BFH Beschluss v. - VII B 21/07

Keine Revisionszulassung wegen fehlerhafter Wiedergabe des Sachverhalts; Darlegung eines Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 FGO

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2; FGO § 76; FGO § 96; FGO § 116 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war alleinige Geschäftsführerin einer GmbH, über deren Vermögen am das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die Lohnsteuer für die Monate Oktober 2001 bis März 2002 wurde zwar angemeldet, jedoch nicht entrichtet. Aufgrund der Steuerrückstände nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Klägerin gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 34 Abs. 1 AO als Haftungsschuldnerin in Anspruch. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Beschränkung der Haftung auf den Monat Februar 2002.

Die daraufhin erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Klägerin die ihr obliegenden steuerlichen Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt habe. Denn trotz der angespannten finanziellen Lage, die ihr hätte bekannt sein müssen, habe sie die Löhne ungekürzt ausgezahlt. Vor der ungekürzten Auszahlung hätte sich die Klägerin darüber informieren müssen, ob sie den steuerlichen Pflichten hätte nachkommen können. Da dies nicht geschehen sei, habe das FA sie zu Recht nach § 69 AO in Anspruch genommen. Im Zeitpunkt der Fälligkeit der für den Monat Februar 2002 geschuldeten Lohnsteuer habe das FA keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH gehabt, so dass eine Anfechtung nach § 130 der Insolvenzordnung (InsO) nicht in Betracht zu ziehen sei. Allenfalls habe eine Zahlungsstockung vorgelegen. Da es im Streitfall um die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides gehe, könnten zwischenzeitlich erfolgte Pfändungen durch das FA keine Berücksichtigung finden. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, dass der GmbH durch die alleinige Gesellschafterin (AG) der GmbH das zur Begleichung der Steuerschulden erforderliche Kapital entzogen worden sei, könne dies nicht kausal für die Nichtabführung der Lohnsteuer gewesen sein. Denn die Umbuchung des Bestandes eines Wertpapierdepots sei erst ca. sieben Wochen nach dem Eintritt der Fälligkeit der für Februar 2002 geschuldeten Lohnsteuer erfolgt.

Mit ihrer auf sämtliche in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Zulassungsgründe gestützten Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Zur Begründung trägt sie vor, dass sie entgegen den Feststellungen des FG keine Möglichkeit zur Kürzung der ausbezahlten Löhne und zur Entrichtung der Lohnsteuer gehabt habe. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne habe sie davon ausgehen müssen, dass sie die Lohnsteuer aus den Beständen eines der AG verpfändeten Wertpapierdepots werde entrichten können. Den vereinbarten Geschäftskredit habe die AG jedoch nicht gewährt, sondern sie habe sich den Bestand des Wertpapierdepots ohne Wissen der Klägerin und des FA unrechtmäßig angeeignet. Die unvermutete Verschlechterung der Liquiditätslage könne nicht zu einer Haftung nach § 69 AO führen.

Sie, die Klägerin, habe auch keine Erkundigungspflichten verletzt. Denn es sei nicht vorstellbar, dass die AG auf eine entsprechende Anfrage Auskunft über eine bevorstehende Umbuchung gegeben hätte. Entgegen der Feststellung des FG sei der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht am , sondern bereits am gestellt worden. Daher sei die von der AG veranlasste Umbuchung im März 2002 erfolgt. Die Annahme des FG, dass die Umbuchung für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer nicht kausal gewesen sein könne, treffe deshalb nicht zu. Im Übrigen hätte der Insolvenzverwalter eine etwaige Entrichtung von Lohnsteuern nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechten können. Die Entrichtung von Lohnsteuern stelle kein Bargeschäft i.S. von § 142 InsO dar.

Darüber hinaus sei von einem überwiegenden Mitverschulden des FA auszugehen, weil es von bekannten Vollstreckungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht habe. Obwohl das FA bereits am auf bei insgesamt drei Firmen bestehende Außenstände hingewiesen worden sei, habe es erst im Juni 2003 Drittschuldnererklärungen bei diesen Firmen angemahnt. Infolgedessen sei die haftungsrechtliche Inanspruchnahme ermessensfehlerhaft. Schließlich sei im Streitfall die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Haftungsschuld bei Erlass des Haftungsbescheides durch Realisierung einer ausgebrachten Pfändung bereits beglichen gewesen sei. Schließlich habe das FG den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es dem Antrag auf eine entsprechende Überprüfung nicht gefolgt sei.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Die Klägerin habe weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache noch Verfahrensmängel in der erforderlichen Weise dargelegt. Bis fast zum Zeitpunkt des Insolvenzantrages am habe auf einem Depot ein Guthaben bestanden, mit dem die Lohnsteuer fristgerecht hätte abgeführt werden können. Unzutreffend sei die Behauptung der Klägerin, eine Umbuchung sei bereits im März 2002 erfolgt. Schließlich sei der Klägerin inzwischen ein Abrechnungsbescheid erteilt worden, der belege, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides dessen Regelungsgehalt noch Bestand gehabt habe.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO sind nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Wird die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt, ist in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärungsfähig ist (, BFH/NV 2004, 210, m.w.N.).

a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Im Stil einer Revisionsbegründung setzt die Klägerin ihre Sachverhaltsdarstellung und Rechtsauffassung den davon abweichenden Ausführungen des FG entgegen. Dabei stellt sie die Behauptung auf, dass ihr aufgrund eines unvorhergesehenen Kapitalentzugs im Zeitpunkt der Fälligkeit der für den Monat Februar 2002 geschuldeten Lohnsteuern keine finanziellen Mittel zur Abführung der Lohnsteuer zur Verfügung gestanden hätten. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist diesem Vorbringen, das sich in seinem Kern gegen den vom FG zugrunde gelegten Sachverhalt und die materiell-rechtliche Würdigung durch das FG richtet, ebenso wenig zu entnehmen, wie das Erfordernis einer Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

b) Auch die vermeintlich grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob es erheblich sei, dass die Primärschuld im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides durch Vollstreckungsmaßnahmen bereits getilgt gewesen sei, wird nicht in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Weise dargelegt. Die Klägerin verkennt, dass sich für das FG diese Frage offensichtlich gar nicht gestellt hat. Denn Tilgungen vor Erlass des Haftungsbescheides sind den Feststellungen des FG nicht zu entnehmen.

c) Die Behauptung der Klägerin, das FA treffe ein überwiegendes Mitverschulden, so dass die haftungsrechtliche Inanspruchnahme ermessensfehlerhaft sei, vermag ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision zu führen. Denn ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO wird mit diesem Vorbringen nicht geltend gemacht. Vielmehr wendet sich die Klägerin gegen die materiell-rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das FG, das einen solchen Ermessensfehler nicht erkannt hat. Auch die Ausführungen zur möglichen Anfechtbarkeit etwaiger Lohnsteuerzahlungen nach § 130 Abs. 1 InsO und zum Vorliegen eines Bargeschäftes nach § 142 InsO lassen einen Zulassungsgrund nicht erkennen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das FG im Streitfall bereits die Voraussetzungen für eine insolvenzrechtliche Anfechtung verneint hat, so dass es aus seiner Sicht nicht darauf ankam, ob und in welchem Umfang eine etwaige Anfechtbarkeit im Rahmen der Haftung nach § 69 AO berücksichtigt werden könnte.

2. Soweit sich die Klägerin auf eine Verletzung der dem Gericht nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht oder sinngemäß auf eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO beruft, sind auch die behaupteten Verfahrensmängel nicht in der erforderlichen Weise ausgeführt. Dem Vorbringen der Klägerin, dass das FG in der Urteilsbegründung den Inhalt des Berichts des Insolvenzverwalters und das Datum des Antrags auf Insolvenzeröffnung falsch wiedergegeben habe, lässt sich der behauptete Verfahrensverstoß nicht entnehmen. Zwar ist ausweislich der Akten der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich am und nicht wie vom FG angenommen erst am gestellt worden. Somit ist davon auszugehen, dass der Sachverhalt vom FG fehlerhaft wiedergegeben worden ist. Fehler im Tatbestand können jedoch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde, sondern nur mit dem fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) geltend gemacht werden (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 81, m.w.N.).

Im Übrigen ist dem Bericht des Insolvenzverwalters, aus dem das FG in der Urteilsbegründung wörtlich zitiert hat, zu entnehmen, dass die Umbuchung des Wertpapierdepotbestandes „im letzten Monat vor Insolvenzantragstellung” vorgenommen worden sei. Die dem Wortlaut von § 131 Abs. 1 InsO entlehnte Formulierung lässt den Schluss zu, dass die Umbuchung zwischen dem 30. März und dem erfolgt sein muss (§ 139 InsO). Die Fälligkeit der Lohnsteuer für den Monat Februar 2002 war jedoch bereits am eingetreten, so dass der Kapitalentzug —wie auch das FG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat— keinen Einfluss auf die Möglichkeit zur fristgerechten Erfüllung der steuerlichen Pflichten gehabt haben konnte. Die Klägerin hat jedenfalls nicht substantiiert dargelegt, dass das FG bei Zugrundelegung des korrekten Datums der Antragstellung und der Ausführungen des Insolvenzverwalters zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die Umbuchung des Wertpapierdepotbestandes vor dem erfolgt sei.

3. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) legt die Beschwerde ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise dar. Die bloße Behauptung, das FG habe trotz eines entsprechenden Antrags die Prüfung unterlassen, „ob der Haftungsbescheid bereits bei seinem Ergehen in seinem Regelungsgehalt erloschen war”, reicht hierfür nicht aus. Denn dem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, zu welchem Gesichtspunkt, auf den das FG seine Entscheidung gestützt hat, die Klägerin nicht gehört worden ist, und dass das FG den Beweisantrag unberechtigt, d.h. aus außerhalb des Prozessrechts liegenden Gründen, unberücksichtigt gelassen hat. Die Klägerin trägt selbst vor, dass sie den Gesichtspunkt der Tilgung der Primärschuld vorgebracht und einen entsprechenden Antrag —der sich allerdings dem Sitzungsprotokoll nicht entnehmen lässt— gestellt habe.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 77 Nr. 1
XAAAC-64346