Erlass von Verwaltungsakten während des Einspruchsverfahrens
Die Vorschriften über Rücknahme und Widerruf (§§ 130, 131 AO) sowie Aufhebung und Änderung (z.B. §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2, 172 ff. AO, § 35b GewStG) von Verwaltungsakten gelten auch während des Einspruchsverfahrens (vgl. § 132 AO). Gleiches gilt für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 129 AO. [1] Das Finanzamt kann daher einen angefochtenen Verwaltungsakt auch während eines Einspruchsverfahrens nach den Korrekturvorschriften zurücknehmen, widerrufen, aufheben, ändern oder berichtigen. Liegen die Voraussetzungen vor, unter denen ein angefochtener Verwaltungsakt korrigiert werden kann, so bittet die OFD Hannover Folgendes zu beachten:
1. Zweckmäßigkeit der Korrektur
1.1 Im Allgemeinen wird eine Korrektur des angefochtenen Verwaltungsaktes, durch die dem Rechtsbehelfsantrag nicht in vollem Umfang entsprochen oder durch die die Steuer erhöht oder ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen wird (vgl. AEAO zu § 130, Nr. 4), in der Einspruchsentscheidung vorzunehmen sein. Bei einer Verböserung ist § 367 Abs. 2 Satz 2 AO zu beachten.
1.2 Es kann jedoch zweckmäßig sein, den Verwaltungsakt vor einer etwaigen Einspruchsentscheidung zu ändern. Dabei brauchen im Falle der Korrektur zuungunsten des Einspruchsführers die Voraussetzungen für eine Verböserung (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) zwar nicht gegeben zu sein. Gleichwohl ist dem Einspruchsführer zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben (vgl. AEAO zu § 367, Nr. 2).
Eine vorweggenommene Korrektur empfiehlt sich u. U. in Rechtsbehelfsfällen mit umfangreichem Streitstoff, um das Verfahren auf die streitigen Punkte, deren Klärung voraussichtlich noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird, zu beschränken. Sie kann ferner in Betracht kommen, wenn der Einspruch teilweise begründet, im Übrigen aber noch nicht entscheidungsreif ist und dem Einspruchsführer nicht zugemutet werden kann, auf die Erstattung der unstreitigen Beträge bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung zu warten. Hierfür wird häufig dann ein Bedürfnis bestehen, wenn anschließend das Einspruchsverfahren wegen der verbleibenden Streitpunkte ausgesetzt werden oder ruhen (§ 363 AO) soll. Schließlich kann eine Änderung des angefochtenen Bescheides angebracht sein, wenn dadurch hohe Mehrsteuern (z. B. nach dem Ergebnis einer inzwischen durchgeführten Außenprüfung oder einer Mitteilung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen) schneller festgesetzt werden können. Mehrmalige Änderungen des Bescheids, durch die dem Einspruch nicht abgeholfen wird, sind zu vermeiden.
Vom Erlass eines Teilabhilfebescheides muss nicht deshalb abgesehen werden, weil die Möglichkeit einer Verböserung im weiteren Verfahren nicht ausgeschlossen ist. Mit dem Erlass eines Teilabhilfebescheides hat das Finanzamt das ihm in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO eingeräumte Recht der Selbstkontrolle nicht verbraucht. [2]
Wegen damit evtl. verbundener verfahrensrechtlicher Unwägbarkeiten ist ein Teilabhilfebescheid nicht zu erlassen, wenn die Einspruchsentscheidung vor Ablauf der Einspruchsfrist des Teilabhilfebescheides ergeht (s. Tz. 2.2 Abs. 4).
Ist der Einspruch von der Rechtsbehelfsstelle zu bearbeiten, so ist sie beim Erlass des Änderungsbescheides zu beteiligen, wenn sie die Änderung nicht selbst veranlasst.
2. Verfahren nach Korrektur des angefochtenen Verwaltungsaktes
2.1 Wird dem Einspruch durch Änderungsbescheid abgeholfen, so bedarf es keiner Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2 Satz 3 AO). Abhilfe liegt nur vor, wenn dem Begehren der Sache nach entsprochen wird. Dabei kommt es nur auf das zahlenmäßige Ergebnis, nicht jedoch auf die Gründe der Änderung an. Sind die Einwendungen des Einspruchsführers zwar berechtigt, wird die Steuer aber aus anderen Gründen nicht wie beantragt herabgesetzt oder sogar erhöht, dann erledigt sich der Einspruch nur, wenn der Einspruchsführer zuvor seinen Rechtsbehelfsantrag entsprechend eingeschränkt oder der beabsichtigten Änderung zugestimmt hat. [3]
Unter diesen Voraussetzungen erledigt sich ein Einspruch, der sich gegen einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid richtet, durch einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid auch dann, wenn dieser erneut unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erteilt wird, es sei denn, dass der Einspruchsführer mit dem Einspruch zugleich ausdrücklich die Aufhebung des Vorbehalts begehrt hat.
2.2 Wird der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, wird der neue Verwaltungsakt automatisch Gegenstand des Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 Satz 1 AO). Dies gilt entsprechend, wenn ein Verwaltungsakt wegen einer offenbaren Unrichtigkeit gemäß § 129 AO berichtigt wird oder wenn ein Verwaltungsakt an die Stelle des angefochtenen – z. B. wegen eines Bekanntgabemangels – unwirksamen Verwaltungsaktes tritt (§ 365 Abs. 3 Satz 2 AO). Der neue Verwaltungsakt muss aber innerhalb der Festsetzungsfrist wirksam geworden sein. [4]
Zur Vermeidung unnötiger Einsprüche ist die Rechtsbehelfsbelehrung zum geänderten Bescheid mit folgendem Zusatz zu versehen:
„Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, gegen den ein zulässiger Einspruch oder nach einem zulässigen Einspruch eine zulässige Klage, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist. In diesem Fall wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Dies gilt auch, soweit sich ein angefochtener Vorauszahlungsbescheid durch die Jahressteuerfestsetzung erledigt.” [5]
Ein vom Einspruchsführer gleichwohl eingelegter Einspruch ist unzulässig. Das Finanzamt sollte jedoch den Einspruchsführer in einem solchen Fall bei sich bietender Gelegenheit vor Erlass der Einspruchsentscheidung auf die Möglichkeit weiteren Vorbringens im Einspruchsverfahren hinweisen, zumindest aber die fiktive Einspruchsfrist für den ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt verstreichen lassen.
Im Falle der teilweisen Abhilfe in der Einspruchsentscheidung kann der Entscheidungssatz z. B. wie folgt abgefasst werden:
„Der …bescheid für das Jahr … vom … wird auf den Einspruch vom … in der Weise geändert, dass die …steuer von … EUR auf … EUR herabgesetzt wird. Im Übrigen wird der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.”
Mit dieser Entscheidung wird der Regelungsinhalt des ursprünglichen Verwaltungsaktes geändert; der ursprüngliche Verwaltungsakt wird ggf. „in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat”, Gegenstand der Anfechtungsklage (§ 44 Abs. 2 FGO). [6] Die Begründung der Entscheidung ist auf den durch die vorausgegangene Korrektur nicht erledigten Teil des Einspruchsantrags zu beschränken.
Bei einem Teilwiderruf oder einer Teilrücknahme (s. Tz. 1.2 vorletzter Absatz) bleibt der Verwaltungsakt – wenn auch eingeschränkt – bestehen und der Einspruch damit ebenfalls anhängig. [7] Wird beispielsweise nach Erlass eines Haftungsbescheides die in diesem ausgewiesene Haftungssumme durch Änderungsbescheid herabgesetzt, so handelt es sich um eine Teilrücknahme (§ 130 Abs. 1 AO), die den von dieser nicht betroffenen Teil des Haftungsbescheides – also die verbliebene Haftungssumme – nicht berührt. [8]
3. Verfahren bei Streit über die (vollständige) Abhilfe
Ob eine vollständige Abhilfe erfolgt ist, entscheidet ein objektiver Vergleich zwischen Antrag und Abhilfebescheid. Die Vorstellung des Finanzamts ist hingegen selbst dann unbeachtlich, wenn im Änderungsbescheid ein entsprechender Hinweis gegeben worden ist. [9]
Maßgebend bei diesem Vergleich ist der – ggf. eingeschränkte – Antrag des Einspruchsführers im Zeitpunkt des Erlasses des Abhilfebescheides.
Macht der Einspruchsführer geltend, das Finanzamt habe dem Einspruch nicht vollständig abgeholfen (Tz. 2.1 erster Absatz), muss das Finanzamt diesem Einwand nachgehen. Folgt das Finanzamt der Auffassung des Einspruchsführers, liegt nur eine Teilabhilfe vor. Der Änderungsbescheid (Teilabhilfebescheid) wird in diesem Fall Gegenstand des noch „anhängigen” Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 AO). Zur Erledigung des Einspruchs muss entweder ein weiterer Abhilfebescheid oder eine zurückweisende Einspruchsentscheidung ergehen.
Trägt der Einspruchsführer entsprechende Einwendungen erst nach Ablauf der Einspruchsfrist des Abhilfebescheides vor [10] bzw. nicht im Rahmen eines Einspruchs, ist in Form einer Einspruchsentscheidung die Hauptsacheerledigung festzustellen und im Weiteren darzulegen, dass dem Einspruchsbegehren im Abhilfebescheid in vollem Umfang entsprochen worden ist.
Bestehen – insbesondere bei unklaren Rechtsbehelfsanträgen – von vornherein Zweifel über eine vollständige Erledigung, ist durch Einspruchsentscheidung mit abhelfender Steuerfestsetzung zu entscheiden. [11]
4. Auf Vollabhilfebescheide ist § 348 Nr. 1 AO nicht anzuwenden, d. h. sie können mit dem Einspruch angefochten werden, wenn das Einspruchsbegehren nachträglich erweitert wird. Die Geltendmachung einer Beschwer durch den Abhilfebescheid wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass dieser dem Einspruchsbegehren gegen den ursprünglichen Bescheid in vollem Umfang entspricht. [12]
OFD Hannover v. - S 0625 - 1 - StO 141
Fundstelle(n):
DStR 2007 S. 2114 Nr. 47
EAAAC-61581
2 BStBl 2007 II S. 83
3Tipke/Kruse, § 172 AO Tz. 21 und 40 sowie § 367 AO Tz. 37
4 BStBl II 1990 S. 942
5vgl. versch. Textbausteine AO_356_Rb_Belehrung_Einspruch
6Szymczak in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 367 Rz. 10/1
7 BStBl 1982 II S. 292
8 BFH/NV 1991 S. 7
9 BStBl 1982 II S. 270
10 BStBl 1982 II S. 292
11 BStBl 1982 II S. 292
12 BFH/NV 2007 S. 1554