BGH Beschluss v. - 1 StR 275/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 230 Abs. 1; StPO § 231; StPO § 231 Abs. 2; StPO § 231a; StPO § 338 Nr. 5; StGB § 203

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geldfälschung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte sich der Angeklagte - meist in Zusammenarbeit mit dem Mitangeklagten M. - in den Jahren 1995 und 1996 insgesamt 132 total gefälschte "Certificati di Deposito der Banco di Roma" (Inhaberschuldverschreibungen) mit einem Nennwert von jeweils 1 Milliarde italienischer Lire verschafft und - überwiegend mit dem vergeblichen Versuch, sie zu beleihen - in den Verkehr gebracht (§ 146 Abs. 1 Nr. 3, § 151 Nr. 1 StGB).

Der Beschwerdeführer erhebt verschiedene Verfahrensrügen und die Sachrüge. Diesen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom dargelegten Gründen der Erfolg versagt (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der näheren Erörterung bedarf nur die Beanstandung, die Hauptverhandlung sei zu Unrecht in Abwesenheit des Angeklagten fortgeführt und zu Ende gebracht worden (Verstoß gegen § 338 Nr. 5 i.V.m. § 230 Abs. 1, § 231 StPO).

a) Der Rüge liegt Folgendes zugrunde:

Die Hauptverhandlung hatte am begonnen und bis zum 33. Verhandlungstag am mit den Angeklagten stattgefunden. Der Angeklagte Dr. H. hatte Gelegenheit, sich zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache zu äußern. Am 34. Verhandlungstag, dem , erschien der Angeklagte Dr. H. nicht. Er war in der Schweiz verhaftet worden. Die Strafkammer setzte die Hauptverhandlung an diesem, sowie an den folgenden acht Verhandlungstagen bis zur Urteilsfindung am gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten Dr. H. - ab dem auch ohne den Mitangeklagten M. , der dies mit der Revision allerdings nicht beanstandet hat - fort.

Die Lebensgefährtin des Angeklagten, die bei der Fluggesellschaft S. arbeitet, hatte für sie beide sowie für ihre gemeinsame Tochter Freiflüge von Zürich nach Bangkok gebucht, mit Reiseantritt am und Rückflug nach einer Woche (19./). Für den 21./ war zusammen mit Freunden eine Fahrt zum Opernbesuch (Carmen) in Verona angesetzt.

Bei der Ausreisekontrolle auf dem Flughafen Zürich wurde der Angeklagte am um 20.45 Uhr festgenommen, da er in der Schweiz - wegen Geldfälschung - zur Fahndung ausgeschrieben war. Mit haftrichterlicher Verfügung vom - 17.00 Uhr - wurde er in Untersuchungshaft genommen.

Der Haftanordnung in der Schweiz liegt der Vorwurf zugrunde, Dr. H. habe zusammen mit seinem "Komplizen" W. , nach Kontoeröffnung am 27./ auf dessen Namen bei der Bank Ho. , am einen von weiteren "Komplizen" gefälschten Scheck über 6,8 Millionen US-$ eingereicht und zusammen mit W. die Auszahlung von 800.000,-- CHF, erreicht, um die die Bank geschädigt ist, darunter ein vom Angeklagten Dr. H. quittierter Barbezug in Höhe von 530.000,-- CHF. Bei der anschließenden Flucht des W. und beim Wegschaffen von Deliktsgut, einem Rolls Royce im Wert von 230.000,-- CHF, soll Dr. H. W. unterstützt haben. Er besorgte - so der Vorwurf - W. dazu diverse gefälschte italienische Reisepapiere lautend auf den Namen Ha. .

Der dringende Tatverdacht beruhte vor allem auf den Angaben des seit November 2005 in der Schweiz verhafteten Mittäters W. , der den Angeklagten in Vernehmungen vom 2. und "massiv belastete". Gestützt wurde der Haftbefehl insbesondere auf den Haftgrund der Fluchtgefahr, da "der Angeklagte über keinen festen Wohnsitz in der Schweiz verfügt, obwohl er angibt, dass sich sein Lebensmittelpunkt seit 25 Jahren bei seiner Freundin und den zwei gemeinsamen Kindern in Basel befindet, weshalb die ernsthafte Gefahr bestehe, er könnte sich - im Falle einer Freilassung - den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr zur Verfügung halten, zumal dem mehrfach vorbestraften Angeschuldigten eine empfindliche Strafe droht und fraglich ist, ob dafür der bedingte Strafvollzug gewährt würde".

Die Dauer der Untersuchungshaft wurde in der haftrichterlichen Verfügung "einstweilen" auf einen Monat begrenzt - "wobei der Staatsanwaltschaft offen steht, ein Gesuch um Verlängerung der Untersuchungshaft zu stellen" -, da " W. schon im November 2005 verhaftet wurde, der Angeschuldigte bereits im Herbst 2003 mehrere Wochen in Untersuchungshaft verbracht hat" und "die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl dem Angeschuldigten eine Vorladung für einen mit dem Verteidiger abgesprochenen Einvernahmetermin am zugestellt hat, woraus der Schluss gezogen werden muss, dass sie davon ausging, der Angeschuldigte werde sich zur Verfügung halten".

Über die Verhaftung des Angeklagten Dr. H. informierte der Verteidiger die Strafkammer erst am Nachmittag des . An einer früheren Unterrichtung, etwa während eines Telefongesprächs am mit dem Berichterstatter der Strafkammer in Stuttgart wegen einer in Rom für den anberaumten kommissarischen Zeugenvernehmung, sah sich der Verteidiger mangels Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht gehindert, da "ich um die Verletzung des § 203 StGB fürchtete und die Verhaftung in anderer Sache als etwaige Belastungstatsache nicht ausschließen konnte". Die Schweigepflichtentbindung erreichte den Verteidiger am um 16.25 Uhr.

Sofort von der Strafkammer eingeleitete Bemühungen, den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung mit ihm aus der Schweiz nach Stuttgart überstellt zu bekommen, scheiterten. Schon am erhielt der Berichterstatter per E-Mail von der Schweizer Staatsanwältin Sch. folgenden Bescheid:

"Ich habe mich mit Herrn R. [der sachbearbeitende Staatsanwalt] besprochen, es ist so, dass wir den Angeschuldigten H. nicht an Deutschland ausliefern können und ihn auch nicht für die Verhandlung "ausleihen" können. Herr H. war lange Zeit ausgeschrieben und konnte erst gerade jetzt verhaftet werden. Da H. deutscher Staatsangehöriger ist, besteht Fluchtgefahr. Diese wird dadurch vergrößert, dass H. mit einer empfindlichen, wahrscheinlich mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen hat. Ihre Verhandlung vom muss daher in Abwesenheit des Angeschuldigten erfolgen.

Es tut mir leid, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu können".

Am teilte Staatsanwalt R. von der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl dem Berichterstatter fernmündlich mit, dass die Untersuchungshaft bis mindestens fortdauern werde. Eine Anklageschrift habe bislang nicht gefertigt werden können, da die Dr. H. zur Last gelegten Taten insbesondere - "mafiös geprägte" - Bezüge nach Spanien und Italien aufwiesen und deshalb die Ermittlungen umfangreich und schwierig seien. Mit einem Beginn des Hauptverfahrens sei im Verlauf des Jahres 2006 deshalb nicht mehr zu rechnen. Am ergänzte Staatsanwalt R. dies dahingehend, dass die Haft nunmehr mindestens bis zum andauere. Mit einem Abschluss des Verfahrens in der Schweiz könne in absehbarer Zeit eher nicht gerechnet werden. Realistischerweise könne allenfalls davon ausgegangen werden, dass am Ende des Jahres 2006 eine Anklageschrift gegen Dr. H. vorliege.

Die Strafkammer des Landgerichts Stuttgart beschloss am , die Hauptverhandlung gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten fortzusetzen. Daran hielt sie in der Folgezeit fest, auch nach einer am zu Protokoll erhobenen und am ergänzten Gegenvorstellung des Verteidigers des Angeklagten mit Beschluss vom .

Das Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung gegen ihn sei - so die Strafkammer - eigenmächtig. Er habe, als er sich spätestens am in die Schweiz begab, gewusst, dass gegen ihn in der Schweiz wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Betrugs und anderer Delikte ermittelt werde. Bei deren Gewicht liege es auf der Hand, dass er als in der Schweiz wohnsitzlose Person verhaftet werden würde, wenn sein Aufenthalt in der Schweiz den dortigen Strafverfolgungsbehörden bekannt werden sollte. Der Angeklagte habe aber selbst dafür gesorgt, dass sein Aufenthalt in Zürich bekannt werde, als er versucht habe, vom Züricher Flughafen aus nach Bangkok auszureisen. Dadurch habe er sichergestellt, dass er vor der Ausreise einer Passkontrolle unterzogen werden würde, was dann zu seiner Festnahme geführt habe. Daraus ergebe sich, dass die Ursache des Fernbleibens des Angeklagten ausschließlich im alleinigen Verantwortungsbereich des Angeklagten liegt. Die Strafkammer brauche deshalb nicht zu entscheiden, ob der Angeklagte Dr. H. mit diesem Verhalten seine Festnahme mit dem Ziel provoziert hat, im vorliegenden Verfahren die Aussetzung der seit 18 Monaten andauernden Hauptverhandlung zu erzwingen.

b) Die Bewertung der Strafkammer, der Angeklagte sei bei der Fortsetzung der Hauptverhandlung - eigenmächtig - ausgeblieben (§ 231 Abs. 2 StPO) ist nach freibeweislicher (BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 24; BGH NStZ 1999, 418) Überprüfung nicht erschüttert worden und deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt (§ 230 Abs. 1 StPO); der erschienene Angeklagte darf sich aus der Hauptverhandlung nicht entfernen (§ 231 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dies dient der Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in jeder Phase der Hauptverhandlung. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, ist der Angeklagte im Gegenzug zur Teilnahme an der Hauptverhandlung grundsätzlich verpflichtet und kann dazu auch gezwungen werden (§ 230 Abs. 2, § 231 Abs. 1 Satz 2, § 112 StPO; ein in Untersuchungshaft befindlicher Angeklagter muss vorgeführt werden, auch wenn er lieber "in Ruhe Mittagessen möchte", BGH NStZ 1993, 446). Ein Angeklagter, der sich der Hauptverhandlung entzieht, hat zwar im Grunde seinen Anspruch auf Gehör verwirkt (zur Verwirkung vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG 50. Lfg. Art. 103 Abs. 1 Rdn. 18, 83). Wegen der besonderen Bedeutung des Rechts auf Gehör als Voraussetzung für ein faires rechtsstaatliches Verfahren trägt die Strafprozessordnung diesem Gedanken der Verwirkung allerdings nur unter den Voraussetzungen des § 231 Abs. 2 StPO sowie des - hier nicht in Frage stehenden - § 231a StPO (und bei Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung wegen Ungebühr - § 177 GVG -) Rechnung.

Gemäß § 231 Abs. 2 StPO kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er sich aus dieser entfernt oder zu einem Fortsetzungstermin nicht erscheint, sofern er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Über den bloßen Wortlaut hinaus muss der Angeklagte dabei seine Pflicht zum Verbleiben oder Wiedererscheinen eigenmächtig verletzt haben, denn bei genügender Entschuldigung kann sein Erscheinen auch sonst nicht erzwungen werden (vgl. § 230 Abs. 2 StPO). Eigenmächtig handelt der Angeklagte, der ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (BGHSt 37, 249, 255; BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 24). Nicht erforderlich ist die Feststellung - wie noch von der früheren Rechtsprechung gefordert (vgl. BGH NStZ 1988, 421, 422) -, dass der Angeklagte versucht habe, im Sinne einer Boykottabsicht den "Gang der Rechtspflege" zu stören oder ihm "entgegenzutreten" (vgl. BGHSt 37, 249, 254 f. m.w.N.). Eigenmächtig einem Fortsetzungstermin fern bleibt danach auch der Angeklagte, der sich schon vor dem angesetzten Termin wissentlich und ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund, d.h. ohne Not, in eine Lage begibt, die für ihn vorhersehbar mit dem erheblichen Risiko verbunden ist, zum angesetzten Termin an der Teilnahme der Hauptverhandlung gehindert zu sein. Dem eigenmächtigen Ausbleiben im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO steht es deshalb gleich, dass sich der Angeklagte nach der Vernehmung zur Sache - vorher gilt § 231a StPO - in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt (BGH NStZ 2002, 533, 535 m.w.N.). Dem ist die Situation vergleichbar, wenn ein Angeklagter während einer laufenden Hauptverhandlung in Deutschland im Ausland vorsätzlich eine Straftat von Gewicht begeht, bei deren Entdeckung er mit seiner Verhaftung rechnen muss. Anders als bei einer Inhaftierung in anderer Sache in Deutschland (vgl. hierzu BGH NStZ 1997, 295) steht dann ein Zugriff auf den Angeklagten nicht in der Macht der deutschen Strafverfolgungsorgane. Gelingt die Überstellung des Angeklagten aus dem Ausland zur rechtzeitigen Fortsetzung der Hauptverhandlung in Deutschland nicht, so dass das Verfahren gegen ihn ausgesetzt werden muss, dann hat der Angeklagte durch die Begehung der Straftat hierzu direkt vorsätzlich die Ursache gesetzt. Darauf, dass sich das mit der vorsätzlichen Straftat bewusst eingegangene Risiko der Festnahme und in der Folge der Unmöglichkeit der Teilnahme des Angeklagten an der Fortsetzung der Hauptverhandlung in Deutschland dann auch tatsächlich realisiert, muss sich der direkte Vorsatz nicht beziehen. Auch der Angeklagte, der darauf vertraut, seine (Auslands-)Tat werde nicht entdeckt oder er könne rechtzeitig fliehen, setzt das Verhaftungsrisiko wissentlich im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO. Der Absicht der Verfahrenssabotage bedarf es - wie oben ausgeführt - nicht. Nichts anderes kann gelten, wenn ein in Deutschland vor Gericht stehender Angeklagter, der schon früher eine Straftat entsprechenden Gewichts im Ausland begangen hat, wegen der er - wie er weiß - auch mit seiner Verhaftung im Land des Tatorts rechnen muss, sich während des Laufs der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung ohne Not in jenes Land und dort in eine Situation mit hohem Verhaftungsrisiko begibt.

So liegt der Fall hier.

Am war der Angeklagte wieder auf freien Fuß gekommen. Die Vollstreckung der Reststrafe der aus den Verurteilungen des Landgerichts Tübingen vom wegen Wertpapierfälschung (zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe) und des Landgerichts Mannheim wegen Geldfälschung (drei Jahre und vier Monate Freiheitsstrafe) gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten war für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden. Der - auch nach Schweizer Recht vorbestrafte - Angeklagte hat dann im April 2002 zusammen mit seinem "Komplizen" W. - so der Vorwurf - in der Schweiz eine schwerwiegende Betrugsstraftat mit Urkundenfälschung begangen. Er war deswegen im Jahre 2003 in der Schweiz auch schon verhaftet und etwa sechs Wochen lang in Untersuchungshaft genommen worden. Zumindest in diesem Zusammenhang war er in der Schweiz erkennungsdienstlich behandelt, waren also Fingerabdrücke von ihm genommen worden. Sein mutmaßlicher Mittäter W. war im November 2005 in der Schweiz festgenommen worden. Anfang Februar 2006 hatte dieser den Angeklagten Dr. H. den Schweizer Ermittlungsbehörden gegenüber schwer belastet, wie dem Angeklagten Mitte des Jahres 2006 bekannt war. Zum einen hatte der Angeklagte engen Kontakt zu seinem Schweizer Verteidiger im dortigen Verfahren. Zum anderen wurde dem in der Schweiz angeschuldigten Angeklagten in der Hafteinvernahme vom dies auch unwidersprochen vorgehalten:

"Nach Kenntnisnahme von W. s Verhaftung ließen Sie durch Ihren Anwalt ausrichten, dass vor Ende August bzw. September kein Einvernahmetermin möglich wäre. Weshalb das?"

Darauf erklärte der Angeklagte:

"Ich sprach dem Herrn Sc. , dass ich ab dem zur Verfügung stehen würde."

Damit wird ersichtlich auf die Gespräche des Schweizer Verteidigers des Angeklagten mit dem ermittelnden Staatsanwalt in Zürich in der zweiten Junihälfte 2006 angespielt.

Vor diesem Hintergrund musste der Angeklagte jedenfalls seit Juni 2006 damit rechnen und hat auch damit gerechnet, dass ihm nunmehr bei einer Einreise in die Schweiz im Falle seiner Identifizierung die erneute Verhaftung droht. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte, wie er vorträgt, früher zuweilen unbehelligt in der Schweiz aufhielt, auch um der Vernehmung eines Zeugen beizuwohnen, dass er immer wieder bei seiner Lebensgefährtin an deren Wohnsitz in Basel weilte, dass er Flugreisen von Zürich aus antrat, im März 2005 und schließlich noch nach Johannisburg zum Besuch von Namibia Ende April/Anfang Mai 2006.

Einen Wohnsitz hatte der Angeklagte in der Schweiz nicht. Bei seiner Festnahme nannte er laut Verhaftungsrapport der Kantonspolizei Zürich vom als Heimatadresse vielmehr Haus Wo. in D- , ca. 40 km von Basel entfernt (laut Homepage der Gemeinde B. ). Bei seiner Hafteinvernahme am erklärte er ausdrücklich, dass er in der Schweiz keinen festen Wohnsitz hat. Dass der Angeklagte seinen dauernden Aufenthalt eben nicht - wie noch im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom behauptet - bei seiner Lebensgefährtin C. und den zwei gemeinsamen Kindern in der Bi. straße in Ba. wählte, sondern diesen zwar nahe, aber in Deutschland nahm, spricht nicht für sein Vertauen auf dauerhafte Freiheit in der Schweiz. Der Angeklagte wurde auch nicht unter der Anschrift seiner Lebensgefährtin unmittelbar zu dem über den Schweizer Verteidiger in der zweiten Junihälfte vereinbarten Anhörungsterminen am 18. August und zur Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl geladen, sondern - mangels einer ladungsfähigen Anschrift des Angeklagten in der Schweiz - nur über diese.

Die Gespräche des Schweizer Verteidigers am 22. und zur Vereinbarung der - hinausgeschobenen - Einvernahmetermine bewerteten die Ermittlungsbeamten in der Schweiz, wie sich aus dem Vorhalt an den Angeklagten in der Hafteinvernahme am ergibt, als Hinhaltetaktik, nachdem die Verhaftung des mutmaßlichen Mittäters W. bekannt geworden war. Die Fragen des Verteidigers an den ermittelnden Staatsanwalt nach einer beabsichtigten Verhaftung - auf die ein erfahrener Verteidiger niemals eine offene Antwort erwarten durfte - konnten in diesem Zusammenhang nur kontraproduktiv wirken. Sie deuteten darauf hin, dass eine wirkliche Bereitschaft, sich dem Verfahren in der Schweiz freiwillig zu stellen, nicht besteht.

Vor diesem Hintergrund lag es für den - strafprozessual erfahrenen - Angeklagten sehr nahe, dass die Schweizer Ermittlungsbehörden, nach der Verhaftung des W. , nun - ab der zweiten Junihälfte 2006 - ernsthaft versuchen würden, auch seiner - des Dr. H. - in der Schweiz habhaft zu werden. Denn eine Auslieferung aus Deutschland kam nicht in Betracht (Art. 16 Abs. 2 GG).

Beim Antritt der Flugreise nach Bangkok am war dann in Anbetracht der damit verbundenen Sicherheitsüberprüfungen die Identifizierung des Angeklagten auf dem Flughafen Zürich sicher und - womit er rechnen musste und auch rechnete - dann auch seine Festnahme nahe liegend. Der Angeklagte wurde - von ihm deshalb auch nicht unerwartet - am um 20.45 Uhr bei der Ausreisekontrolle aufgrund seiner Ausschreibung in Ripol (Recherches informatisées de la police) nach Fingerabdruckvergleich in Swiss-Afis (Automated fingerprint identification System des Schweizerischen Bundesamts für Polizei) als zur Festnahme ausgeschriebene Person erkannt, anhand seines Passes identifiziert, anschließend festgenommen und am in Schweizer Untersuchungshaft genommen, in der er jedenfalls bis zur Urteilsverkündung in dieser Sache am ununterbrochen verblieb.

Damit hat sich der Angeklagte eigenmächtig der Teilnahme an der Fortsetzung der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung in Stuttgart entzogen. Die Hauptverhandlung konnte in seiner Abwesenheit fort- und zu Ende geführt werden. Der Angeklagte hatte Gelegenheit gehabt, sich zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache zu äußern. Dass die Anwesenheit des Angeklagten im weiteren Verfahren nicht erforderlich war, hat die Strafkammer ermessensfehlerfrei bejaht.

Die Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 5 i.V.m. § 230 Abs. 1, § 231 StPO ist deshalb jedenfalls unbegründet.

Darauf, ob es der Angeklagte auf die Behinderung des Verfahrens, auf dessen Boykott abgesehen hatte, kommt es - wie oben dargelegt - nicht an. Allerdings spricht einiges dafür, dass es der Angeklagte unter geschickter Inszenierung der entsprechenden Rahmenbedingungen im Juni 2006 zur Verschleierung seiner wahren Absicht darauf angelegt hatte, mit einer provozierten Inhaftierung in der Schweiz eine Aussetzung der Hauptverhandlung gegen ihn in Stuttgart zu erreichen. Am waren die Flugscheine nach Bangkok ausgestellt worden, am 22. und fanden die Gespräche des Schweizer Verteidigers mit dem Staatsanwalt in Zürich statt, die diesen hellhörig machen mussten und ihn - unter diesen Voraussetzungen - dann auch hellhörig machen sollten. Vom datiert die Rechnung für die Musikreise nach Verona. Damals neigte sich das Stuttgarter Verfahren nach nahezu eineinhalb Jahren Verhandlungsdauer ihrem Ende entgegen. Der Angeklagte musste angesichts des Gewichts der Tatvorwürfe immer noch mit der Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe rechnen, trotz der über zehn Jahre zurückliegenden Tatzeit und der konventionswidrigen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Verfahrensverzögerung, die die Strafkammer bei der Strafzumessung dann auch angemessen berücksichtigte. Bereits die Anklageerhebung erfolgte - auch unter Berücksichtigung der Komplexität des Sachverhalts und des Umfangs der internationalen Verflechtungen - schon spät am (mit Anklageschrift vom ). Die Hauptverhandlung konnte dann aber nach mehr als vier weiteren Jahren sogar erst am begonnen werden. Der Angeklagte hatte das nicht zu vertreten. Die Ursache lag vielmehr in der Überlastung der Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Stuttgart, die - wie dem Senat bekannt ist - überproportional unter Personalkürzungen zu leiden hatten. Verfahren, in denen keine Untersuchungshaft vollzogen wird und in denen keine verfahrensabkürzende Absprache zustande kommt, können nicht mehr in angemessener Zeit begonnen und abgeschlossen werden. Daher hätte der Angeklagte nach einer Aussetzung des gegen ihn gerichteten Verfahrens schon deshalb - ganz abgesehen von der Haft in der Schweiz - nicht mit einem baldigen Neubeginn der Hauptverhandlung in Stuttgart und nicht mehr mit einem wirklich belastenden Ausgang dieses Verfahrens rechnen müssen. Demgegenüber war der Gegenstand des Verfahrens in der Schweiz vergleichsweise neu. In diesem Verfahren musste er auf jeden Fall noch mit ernsthafter Verfolgung rechnen, sei es in der Schweiz oder in Deutschland (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Sich diesem - zunächst - auszuliefern, um dem älteren deutschen Verfahren - scheinbar unfreiwillig und praktisch endgültig - zu entgehen, lag deshalb nahe. Im Schweizer Verfahren hat der Angeklagte, wie der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom mitgeteilt hat, inzwischen seine Entlassung gegen Stellung einer Kaution erreicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
wistra 2008 S. 110 Nr. 3
TAAAC-68763

1Nachschlagewerk: nein