Leitsatz
[1] Der aus dem Gebot der Rechtsmittelklarheit abgeleitete Grundsatz, dass der vor dem Amtsgericht unbestritten gebliebene inländische oder ausländische Wohnsitz einer Partei in der Berufungsinstanz ungeprüft zugrunde zu legen ist, gilt auch dann, wenn der Rechtsmittelführer in der Berufungsinstanz einen anderen (zusätzlichen) eigenen Wohnsitz angibt als im Verfahren vor dem Amtsgericht (im Anschluss an , NJW-RR 2004, 1073).
Gesetze: GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
Instanzenzug: AG Freiberg 5 C 316/05 vom LG Chemnitz 6 S 73/06 vom
Gründe
I.
Der Kläger hat beim Amtsgericht Klage auf Herausgabe einer Maschine erhoben und dabei ausschließlich einen - von der Beklagten nicht angegriffenen - Wohnsitz im Iran angegeben. Gegen das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts hat der Kläger Berufung zum Landgericht eingelegt. Nach Hinweis des Landgerichts darauf, dass gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG wegen des ausländischen Wohnsitzes des Klägers das Oberlandesgericht als Berufungsgericht zuständig sei, hat er geltend gemacht, dass er noch einen zweiten Wohnsitz in Deutschland habe. Er sei (auch) deutscher Staatsangehöriger und halte sich als Handelsvertreter vier Monate im Jahr in Deutschland auf. Er wohne in dieser Zeit bei seinem Sohn in Bergisch-Gladbach, mit dem er die Wohnung teile.
Das Landgericht hat die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen, weil sie nicht beim zuständigen Oberlandesgericht Dresden eingelegt worden sei. Der Kläger habe bereits nicht substantiiert dargelegt, dass er im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Klage am seinen Wohnsitz noch oder wieder in Deutschland gehabt habe. Dagegen spreche schon die unter der iranischen Anschrift eingereichte Klage. Letztlich komme es aber nicht darauf an, ob der Kläger - was grundsätzlich möglich sei - zwei Wohnsitze gehabt habe. Entscheidend sei, dass der im ersten Rechtszug unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische Wohnsitz einer Partei zugrunde zu legen und einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogen sei, da nur so dem Gebot der Rechtssicherheit wirksam Rechnung getragen werden könne.
II.
Die vom Kläger hiergegen erhobene, gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO verworfen, weil sie nicht bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG zuständigen Oberlandesgericht eingelegt worden ist.
1. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sind die Oberlandesgerichte zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Person erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte. Dabei ist im Berufungsverfahren regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische bzw. ausländische Wohnsitz einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen (Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 66/03, NJW-RR 2004, 1073; vom - VIII ZB 2/04, NJW-RR 2004, 1505, unter II 2 b; vom - VIII ZB 100/04, NJW 2006, 1808, unter III 2 a).
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gilt der aus dem Gebot der Rechtsmittelklarheit abgeleitete Grundsatz, dass der vor dem Amtsgericht unbestritten gebliebene inländische oder ausländische Wohnsitz einer Partei in der Berufungsinstanz ungeprüft zugrunde zu legen ist, auch dann, wenn sich der Rechtsmittelführer erstmals in der Berufungsinstanz auf einen anderen (zusätzlichen) eigenen Gerichtsstand beruft als im Verfahren vor dem Amtsgericht. Mit der auf den Wohnsitz der Parteien im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit abstellenden Regelung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG soll im Interesse der Rechtssicherheit und Verfahrensvereinfachung sichergestellt werden, dass bereits bei Verfahrensbeginn erkennbar ist, bei welchem Gericht gegebenenfalls Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts einzulegen sind (vgl. Senatsbeschluss vom , aaO, unter II 2 b, c). Mit dieser Zielrichtung der gesetzlichen Regelung ist die von der Rechtsbeschwerde vertretene Ansicht nicht vereinbar, der Rechtsmittelführer könne durch neues Vorbringen zu seinem eigenen allgemeinen Gerichtsstand Einfluss auf die Zuständigkeit des Landgerichts oder des Oberlandesgerichts als Berufungsgericht nehmen. Dem Rechtsmittelführer würde damit eine in der Prozessordnung nicht vorgesehene Wahlmöglichkeit hinsichtlich des zuständigen Berufungsgerichts eingeräumt, und es könnte sich überdies - im Fall einer für beide Parteien berufungsfähigen Entscheidung des Amtsgerichts - die Zuständigkeit unterschiedlicher Berufungsgerichte für die Rechtsmittel der Parteien ergeben. Für eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Berufungsgericht den erstinstanzlich unbestritten gebliebenen inländischen oder ausländischen Wohnsitz einer Partei ungeprüft zugrunde zu legen hat, besteht daher kein Anlass.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
RIW 2007 S. 955 Nr. 12
OAAAC-53109
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja