BGH Beschluss v. - VI ZB 81/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO §§ 114 ff.; ZPO § 118 Abs. 2; ZPO § 517

Instanzenzug: LG Leipzig 6 O 4121/05 vom OLG Dresden 13 U 64/06 vom OLG Dresden 13 W 1479/05 vom

Gründe

I.

Der Beklagte wendet sich gegen die Zurückweisung seines wegen Versäumung der Berufungsfrist gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die Verwerfung seiner Berufung gegen das sowie die Zurückweisung eines erneut gestellten Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Berufung und die Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerde gegen den mit dem ihm die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung im erstinstanzlichen Verfahren mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg versagt worden ist.

Der Kläger hat gegen das am zugestellte Urteil des Landgerichts am einen mit "Antrag auf Prozesskostenhilfe" überschriebenen Schriftsatz eingereicht. Darin hat er ausgeführt, er beabsichtige, gegen das Urteil des Landgerichts Berufung einzulegen, sehe sich jedoch nicht in der Lage, die Kosten für das Rechtsmittelverfahren aus eigenen Mitteln aufzubringen. Aus diesem Grund werde beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug zu bewilligen. Nach Erläuterungen zu der mit eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse schließt sich folgende Passage an:

"Nach der Entscheidung des Senats über die Prozesskostenhilfe beantragen wir bereits jetzt für den Fall, dass der Senat die Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug bewilligen wird, wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Ferner legen wir in diesem Fall bereits jetzt namens des Beklagten und Berufungsklägers gegen das am verkündete und am zugestellte Urteil des Landgerichts ..... Berufung ein und beantragen, ...."

Mit Verfügung vom hat der Berichterstatter den Beklagten auf näher bezeichnete Mängel der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hingewiesen und gebeten klarzustellen, ob das Rechtsmittel angekündigt oder bereits eingelegt worden und letzteres ggf. bedingt oder unbedingt erfolgt sei. Der Beklagte hat darauf mit Schriftsatz vom erklärt, der Antrag auf Wiedereinsetzung und die auf das Einlegen der Berufung gerichtete Prozesserklärung seien unter die Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt worden. Ferner hat er die Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ergänzt.

Mit am zugestelltem Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten, ihm für die Berufung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, mangels Erfolgsaussicht abgelehnt und darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung als unzulässig zu verwerfen sowie die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom hat der Beklagte Berufung eingelegt, diese begründet und beantragt, ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Mit einem weiteren Schriftsatz vom selben Tage hat er erneut beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu bewilligen.

Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel nicht innerhalb der Frist nach § 517 ZPO eingelegt worden sei. Durch den Schriftsatz vom sei die Berufungsfrist nicht gewahrt worden, weil eine bedingte Berufung unzulässig sei. Die nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgte Nachholung des Rechtsmittels habe das Rechtsmittel nicht zulässig machen können, weil dem Beklagten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei. Zwar könne eine Partei Wiedereinsetzung verlangen, wenn sie aufgrund Bedürftigkeit an der Durchführung des Rechtsmittels gehindert sei. Dies setze aber voraus, dass die Partei vernünftigerweise erwarten dürfe, das Rechtsmittelgericht werde sie angesichts ausreichender Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO ansehen. Eine entsprechende ausreichende Darlegung sei innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht erfolgt. Der Beklagte habe jedenfalls deshalb mit Rückfragen des Senats rechnen müssen, weil die Darstellung seiner laufenden Einkünfte und Ausgaben - auch für ihn erkennbar - unplausibel gewesen sei. Selbst bei mietfreiem Wohnen ließen sich bei den vom ihm angegebenen Einkünften die notwendigen Ausgaben für den täglichen Lebensbedarf nicht bestreiten. Die mit Schriftsatz vom ergänzte Angabe, die insoweit bestehende Unterdeckung werde durch Zuwendungen seiner Tochter ausgeglichen, sei erst nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt. Da die Berufung unzulässig sei, sei auch der erneute Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mangels Erfolgsaussicht unbegründet.

Auch die sofortige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren habe keinen Erfolg. Nach ganz überwiegender Ansicht könne das Beschwerdegericht der bedürftigen Partei nämlich keine Prozesskostenhilfe für die Vorinstanz gewähren, wenn und soweit sie eine dort zu ihrem Nachteil ergangene Entscheidung in der Hauptsache (endgültig) rechtskräftig habe werden lassen. Da es dazu aber auch Gegenstimmen gebe, hat das Berufungsgericht insoweit die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch insoweit zulässig, als das Berufungsgericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

2. Das Berufungsgericht durfte die Berufung des Beklagten nicht als unzulässig verwerfen.

a) Zutreffend ist allerdings die - von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffene - Auffassung des Berufungsgerichts, die am endende Berufungsfrist sei nicht durch den Schriftsatz vom gewahrt worden. Eine an die Gewährung von Prozesskostenhilfe geknüpfte Berufungseinlegung ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 31/05 - BGH-Report 2005, 1468, 1469; vom - V ZB 6/92 - VersR 1993, 713). Sind die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift erfüllt, kommt zwar eine Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 51/01 - VersR 2002, 1256, 1257; - aaO). Dies ist hier aber der Fall, wie sich sowohl aus dem Schriftsatz vom als auch der Erklärung vom ergibt.

b) Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung rechtfertigt es aber nicht, den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist zurückzuweisen.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dient dieses Rechtsinstitut (§§ 233 ff. ZPO) in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Demgemäß dürfen bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, auch beim Zugang zu einer weiteren Instanz nicht überspannt werden (vgl. BGHZ 151, 221, 227 f. m.w.N.; - FamRZ 2007, 1726, 1727). Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag solange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer die Frist wahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 10/99 - VersR 2000, 383; vom - VI ZB 49/91 - VersR 1992, 897 f.; BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 21/05 - FamRZ 2005, 2062; vom - VIII ZB 80/03 - FamRZ 2004, 699; vom - III ZA 6/00 - AGS 2002, 210). Für die Entscheidung, ob der Partei nach den oben dargestellten Grundsätzen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war, kommt es ausschließlich darauf an, ob sie sich für bedürftig halten durfte. Dies könnte nur dann verneint werden, wenn für sie bzw. ihren Prozessbevollmächtigten erkennbar war, dass weitere Angaben oder Unterlagen erforderlich waren (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 10/99 - aaO, 384). Für die Frage der Wiedereinsetzung ist es nämlich nicht von Bedeutung, ob entsprechende gerichtliche Auflagen nach § 118 Abs. 2 ZPO noch innerhalb der Rechtsmittelfrist erfüllt werden und ob dies zeitlich überhaupt möglich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beklagte mit seinem vor Ablauf der Berufungsfrist gestellten Antrag die notwendigen Erklärungen abgegeben und etwaige Unterlagen so beigebracht hat, wie dies bei Stellung des Prozesskostenhilfegesuches von ihm billigerweise verlangt werden konnte (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 49/91 - aaO; vom - VI ZB 21/57 - VersR 1958, 63).

Nach diesen Grundsätzen durfte der Antrag des Beklagten nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung zurückgewiesen werden, weil sie die Anforderungen an eine bedürftige Partei, die Zugang zum Rechtsmittelgericht begehrt, überspannt. Der Beklagte musste vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen der noch fehlenden Angabe rechnen, dass seine Tochter ihn je nach Bedarf unterstütze, wenn seine monatlichen Ausgaben seine monatlichen Einnahmen überstiegen. Zum einen ergibt sich dies aus dem Vordruck selbst, nach dem weitere Angaben nur verlangt werden, "falls zu den Einnahmen alle Fragen verneint werden". Dies traf beim Beklagten nicht zu. Zum anderen war es weder für den Beklagten noch für seinen Prozessbevollmächtigten ohne weiteres erkennbar, dass die "je nach Bedarf" gegebene Unterstützung durch seine Tochter in dem Prozesskostenhilfevordruck ergänzend angegeben werden musste. Nach den veröffentlichten Entscheidungen und Kommentierungen im Schrifttum konnte der Beklagte durchaus davon ausgehen, dass freiwillige Zuwendungen nur dann seine Leistungsfähigkeit erhöhen und demgemäß seine Bedürftigkeit mindern, wenn sie regelmäßig und in nennenswertem Umfang gewährt werden und davon auszugehen ist, dass der Dritte die Zahlungen auch in Zukunft fortsetzen wird (vgl. OLG Koblenz FamRZ 1992, 1197; OLG Köln NJW-RR 1996, 1404; MünchKommZPO/Wax, 2. Aufl., § 115 Rn. 24; Musielak/Fischer, ZPO, 5. Aufl., § 115 Rn. 5; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. § 115 Rn. 17). Dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Bei dieser Sachlage würde man die Anforderungen an eine bedürftige Partei überspannen, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung nur deswegen zurückgewiesen würde, weil die bedürftige Partei das Prozesskostenhilfegesuch aufgrund eines Hinweises nach § 118 Abs. 2 ZPO erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ergänzt. Derart strenge Anforderungen an die Wiedereinsetzung würden häufig zu einem Rechtsmittelverlust führen, wenn etwa die Erfüllung der gerichtlichen Auflage innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht möglich ist, weil der Prozesskostenhilfeantrag erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht wird oder die gerichtliche Auflage erst kurz vor oder - wie hier - gar erst nach Ablauf dieser Frist ergeht (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 21/57 - aaO). Dies würde eine bedürftige Partei unzumutbar benachteiligen. Da mithin der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung zurückgewiesen werden durfte, halten auch die Verwerfung der Berufung als unzulässig und die deswegen erfolgte Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags für die Berufungsinstanz einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

3. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen durfte auch die sofortige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung zurückgewiesen werden, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Zulassungsfrage ankommt. Der Beklagte hat nämlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht rechtskräftig werden lassen, zumal gegen den Beschluss, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen und der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen wird, kraft Gesetzes die Rechtsbeschwerde statthaft ist und deswegen die Rechtskraft erst nach Zurückweisung der Rechtsbeschwerde eintreten kann.

4. Die Sache war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses im Hinblick auf die von ihm offen gelassenen Punkte und unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen erneut über den Antrag auf Wiedereinsetzung, die Zulässigkeit der Berufung, den Prozesskostenhilfeantrag für die Berufungsinstanz und die sofortige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren entscheiden kann.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DAAAC-66969

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein