Voraussetzung einer Bilanzberichtigung
Leitsatz
Eine Bilanz kann nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert („berichtigt”) werden, wenn sie nach dem Maßstab des Erkenntnisstandes zum Zeitpunkt ihrer Erstellung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht. Dabei ist, wenn eine bestimmte Bilanzierungsfrage nicht durch die Rechtsprechung abschließend geklärt ist, jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als in diesem Sinne „richtig” anzusehen (Bestätigung des Senatsurteils vom I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688).
Gesetze: EStG § 4 Abs. 2 Satz 1
Instanzenzug: (EFG 2006, 1410) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Änderung einer Bilanz nach § 4 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Sparkasse, gewährt einigen ihrer aktiven und ehemaligen Beschäftigten im Krankheitsfall Beihilfen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Sie bildete erstmals in ihren Bilanzen zum und zum (Streitjahre) eine Rückstellung für Beihilfen an Pensionäre. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erließ im Anschluss an eine Außenprüfung Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen die Zuführungen zu der Rückstellung nicht gewinnmindernd berücksichtigt waren.
Die Klägerin legte gegen diese Bescheide Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens wurde ihr das Urteil des erkennenden Senats vom I R 71/00 (BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279) bekannt. Nach diesem Urteil ist für die Verpflichtung, Pensionären und aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestandes Beihilfen zu gewähren, eine Rückstellung zu bilden. Die Klägerin erweiterte daraufhin ihr Begehren dahin, dass auch die Zuführungen zu einer Rückstellung für entsprechende Verpflichtungen gegenüber noch im aktiven Dienst befindlichen Bediensteten zu berücksichtigen seien. Das FA folgte diesem Begehren in der Einspruchsentscheidung nicht.
Der daraufhin erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt (). Die Entscheidungsgründe seines Urteils sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1410 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat die von der Klägerin geltend gemachten (zusätzlichen) Gewinnminderungen zu Recht nicht berücksichtigt.
1. Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung einer Rückstellung für künftige Beihilfeverpflichtungen gegenüber Arbeitnehmern, die in den Streitjahren noch in aktiven Beschäftigungsverhältnissen standen. Nach der Rechtsprechung des Senats musste sie nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in den Bilanzen für die Streitjahre eine solche Rückstellung bilden (Senatsurteil in BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279). Davon geht ersichtlich auch das FA aus.
2. Dem Erfolg der Klage steht jedoch entgegen, dass die Klägerin in ihren ursprünglichen Bilanzen für die Streitjahre die hiernach gebotenen Rückstellungen nicht gebildet hat und dass dies nach dem damaligen Erkenntnisstand mit den Grundsätzen kaufmännischer Sorgfalt vereinbar war.
a) Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG durch Vermögensvergleich. Sie muss dabei für den Schluss eines jeden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG).
b) Die Bilanzen der Klägerin werden zwar, was die Rückstellungen für Beihilfeleistungen an künftige Pensionäre angeht, bei objektiver Betrachtung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann ein Bilanzansatz aber nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert („berichtigt”) werden, wenn und soweit er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den der Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung haben konnte (Senatsurteil vom I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, m.w.N.). Das gilt nicht nur insoweit, als es um die Einschätzung tatsächlicher Umstände geht (dazu , BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375), sondern ebenso im Hinblick auf die aus diesen Umständen zu ziehenden rechtlichen Folgerungen (, BFHE 117, 44, 53, BStBl II 1976, 88, 92; vom IV R 59/91, BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392). Die „Richtigkeit” eines Bilanzansatzes, der im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung den Grundsätzen kaufmännischer Sorgfalt entsprach, wird mithin durch eine später eingetretene Veränderung in der rechtlichen Beurteilung des betreffenden Vorgangs nicht berührt. Ein solcher Bilanzansatz ist deshalb auch dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn er im Lichte der nachträglich gewonnenen Erkenntnisse als objektiv unrichtig erscheint.
Vor diesem Hintergrund hat der BFH entschieden, dass eine Rechtsprechungsänderung nicht zur „Unrichtigkeit” eines Bilanzansatzes führt, der der zur Zeit der Bilanzaufstellung vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht (BFH-Urteil in BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392). Zum anderen muss, wenn in jenem Zeitpunkt noch keine Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, im Rahmen der Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als „richtig” angesehen werden (Senatsurteil in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, m.w.N.). Diese Rechtsprechung ist zwar im Schrifttum auf Kritik gestoßen (z.B. Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 411; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rz C 105 ff.; Herzig/Nitzschke, Betriebs-Berater 2007, 304; zustimmend hingegen Crezelius in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 4 Rz 235; Strahl in Korn, § 4 EStG Rz 421; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz 983, m.w.N. zum Meinungsstand). Der Senat hält jedoch an ihr fest.
c) Im Streitfall waren die von der Klägerin aufgestellten Bilanzen insoweit, als dort keine Rückstellungen für künftige Beihilfeverpflichtungen gegenüber (noch) aktiven Arbeitnehmern ausgewiesen waren, in dem vorstehend beschriebenen „subjektiven” Sinne „richtig”. Das hat der Senat für einen Fall, in dem es um dieselbe Problematik im Zusammenhang mit einer Bilanz für das Jahr 1995 ging, entschieden (Senatsurteil in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688). Diese Beurteilung, an der ebenfalls festzuhalten ist, lässt sich auf den Streitfall übertragen.
Ein anderes Ergebnis folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht daraus, dass es im Streitfall um Bilanzen für die Jahre 1998 und 1999 geht. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang zwar zu Recht darauf, dass das FG Nürnberg im Jahr 2000 für die hier in Rede stehende Konstellation die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für notwendig erachtet hatte (, EFG 2000, 1306). Jedoch hat das FG zum einen nicht festgestellt, ob die hier in Rede stehenden Bilanzen der Klägerin vor oder nach dem Ergehen und dem Bekanntwerden jenes Urteils aufgestellt worden sind. Zum anderen ist das Urteil des FG Nürnberg mit der Revision angegriffen worden, worin zum Ausdruck kommt, dass es noch nicht zu einer abschließenden Klärung der Problematik geführt hat. In dieser Situation musste ein ordentlicher Kaufmann sich im Rahmen der Bilanzierung nicht notwendig an der vom FG Nürnberg vertretenen Ansicht orientieren; er war vielmehr berechtigt, der abweichenden Einschätzung der Finanzverwaltung entsprechend die Bildung einer Rückstellung zu unterlassen. Eine andere Ausgangslage ergab sich erst durch das Senatsurteil in BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279, mit dem über die Revision gegen das Urteil des FG Nürnberg entschieden wurde; dieses Urteil ist jedoch zeitlich nach der Aufstellung der hier in Rede stehenden Bilanzen ergangen.
d) Angesichts dessen können die von der Klägerin geltend gemachten zusätzlichen Zuführungen zu den Beihilferückstellungen nicht auf den Gesichtspunkt der Änderung einer unrichtigen Bilanz (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG) gestützt werden. Einer solchen „Bilanzberichtigung” steht entgegen, dass die ursprünglichen Bilanzen der Klägerin nach dem insoweit maßgeblichen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung im Hinblick auf die Beihilferückstellungen den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen. Abgesehen davon hat das FG nicht festgestellt, dass die Klägerin geänderte Bilanzen erstellt hat; das wäre aber Voraussetzung für eine Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG, da eine Bilanzberichtigung nur vom Unternehmer selbst vorgenommen werden kann (, BFHE 190, 404, BStBl II 2000, 129; Schoor, Deutsche Steuer-Zeitung 2007, 274, 276; Stapperfend, a.a.O., § 4 EStG Rz 399, m.w.N.).
e) Ebenso kann der Hinweis der Klägerin auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Die Klägerin führt dazu aus, die ursprünglichen Steuerbescheide für die Streitjahre seien unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) erlassen worden, weshalb dem FA eine abschließende Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen oblegen habe; im Rahmen dieser Überprüfung habe das FA die rechtlich zutreffenden Besteuerungsgrundlagen ansetzen (§ 85 Satz 1 AO) und unter diesem Gesichtspunkt die Rückstellungen in der (nunmehr) geltend gemachten Höhe berücksichtigen müssen. Diese Argumentation geht deshalb fehl, weil das FA im Rahmen der Steuerfestsetzung an die von der Klägerin zulässigerweise gebildeten Bilanzansätze gebunden ist. Es darf von diesen Bilanzansätzen zwar abweichen, wenn sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht entsprechen; das ist aber auch in diesem Zusammenhang nach dem Maßstab des Verhaltens eines ordentlichen Kaufmanns zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung zu beurteilen, nach denen im Streitfall ein Verstoß gegen Buchführungsgrundsätze nicht vorliegt.
f) Das FG hat sein der Klage stattgebendes Urteil damit begründet, dass nach der Rechtsprechung des BFH ein unrichtiger Bilanzansatz grundsätzlich im Rahmen der zeitlich ersten Veranlagung korrigiert werden muss, für die noch Steuerbescheide erlassen werden dürfen. Diese Aussage ist zwar als solche zutreffend (vgl. dazu nur Senatsurteil vom I R 58/05, BFHE 213, 559, BStBl II 2006, 928, m.w.N.). Jedoch ist auch in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines „Bilanzierungsfehlers” nach Maßgabe des „subjektiven” Fehlerbegriffs, also auf der Basis des tatsächlichen und rechtlichen Erkenntnisstandes zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, zu beurteilen. Deshalb darf ein „subjektiv” richtiger Bilanzansatz auch dann nicht korrigiert werden, wenn später —zum Beispiel durch eine gerichtliche Entscheidung— seine Unrichtigkeit offenbar und der Bilanzansatz dennoch in nachfolgenden Bilanzen fortgeführt wird. Vielmehr ist in einem solchen Fall der Bilanzierungsfehler bei derjenigen Veranlagung, der die erste nach dem Offenbarwerden des Fehlers aufgestellte Bilanz zugrunde liegt, nach den Grundsätzen des „formellen Bilanzenzusammenhangs” zu behandeln (BFH-Urteile in BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392; vom VIII R 51/84, BFHE 166, 431, BStBl II 1992, 512, 516; vom I R 78/85, BFH/NV 1990, 630). Dies kann sich aber im Streitfall auf keine der angefochtenen Steuerfestsetzungen auswirken.
g) Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht von den vom FG zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen ab. Zwar hat der IV. Senat mit Urteil vom IV R 62/66 (BFHE 87, 531, BStBl III 1967, 222) entschieden, dass eine Rückstellung für eine Pensionsverpflichtung einer Personengesellschaft gegenüber ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer auch dann nicht anzuerkennen sei, wenn im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung die höchstrichterliche Rechtsprechung noch von der Zulässigkeit einer solchen Rückstellung ausgegangen sei. Jedoch hat er diese Sachbehandlung ausdrücklich von derjenigen bei Kapitalgesellschaften abgegrenzt (BFH-Urteil in BFHE 87, 531, 538, BStBl III 1967, 222, 225), weshalb schon zweifelhaft ist, ob der genannte Rechtssatz nicht nur für die Bilanzierung bei Personengesellschaften gelten sollte. Unabhängig davon hat der IV. Senat sich jedoch in der Folgezeit wiederholt zum „subjektiven” Fehlerbegriff bekannt (BFH-Urteile in BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88; in BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392) und damit eine etwa abweichende andere Rechtsansicht stillschweigend aufgegeben. Das vom FG weiter zitierte Urteil vom IV R 50/93 (BFH/NV 1996, 460) betrifft die hier interessierende Frage nicht, da es dort darum ging, dass im Anschluss an eine in 1973 vollzogene Rechtsprechungsänderung ein hierdurch unrichtig gewordener Bilanzansatz in der Bilanz zum korrigiert worden war; das entspricht einer Anwendung der Grundsätze zum „formellen Bilanzenzusammenhang” auf eine nur „subjektiv” richtige Bilanz.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 818
BB 2007 S. 2176 Nr. 40
BB 2007 S. 2337 Nr. 43
BB 2008 S. 42 Nr. 1
BBK-Kurznachricht Nr. 20/2007 S. 1080
BFH/NV 2007 S. 2168 Nr. 11
BFH/NV 2007 S. 2168 Nr. 11
BStBl II 2007 S. 818 Nr. 17
DB 2007 S. 2119 Nr. 39
DStR 2007 S. 1711 Nr. 39
DStRE 2007 S. 1346 Nr. 20
DStZ 2007 S. 714 Nr. 22
EStB 2007 S. 395 Nr. 11
FR 2008 S. 88 Nr. 2
GStB 2007 S. 41 Nr. 11
HFR 2007 S. 1090 Nr. 11
KÖSDI 2007 S. 15728 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 34/2008 S. 3215
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2007 S. 3409
SJ 2007 S. 27 Nr. 22
StB 2007 S. 401 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2007 S. 706
StuB-Bilanzreport Nr. 19/2007 S. 744
SAAAC-58394