Leitsatz
[1] Der Anwalt, der sich selbst vertritt, kann keine (verminderte) Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren erstattet verlangen, wenn die Berufung des Prozessgegners nur fristwahrend eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist zurückgenommen worden ist.
Gesetze: ZPO § 91 Abs. 2 Satz 3; RVG-VV Nr. 3201
Instanzenzug: LG Dresden 14 O 3165/05 vom OLG Dresden 3 W 1411/06 vom
Gründe
I.
Die Klägerin nahm den beklagten Rechtsanwalt, der sich in erster Instanz anwaltlich vertreten ließ, auf Zahlung von 15.435,96 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Klägerin legte Berufung ein und vereinbarte mit den erstinstanzlichen Anwälten des Beklagten, dass diese sich nicht beim Berufungsgericht bestellen würden, bis geklärt sei, ob die Berufung durchgeführt werde. Sie nahm die Berufung innerhalb der Begründungsfrist zurück. Ihr wurden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Der beklagte Rechtsanwalt hat die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach RVG-VV 3200, 3201 nebst Auslagenpauschale mit der Begründung beantragt, die Kosten seien mit der Entgegennahme der gegnerischen Berufungsschrift entstanden. Auf Fragen des Gerichts hat er weiter erklärt, er habe sich in zweiter Instanz selbst vertreten und anwaltliche Tätigkeiten entfaltet, indem er seinen Haftpflichtversicherer unterrichtet habe. An Absprachen der Klägerin mit seinen nur für die erste Instanz mandatierten Anwälten sei er nicht gebunden. Das Landgericht - Rechtspflegerin - hat von der Klägerin zu erstattende Kosten von insgesamt 642,60 € festgesetzt. Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beschluss aufgehoben und den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Beklagte weiterhin die Festsetzung der verminderten Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren erreichen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist kraft ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Beklagte habe zwar versichert und dadurch glaubhaft gemacht, dass er sich im Berufungsverfahren selbst beauftragt habe. Der Auftrag allein löse die Verfahrensgebühr nach RVG-VV 3201 jedoch nicht aus. Anwaltliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Berufungsverfahren habe der Beklagte nicht ausgeübt. Die Unterrichtung des Haftpflichtversicherers stelle eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nicht eine Aufgabe des Prozessanwalts dar; denn sie diene nicht der Abwehr der gegnerischen Berufung. Soweit gleichwohl Kosten durch Information und Beratung des Beklagten durch sich selbst angefallen sein sollten, handele es sich nicht um vom Gegner zu erstattende Kosten notwendiger Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nach einer zunächst fristwahrend eingelegten Berufung dürfe sich der Gegner deshalb anwaltlich beraten lassen, weil er regelmäßig nicht wissen könne, wie er sich nunmehr zu verhalten habe. Der Beklagte habe jedoch gewusst, dass eine nur fristwahrend eingelegte, noch nicht begründete Berufung keine Gegenmaßnahme erfordere.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
a) Der Beklagte hat keine die Verfahrensgebühr nach RVG-VV 3200 auslösende anwaltliche Tätigkeit entfaltet. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts, an die der Senat gebunden ist, war er zwar entschlossen, sich im Berufungsverfahren selbst zu vertreten. Die Entgegennahme des Auftrags allein lässt die Verfahrensgebühr jedoch nicht entstehen (Madert/Müller-Rabe, NJW 2006, 1927, 1932). Informationen entgegengenommen (vgl. KG JurBüro 2005, 418), geprüft, ob ein Tätigwerden veranlasst sei (vgl. Madert/Müller-Rabe, aaO), oder einen Rat erteilt hat der Beklagte nicht. Er kannte den Fall und wusste, dass objektiv noch kein Anlass für eine Vertretungsanzeige oder einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung bestand.
b) Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO besagt nicht, dass tatsächlich nicht geleistete Tätigkeiten des sich selbst vertretenden Anwalts zu fingieren sind, um so die Tatbestandsvoraussetzungen einer Verfahrensgebühr zu schaffen. Nach § 91 Abs. 2 Satz 3 sind dem Rechtsanwalt in eigener Sache diejenigen Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte. Ob die Beauftragung eines Anwalts in der gegebenen Situation sinnvoll gewesen wäre, ob es sich etwa um eine sachlich und rechtlich einfach gelagerte Sache handelte, in der eine Partei, die nicht Rechtsanwalt ist, von der Beauftragung eines Anwalts abgesehen hätte, ist nicht zu prüfen. Daraus für den erstattungspflichtigen Gegner folgende Härten nimmt das Gesetz im Interesse einer Vereinfachung der Abrechnung in Kauf (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 91 Rn. 58), ebenso wie nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Anwaltskosten in allen Prozessen erstattungspflichtig sind. Auch ein bevollmächtigter Anwalt hätte jedoch nur diejenigen Gebühren und Auslagen abrechnen können, die tatsächlich angefallen sind. Nur solche Gebühren und Auslagen kann der Beklagte folglich erstattet verlangen. § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist nicht lex specialis zu § 91 Abs. 1 ZPO (, NJW 2007, 2257); dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Gebühren- oder Auslagentatbestandes erfüllt sind, wird vielmehr vorausgesetzt.
c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde wird die für das Entstehen der Beratungsgebühr notwendige anwaltliche Tätigkeit nicht dadurch ersetzt, dass der Beklagte die Entscheidung, zunächst nichts zu unternehmen, unter Verwertung seiner anwaltlichen Fachkenntnisse getroffen hat.
aa) Aus dem Recht der anwaltlichen Selbstvertretung folgt nicht zwingend ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch ( aaO). Beauftragt ein Anwalt zum Beispiel einen auswärtigen Anwalt mit seiner Vertretung vor einem auswärtigen Gericht, kann er gegebenenfalls Erstattung der Kosten dieses Anwalts verlangen, nicht jedoch zusätzlich eine Korrespondenzgebühr abrechnen (OLG Stuttgart RPfleger 1983, 501; OLG Düsseldorf JurBüro 1984, 766; OLG Koblenz MDR 1987, 852; OLG München JurBüro 1994, 546 f; OLG Rostock MDR 2001, 115; Hansens, JurBüro 1998, 37 unter I.1; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 17. Aufl. VV 3400 Rn. 14; Hartung/Römermann/Schons, RVG 2. Aufl. VV 3400 Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO Rn. 236; Saenger/Gierl, ZPO 2. Aufl. § 91 Rn. 61 a.E., MünchKomm-ZPO/Belz, 2. Aufl. § 91 Rn. 72), obwohl er bei der Unterrichtung des auswärtigen Anwalts seine Fachkenntnisse verwerten wird. Der Anwalt hat keinen Anspruch darauf, gebührenrechtlich so gestellt zu werden, als müsse er sich die im fraglichen Fall erforderlichen Kenntnisse zunächst selbst vermitteln.
bb) Solange noch unsicher ist, ob die Berufung durchgeführt werden wird, ist die Beauftragung eines Anwalts für die Berufungsinstanz zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung objektiv nicht erforderlich (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Bundesgerichtshof hält in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die Kosten eines gleichwohl beauftragten Anwalts nur deshalb für erstattungsfähig, weil der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten darf (, NJW 2003, 756, 757; Beschl. v. - VI ZB 21/06, VersR 2007, 1579). Der Anwalt, der sich selbst vertritt, empfindet die Situation nicht in gleicher Weise als risikobehaftet und bedarf keines Rates. Dafür, Information und Beratung zu fingieren, besteht keinerlei Anlass.
d) Dass der Beklagte seinen Haftpflichtversicherer von der Berufung der Klägerin unterrichtet hat, lässt die Verfahrensgebühr nach RVG-VV 3200 nicht entstehen. Der Beklagte ist damit Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag nachgekommen, hat aber keine Handlungen vorgenommen, welche den Prozess betreffen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1087 Nr. 15
WM 2008 S. 567 Nr. 12
ZIP 2008 S. 900 Nr. 19
PAAAC-68828
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja