BFH Beschluss v. - VII B 181/06

Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Umsatzsteuer aus in Zeiten der Krise getätigten Umsätzen

Gesetze: AO § 34, AO § 69, AO § 191, BGB § 823, GmbHG § 64

Instanzenzug:

Gründe

I. Wegen rückständiger Umsatzsteuer für den Monat Juli 1999 (7/99) nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) den Geschäftsführer der GmbH, den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger), der —unstreitig— am sein Amt als Geschäftsführer niedergelegt hatte, in Haftung, nachdem über das Vermögen der GmbH, die Ende Januar 2000 den Geschäftsbetrieb eingestellt hatte, das Insolvenzverfahren eröffnet worden war.

Nach erfolglosem Einspruch, mit dem der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht hatte, dass der Anspruch erst nach seiner Amtsniederlegung fällig geworden sei, gab das Finanzgericht (FG) seiner Klage statt. Eine Verletzung der Zahlungspflicht bezüglich der Umsatzsteuer 7/99 und eine Pflichtverletzung durch unberechtigt angemeldete Vorsteuern i.S. der §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO) lägen nicht vor, da der Kläger im Erklärungs- und Fälligkeitszeitpunkt (bei der bewilligten Dauerfristverlängerung der ) nicht mehr Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Auch unter dem Aspekt der Mittelvorsorge könne eine Verletzung der Zahlungspflicht nicht begründet werden. Steuerliche Pflichten vor Fälligkeit der Steuer oblägen dem gesetzlichen Vertreter nur im Hinblick auf die zukünftige Erfüllung der Ansprüche des Fiskus. Dagegen sei er —nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)— auch in Zeiten der Krise in seinen unternehmerischen Dispositionen frei, auch wenn dadurch steuerliche Ansprüche des Fiskus begründet würden. Der Kläger habe aber keine besonderen Gestaltungen gewählt, die die Begleichung der Umsatzsteuer unmöglich gemacht hätten.

Der Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung, wie er in § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zum Ausdruck komme, begründe die Haftung nach den §§ 34, 69 AO, die eine Verletzung einer durch Steuergesetze auferlegten Pflicht voraussetze, nicht, denn die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags sei keine steuerliche, sondern eine handelsrechtliche. Im Übrigen scheide eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers für den Monat 7/99 jedenfalls deshalb aus, weil eine solche —mangels Verfügungsberechtigung des Klägers zur Zahlung der Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt— nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden gewesen wäre.

Die auf § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bzw. § 826 BGB gestützte Haftung für einen —im Übrigen vom FA weder konkretisierten noch festgestellten— Schaden, der daraus resultiere, dass Dritte aus Leistungen der GmbH Vorsteuern in Anspruch genommen hätten, während die GmbH selbst die Umsatzsteuer aus den betreffenden Rechnungen wegen Zahlungsunfähigkeit nicht mehr habe abführen können, scheitere auch daran, dass es sich dabei nicht um eine Haftung „für eine Steuer”, wie von § 191 Abs. 1 Satz 1 AO vorausgesetzt, sondern für einen deliktisch verursachten Schaden handele. Überdies wäre —so das FG— für die Umsatzsteuer 7/99 eine —unterstellte— Verletzung der Insolvenzantragspflicht nicht kausal, da eine Zahllast angemeldet worden sei: der Umsatzsteueranspruch wäre bei früherer Antragstellung und damit gegebenenfalls verbundener früherer Einstellung der Geschäftstätigkeit gar nicht erst entstanden.

Das FA macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfragen,

- ob der Geschäftsführer einer GmbH für die im Zeitraum zwischen Insolvenzreife und Stellung des Insolvenzantrags neu begründeten Steuerschulden im Rahmen seiner Mittelvorsorgepflicht nach § 191 i.V.m. § 69 AO in voller Höhe und nicht nur im Rahmen anteiliger Tilgung in Haftung genommen werden kann,

- ob § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 191 AO eine Haftung für steuerliche Verbindlichkeiten begründet,

- ob § 826 BGB, § 191 AO eine Haftung für steuerliche Verbindlichkeiten bei verzögerter Insolvenzantragstellung begründen,

geltend und beantragt, die Revision zuzulassen.

Der Kläger hält die Ausführungen des FG für zutreffend und die vom FA angesprochenen Rechtsfragen für geklärt und beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Das FA hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen nicht in der nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Weise dargelegt.

Das FA hat nicht berücksichtigt, dass das FG die Aufhebung des Haftungsbescheides nicht allein auf die von ihm hervorgehobenen rechtlichen Gesichtspunkte, sondern auf mehrere, die Entscheidung jeweils selbständig tragende Gründe gestützt hat. Hat das FG sein Urteil aber kumulativ begründet, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978; vom III B 14/04, BFH/NV 2005, 667).

1. Die Frage, ob der Geschäftsführer für zwischen Insolvenzreife und Stellung des Insolvenzantrags neu begründete Steuerschulden in voller Höhe statt nur mit der Quote, mit der er Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern getilgt hat, in Haftung genommen werden kann, war für das FG nicht entscheidungserheblich. Denn nach seiner Auffassung war weder die Verletzung der Zahlungs- noch die der Erklärungspflicht kausal für den im Monat 7/99 eingetretenen Umsatzsteuer-Ausfall, weil der Kläger zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr Geschäftsführer der GmbH war. Die dagegen erhobene Einwendung des FA, diese Auffassung sei nicht haltbar, weil es Inhalt der Mittelvorsorgepflicht sei, die Verursachung der fehlenden Zahlungsfähigkeit bei Fälligkeit der Steuern zu sanktionieren und zwar unabhängig davon, wer im Zeitpunkt der Fälligkeit Verfügungsberechtigter sei, zeigt nicht die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage auf, sondern richtet sich gegen die materielle Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils einschließlich der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und genügt damit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 978, und vom II B 117/03, BFH/NV 2004, 1625, jeweils m.w.N.).

Abgesehen davon hat sich das FA auch nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, dass das FG in —zutreffender— Anwendung der Senatsrechtsprechung (Urteil vom VII R 41/01, BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337) darauf abgestellt hat, dass der Geschäftsführer auch in Zeiten der Krise steuerrechtlich nicht verpflichtet ist, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann. Eine Verletzung der Mittelvorsorgepflicht könne ihm nur angelastet werden, wenn er zu einem Zeitpunkt, in dem er gewusst habe, dass der GmbH keine Zahlungsmittel mehr zur Verfügung stünden und auch zukünftig nicht mehr zufließen würden, ein Umsatzsteuer auslösendes Verkaufsgeschäft durchgeführt hätte, ohne dafür Sorge zu tragen, dass die GmbH über das durch dieses Geschäft erzielte Entgelt verfügen könne, um damit die durch das Geschäft entstehende Umsatzsteuer zu begleichen. Zwar bringt das FA vor, als Krise könne nur der Zeitraum von der drohenden Zahlungsunfähigkeit bis zum Ende der 3-wöchigen Frist nach eingetretener Insolvenzreife begriffen werden, nach deren Ablauf gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG Insolvenz anzumelden sei, und dass mit diesem Zeitpunkt die legale Dispositionsfreiheit des Geschäftsführers beendet sei.

Die Verletzung der Mittelvorsorgepflicht im vorgenannten Sinne wird mit diesem Vorbringen indes nicht schlüssig dargelegt. Denn bei ordnungsgemäßer Abwicklung eines Umsatzsteuer auslösenden Verkaufsgeschäftes ist der Verkäufer (hier der Geschäftsführer) durch die Zahlung des Rechnungsbetrages —unabhängig von der Zahlungsfähigkeit der GmbH im Übrigen— in der Lage, die darin enthaltene Umsatzsteuer abzuführen.

Im Grunde legt das FA mit diesem Einwand die Verletzung der Pflicht des Geschäftsführers zur rechtzeitigen Anmeldung der Insolvenz dar, jedoch nicht die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage.

2. Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Verletzung der Pflicht des Geschäftsführers zur rechtzeitigen Anmeldung der Insolvenz eine Haftung für steuerliche Verbindlichkeiten —sei es nach §§ 34, 69 AO i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG, sei es nach § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB bzw. § 826 BGB, § 191 AO— begründet, ist nicht schlüssig dargelegt.

a) Das FG hat unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung in BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337 eine Haftung des Geschäftsführers wegen Verletzung einer handelsrechtlichen Pflicht verneint. Das FA wendet dagegen lediglich ein, der BFH habe sich mit den im Schrifttum —zeitlich vor der letztgenannten Entscheidung aus dem Jahre 2003— gegen diese Auffassung vorgebrachten Argumente nicht auseinandergesetzt. Damit ist nicht dargelegt, woraus sich eine nach der genannten Senatsentscheidung weiterhin bestehende Klärungsbedürftigkeit ergeben sollte. Insbesondere hat das FA nicht substantiiert vorgetragen, inwieweit neue, gewichtige und bisher von der Rechtsprechung nicht berücksichtigte Gesichtspunkte aufgetaucht sind (, BFH/NV 2005, 1335). Der bloße Hinweis auf vermeintlich nicht berücksichtigte Stimmen in der Literatur reicht schon deshalb nicht aus, weil allein die nicht ausdrückliche Auseinandersetzung mit Literaturmeinungen nicht die Schlussfolgerung erlaubt, der Senat habe die dort genannten Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen.

b) Darüber hinaus hat das FG eine Haftung nach diesen Vorschriften auch deshalb verneint, weil danach keine Haftung „für eine Steuer” i.S. des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO begründet werde und diese Haftung lediglich auf das negative Interesse gerichtet sei. Der dagegen gerichtete Einwand des FA, die ausgefallene Umsatzsteuer stelle, soweit ihr ein Vorsteuerabzug beim Rechnungsadressaten gegenüberstehe, das negative Interesse des Fiskus dar, und die Schadensbegriffe nach §§ 34, 69 AO und § 64 GmbHG seien insoweit identisch, reicht für die Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Das FA stellt insoweit seine Rechtsauffassung in der Art einer Revisionsbegründung derjenigen des FG gegenüber. Das allein kann die Zulassung der Revision jedoch nicht rechtfertigen (vgl. , BFH/NV 1995, 124).

c) Schließlich hat das FA nicht beachtet, dass das FG seine Entscheidung auch zu diesem Punkt alternativ begründet hat, indem es auch die Kausalität der Verletzung der Insolvenzantragspflicht für den vom FA bezeichneten Schaden (die ausgefallene Umsatzsteuer im Umfang des Vorsteuerabzugs durch die Rechnungsadressaten) verneint. Mit dieser Erwägung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

d) Lediglich klarstellend weist der Senat darauf hin, dass er auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Erwägungen des FA zu den wirtschaftlichen Auswirkungen verspäteter Insolvenzanmeldungen keine Veranlassung sieht, von den grundsätzlichen Ausführungen in seiner Entscheidung in BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337 abzuweichen bzw. diese zu modifizieren. Die steuerliche Pflicht zur Mittelvorsorge bereits vor Fälligkeit der Steuer betrifft allein die zukünftige Erfüllung entstandener Steueransprüche des Fiskus, nicht aber deren Begründung. Denn an der seinerzeit für durchschlagend erachteten Erwägung, dass das Umsatzsteuergesetz es grundsätzlich in Kauf nimmt, dass die Umsatzsteuer, die der Leistungsempfänger als Vorsteuer gegenüber dem Fiskus geltend machen kann und die im Gegenzug bei dem Leistenden erhoben wird, im Einzelfall wegen dessen Insolvenz nicht oder nur teilweise realisiert werden kann, hat sich durch möglicherweise vermehrte Insolvenzverschleppung nichts geändert.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2233 Nr. 12
YAAAC-62179