Gewinnausschüttungs-Besteuerung von Zinszahlungen einer inländischen Kapitalgesellschaft an einen Darlehensgeber in einem Drittland, der zugleich Gesellschafter der Kapitalgesellschaft ist
Leitsatz
Eine nationale Maßnahme, nach der Darlehenszinsen, die eine gebietsansässige Kapitalgesellschaft an einen gebietsfremden Anteilseigner zahlt, der an ihrem Kapital wesentlich beteiligt ist, unter bestimmten Voraussetzungen als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt werden, die bei der Darlehensnehmerin besteuert wird, berührt vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit i. S. der Art. 43 ff. EG. Diese Bestimmungen können nicht bei Sachverhalten geltend gemacht werden, an denen ein Unternehmen eines Drittlands beteiligt ist.
Gesetze: EG Art. 234; EG Art. 56; EG Art. 57; EG Art. 58; Verfahrensordnung Art. 104 § 3 Abs. 1
Instanzenzug: EuGH C-492/04 (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG bis 58 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, dem die Entscheidung des Finanzamts Emmendingen (im Folgenden: Finanzamt) zugrunde liegt, für die Festsetzung der Körperschaftsteuerschuld der Lasertec Gesellschaft für Stanzformen mbH (im Folgenden: Klägerin) die von dieser an ihre Schweizer Anteilseignerin, die Lasertec AG (im Folgenden: Lasertec), gezahlten Zinsen als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln.
Nationales Recht
3 § 8a ("Gesellschafter-Fremdfinanzierung") des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) wurde durch das Standortsicherungsgesetz vom (BGBl. 1993 I S. 1569) eingeführt. Dieses Gesetz ist laut Vorlageentscheidung am in Kraft getreten.
4 In der auf den Ausgangssachverhalt anwendbaren Fassung enthielt § 8a KStG folgende Regelung:
"(1) Vergütungen für Fremdkapital, das eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft von einem nicht zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigten Anteilseigner erhalten hat, der zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr wesentlich am Grund- oder Stammkapital beteiligt war, gelten als verdeckte Gewinnausschüttungen,
...
2. wenn eine in einem Bruchteil des Kapitals bemessene Vergütung vereinbart ist und soweit das Fremdkapital zu einem Zeitpunkt des Wirtschaftsjahrs das Dreifache des anteiligen Eigenkapitals des Anteilseigners übersteigt, es sei denn, die Kapitalgesellschaft hätte dieses Fremdkapital bei sonst gleichen Umständen auch von einem fremden Dritten erhalten können oder es handelt sich um Mittelaufnahmen zur Finanzierung banküblicher Geschäfte; ...
(2) Anteiliges Eigenkapital des Anteilseigners ist der Teil des Eigenkapitals der Kapitalgesellschaft zum Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs, der dem Anteil des Anteilseigners am gezeichneten Kapital entspricht. Eigenkapital ist das gezeichnete Kapital abzüglich der ausstehenden Einlagen ...
(3) Eine wesentliche Beteiligung liegt vor, wenn der Anteilseigner am Grund- oder Stammkapital der Kapitalgesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar - auch über eine Personengesellschaft - beteiligt ist. Gleiches gilt, wenn der Anteilseigner zusammen mit anderen Anteilseignern zu mehr als einem Viertel beteiligt ist, mit denen er eine Personenvereinigung bildet oder von denen er beherrscht wird, die er beherrscht oder die mit ihm gemeinsam beherrscht werden. Ein Anteilseigner ohne wesentliche Beteiligung steht einem wesentlich beteiligten Anteilseigner gleich, wenn er allein oder im Zusammenwirken mit anderen Anteilseignern einen beherrschenden Einfluss auf die Kapitalgesellschaft ausübt."
5 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass insbesondere gebietsfremde Gesellschafter generell vom Kreis der Anrechnungsberechtigten ausgeschlossen sind.
6 Gemäß § 54 Abs. 6a KStG war § 8a erstmals für das Wirtschaftsjahr anzuwenden, das nach dem beginnt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7 Die Klägerin ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die am errichtet wurde. Sie ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig.
8 Im maßgeblichen Zeitpunkt wurden vom Stammkapital der Klägerin, das sich auf 300 000 DM belief, 100 000 DM von Herrn Papke und 200 000 DM von Lasertec gehalten.
9 Aufgrund einer Bestimmung des Gesellschaftsvertrags waren die Stammeinlagen zu einem Viertel sofort und der Rest auf Anforderung der Geschäftsführung zur Zahlung fällig.
10 Durch Darlehensvertrag vom gewährte die Lasertec der Klägerin ein Darlehen in Höhe von 700 000 DM. Der Vertrag hatte zunächst eine Laufzeit von zwei Jahren. Das Darlehen sollte mit vierteljährlichen Leistungsraten in Höhe von je 34 000 DM einschließlich der Zinsen zurückzuzahlen sein. Für das Jahr 1995 beliefen sich die Zinsaufwendungen für dieses Darlehen auf 48 132,64 DM.
11 Bei einer Betriebsprüfung im August 1997, die sich auf das Wirtschaftsjahr 1995 bezog, wurde festgestellt, dass das gezeichnete Kapital erst am eingezahlt worden war. Der Prüfer war daher der Auffassung, dass von dem Betrag des gezeichneten Kapitals (300 000 DM) der Betrag der am ausstehenden Einlage (225 000 DM) abzuziehen sei. Somit habe der Anteil von Lasertec am Eigenkapital der Klägerin zu diesem Zeitpunkt 50 000 DM betragen. Da das Darlehen der Lasertec an die Klägerin als "Fremdkapital" zu berücksichtigen sei, zog der Prüfer nach § 8a KStG vom Darlehensbetrag (700 000 DM) das Dreifache des Anteils von Lasertec am Eigenkapital der Klägerin (150 000 DM) ab. Der auf den Restbetrag von 550 000 DM entfallende Anteil der Zinsaufwendungen des Jahres 1995, nämlich 37 818 DM, sei als "verdeckte Gewinnausschüttung" zu behandeln.
12 Mit Bescheid vom stellte das Finanzamt fest, dass die fraglichen Zinsaufwendungen nach § 8a KStG als verdeckte Gewinnausschüttungen umzuqualifizieren und zu besteuern seien, und berichtigte den von der Klägerin für das Wirtschaftsjahr 1995 geschuldeten Körperschaftsteuerbetrag infolgedessen auf 16 207 DM.
13 Die Klägerin legte gegen diesen Steuerbescheid am 2. Juli 1998 Einspruch ein, den das Finanzamt durch Entscheidung vom zurückwies. Gegen diese richtet sich die am 22. März 199 beim Finanzgericht Baden-Württemberg erhobene Klage.
14 Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Baden-Württemberg beschlossen, das Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 57 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass es sich bei den Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern, die am "bestehen", um solche handeln soll, für die an diesem Stichtag das Rechtsetzungsverfahren vom nationalen Gesetzgeber bereits abgeschlossen worden ist, oder um solche, die nach den nationalen Rechtsvorschriften bereits am Stichtag auf verwirklichte Sachverhalte anwendbar sind?
2. Ist Art. 56 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 58 EG dahin auszulegen, dass damit die - teilweise - Besteuerung von Zinszahlungen einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Kapitalgesellschaft an einen Darlehnsgeber in einem dritten Land, der zugleich Gesellschafter der Kapitalgesellschaft ist, als Gewinnausschüttung verboten wird, weil es sich dabei um eine willkürliche Diskriminierung oder um eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zwischen einem Mitgliedstaat und einem dritten Land handelt?
Zu den Vorlagefragen
15 Kann die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden, so kann der Gerichtshof nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.
16 Das vorlegende Gericht möchte mit seinen Fragen wissen, ob eine nationale Regelung mit den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar ist, nach der Darlehenszinsen, die eine gebietsansässige Kapitalgesellschaft an einen in einem Drittland ansässigen Anteilseigner zahlt, der an ihrem Kapital wesentlich beteiligt ist, unter bestimmten Voraussetzungen als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt werden, die bei der gebietsansässigen Darlehensnehmerin besteuert wird.
17 Die französische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen vor, die im Ausgangsverfahren streitige nationale Rechtsvorschrift sei nur am Maßstab der Niederlassungsfreiheit und nicht an dem des freien Kapitalverkehrs zu prüfen. Sie machen im Wesentlichen geltend, diese Rechtsvorschrift betreffe nur wesentliche Beteiligungen, die einen bestimmenden Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaft verschaffen könnten, und falle damit ausschließlich in den sachlichen Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit.
18 Unter diesen Umständen ist zu prüfen, welche Freiheit als Maßstab für die Beurteilung der genannten Vorschrift heranzuziehen ist.
19 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus einer festen Rechtsprechung, dass bei der Prüfung, unter welche Verkehrsfreiheit eine nationale Rechtsvorschrift fällt, der Gegenstand der fraglichen Rechtsvorschrift zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnrn. 31 bis 33, vom , Fidium Finanz, C-452/04, Slg. 2006, I-9251, Randnrn. 34 und 44 bis 49, vom , Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-0000, Randnrn. 37 und 38, und Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 36, sowie vom , Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2006, I-0000, Randnrn. 26 bis 34).
20 Somit fallen nationale Vorschriften über den Besitz von Beteiligungen, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, in den sachlichen Geltungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Baars, C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnr. 22, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 31, und Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 27).
21 Im Ausgangsrechtsstreit gilt die fragliche nationale Maßnahme für Sachverhalte, in denen Darlehensgeberin eine gebietsfremde Gesellschaft ist, die am Gesellschaftskapital der gebietsansässigen Darlehensnehmerin wesentlich, d. h. zu mehr als einem Viertel, beteiligt ist.
22 Dass einer solchen Beteiligung eine geringere Beteiligung, die jedoch einen beherrschenden Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaft verschafft, gleichgestellt wird, zeigt, wie auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen hervorgehoben hat, dass die fragliche nationale Maßnahme nach der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers unabhängig von einer festen Schwelle für Beteiligungen gelten soll, die es im Sinne der oben in Randnr. 19 angeführten Rechtsprechung ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (vgl. entsprechend Urteil Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 28).
23 Überdies geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Darlehensgeberin Lasertec zwei Drittel des Stammkapitals der Klägerin, also der Darlehensnehmerin, hält. Eine solche Beteiligung verschafft Lasertec unbestreitbar einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen und Tätigkeiten der Klägerin (vgl. entsprechend Urteil Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 32).
24 Folglich fällt die vorliegende Rechtssache nur in den sachlichen Geltungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit.
25 Sollte die fragliche nationale Maßnahme, wie von der Klägerin vorgetragen, zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen, wären derartige Auswirkungen, wie der Gerichtshof im Urteil vom , Lankhorst-Hohorst (C-324/00, Slg. 2002, I-11779), festgestellt hat, die unvermeidliche Konsequenz der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und rechtfertigten keine Prüfung dieser Maßnahmen im Hinblick auf die Art. 56 EG bis 58 EG (vgl. in diesem Sinne Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 33, Fidium Finanz, Randnrn. 48 und 49, sowie Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 34).
26 Demnach ist auf die zu den Vorschriften über den freien Kapitalverkehr gestellten Fragen nicht zu antworten.
27 Das die Niederlassungsfreiheit betreffende Kapitel des Vertrags enthält keine Bestimmung, nach der dessen Geltungsbereich auf Sachverhalte Anwendung fände, an denen außerhalb der Europäischen Union ansässige Angehörige eines Drittlands beteiligt sind. Wie der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/94 vom (Slg. 1994, I-5267, Randnr. 81) festgestellt hat, ist Ziel dieses Kapitels, die Niederlassungsfreiheit zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Daher können die Art. 43 ff. EG nicht in einem Fall geltend gemacht werden, in dem ein Unternehmen eines Drittlands eine Beteiligung hält, die ihm einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen und Tätigkeiten eines Unternehmens eines Mitgliedstaats verschafft (vgl. entsprechend für den freien Dienstleistungsverkehr Urteil Fidium Finanz, Randnr. 25).
28 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass eine nationale Maßnahme, nach der Darlehenszinsen, die eine gebietsansässige Kapitalgesellschaft an einen gebietsfremden Anteilseigner zahlt, der an ihrem Kapital wesentlich beteiligt ist, unter bestimmten Voraussetzungen als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt werden, die bei der Darlehensnehmerin besteuert wird, vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Artikel 43 ff. EG berührt. Diese Bestimmungen können nicht bei Sachverhalten geltend gemacht werden, an denen ein Unternehmen eines Drittlands beteiligt ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
29 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen: