Leitsatz
Das Kreiswehrersatzamt hat einen zurückgestellten Wehrpflichtigen, der nach Beendigung der Zurückstellung die Regelaltersgrenze für die Einberufung von 23 Jahren erreicht, nach Möglichkeit noch vor diesem Zeitpunkt zum Wehrdienst einzuberufen, auch wenn dabei der übliche Einberufungsturnus zum Beginn eines Quartals nicht eingehalten werden kann.
Gesetze: WPflG § 5
Instanzenzug: VG Köln VG 8 K 2397/05 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der mit ihr allein geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Die Beklagte hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob bei einer Einberufung nach Ablauf der Zurückstellungsfrist zum nächsten vierteljährlichen Haupteinberufungstermin eine ordnungsgemäße Sachbearbeitung im Rahmen des normalen Geschäftsgangs vorliegt, die zur Ursächlichkeit der Zurückstellung für die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Einberufung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a WPflG führt". Sie möchte diese Frage im Gegensatz zu der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts bejahen. Nach den Feststellungen im angefochten Urteil wurde der Kläger nach seiner ausbildungsbedingten Zurückstellung vom Wehrdienst, die am endete, zur Ableistung des Grundwehrdienstes ab dem einberufen; zwischenzeitlich, nämlich am , hatte er das 23. Lebensjahr vollendet. Das Verwaltungsgericht hat die Einberufung des Klägers wegen Überschreitung der Regelaltersgrenze nach § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG für rechtswidrig gehalten. Nach seiner Ansicht hätte der Kläger bei ordnungsgemäßer Sachbearbeitung bereits zum und damit noch vor der Vollendung seines 23. Lebensjahres einberufen werden können. Die Beklagte hält dem entgegen, die Überschreitung der Regelaltersgrenze sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a WPflG gerechtfertigt gewesen, weil der Kläger dem normalen Verwaltungsablauf entsprechend zu dem auf den Ablauf der Zurückstellungsfrist folgenden nächsten Haupteinberufungstermin einberufen worden sei.
Es bestehen bereits Zweifel, ob der Rechtsstreit die nach § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche allgemeine, d.h. über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat; denn ihm liegt ein besonderes Zusammenwirken von Lebensalter des Klägers, dem zeitlichen Ablauf des wehrrechtlichen Heranziehungsverfahrens und dem Einberufungsschema der Beklagten zugrunde. Jedenfalls bleibt die Beschwerde deswegen ohne Erfolg, weil die aufgeworfene Rechtsfrage auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens zweifelsfrei im Sinne des Verwaltungsgerichts zu beantworten ist.
Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG leisten Grundwehrdienst Wehrpflichtige, die zu dem für den Diensteintritt festgesetzten Zeitpunkt das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Abweichend hiervon können nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a WPflG Wehrpflichtige, die wegen einer Zurückstellung nach § 12 WPflG nicht vor Vollendung des 23. Lebensjahres zum Grundwehrdienst herangezogen werden konnten, noch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres einberufen werden, wenn der Zurückstellungsgrund entfallen ist. Die Voraussetzungen, unter denen die Regelaltersgrenze von 23 Jahren überschritten werden darf, sind nicht nur dann erfüllt, wenn der Wehrpflichtige während der Zurückstellung 23 Jahre alt geworden ist oder wenn die Zurückstellung bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres angedauert hat, sondern auch dann, wenn eine Einberufung in der Zeit nach der Zurückstellung bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze aus tatsächlichen oder (und) rechtlichen Gründen nicht mehr möglich war. Ob eine rechtzeitige Einberufung möglich oder unmöglich war, beurteilt sich nach dem Kriterium der ordnungsgemäßen Sachbearbeitung im Rahmen des normalen Geschäftsgangs (vgl. BVerwG 8 C 3.96 - Buchholz 448.0 § 5 WPflG Nr. 21 und vom - BVerwG 8 C 24.96 - BVerwGE 102, 195 = Buchholz 448.0 § 5 WPflG Nr. 25, jeweils m.w.N.).
Was zu den Erfordernissen der "ordnungsgemäßen Sachbearbeitung im Rahmen des normalen Geschäftsgangs" zu rechnen ist, hängt außer von den jeweils besonderen Sachverhaltsgegebenheiten auch von den rechtlichen Umständen ab, welche mit dem vorangegangenen Heranziehungshindernis verbunden sein können (vgl. Steinlechner/Walz, WPflG, 6. Aufl. 2003, § 5 Rn. 11). Während Wehrpflichtige, die wegen vorübergehender Wehrdienstunfähigkeit befristet zurückgestellt worden sind, auch nach dem Ablauf der Zurückstellungsfrist nicht ohne weiteres einberufen werden können, stehen Wehrpflichtige, die aus anderen Gründen - etwa zum Zweck ihrer Ausbildung oder wegen Unentbehrlichkeit im Betrieb - zurückgestellt worden sind, mit dem Ablauf der Zurückstellungsfrist für den Grundwehrdienst zur Verfügung, sofern sie nicht auf einen neuen Zurückstellungsantrag wiederum zurückgestellt werden (vgl. Urteil vom a.a.O.). In solchen Fällen müssen die Wehrersatzbehörden alles Nötige veranlassen, um den Wehrpflichtigen innerhalb der Regelaltersgrenze nach § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG heranzuziehen, und der Wehrpflichtige muss sich seinerseits darauf einrichten, dass er alsbald nach dem Ablauf der Zurückstellungsfrist bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres einberufen wird. Daher muss das Kreiswehrersatzamt bei einer Zurückstellung nach § 12 Abs. 2 bis 5 WPflG das Heranziehungsverfahren so rechtzeitig vor dem Ende der Zurückstellung einleiten, dass die Einberufung sofort und noch vor Vollendung des 23. Lebensjahres erfolgen kann (Steinlechner/Walz, a.a.O. § 5 Rn. 13). Die Einberufung lediglich zum Quartalsbeginn, wie sie die Beklagte im Auge hat, kann im Einzelfall dem Grundsatz aus § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG widersprechen. Sie ist gesetzlich nicht vorgegeben und kann daher als bloße Verwaltungspraxis gegenüber der gesetzlich bestimmten Einberufungsgrenze nach § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG keine Geltung beanspruchen. Das bedeutet, dass sich die Einberufungsbehörden bei ordnungsgemäßer Sachbearbeitung nicht an die vierteljährlichen Haupteinberufungstermine gebunden fühlen dürfen, sondern dass sie umgekehrt, soweit erforderlich, ihre Einberufungspraxis der Regelaltersgrenze anpassen müssen.
Der Senat verkennt nicht, dass die Praxis regelmäßiger, quartalsweiser Einberufungstermine den Belangen einer Militärorganisation entspricht, die die Wehrpflichtigen nach ihrer Einberufung zunächst ausbilden und dafür die erforderlichen - insbesondere personellen - Ressourcen bereitstellen muss. § 21 WPflG erlaubt diese Praxis. Die Vorschrift enthält hinsichtlich der Festlegung der Einberufungstermine keinerlei materielle Vorgaben und eröffnet daher für die Verwaltungspraxis einen weiten Gestaltungsspielraum. Dessen Ausfüllung durch die Beklagte darf andererseits nicht dazu führen, dass die verbindlichen Entscheidungen des Gesetzgebers zur Festlegung der Altersgrenze und zu deren ausnahmsweiser Überschreitung in § 5 Abs. 1 WPflG relativiert oder gar ausgehöhlt werden. Davon wäre aber auszugehen, wenn es der Beklagten gestattet wäre, die Altersgrenze um (maximal) nahezu drei Monate zu überschreiten, obwohl die Einberufung nach Ablauf der Zurückstellungsfrist noch vor Vollendung des 23. Lebensjahres objektiv möglich war. Der in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts anerkannte Maßstab "ordnungsgemäße Sachbearbeitung im Rahmen des normalen Geschäftsgangs" zur Beurteilung der Frage, ob die Zurückstellung für die Unmöglichkeit rechtzeitiger Einberufung ursächlich war, meint rechtliche Anforderungen wie Anhörung, vollziehbare Tauglichkeitsüberprüfung oder Einberufungsfrist, aber auch tatsächliche Aspekte, denen sich die Beklagte nicht entziehen kann. Nicht davon erfasst sind jedoch selbstgesetzte Einberufungsrichtlinien, auch wenn diese aus organisatorischer und militärfachlicher Sicht sachlich geboten erscheinen. Die Praxis der Einberufung zum Quartalsbeginn ist in der großen Mehrzahl der in Rede stehenden Fälle ohne Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 WPlfG möglich, wenn nämlich in den Zeitraum vom Ablauf der Zurückstellungsfrist bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres mindestens ein Quartalseinberufungstermin fällt. Einzelfälle, die - wie der Fall des Klägers - eine davon abweichende Einberufung verlangen, um die Überschreitung der Altersgrenze zu vermeiden, stellen den in § 21 WPflG für die Einberufungstermine eröffneten verwaltungspraktischen Gestaltungsspielraum nicht grundsätzlich in Frage. Sie können und müssen daher wegen des gesetzlichen Gebots, die Altersgrenze durch eine noch vor ihrem Eintritt mögliche Einberufung zu wahren, außerhalb der Verwaltungsroutine bewältigt werden. Die Ausführungen der Beklagten zu Vorgaben des Haushaltsgesetzgebers zur Veranschlagungsstärke für den Grundwehrdienst stehen nicht entgegen. Diese Vorgaben entfalten im Verhältnis zum Wehrpflichtigen keine Rechtswirkung (§ 3 Abs. 2 BHO). Sie werden im Übrigen ebenso wie die Praxis vierteljährlicher Einberufungen nicht durch einzelne turnuswidrige Einberufungen in Frage gestellt.
Die Abweichung von der Regelaltersgrenze wegen der Quartalseinberufungstermine kann die Beklagte auch nicht auf den BVerwG 8 C 78.82 - stützen. Dort ist zwar ausgeführt, es erscheine im Interesse eines reibungslosen Dienstablaufs, insbesondere im Interesse einer geschlossenen und kontinuierlichen Rekrutenausbildung ermessensgerecht, dass der neue Dienstantrittstermin auf den nächsten allgemeinen Gestellungszeitpunkt () festgesetzt worden sei (BA S. 5). Allerdings betraf dieser Fall gerade keinen Verstoß gegen die Regelaltersgrenze in § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG. Vielmehr ging es - im Rahmen eines bestehenden Einberufungsbescheides - um die Festsetzung eines neuen Dienstantrittszeitpunktes. Auf die Auswahl dieses Zeitpunktes bezog sich die Erwägung in der Entscheidung zur Auswahl des allgemeinen Gestellungszeitpunktes als neuen Dienstantrittstermin. Deshalb ist in dem genannten Beschluss ausdrücklich klargestellt, dass die Festsetzung des Dienstantrittszeitpunktes im streitgegenständlichen Fall nicht gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG verstieß, weil dafür maßgebend der Beginn des Wehrdienstverhältnisses war, das unabhängig von dem tatsächlichen Dienstantritt mit dem in diesem Bescheid genannten Gestellungszeitpunkt begründet wurde (BA S. 6).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen, weil sie die Beschwerde ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Der Streitwert bestimmt sich nach § 52 Abs. 2 GKG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAC-59121