Nichtigkeit von geänderten Bescheiden; Ermittlungspflicht des Finanzgerichts
Gesetze: AO § 125, FGO § 76, FGO § 115 Abs. 2, FGO § 119 Nr. 6
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1993 und 1994 den Im- und Export türkischer Teppiche. Neben dem Eigenhandel war sie für in der Türkei ansässige Teppichhäuser vermittelnd tätig, lieferte für diese aus und besaß insoweit Inkassovollmacht.
Bei einer Betriebsprüfung, die zur Einleitung eines später eingestellten Steuerstrafverfahrens führte, wurde festgestellt, dass weder Bücher geführt noch Jahresabschlüsse erstellt sowie Warenein- und -ausgänge nicht gesondert aufgezeichnet worden waren. Die Prüfer konnten den Zufluss der Erlöse und die Bezahlung der Wareneinkäufe nicht nachvollziehen. Eine Geldverkehrsrechnung führte zu Fehlbeträgen in Höhe von 54 000 DM im Jahre 1993 und 56 000 DM im Jahre 1994, die von der Klägerin mit Familiendarlehen türkischer Staatsangehöriger erklärt wurden. Geldzuflüsse auf inländischen Privatkonten der Klägerin, ihres Ehemannes sowie dessen in der Schweiz geführtes Konto wurden von der Klägerin als durchlaufende Posten aus der Vermittlungs- und Auslieferungstätigkeit für türkische Teppichhändler bezeichnet.
In einer Besprechung am , bei der die Klägerin durch die für sie tätige Steuerberatungsgesellschaft und ihren Strafverteidiger vertreten war, wurde vereinbart, den Wareneinsatz für 1993 um 54 000 DM und für 1994 um 56 000 DM (jeweils ohne Umsatzsteuer) zu kürzen. Diese Einigung wurde in den Prüfungsbericht übernommen. Die auf dem Prüfungsbericht beruhenden Änderungsbescheide vom Herbst 1997 wurden bestandskräftig.
Zwei Jahre später beantragte die Klägerin, die Bescheide zu ändern. Die gegen die Ablehnung erhobene Klage, mit der die Nichtigkeit der Änderungsbescheide geltend gemacht wurde, wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Es führte aus, die Bescheide litten nicht offenkundig an einem besonders schweren Fehler. Die Revision ließ es nicht zu.
Mit der dagegen gerichteten Beschwerde trägt die Klägerin vor, das FG habe Beweisanträge übergangen und den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Das FG sei von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen, indem es nicht berücksichtigt habe, dass ein besonders schwerer Fehler immer dann vorliege, wenn die Verwaltungsmaßnahme wirtschaftlich oder steuerrechtlich nicht möglich sei. Der Streitfall sei mit dem (BFH/NV 2002, 1415) vergleichbar. Das Verhältnis des finanzgerichtlichen Verfahrens zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe möglicherweise grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfrage der Einforderung der objektiv nicht hinterzogenen Steuerschuld sei klärungsbedürftig, da anderenfalls das Vertrauen der Bürger in die Rechtsprechung beschädigt werde. Schließlich habe das FG sich nicht mit dem Klageantrag befasst, die Nichtigkeit der Bescheide nach § 125 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) festzustellen. Die Sittenwidrigkeit ergebe sich im Streitfall daraus, dass entlastende Beweise zeitweise unterdrückt worden seien und das Ermittlungsverfahren auf Grund von dürftigen und konstruierten Hinweisen initiiert worden sei.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Es fehlt insoweit an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28), denn die spätere Einstellung eines Strafverfahrens lässt Steuerbescheide, die zuvor gemäß einer im Betriebsprüfungsverfahren erzielten Einigung geändert wurden, offensichtlich nicht als nichtig erscheinen (§ 125 Abs. 1 AO).
2. Wird —wie hier— eine Abweichung des angegriffenen Urteils des FG von der Rechtsprechung des BFH gerügt (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), so müssen tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen des BFH andererseits herausgearbeitet und gegenübergestellt werden (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1484; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42).
Dem genügt der Vortrag der Klägerin nicht. Sie legt insbesondere keine Abweichung des FG-Urteils vom BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1415 dar, sondern erschöpft sich in Darlegungen zu der Frage, ob die Betriebsprüfung den Vorgang ordnungsgemäß hätte aufklären können sowie in Kritik an der späten Herausgabe der Ermittlungsakten.
3. Die Sachaufklärungsrüge (vgl. §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) hat ebenfalls keinen Erfolg.
Nach Auffassung der Klägerin hätte eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes ergeben, dass eine Kürzung des Wareneinsatzes nicht in Betracht kam, weil die Wareneinkäufe des Eigenhandels belegt waren und beim Auslieferungsgeschäft Fehlbuchungen mangels an die Klägerin adressierter Eingangsrechungen ausgeschlossen waren.
Zur schlüssigen Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht sind die ermittlungsbedürftigen Tatsachen genau zu bezeichnen, weiter ist darzulegen, inwiefern das angefochtene Urteil —ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG— auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (, BFH/NV 2004, 964). Da sich die Sachbehandlung nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu richten hat (BFH-Beschlüsse vom IX B 23/05, BFH/NV 2005, 2031; vom V B 85/04, BFH/NV 2005, 712; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79, m.w.N.), handelt das FG daher nicht verfahrensfehlerhaft, wenn es einen Vortrag nicht berücksichtigt und eine Beweiserhebung unterlässt, auf die es nach seiner Einschätzung der Rechtslage im Ergebnis nicht ankommen kann (BFH-Beschlüsse vom VI B 18/05, BFH/NV 2005, 2042; vom I B 198/04, BFH/NV 2006, 2078).
So liegt es im Streitfall: Das FG hat ausgeführt, dass die Korrektur des Wareneinganges falsch gewesen sein mag, dieser Fehler aber in Anbetracht der Umstände —u.a. der Undurchsichtigkeit der von der Klägerin betriebenen Geschäfte, die auch vom Prozessbevollmächtigten zeitweise verkannt worden seien, dem Einvernehmen der Beteiligten über die Korrektur und der betragsmäßigen Übereinstimmung der Kürzung mit den Fehlbeträgen der Geldverkehrsrechnung— nicht i.S. von § 125 Abs. 1 AO offenkundig gewesen sei. Weitere Ermittlungen zur Höhe des Wareneinsatzes waren somit nach der Rechtsauffassung des FG entbehrlich.
4. Die Rüge, das FG habe sich nicht mit dem Klageantrag befasst, die Nichtigkeit der Bescheide nach § 125 Abs. 2 Nr. 4 AO festzustellen, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Eine Entscheidung ist zwar i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn diese ganz oder zu einem wesentlichen Teil fehlen sowie wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Verteidigungsmittel übergangen hat. Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung berechtigt hingegen nicht zu einer Zulassung einer Revision. Ob § 125 Abs. 2 Nr. 4 AO im Steuerrecht überhaupt ein Anwendungsfeld hat, ist streitig (ablehnend Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 125 AO Rz 29; einschränkend Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz 86). Jedenfalls im Streitfall ist aber die Frage, ob die Bescheide wegen Sittenwidrigkeit nichtig sind, derart fernliegend, dass sich das FG mit ihr nicht ausdrücklich zu befassen brauchte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2245 Nr. 12
HAAAC-62163