge dies bereits daraus, dass der Antragsteller seinen Antrag insoweit zurückgenommen habe (§ 136 Abs. 2 FGO). Aus welchen Gründen die Rücknahme erfolge, sei unbeachtlich. Auch im Übrigen seien die Kosten vom Antragsteller gemäß § 137 Satz 1 FGO zu tragen. Der Umstand, dass die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide bereits im Einspruchs- und im Klageverfahren vorgetragen worden und auch im Verfahren wegen der Zulassung der Revision nicht untergegangen seien, ändere nichts an der Tatsache, dass der Antragsteller beim FA einen erneuten AdV-Antrag hätte stellen und somit einen Antrag beim BFH vermeiden können. Es sei für den Antragsteller ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass die Ablehnung der AdV allein wegen der fehlenden Revisionsbegründung erfolgt sei.
II. Das Verfahren ist einzustellen, soweit der Antragsteller seinen Antrag auf AdV der angefochtenen Bescheide betreffend über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts zurückgenommen hat. Insoweit sind von ihm die Kosten zu tragen. Im Übrigen ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Insoweit sind die Kosten vom FA zu tragen. Entsprechend den jeweiligen Streitwerten hat der angerufene Senat im Rahmen der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung die Kosten nach Quoten verteilt.
1. Nimmt ein Antragsteller seinen beim Gericht der Hauptsache gestellten AdV-Antrag wirksam zurück, dann ist insoweit das Verfahren in analoger Anwendung von § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO einzustellen (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 170, m.w.N. aus der Rechtsprechung). In diesem Fall sind vom Antragsteller insoweit die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 136 Abs. 2 FGO).
a) Eine wirksame Antragsrücknahme liegt nur dann vor, wenn sie nicht unter einer außerprozessualen Bedingung abgegeben wird (, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352).
Unstreitig hat der Antragsteller seine gegenüber dem BFH abgegebene Erklärung, der Antrag auf AdV der angefochtenen Verlustfeststellungsbescheide werde zurückgenommen, nicht von einer solchen Bedingung abhängig gemacht. Ungeachtet des Umstands, ob der Antragsteller diese Erklärung im Hinblick auf die Ankündigung des FA abgegeben hat, es werde dem AdV-Antrag entsprechen, hat dieser die Wirksamkeit seiner Rücknahmeerklärung nicht vom Eintritt dieses Ereignisses abhängig gemacht. Dies bestreitet auch der Antragsteller nicht. Vielmehr macht er lediglich geltend, vom FA seien gleichwohl die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil die Kosten vom FA verschuldet worden seien.
b) Wird ein Antrag zurückgenommen, dann bestimmt § 136 Abs. 2 FGO mit zwingender Wirkung, dass derjenige die Kosten zu tragen hat, der den Antrag zurücknimmt. § 137 Satz 2 FGO, wonach Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können, ist in diesem Fall nicht anwendbar (Senatsbeschluss vom X R 117/97, BFH/NV 1998, 622; , juris). Es ist aus diesem Grund ohne Belang, ob das FA, sofern es zur AdV der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide verpflichtet war, zugleich auch von Amts wegen hätte die Vollziehung der angefochtenen Verlustfeststellungsbescheide gemäß § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO aussetzen müssen.
2. Der Rechtsstreit wegen AdV der streitigen Gewerbesteuermessbescheide ist in der Hauptsache erledigt. Insoweit sind die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 1 FGO vom FA zu tragen.
a) Ein Rechtsstreit ist grundsätzlich bereits dann in der Hauptsache erledigt, wenn die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen abgeben (Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz 18a). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
b) Bei der nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffenden Kostenentscheidung (Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz 7) entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des erledigten Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands dem FA aufzuerlegen.
aa) Der angerufene Senat folgt der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide bestehen und daher das FA verpflichtet war, die Vollziehung dieser Bescheide auszusetzen. Von weitergehenden Ausführungen hierzu sieht der Senat daher ab. In einem solchen Fall sind die Kosten des Verfahrens grundsätzlich dem FA aufzuerlegen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz 31).
bb) Entgegen der Auffassung des FA sind dem Antragsteller die Verfahrenskosten nicht gemäß § 137 Satz 1 FGO aufzuerlegen.
Nach dieser Bestimmung, die auch im Rahmen einer nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffenden Kostenentscheidung herangezogen werden kann (, BFHE 173, 494, BStBl II 1994, 520), können einem Beteiligten die Kosten ganz oder zum Teil auch dann auferlegt werden, wenn er obsiegt hat, die Entscheidung aber auf Tatsachen beruht, die er früher hätte geltend machen können und sollen. Zu den Tatsachen in diesem Sinne rechnen auch Anträge und Erklärungen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind (Gräber/Ruban, a.a.O., § 137 Rz 4).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Denn das FA war aufgrund des Umstands, dass der Antragsteller in seinem beim FA gestellten AdV-Antrag sein Revisionsbegehren nicht erläutert hat und zudem seine Revisionsbegründung noch nicht vorlag, nicht gehindert, dem Begehren des Antragstellers auf Gewährung von AdV zu entsprechen. Dem FA war insbesondere aus dessen Vortrag im Klageverfahren sowie dem Vorbringen in den Beschwerdeverfahren wegen der Nichtzulassung der Revision hinlänglich bekannt, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die angefochtenen Bescheide aus der Sicht des Antragstellers ernstlich zweifelhaft sind. Dass diese Zweifel berechtigt sind, musste sich dem FA auch deshalb aufdrängen, weil der angerufene Senat die Revisionen jeweils zugelassen hat. Eine solche Revisionszulassung kommt nämlich nur in Betracht, wenn der Revisionszulassungsgrund (§ 115 Abs. 2 FGO) für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtserheblich ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30, 41, 59, 96). Zwar ist es denkbar, dass im Einzelfall ein Revisionsführer sein Begehren in sachlicher Hinsicht einschränkt oder es in materiell-rechtlicher Hinsicht auf andere rechtliche Gesichtspunkte stützt. Sofern das FA in dieser Hinsicht Bedenken hinsichtlich des Revisionsbegehrens hatte, wäre es ihm unbenommen geblieben, solchen Zweifeln durch eine Rückfrage beim Antragsteller nachzugehen, anstatt sofort ablehnend über den AdV-Antrag zu entscheiden. Ferner hätte das FA etwaigen Zweifeln hinsichtlich des Zeitpunkts des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 2 FGO) durch eine Rückfrage bei der Geschäftsstelle des angerufenen Senats beseitigen können.
cc) Die Kosten können dem Antragsteller auch nicht unter Heranziehung von § 137 Satz 2 FGO oder in sinngemäßer Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 93, 94 der Zivilprozessordnung und § 156 der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. hierzu Gräber/ Ruban, a.a.O., § 138 Rz 31) mit der Begründung auferlegt werden, die Verfahrenskosten wären vermieden worden, wenn dieser trotz erfolgter Ablehnung seines AdV-Antrags nach Vorliegen seiner Revisionsbegründung beim FA erneut einen AdV-Antrag gestellt hätte.
Dies kann vom Antragsteller nicht verlangt werden. Denn nach ständiger BFH-Rechtsprechung sind die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, wonach ein beim Gericht der Hauptsache gestellter AdV-Antrag grundsätzlich nur zulässig ist, wenn die Finanzbehörde zuvor einen solchen Antrag abgelehnt hat, bereits im Falle einer erstmaligen Ablehnung erfüllt (, BFH/NV 2005, 2014). Diese Bestimmung trägt in ausreichendem Umfang dem Gesichtspunkt Rechnung, das Gericht von unnötigen und mit Verfahrenskosten verbundenen AdV-Anträgen zu entlasten. Aus diesem Grund kann bei der Kostenentscheidung dem Gesichtspunkt einer „verfrühten” Anrufung des Gerichts allenfalls in Fällen Rechnung getragen werden, in denen die Finanzbehörde keine Gelegenheit hatte, sich zuvor mit dem Begehren des Antragstellers zu befassen, weil der Antragsteller sich wegen des Vorliegens eines der Ausnahmetatbestände des § 69 Abs. 4 Satz 2 FGO unmittelbar an das Gericht der Hauptsache gewandt hat (vgl. auch , BFHE 131, 282, BStBl II 1981, 35).
3. Bei Anwendung der vorstehend dargestellten Grundsätze sind im Rahmen der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung die Kosten des Verfahrens gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO unter Berücksichtigung der jeweiligen Streitwerte verhältnismäßig zu verteilen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 585 Nr. 4
KÖSDI 2008 S. 15930 Nr. 3
IAAAC-69448