BGH Urteil v. - IX ZR 81/06

Leitsatz

[1] Der Bund ist - neben den Ländern - Teilgläubiger der Umsatzsteuer und kann deshalb mit seinem Anspruch auf den ihm gesetzlich zugewiesenen Anteil aufrechnen.

Die zur Entstehung des Vorsteuerrückforderungsanspruchs führende Uneinbringlichkeit von Lieferantenforderungen, für welche der Steuerpflichtige Vorsteuer abgezogen hat, tritt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerpflichtigen ein, falls nicht für einen bestimmten Zeitpunkt zuvor dessen Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung festgestellt wird.

Gesetze: GG Art. 106 Abs. 3 Satz 1; GG Art. 107 Abs. 1 Satz 4; GG Art. 108 Abs. 3 Satz 1; BGB § 387; UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1; InsO § 94; InsO § 95 Abs. 1; InsO § 96 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: LG Hannover 18 O 410/04 vom OLG Celle 14 U 182/05 vom

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin). Diese hat Werklohnforderungen aus VOB/B-Verträgen mit der Beklagten in einer Gesamthöhe von 476.014,10 €. Die den Forderungen zugrunde liegenden Leistungen der Schuldnerin wurden vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht. Im März 2002 meldete das Finanzamt Detmold gegenüber dem Kläger eine Abgabenforderung in Höhe von 461.567,48 € an, die zur Insolvenztabelle festgestellt wurde. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Umsatzsteuerforderungen nebst Zinsen und Säumniszuschlägen aus den Jahren 1995 und 1997 sowie Ansprüche für den Monat Januar 2002. Im Januar 2004 erhöhte das Finanzamt die Abgabenforderung auf insgesamt 1.385.215,38 €. Am erklärte die Beklagte gegen die klägerische Werklohnforderung die Aufrechnung mit dem - unstreitig 52 % betragenden - Bundesanteil an den geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen.

Der Kläger hat wegen der Werklohnforderungen nebst Verzugszinsen Klage erhoben. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 255.922,64 € stattgegeben und sie wegen des Rests abgewiesen. Auf die Berufung beider Parteien hat das Oberlandesgericht die Klage vollständig abgewiesen. Mit der in Höhe von 148.812,24 € vom Berufungsgericht und im Übrigen vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch in ursprünglicher Höhe weiter.

Gründe

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZInsO 2006, 609 abgedruckt ist, hat angenommen, die Klageforderung sei durch die Aufrechnung der Beklagten mit den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis erloschen. Es handele sich um gegenseitige Forderungen, weil Bund und Länder hinsichtlich der Umsatzsteuer Teilgläubiger im Sinne des § 420 BGB seien.

Die Aufrechnung sei nicht nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen. Die Umsatzsteuerforderungen der Beklagten seien allesamt vor Insolvenzeröffnung fällig geworden. Das gelte auch für die Forderung aus dem Voranmeldungszeitraum Januar 2002. Hierbei handele es sich um einen Umsatzsteuervorauszahlungsanspruch, der mangels rechtzeitiger Anmeldung bereits mit Ablauf des fällig geworden sei. Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG, wonach Vorauszahlungen am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig werden, sei nicht anwendbar, weil die Schuld entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht angemeldet worden sei. Umgekehrt seien von den Werklohnforderungen der Schuldnerin solche in Höhe von 284.554,73 € erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbedingt und fällig geworden. Für sie könne das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO von vornherein nicht gelten. Die restlichen Werklohnforderungen von 191.459,37 € seien zwar vor Insolvenzeröffnung entstanden. Insofern habe die Beklagte jedoch mit ihren vor Insolvenzeröffnung fälligen Gegenforderungen aufrechnen können. Hier sei eine von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgenommene Tilgungsbestimmung zu beachten. Danach seien Werklohnforderungen in Höhe von 42.647,13 € durch die Aufrechnung mit den Forderungen aus Umsatzsteuerrückständen der Jahre 1995 und 1997 erloschen. Hinsichtlich des weiteren Teils von 148.812,24 € habe die Aufrechnung mit dem Umsatzsteuervorauszahlungsanspruch aus Januar 2002 durchgegriffen.

Das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gelte nicht, weil die Forderungen der Schuldnerin - ungeachtet ihrer erst später eingetretenen Fälligkeit - bereits vor Verfahrenseröffnung begründet gewesen seien.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Soweit sich die Revision gegen die bereits erstinstanzlich erfolgte Abweisung der Klage in Höhe von 220.091,46 € wendet, hat sie allerdings keinen Erfolg. In diesem Umfang sind die geltend gemachten Werklohnforderungen durch Aufrechnung mit den Umsatzsteuerforderungen aus 1995 und 1997 erloschen.

a) Die Beklagte war nach § 387 BGB in Höhe des ihr zugewiesenen Umsatzsteueranteils grundsätzlich zur Aufrechnung befugt.

Die Werklohn- und die Umsatzsteuerforderungen stehen im Verhältnis der Gegenseitigkeit. Das Berufungsgericht ist mit der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. Maunz in Maunz/Dürig, GG Art. 106 Rn. 36; Tipke/Kruse/Loose, AO/FGO § 226 AO Rn. 28; Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 226 Rn. 35; Pahlke/Koenig/Fritsch, AO § 226 Rn. 28; MünchKomm-BGB/Bydlinski, 4. Aufl. § 428 Rn. 14; a.A. lediglich Schmidt-Bleibtreu/Klein/Brockmeyer, GG 10. Aufl. Art. 106 Rn. 10) zutreffend davon ausgegangen, dass Bund und Länder im Rahmen des Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG Teilgläubiger der Umsatzsteuer sind. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Aufteilung der Einkommensteuer (BFHE 76, 678, 684; 212, 388, 393). Es besteht keine Veranlassung, bei der Umsatzsteuer einen anderen Maßstab anzulegen. Eine Mitgläubigerschaft von Bund und Ländern wird insoweit auch nicht dadurch begründet, dass der Länderanteil nicht nach dem Prinzip des örtlichen Aufkommens, sondern nach anderen Maßstäben bestimmt wird (Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG). Der Bundesanteil am Umsatzsteueraufkommen ist gesetzlich vorgegeben. Allenfalls können die einzelnen Länder in ihrem Verhältnis zueinander als Gesamtgläubiger angesehen werden.

Der Ansicht des Revisionsklägers, auch soweit die Umsatzsteuer dem Bund zufließe, werde sie nach Art. 108 Abs. 2, 3 GG von den Landesfinanzbehörden (im Auftrag des Bundes) verwaltet, und deshalb stehe die Aufrechnungsbefugnis allein den Ländern zu, ist nicht zu folgen. Nach § 226 Abs. 4 AO (in der seit 1987 maßgeblichen Fassung) gilt für die Aufrechnung als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auch die Körperschaft, die die Steuer verwaltet. Daneben ist aber die ertragsberechtigte Körperschaft ebenfalls Gläubigerin (Klein/Rüsken, AO 9. Aufl. § 226 Rn. 14). Selbst wenn die Verwaltungshoheit hinsichtlich der Umsatzsteuer bei den Ländern liegen sollte, steht die Ertragshoheit in Höhe des Bundesanteils nach Art. 106 Abs. 3 Satz 1, 107 Abs. 1 Satz 4 GG dem Bund zu. Dessen Aufrechnungsbefugnis wird durch § 226 Abs. 4 AO nicht berührt.

b) In dem genannten Umfang bestand zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch bereits eine Aufrechnungslage (§ 94 InsO).

Die Beklagte hat sich dahin festgelegt, zunächst mit ihren älteren Steuerforderungen gegen die klägerischen Hauptforderungen aufzurechnen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte jedoch keine wirksame Tilgungsbestimmung nach § 396 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffen. Nach dieser Vorschrift kann eine Bestimmung des aufrechnenden Teils, gegen welche Forderungen aufgerechnet werden soll, grundsätzlich nur mit der Erklärung der Aufrechnung, bei der es sich um eine besondere Art der Erfüllung handelt, erfolgen (vgl. , NJW 1969,840 zu § 366 Abs. 1 BGB; MünchKomm-BGB/Wenzel, 5. Aufl. § 366 Rn. 9; Palandt/Grüneberg, 66. Aufl. § 366 Rn. 4a). Daran fehlt es hier. Eine spätere Tilgungsbestimmung ist unwirksam. Bezüglich der Forderungen, gegen die aufgerechnet werden sollte, gilt somit § 366 Abs. 2 BGB (§ 396 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Demgemäß hat die Aufrechnung der Beklagten mit ihren Gegenforderungen aus den Jahren 1995 und 1997 in einer Gesamthöhe von 220.091,46 € die ältesten Hauptforderungen des Klägers bis zu der mit Schlussrechnung vom geltend gemachten Forderung aus dem Bauvorhaben "B " (diese noch teilweise in einer Höhe von 9.735,97 € von insgesamt 171.052,68 €) zum Erlöschen gebracht.

2. Hinsichtlich des erst durch das Berufungsgericht abgewiesenen Teils der Klageforderung von 255.922,64 €, gegen den die Beklagte einen auf Januar 2002 datierten Vorsteuerrückzahlungsanspruch zur Aufrechnung gestellt hat, wird die Klageabweisung von den Feststellungen nicht getragen. Insoweit ist die Aufrechnung nach derzeitigem Sach- und Streitstand insolvenzrechtlich unwirksam.

a) Der von der Beklagten zur Aufrechnung gestellte Vorsteuerrückzahlungsanspruch ist durch eine Vorsteuerberichtigung (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 UStG) ausgelöst worden. Die Vorsteuer hatte die Schuldnerin in Bezug auf Lieferantenforderungen abgezogen, die sie später - insolvenzbedingt - nicht bezahlt hat. Mit deren Uneinbringlichkeit war der Vorsteuerabzug zu berichtigen. Der Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, bei dem es sich um eine unselbstständige Besteuerungsgrundlage des Voranmeldungszeitraums handelt (Klenk in Sölch/Ringleb, UStG § 17 Rn. 110), entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums (§ 18 Abs. 2 UStG), in dem sich die Bemessungsgrundlage geändert hat (vgl. BFHE 116, 201, 204; 150, 211, 212). Diese ändert sich in dem Zeitpunkt der Uneinbringlichkeit der Entgelte für die an den späteren Insolvenzschuldner erbrachten Leistungen. In diesem Zeitpunkt sind die Grundlagen für den Vorsteuerrückforderungsanspruch gelegt (BFHE 148, 346, 349 f; 150, aaO).

b) Revisionsrechtlich ist zu unterstellen, dass die Forderungen, für welche die Schuldnerin den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, erst mit der Insolvenzeröffnung am uneinbringlich geworden sind.

aa) Wann in Insolvenzfällen die Uneinbringlichkeit der gegen den Insolvenzschuldner gerichteten Forderungen eintritt, ist bislang ungeklärt.

Der Bundesfinanzhof ist in einer Reihe von Entscheidungen davon ausgegangen, die Forderungen würden mit Konkurseröffnung uneinbringlich; der Vorsteuerrückerstattungsanspruch sei deshalb Konkursforderung (BFHE 148, aaO; 150, aaO; 192, 129, 131; BFH/NV 1992, 140, 141; zur Insolvenzeröffnung ebenso Schwarz/Dißars, AO § 251 Rn. 123; Frotscher in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch 3. Aufl. § 123 Rn. 17). Er hat allerdings verschiedentlich betont, dass Uneinbringlichkeit auch schon vorher, nämlich mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Zahlungseinstellung vorliegen kann (vgl. BFHE 138, 107, 110; 150, aaO; BFH/NV 1998, 373, 374; ebenso Tipke/Kruse/Loose, aaO § 226 AO Rn. 33; UStR 2005 Abschn. 223 Abs. 5 Satz 2). In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, Uneinbringlichkeit sei regelmäßig im Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters anzunehmen (vgl. Hartmann/Metzenmacher/Brockmann, UStG 7. Aufl. § 17 Rn. 66; Schwarz in Vogel/Schwarz, UStG § 17 Rn. 144). Sofern tatrichterlich festgestellt war, Uneinbringlichkeit sei mit der Anordnung der Sequestration - an dessen Stelle nunmehr die vorläufige Insolvenzverwaltung getreten ist - eingetreten, hat der Bundesfinanzhof dies revisionsrechtlich auch nicht beanstandet (vgl. BFH/NV 1995, 448; 2002, 1352). Wieder andere gehen noch weiter und nehmen unter bestimmten Umständen Uneinbringlichkeit bereits mit der Stellung des Konkurs- oder Insolvenzantrags an (vgl. FG Rheinland-Pfalz ZIP 1995, 665, 666; Schwarz in aaO; MünchKomm-InsO/Kling, Insolvenzsteuerrecht Rn. 147; FK-InsO/Boochs, 4. Aufl. § 155 Rn. 371).

bb) Die Uneinbringlichkeit kann für den Zeitpunkt angenommen werden, zu dem die Zahlungseinstellung des Steuerpflichtigen - bei der es sich lediglich um die nach außen zum Ausdruck gekommene Zahlungsunfähigkeit handelt - oder dessen Zahlungsunfähigkeit festgestellt ist. Ist der Steuerpflichtige zahlungsunfähig, kann er die Lieferantenforderungen, für die er die Vorsteuer abgezogen hat, nicht mehr bedienen. Ist der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht festzustellen, entscheidet der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung. Die Stellung eines Insolvenzantrags, auch wenn sie durch den Schuldner erfolgt, oder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters reicht allein noch nicht zur Annahme der Uneinbringlichkeit aus. Denn im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Einsetzung eines vorläufigen Verwalters kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Eröffnungsantrag abgelehnt und die vorläufige Insolvenzverwaltung somit wieder aufgehoben wird.

Wann die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin eingetreten ist, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

c) Da für das Revisionsverfahren davon auszugehen ist, dass die Uneinbringlichkeit erst mit Insolvenzeröffnung eingetreten ist, scheidet eine insolvenzfeste Aufrechnung aus.

aa) Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat keine Aufrechnungslage nach § 94 InsO bestanden. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO kann allerdings, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig sind, die Aufrechnung erfolgen, sobald die Voraussetzungen des § 387 BGB vorliegen, also die Gegenforderung wirksam und fällig und die Hauptforderung erfüllbar ist. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO erfasst auch Fälle, in denen nicht eine vertragliche Bedingung, sondern eine gesetzliche Voraussetzung für das Entstehen der Forderung fehlt. Die Vorschrift soll den Gläubiger schützen, dessen Forderung in ihrem rechtlichen Kern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist und fällig ist, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedarf (vgl. BGHZ 160, 1, 4 f zu § 54 KO mit weiteren Nachweisen). Voraussetzung ist aber stets, dass der Gläubiger schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen durfte, dass die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf das Entstehen einer Aufrechnungslage im Insolvenzverfahren keine Schwierigkeiten bereiten werde (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/2443, S. 141). Daran fehlt es bei einer Forderung, deren Rechtsgrund - wie vorliegend zu unterstellen ist - erst mit Insolvenzeröffnung gelegt wird.

Aus diesem Grunde ist auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerte Auffassung der Revisionsbeklagten unzutreffend, eine Forderung, die mit Insolvenzeröffnung entstehe, sei so zu behandeln, als sei sie vor diesem Zeitpunkt entstanden.

bb) Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, ein Gläubiger könne mit den nach Insolvenzeröffnung begründeten und fälligen Forderungen aufrechnen, die Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO darstellen. Der Vorsteuerberichtigungsanspruch der Beklagten ist keine Masseforderung. Weder handelt es sich um eine Verbindlichkeit, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet worden ist (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO), noch stammt sie aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach Verfahrenseröffnung erfolgen muss (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO), noch beruht sie auf einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 InsO liegen nicht vor. Als bloße Insolvenzforderung unterliegt der Vorsteuerberichtigungsanspruch den Aufrechnungsregeln der §§ 94 ff. InsO.

d) Die vom Berufungsgericht im Rahmen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO behandelte Frage, derentwegen es die Revision zugelassen hat, ob § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG auch auf Umsatzsteuervorauszahlungsverbindlichkeiten anwendbar ist, die entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht angemeldet worden sind, stellt sich nicht mehr.

III.

Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben, soweit die Klage in Höhe von 255.922,64 € abgewiesen worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Wird in der neuen Verhandlung festgestellt, dass die Schuldnerin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens - also spätestens im Laufe des Januar 2002 - zahlungsunfähig war oder ihre Zahlungen eingestellt hat, steht der Aufrechnung der Beklagten mit dem Vorsteuerberichtigungsanspruch aus Januar 2002 ungeachtet einer möglichen Anwendung des § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht entgegen. Die für die Aufrechnung insoweit noch in Betracht kommenden Hauptforderungen sind frühestens am fällig geworden. Die Aufrechnung ist in diesem Fall, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, auch nicht durch § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgeschlossen. Gegebenenfalls ist die Klage insgesamt abzuweisen. Andernfalls verbleibt es bei dem landgerichtlichen Urteilsausspruch.

Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2008 S. 71 Nr. 1
DB 2007 S. 1860 Nr. 34
DStR 2008 S. 24 Nr. 1
HFR 2008 S. 71 Nr. 1
NJW-RR 2008 S. 206 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 40/2007 S. 3511
SJ 2007 S. 44 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 24/2007 S. 960
UR 2007 S. 742 Nr. 19
WM 2007 S. 1708 Nr. 36
WPg 2007 S. 760 Nr. 17
ZIP 2007 S. 1612 Nr. 34
QAAAC-53088

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja