Vorliegen einer Überraschungsentscheidung; Verletzung des Rechts auf Gehör; Rüge mangelnder Sachaufklärung; keine Verhinderung i.S. des § 150 Abs. 3 AO bei postalischer Erreichbarkeit
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 76, FGO § 96, AO § 150 Abs. 3
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) wegen einer Divergenz zum Urteil des Finanzgerichts (FG) des Landes Sachsen-Anhalt vom 1 K 378/02 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2007, 4) zuzulassen.
a) Zur Darlegung einer Divergenz ist es erforderlich, einen tragenden abstrakten Rechtssatz des angefochtenen Urteils herauszustellen und diesem einen anderen, hiervon abweichenden Rechtssatz der Divergenzentscheidung so gegenüberzustellen, dass eine Abweichung erkennbar wird (Senatsbeschluss vom III B 5/05, BFH/NV 2005, 1758). Es kann offen bleiben, ob die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mit ihrem Vorbringen diese Voraussetzungen erfüllt hat. Eine mögliche Divergenz könnte allenfalls darin zu sehen sein, dass das FG des Landes Sachsen-Anhalt im Urteil in EFG 2007, 4 die Leistung einer Unterschrift durch einen krankheitsbedingt abwesenden Geschäftsführer auch bei postalischer Erreichbarkeit nicht als zumutbar ansah, wohingegen nach Ansicht der Vorinstanz im Streitfall trotz Urlaubsabwesenheit eine eigenhändige Unterschrift wegen der Möglichkeit des Postversandes nicht zwingend ausgeschlossen gewesen sei. Jedoch hat sich das FG im angefochtenen Urteil auf die Senatsrechtsprechung gestützt, der zufolge eine Verhinderung i.S. von § 150 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) nicht anzunehmen ist, wenn derjenige, der eine eigenhändige Unterschrift zu leisten hat, postalisch erreichbar ist (, BFHE 195, 1, BStBl II 2001, 629). Eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist somit nicht erforderlich.
b) Der Vortrag zu einer Verpflichtung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—), den Mangel der fehlenden eigenhändigen Unterschrift zeitnah zu erkennen und die Klägerin umgehend darauf oder auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) hinzuweisen, genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz. Eine Abweichung vom Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt in EFG 2007, 4, die eine Revisionszulassung rechtfertigen könnte, liegt schon deshalb nicht vor, weil in dem zitierten Urteilsfall das FA den Zulagenantrag noch innerhalb der Antragsfrist prüfte und die Zulage trotz fehlerhafter Unterschrift auszahlte. Demgegenüber fand im Streitfall eine Prüfung erst nach Fristablauf statt. Die von der Vorinstanz verneinte Frage, ob ein FA Vorkehrungen treffen muss, um noch vor Ablauf der Antragsfrist formelle Mängel eines Investitionszulagenantrags zu entdecken, stellte sich in dem Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt in EFG 2007, 4 nicht. Eine Divergenz liegt auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Verpflichtung des FA vor, wegen der —nach Ablauf der Antragsfrist bemerkten— fehlerhaften Unterschrift zeitnah auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinzuweisen. Das FG hat hierzu im angefochtenen Urteil keinen Rechtssatz aufgestellt, mit dem es von der Entscheidung des FG des Landes Sachsen-Anhalt in EFG 2007, 4 abgewichen sein könnte, vielmehr hat es eine Wiedereinsetzung wegen des Fehlens eines entsprechenden Antrags, fehlender Nachholung der Unterschrift, Ablaufs der Jahresfrist nach § 110 Abs. 3 AO und wegen Verschuldens der Klägerin abgelehnt.
2. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor oder wurden nicht ausreichend dargelegt.
a) Das FG hat nicht dadurch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, dass es den Gesellschafterbeschluss vom nicht als Bestellung des V als Geschäftsführer ausgelegt hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gehör ist gegeben, wenn aus den Umständen des Falles deutlich zu ersehen ist, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Senatsbeschluss vom III S 3/06, BFH/NV 2007, 238). Wie aus den Gründen des angefochtenen Urteils hervorgeht, hat das FG den Gesellschafterbeschluss zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Ein Verfahrensfehler ist nicht darin zu sehen, dass sich das FG bei der Auslegung des Beschlusses nicht der Rechtsmeinung der Klägerin angeschlossen hat.
b) Ebenso wenig ist eine Gehörsverletzung anzunehmen, weil das Gericht „Mutmaßungen” über eine Unterzeichnung des Zulagenantrags vor Reiseantritt angestellt habe, ohne der Klägerin vor Erlass des Urteils Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentscheidung, wie sie von der Klägerin behauptet wird, liegt nur dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bisher nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht hätte rechnen können (, BFH/NV 2007, 266). Eine solche Überraschungsentscheidung ist im Streitfall nicht gegeben, da auch das FA im Klageverfahren die Meinung vertreten hatte, dass der Zulagenantrag bereits vor Antritt der Urlaubsreise hätte erstellt und unterzeichnet werden können (Schriftsatz des FA vom ). Es handelte sich somit nicht um einen neuen Gesichtspunkt.
c) Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) wurde nicht ausreichend dargelegt i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Nach Ansicht der Klägerin hätte das FG Ermittlungen darüber anstellen müssen, ob die Buchhalterin ihren Urlaub hätte verschieben können, um den Zulagenantrag noch vor der Reise des Geschäftsführers unterschriftsreif zu machen, ob eine Nachsendung der Antragsunterlagen auf dem Postwege möglich gewesen wäre und ob das FA den Antrag noch vor Fristablauf auf seine formelle Ordnungsmäßigkeit hätte prüfen müssen. Mit der Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht durch das Übergehen von Beweisanträgen verletzt, kann die vor dem FG rechtskundig vertretene Klägerin bereits deshalb nicht gehört werden, weil es sich um einen Verfahrensmangel handelt, der durch das rügelose Verhandeln zur Sache und damit durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren geht (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung; s. , BFH/NV 2007, 91). Im Streitfall ist aus der Sitzungsniederschrift nicht zu ersehen, dass die Klägerin eine entsprechende Rüge vorgebracht hat.
d) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG hätte auch ohne Beweisantritt den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären müssen, fehlt es an Ausführungen dazu, welche Tatsachen das FG hätte aufklären oder welche Beweise es hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit die weitere Aufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen müssen (, BFH/NV 2007, 74). Diesen Anforderungen genügt das pauschale Vorbringen der Klägerin über die —ihrer Ansicht nach— unzureichende Sachaufklärung durch das FG nicht.
3. Schließlich ist die Revision auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO unter dem Gesichtspunkt „willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Entscheidung” zuzulassen. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin zur Auslegung des Gesellschafterbeschlusses und zu den „Mutmaßungen” des FG über eine früher mögliche Antragstellung betrifft die materielle Richtigkeit des nach Ansicht der Klägerin unzutreffenden Urteils. Von einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung, die ausnahmsweise zu einer Zulassung der Revision führt (, BFH/NV 2003, 1445), kann jedoch nicht die Rede sein.
Fundstelle(n):
NAAAC-60528