Aussetzung der Vollziehung: Steuerbefreiung von sonstigen Glücksspielen mit Geldeinsatz; Vorlagepflicht an den EuGH
Gesetze: FGO § 69; UStG § 4 Nr. 9 Buchstabe b
Instanzenzug: (U)
Gründe
I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) betreibt Geldspielautomaten. Er übermittelte dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) am eine Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2006, in der er die Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielgeräte als steuerpflichtig behandelte. Die sich aus der Umsatzsteuervoranmeldung ergebende Vorauszahlung betrug 4 046,78 €.
Gleichzeitig legte der Antragsteller gegen diese Umsatzsteuervoranmeldung Einspruch ein —über den das FA noch nicht entschieden hat— und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV).
Am selben Tag übermittelte er eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2006. In der berichtigten Umsatzsteuervoranmeldung behandelte er die Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielgeräte in Höhe von netto 81 465 € als steuerfrei. Aufgrund der dadurch verminderten abziehbaren Vorsteuerbeträge ermittelte er eine Umsatzsteuervorauszahlung von nunmehr 788,18 €.
Zur Begründung seines Antrags auf AdV der Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2006 berief sich der Antragsteller unmittelbar auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).
Den Antrag auf AdV lehnte das FA ab.
Der im Anschluss daran beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag hatte Erfolg. Zur Begründung seines Beschlusses führte das FG im Wesentlichen aus, es beständen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, denn es seien Umstände vorhanden, die Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtslage bewirkten. Die Geldspielautomatenumsätze seien zwar nicht gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG n.F.) i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom (BGBl I 2006, 1095, BStBl I 2006, 353) steuerfrei, weil sie nicht unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fielen. Ernstlich zweifelhaft sei aber, ob sich der Antragsteller für die Steuerbefreiung der Umsätze nicht unmittelbar auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen könne. Für den Fall, dass § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. mit Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar sei, könne sich der Antragsteller unmittelbar auf die Richtlinienbestimmung berufen. Es sei rechtlich ungeklärt und begegne zumindest ernsthaften rechtlichen Bedenken, ob die in Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis zur Festlegung von Bedingungen und Beschränkungen es erlaube, sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz —wie durch § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. geschehen— von der Steuerbefreiung auszunehmen. Diese rechtlichen Bedenken seien auch bereits im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat formuliert worden (BRDrucks 326/05). Teile des Schrifttums würden diese Bedenken ebenfalls teilen.
Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Es trägt im Wesentlichen vor, zur Aussetzung berechtigende ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes lägen nicht vor. Die Regelung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. entspreche den ausdrücklich zugelassenen Regelungsmöglichkeiten durch die Mitgliedstaaten und stelle aufgrund der klaren und zulässigen Abgrenzungsregelungen für einen wesentlichen Teil der Glücksspielumsätze genau den Zustand her, der dem Grundgedanken der Richtlinie 77/388/EWG entspräche. Der Gesetzgeber habe den durch Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG eröffneten Gestaltungsspielraum für die Umsatzbesteuerung von Glücksspielen mit Geldeinsatz nicht überschritten. Dass der Gesetzgeber künftig nur Rennwetten, Lotterien, Ausspielungen und Oddset-Wetten von der Umsatzsteuer befreien möchte, verstoße nicht gegen die Richtlinie 77/388/EWG.
Im Übrigen seien zum Antrag, ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, keinerlei Ausführungen erfolgt.
Das FA beantragt sinngemäß,
den (U) aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die AdV des angefochtenen Verwaltungsaktes durch das FG ist nicht zu beanstanden.
1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. , BFH/NV 2000, 1147).
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71; in BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 87).
Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267, unter II. 1., m.w.N., und vom V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484).
2. Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bejahen.
Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass der BFH bislang zu der streitigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. mit der Richtlinienbestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG insoweit vereinbar ist, als er „sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz” im Sinne der Richtlinienbestimmung von der Steuerbefreiung ausnimmt. Diese Rechtsfrage war im Gesetzgebungsverfahren und ist im Schrifttum umstritten. Das Für und Wider hat das FG dargelegt (die Richtlinienkonformität bejahen: Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BTDrucks 15/5558, Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 15/5812; Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, 11, Begründung II. Besonderer Teil, zu Art. 2; Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 16/749, zu den Nrn. 5 bis 7; Klenk in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Rz 133.2, a.E.; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 9 Rz 14 und 15j; Dziadkowski, Internationales Steuerrecht —IStR— 2006, 685, 688; derselbe, der Umsatz-Steuer-Berater —UStB— 2007, 16; Jahndorf/Oellerich, Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 457. Die Richtlinienkonformität verneinen: Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BRDrucks 326/05, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BRDrucks 937/05, Nr. 5, zu Art. 2 Nr. 1; dem folgend Thill/Puls, UStB 2006, 166, 168 ff.; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, E § 4 Nr. 9 Rz 211 ff.). Ferner hat das FG Aussagen aus den Schlussanträgen zu einschlägigen Verfahren des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) berücksichtigt und seine Zweifel darauf gestützt.
Dies genügt für die Annahme ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 311, sowie Korf, IStR 2007, 519 - Anm. zum (U)), ohne dass im Eilverfahren eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft einzuholen wäre (vgl. , BFHE 185, 30, BStBl II 1998, 558, m.w.N.).
3. Gründe für die Anordnung einer Sicherheitsleistung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Es ist jedoch Sache des FA, die für die Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vorzutragen und glaubhaft zu machen (vgl. , BFH/NV 2003, 12; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 153).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
PAAAC-63851