Bei fehlendem inländischen Wohnsitz kein Kindergeld; Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid für Kindergeldfestsetzung
Gesetze: EStG § 62; EStG § 1; AO § 171 Abs. 10; AO § 8; AO § 9
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Antragsteller (Kläger) ist Vater von zwei Kindern aus erster Ehe, die bei ihrer Mutter leben, sowie zwei weiteren Kindern mit seiner zweiten Ehefrau, einer gebürtigen Ungarin, die er 1999 geheiratet hatte. Für die Kinder aus zweiter Ehe erhielt er Kindergeld, wobei die Kinder aus erster Ehe als Zählkinder berücksichtigt wurden.
Die Beklagte (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab Mai 2002 auf und forderte das für Mai und Juni 2002 gezahlte Kindergeld in Höhe von 666 € zurück, weil der Kläger nach Auskunft seiner Mutter seit Mai 2002 nach Ungarn ausgereist sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Es führte aus, die Klage sei hinsichtlich der Festsetzung von Kindergeld für die Zeit vor April 1999 unzulässig und hinsichtlich der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab Mai 2002 sowie der Rückforderung für Mai und Juni 2002 unbegründet. Der Kläger habe nicht, wie von § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorausgesetzt, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt.
Mit seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das FG-Urteil trägt der Kläger im Wesentlichen vor, er habe, statt auf die nach langer Zeit nur noch zu erläuternden und nicht mehr beweisbaren Wohnverhältnisse abzustellen, die unbeschränkte Steuerpflicht für 2002 vom Finanzamt bestätigen lassen. Er habe unter seiner Anschrift in Bocholt, wo er nach vorübergehendem Aufenthalt in Ungarn ab Ende 2002 gelebt habe, eine Steuererklärung abgegeben und damit rechnen können, dass die Bescheinigung allen Anforderungen genüge. Das FG habe diese rechtsfehlerhaft als gegenstandslos abgetan. Familienkasse und FG hätten die Frage der Steuerpflicht im Jahre 2002 verfahrensfehlerhaft zu spät ermittelt; der Nachweis sei ihm dadurch erschwert worden. Er werde als Bezieher inländischer selbständiger Einkünfte zudem in verfassungswidriger Weise gegenüber anderen Steuerpflichtigen benachteiligt, die als Arbeitnehmer oder Rentenbezieher Kindergeld auch dann erhielten, wenn sie im Ausland lebten und arbeiteten. Rennfahrer und Tennisstars würden gegen ihren Willen zur unbeschränkten Steuerpflicht herangezogen und könnten sich gegen die Kindergeldgewährung nicht wehren. Es gehe nicht an, dass das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht danach beurteilt werde, ob es auch zu einer zu zahlenden Steuer komme. Die Rechtsanwendung nach Kassenlage verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 des Grundgesetzes —GG—) und den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Familie (Art. 6 GG).
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH wird abgelehnt.
1. Der Senat legt das Rechtsschutzbegehren des Klägers zu seinen Gunsten nur als Antrag auf PKH für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde aus. Denn eine von ihm persönlich erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wäre wegen des für Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) geltenden Vertretungszwangs (§ 62a der Finanzgerichtsordnung —FGO—) unzulässig. Für den beim BFH als Prozessgericht zu stellenden Antrag auf PKH besteht hingegen kein Vertretungszwang (§ 155 FGO i.V.m. § 78 Abs. 5, § 117 Abs. 1 der Zivilprozessordnung —ZPO—; BFH-Beschlüsse vom III S 17/04 (PKH), BFH/NV 2005, 1124; vom XI S 12/07 (PKH), juris).
2. Die Gewährung von PKH setzt nach § 142 FGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Handelt es sich —wie hier— bei der beabsichtigten Rechtsverfolgung um die Zulassung der Revision, so fehlt es an der erforderlichen Erfolgsaussicht, wenn weder der Antrag noch eine summarische (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 142 FGO Rz 45, m.w.N.) Prüfung von Amts wegen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO erkennen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2001, 629; Senatsbeschluss vom III S 30/05 (PKH), BFH/NV 2007, 1140). So liegt es im Streitfall; für den Senat ist nicht ersichtlich, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder die Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen könnte (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
a) Den Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde stünde allerdings nicht bereits entgegen, dass die für ihre Einlegung und Begründung geltenden Fristen (§ 116 Abs. 2 und Abs. 3 FGO) verstrichen sind. Denn einem Beteiligten, der ein dem Vertretungszwang (§ 62a FGO) unterliegendes Rechtsmittel wegen Mittellosigkeit nicht erheben kann, wäre gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist PKH für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.
b) Die materiell-rechtliche Entscheidung des FG lässt bei summarischer Prüfung Zulassungsgründe nicht erkennen.
Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob der Einkommensteuerbescheid (Nullfestsetzung) für 2000 oder die dazu erteilte Bescheinigung des Finanzamtes vom Bindungswirkung für die Kindergeldfestsetzung entfaltet, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn bei der Festsetzung der Einkommensteuer und der Kindergeldfestsetzung handelt es sich um unterschiedliche Verfahren, so dass der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts keinen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom III B 70/05, BFH/NV 2007, 1083, betreffend Einkommensteuerfestsetzung des Kindes und Kindergeldfestsetzung). Jedenfalls könnte diese Frage im Streitfall nicht geklärt werden, da der Kläger in einem Teil des Jahres unstreitig im Inland gewohnt hat, deshalb in diesem Zeitraum unbeschränkt steuerpflichtig war und das Finanzamt dem Einkommensteuerbescheid ausweislich seiner Bescheinigung nur inländische Einkünfte zugrunde gelegt hat; dem Bescheid kann zudem nicht entnommen werden, ob die Einkünfte in der Zeit bis April oder danach erzielt wurden.
Die Regelung des § 62 Abs. 1 EStG, die an einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG oder die antragsgebundene unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG anknüpft, begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Eine möglicherweise unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall würde eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen; Anhaltspunkte für schwere Rechtsfehler, die das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen oder auf sachfremde und damit willkürliche Erwägungen des FG hindeuten könnten, sind nicht ersichtlich (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 204 ff.).
c) Verfahrensmängel, mit denen eine Nichtzulassungsbeschwerde hinreichend erfolgversprechend begründet werden könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), liegen ebenfalls nicht vor. Das FG hat insbesondere nicht gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen, sondern u.a. umgehend nach Eingang der Klage durch den Außendienst des Einwohnermeldeamtes ermitteln lassen.
3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 1 Nr. 3 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 50 Nr. 1
UAAAC-64334