BGH Beschluss v. - 5 StR 267/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 66; StGB § 66b; StGB § 66b Abs. 1; StGB § 66b Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4

Instanzenzug: LG Braunschweig vom

Gründe

Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 und 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Verurteilte am vom Landgericht Braunschweig wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 35 Fällen (Einzelstrafen: in drei Fällen ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe, in 32 Fällen ein Jahr und sechs Monate), versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen (je neun Monate Einzelstrafe) und sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen (je ein Jahr Einzelstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte im Zeitraum zwischen März und September 2001 mit vier Jungen aus seinem Bekanntenkreis, die zu den Tatzeiten sieben bis dreizehn Jahre alt waren und sich ihm teilweise anboten, sexuelle Handlungen, u. a. Anal- und Oralverkehr, ausführte. Zur Anwendung von Gewalt kam es dabei nicht; für die Sexualkontakte entlohnte der Angeklagte die Kinder mit Geld.

Nach einem in der damaligen Hauptverhandlung verlesenen psychiatrischen Gutachten lag bei dem Angeklagten eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie vor. Diese blieb nach Auffassung des Sachverständigen jedoch ohne Einfluss auf die Schuldfähigkeit, wofür insbesondere spreche, dass der Angeklagte zu den Geschädigten eine langfristige und emotional getragene Beziehung unterhalten habe, Tendenzen zur Promiskuität und Anonymität nicht zu erkennen gewesen seien und er in der Lage gewesen sei, von seinem Vorhaben abzusehen, wenn die Geschädigten sich widersetzt hätten. Weiterhin hielt der Gutachter fest, dass der Verurteilte die Taten auch im Nachhinein "befürwortet". Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB wurde im Urteil nicht erörtert.

Vor Begehung dieser Taten war der Verurteilte neben nicht einschlägigen Vorverurteilungen bereits 1993 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und mit homosexuellen Handlungen zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Zum Gegenstand der einschlägigen Vorverurteilung enthält das Urteil keine Feststellungen.

Während des Strafvollzuges lebte der Verurteilte sehr zurückgezogen, engen Kontakt zu Mitgefangenen hatte er nicht. Ein Therapieversuch scheiterte, da er keinen eindeutigen Lebenslauf schilderte. Wegen der Begehung von Sexualdelikten zu Lasten von Kindern und seiner offensiven Verteidigung des DDR-Regimes wurde er von Mitgefangenen gehänselt. Der Verurteilte reagierte auf diese Außenseiterstellung, indem er seinen Zellengenossen skurrile Angebereien erzählte (UA S. 14). So beanspruchte er in einem Brief an Fidel Castro eine kubanische Insel, brüstete sich mit Waffenlagern und der Ankündigung, er werde sich an den Leuten rächen, die ihn ins Gefängnis gebracht hätten. Seinem Zellengenossen L. erzählte er auch, er habe noch eine "alte Sache" offen, diese verjähre nicht. Als L. ihm vorhielt, dass er die Finger nicht von Kindern lassen könne und deshalb bald wieder in Haft komme, entgegnete der Verurteilte, in Zukunft werde es keine Kinder mehr geben, die gegen ihn aussagen könnten. Als L. einwandte, dass er dann alle Kinder, mit denen er "etwas mache", umbringen müsse, antwortete der Verurteilte, "was getan werden müsse, müsse getan werden". L. wandte sich an einen Stationsbeamten, dem er von dem Gespräch mit dem Verurteilten berichtete. Als der Beamte dem Verurteilten vorhielt, er habe gesagt, es werde keine Kinder mehr geben, die gegen ihn aussagen könnten, antwortete er, dass dies zutreffe, aber nicht ernst gemeint gewesen sei, er habe sich nur gegenüber seinem Zellengenossen brüsten wollen.

Das Landgericht hat diese Äußerung als neue Tatsache im Sinne des § 66b Abs. 1 und 2 StGB gewertet. Wenngleich die übrigen Äußerungen reine Prahlereien gewesen und auch so von den Mithäftlingen verstanden worden seien, könne dies für die Ankündigung von Verdeckungsmorden - nur so sei die Erklärung des Verurteilten zu verstehen - nicht gelten. Die Ankündigung derartiger Taten sei zum Angeben gegenüber Mithäftlingen nicht geeignet, da sie nur zu einer Verschlechterung der ohnehin bedrängten Situation des Verurteilten auf der Station führen konnte. Die Frage, wie ernst diese Äußerung zu nehmen sei, sei letztlich eine Frage der Gefährlichkeitsprognose, die aufgrund der neuen Tatsache erneut zu stellen sei. Die Äußerungen zeigten, dass sich der Verurteilte weiter mit Missbrauchshandlungen gedanklich beschäftigt habe und auch die Tötung potenzieller Opfer in Betracht gezogen habe. Wegen seiner verfestigten Pädophilie, die einen Hang im Sinne des § 66 StGB darstelle, seien einschlägige Straftaten sehr wahrscheinlich, hinzu trete nunmehr als neue Tatsache die Befürchtung, der Verurteilte werde seine Opfer auch töten. Dies sei nicht "von der Hand zu weisen", vielmehr sogar hoch wahrscheinlich, da der Verurteilte nichts mehr zu verlieren habe.

2. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Vorliegen neuer Tatsachen, die erst nach der Verurteilung erkennbar geworden sind und auf eine erhebliche Gefährlichkeit hinweisen, ist nicht tragfähig festgestellt.

Zwar können neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB auch innere Tatsachen, wie Umstände und Veränderungen in der Persönlichkeit oder der Motivation des Verurteilten sein (BGH StraFo 2007, 120, 121), ebenso wie die Drohung des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen (BT-Drucks. 15/2887 S. 12). Grundsätzlich ist daher eine erst nach der Verurteilung durch entsprechende Drohungen erkennbare Bereitschaft, zukünftige Opfer von Straftaten zu töten, ein zulässiger Anknüpfungspunkt für die besondere Gefährlichkeit im Sinne des § 66b StGB. Das Landgericht hat allerdings eine erhebliche Indizwirkung der festgestellten Äußerungen für eine solche Bereitschaft und damit für die Gefährlichkeit des Verurteilten nicht dargelegt. Denn es hat sich nicht rechtsfehlerfrei von der Ernsthaftigkeit der Äußerungen des Verurteilten überzeugt.

Die Urteilsgründe lassen die erforderliche umfassende Auseinandersetzung mit den Deutungsmöglichkeiten des Gesprächs zwischen dem Verurteilten und seinem Zellengenossen vermissen. Dies war hier umso mehr geboten, als es sich hierbei um das einzige Beweismittel für die von der Strafkammer angenommene - aber nicht weiter belegte - hohe Wahrscheinlichkeit der Tötung eines Kindes durch den Verurteilten handelt.

Bei der Würdigung der Motivation des Verurteilten für die in Frage stehenden Äußerungen hat das Landgericht wesentliche Anhaltspunkte für eine abweichende Erklärung seines Verhaltens nicht erörtert. So hat es nicht ausreichend geprüft, inwieweit diese Äußerungen ihre Ursache nur in der Vollzugssituation (vgl. hierzu BGHSt 50, 373, 378; ) bzw. in der Stellung des Verurteilten in der Vollzugsgemeinschaft haben könnten. Das Landgericht reduziert das Ziel möglicher Prahlereien auf eine Verbesserung der Außenseiterstellung des Verurteilten. Dabei bedenkt es nicht, dass es ihm auch darum gegangen sein könnte, diese durch die Ankündigung besonderer Skrupellosigkeit zu verstärken und sich als unnahbar und unangreifbar - immerhin erfolgte die Drohung als Reaktion auf den Vorhalt, der Verurteilte werde alsbald wieder überführt werden - darzustellen. Insbesondere im Zusammenhang mit den übrigen, nicht als ernstlich gewerteten Äußerungen des Verurteilten und dessen festgestelltem Vollzugsverhalten musste eine solche Deutung unbedingt erörtert werden.

Bei der Bewertung der Ernsthaftigkeit der Drohung des Verurteilten setzt sich das Landgericht auch nicht mit seiner Persönlichkeit, seinem Lebensweg bis zu den Anlasstaten, deren Ausführung und seinem Vollzugsverhalten auseinander. Hierbei wäre zunächst der Umstand zu berücksichtigen gewesen, dass gewalttätiges Handeln des Verurteilten nicht belegt ist. Vielmehr sind bei der Anlassverurteilung die gewaltlose Durchführung und die emotionale Beziehung zu den Opfern besonders hervorgehoben worden. Auch im Vollzug, also über einen Zeitraum von über fünf Jahren, hat der nunmehr 51 Jahre alte Verurteilte keine Gewalt angewendet. Dies alles steht zwar der Ernstlichkeit der Ankündigung nicht zwingend entgegen, hätte aber einer vertieften Auseinandersetzung bedurft.

Das unkommentierte Hineinkopieren von Teilen der vorbereitenden schriftlichen Gutachten der hinzugezogenen Sachverständigen in die Urteilsgründe ersetzt eine solche Erörterung nicht. Zudem ist den auf diese Weise mitgeteilten Ergebnissen der Sachverständigen ein tragfähiger Bezug zwischen der Ankündigung des Verurteilten und seiner Persönlichkeitsstruktur bzw. den diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen nicht zu entnehmen. Die Sachverständigen bestätigen die bereits bei der Anlassverurteilung festgestellte tiefverwurzelte Pädophilie, darüber hinaus haben sie keinen belastbaren Erkenntniswert. Der Sachverständige R. erachtet eine Aussage "über die Persönlichkeitsartung als Prognoseparameter für schlichtweg nicht möglich"; der Sachverständige M. konzentriert sich bei der Erörterung maßgeblicher neuer Tatsachen auf das - hier nicht erhebliche - Fehlen der Therapiemotivation und äußert sich zur Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Gewaltdelikten widersprüchlich. Stellt er zunächst fest, dass Gewalttaten vom Verurteilten nicht zu erwarten seien, relativiert er dies, indem er - ausgehend von Berichten des Verurteilten über gewalttätige Handlungen, deren Inhalt nicht mitgeteilt wird - von einer "motivational getragenen Eintrittswahrscheinlichkeit" ausgeht. Rückschlüsse auf die Bereitschaft des Verurteilten zu Tötungsdelikten oder sonstigen Gewalttaten erlauben diese Ausführungen nicht.

3. Der neue Tatrichter wird zeitnah unter Hinzuziehung neuer Sachverständiger erneut über den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu entscheiden haben. Dabei wird zu beachten sein, dass § 66b StGB nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen dient (BGHSt 50, 373, 379; BVerfG NJW 2006, 3483), mithin die damals wie auch heute vorliegende außerordentlich hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung neuer Sexualdelikte nicht alleinige Grundlage für die nachträgliche Sicherungsverwahrung sein kann. Das von der Staatsanwaltschaft akzeptierte Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil vom kann nicht durch die Anwendung von § 66b StGB geheilt werden. Ausschlaggebende Bedeutung wird der Frage zukommen, ob neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB vorliegen, die eine neue Art und Dimension der Gefährlichkeit des Verurteilten belegen, die damals nicht erkennbar war. Nur wenn die Äußerungen des Verurteilten ernstlich gemeint sind, weisen sie auf eine erhebliche Gefährlichkeit hin. Erst die positive Feststellung der Ernsthaftigkeit öffnet das Tor zur anschließenden umfassenden Gesamtwürdigung (BGHSt 50, 275, 278).

Fundstelle(n):
UAAAC-58295

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