BGH Urteil v. - I ZR 175/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ADSp § 54; HGB § 425; HGB § 425 Abs. 2; HGB § 435; BGB § 254 Abs. 1; BGB § 254 Abs. 2 Satz 1; BGB § 398

Instanzenzug: LG Düsseldorf 31 O 109/01 vom OLG Düsseldorf I-12 U 4/05 vom

Tatbestand

Die Klägerin ist Transportversicherer der N. AG in Osnabrück (im Folgenden: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht wegen Verlusts von Transportgut in 26 Fällen auf Schadensersatz in Anspruch. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur die Schadensfälle 10, 14, 15 und 26.

Schadensfall 10: Am übergab die Versicherungsnehmerin der Beklagten zwei Pakete, die Waren im Wert von insgesamt 12.140,89 DM (= 6.207,54 €) enthielten, zur Beförderung nach Frankfurt am Main.

Schadensfall 14: Am übergab die Versicherungsnehmerin dem Abholfahrer der Beklagten unter anderem ein Paket zur Beförderung nach Neu-Ulm, das Waren im Wert von 11.760 DM (= 6.012,79 €) enthielt.

Schadensfall 15: Am übergab die Versicherungsnehmerin der Beklagten ein Paket mit Waren im Wert von 5.880 DM (= 3.006,40 €) zur Beförderung nach Neu-Ulm.

Schadensfall 26: Am übergab die Versicherungsnehmerin der Beklagten unter anderem ein Paket zur Beförderung nach Hagen, das Waren im Wert von 5.715,22 DM (= 2.922,15 €) enthielt.

In allen Fällen gerieten die der Beklagten zur Beförderung übergebenen Pakete während deren Gewahrsamszeit in Verlust. Die Beklagte hat der Versicherungsnehmerin im Schadensfall 10 (Verlust von zwei Paketen) 2.000 DM und in den Schadensfällen 14, 15 und 26 jeweils 1.000 DM ersetzt.

Den Transportaufträgen lagen die Beförderungsbedingungen der Beklagten Stand: Februar 1998 zugrunde, die auszugsweise folgende Regelungen enthielten:

"...

10. Haftung

... In den Fällen, in denen das WA oder CMR-Abkommen nicht gelten, wird die Haftung von U. durch die vorliegenden Beförderungsbedingungen geregelt. U. haftet bei Verschulden für nachgewiesene direkte Schäden bis zu einer Höhe von ... 1.000 DM pro Sendung in der Bundesrepublik Deutschland oder bis zu dem nach § 54 ADSp ... ermittelten Erstattungsbetrag, je nach dem, welcher Betrag höher ist, es sei denn, der Versender hat, wie im Folgenden beschrieben, einen höheren Wert angegeben.

Die Wert- und Haftungsgrenze wird angehoben durch die korrekte Deklaration des Werts der Sendung. ... Diese Wertangabe gilt als Haftungsgrenze. Der Versender erklärt durch die Unterlassung der Wertangabe, dass sein Interesse an den Gütern die oben genannte Grundhaftung nicht übersteigt.

...

Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit von U. , seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen.

..."

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust des Transportguts in voller Höhe.

Die Klägerin hat hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch anhängigen Schadensfälle beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 15.592,40 € nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die Klägerin müsse sich ein haftungsausschließendes Mitverschulden anrechnen lassen, weil ihre Versicherungsnehmerin eine Wertdeklaration unterlassen habe. Im Falle einer Wertdeklaration behandele sie die ihr zur Beförderung übergebenen Pakete sorgfältiger, sofern deren Wert 5.000 DM übersteige.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Der Senat hat die Revision der Beklagten beschränkt auf die Fälle 10, 14, 15 und 26 und insoweit beschränkt auf das Mitverschulden zugelassen. In diesem Umfang verfolgt die Beklagte mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Pakete nach den §§ 425, 435 HGB i.V. mit § 398 BGB angenommen. Zur Begründung hat es - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:

Die Klägerin müsse sich kein Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin am Verlust der Pakete gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen unterlassener Wertdeklaration zurechnen lassen. Dies folge schon daraus, dass die Versicherungsnehmerin keine Kenntnis davon gehabt habe, dass die Beklagte Wertpakete mit einer Wertdeklaration sicherer befördere. Zudem fehle es an nachvollziehbarem Vortrag und Beweisantritt dazu, dass die behaupteten Kontrollen bei Wertpaketen auch bei dem zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten praktizierten EDI-Verfahren stattfinden könnten.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen im Umfang der Zulassung der Revision zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann in den noch anhängigen Schadensfällen ein Mitverschulden der Versenderin in Betracht kommen.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Fall des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB zu berücksichtigen ist (vgl. , TranspR 2003, 467, 471; Urt. v. - I ZR 55/01, TranspR 2004, 177, 179).

2. Nicht beigetreten werden kann dem Berufungsgericht in seiner Annahme, ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen Unterlassens einer Wertdeklaration komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagte Pakete bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, also besonderen Sicherungen unterstellt hätte und die Versicherungsnehmerin hiervon Kenntnis gehabt habe.

a) Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Versender in einen gemäß § 425 Abs. 2 HGB (§ 254 Abs. 1 BGB) beachtlichen Selbstwiderspruch geraten kann, wenn er trotz Kenntnis, dass der Frachtführer die Pakete bei richtiger Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt (vgl. BGHZ 149, 337, 353; , TranspR 2004, 399, 401). Eine solche Kenntnis hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Es ist jedoch weiter davon auszugehen, dass es für ein zu berücksichtigendes Mitverschulden ausreichen kann, wenn der Versender die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch den Transporteur hätte erkennen müssen (vgl. , TranspR 2006, 202, 204; Urt. v. - I ZR 46/04, TranspR 2006, 205, 206). Von einem Kennenmüssen der Anwendung höherer Sorgfalt bei korrekter Wertangabe kann im Allgemeinen ausgegangen werden, wenn sich aus den Beförderungsbedingungen des Transporteurs ergibt, dass er für diesen Fall bei Verlust oder Beschädigung des Gutes höher haften will. Diese Kenntnis wurde der Versicherungsnehmerin durch Nr. 10 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten vermittelt (vgl. BGH TranspR 2006, 205, 206 f.).

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Vortrag der Beklagten, sie behandele wertdeklarierte Pakete sorgfältiger als nicht wertdeklarierte, nicht deshalb unerheblich, weil die verlorengegangenen Pakete jeweils im Wege des so genannten EDI-Verfahrens versandt worden sind.

aa) Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dargetan, auf welche Weise sie sicherstellt, dass Wertpakete auch in diesem Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert werden.

bb) Mit dieser Begründung kann ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin wegen Unterlassens einer Wertdeklaration nicht verneint werden. Die von der Beklagten vorgetragenen zusätzlichen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen können allerdings nicht umgesetzt werden, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnehmen, bei der Eingabe der Paketdaten zwar eine Wertdeklaration vornehmen, das wertdeklarierte Paket dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder geben. Zu Recht weist die Revision aber darauf hin, dass es offenkundig ist, dass eine gesonderte Behandlung im Falle einer gesonderten Übergabe an den Frachtführer möglich ist (vgl. , NJW-RR 2007, 28 Tz 32 = TranspR 2006, 394).

Wenn - was mangels Feststellungen des Berufungsgerichts zu Gunsten der Beklagten zu unterstellen ist - die konkrete Ausgestaltung des Versandverfahrens dem Absender keinerlei Anhaltspunkte bietet, auf welche Weise wertdeklarierte Pakete einem besonders kontrollierten Transportsystem zugeführt werden, hat er selbst Maßnahmen zu ergreifen, um auf eine sorgfältigere Behandlung des wertdeklarierten Pakets aufmerksam zu machen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 28 Tz 32). Ein schadensursächliches Mitverschulden der Versenderin kommt deshalb in Betracht, weil sie hätte erkennen können, dass eine sorgfältigere Behandlung durch die Beklagte nur gewährleistet ist, wenn wertdeklarierte Pakete nicht mit anderen Paketen in den Feeder gegeben, sondern dem Abholfahrer der Beklagten gesondert übergeben werden. Dass eine solche gesonderte Übergabe an den Abholfahrer erforderlich ist, liegt angesichts der Ausgestaltung des vorliegend angewandten Verfahrens, das im beiderseitigen Interesse der Beschleunigung des Versands darauf angelegt ist, dass Paketkontrollen zunächst unterbleiben (vgl. , TranspR 2005, 403, 404), für einen ordentlichen und vernünftigen Versender auf der Hand (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz 32).

c) Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die unterlassenen Wertangaben auf den in Verlust geratenen Paketen die Schäden mit verursacht haben, weil die Beklagte bei richtiger Wertangabe und entsprechender Bezahlung des höheren Beförderungstarifs ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte.

Gelingt der Beklagten dieser Beweis nicht, wird sich das Berufungsgericht mit dem Einwand des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB auseinanderzusetzen haben, der nicht die Feststellung voraussetzt, dass der Frachtführer Wertsendungen generell sicherer befördert. Die Kausalität des Mitverschuldenseinwands nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlichen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (, TranspR 2006, 208, 209). Ein ungewöhnlich hoher Schaden i.S. dieser Vorschrift ist jedenfalls im Schadensfall 14 gegeben, da der Wert des Paketinhalts 5.000 € übersteigt (vgl. BGH TranspR 2006, 208, 209; NJW-RR 2007, 28 Tz 34). Bei dem Schadensfall 10 kann dies aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Zwar lag der Wert des in Verlust geratenen Gutes über 5.000 €. Zu berücksichtigen ist aber insoweit, dass zwei Pakete verlorengegangen sind. Nach dem Zweck der Obliegenheit zur Warnung vor der Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens, der darin besteht, den Schädiger auf eine für ihn nicht erkennbare Gefahr hinzuweisen (vgl. MünchKomm.BGB/Oetker, 5. Aufl., § 254 Rdn. 70 ff.), kommt es maßgeblich auf den Wert eines Pakets an (vgl. BGH TranspR 2006, 208, 209). Die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens kann daher nur dann angenommen werden, wenn in einem der Pakete Waren in einem Wert von mehr als 5.000 € enthalten gewesen sind. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

III. Danach kann das angefochtene Urteil, soweit es von der Revision angegriffen wird, keinen Bestand haben. Es ist daher auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit das Berufungsgericht in den Verlustfällen 10, 14, 15 und 26 ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin verneint hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision einschließlich der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
MAAAC-59128

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein