BAG Urteil v. - 9 AZR 527/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BBiG in der bis geltenden Fassung (aF) § 16; BGB § 249; BGB § 615; BGB § 628 Abs. 2

Instanzenzug: ArbG Darmstadt 7 Ca 453/03 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch der Klägerin.

Die Klägerin hatte am mit der Beklagten einen schriftlichen Berufsausbildungsvertrag geschlossen. Nach diesem sollte sie zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel ausgebildet werden. Als Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses war der , als Ende der vereinbart. Die Ausbildungsvergütung sollte im 2. Ausbildungsjahr 1.297,00 DM und im 3. Ausbildungsjahr 1.466,00 DM betragen.

Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Berufsausbildungsverhältnis fristlos. Die gegen diese Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage nahm die Klägerin zurück. Mit Urteil vom stellte das Arbeitsgericht Darmstadt ua. fest, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den ab auf Grund der Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses vom entstehenden Schaden zu ersetzen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil als unzulässig verworfen.

Die Klägerin stand nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses im November und Dezember 2003 in einem Arbeitsverhältnis als angelernte Verkäuferin. Seit Januar 2004 arbeitete sie als Marktleiterin. In diesen Arbeitsverhältnissen verdiente sie insgesamt mehr als sie zwischen der tatsächlichen Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses und dessen vereinbartem Beendigungszeitpunkt als Ausbildungsvergütung erhalten hätte.

Die Klägerin hat zunächst im Wege des Schadensersatzes von der Beklagten die Ausbildungsvergütung für Mai bis Oktober 2003 und September 2004 in Höhe von 4.674,25 Euro nebst Zinsen gerichtlich geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat ihre Revision auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe der Ausbildungsvergütung für die Monate Mai bis Oktober 2003 beschränkt.

Sie hat zuletzt beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.238,10 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils 667,75 Euro seit dem Ersten der Monate Juni 2003 bis November 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Zurückweisung der Revision beantragt. Sie beruft sich vor allem darauf, der Klägerin sei durch die vorzeitige Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses kein Schaden entstanden, da sie im Zeitraum bis zur vereinbarten Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses auf Grund anderweitiger Beschäftigungen mehr Arbeitsentgelt erzielt habe als ihr Ausbildungsvergütung zugestanden hätte.

Gründe

I. Die Revision der Klägerin ist zulässig.

Entgegen der Meinung der Beklagten hat die Klägerin ihr Klagebegehren nicht auf eine andere tatsächliche Grundlage gestellt. Sie verlangt - wie bereits in den Vorinstanzen - Schadensersatz in Höhe der Ausbildungsvergütung für die Monate Mai bis Oktober 2003. Lediglich ihren ursprünglichen Klageantrag auf Zahlung der Ausbildungsvergütung für September 2004 verfolgt die Klägerin in der Revisionsinstanz nicht mehr weiter. Eine solche Beschränkung der Revision ist zulässig (vgl. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht der hier geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu.

1. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet. Zwischen den Parteien bestehe kein Streit darüber, dass die Klägerin im Zeitraum November 2003 bis Juli 2004 einen Arbeitsverdienst erzielt habe, der höher sei als die Ausbildungsvergütung, die sie von Mai 2003 bis zur vereinbarten Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses am hätte beanspruchen können. Da entscheidend sei, ob in dem gesamten Abrechnungszeitraum, für welchen Schadensersatz begehrt werde, Zwischenverdienst erzielt worden sei, sei der Klägerin durch die vorzeitige Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses kein Schaden entstanden.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

2. Der Klägerin ist kein Schaden entstanden, den die Beklagte nach § 16 Abs. 1 BBiG in der bis geltenden Fassung (aF) ersetzen muss.

a) Das Arbeitsgericht Darmstadt hat mit Urteil vom rechtskräftig festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den ab dem auf Grund der Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses vom entstehenden Schaden zu ersetzen. Dies ist für den Senat bindend.

Anspruchsgrundlage dieses Schadensersatzanspruches ist § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF. Durch das arbeitsgerichtliche Urteil ist das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF, dh. die vorzeitige Lösung des Berufsausbildungsverhältnisses und das Vertretenmüssen des Auflösungsgrundes durch die Beklagte, mit bindender Wirkung festgestellt, § 322 ZPO.

b) § 16 BBiG aF geht dem § 628 Abs. 2 BGB als lex specialis vor. § 628 Abs. 2 BGB, der den Schadensersatzanspruch im Falle einer durch vertragswidriges Verhalten des anderen Vertragsteiles veranlassten Kündigung eines Dienstverhältnisses regelt, wird im Berufsausbildungsverhältnis durch die Sonderregelung des § 16 BBiG aF verdrängt (allgem. Meinung; vgl. - AP BBiG § 16 Nr. 2 = EzA BBiG § 16 Nr. 2 mwN).

aa) Nach § 16 Abs. 1 BBiG aF kann Ersatz des gesamten Schadens verlangt werden, der sich durch die vorzeitige Lösung für den anderen Teil ergibt. Dabei ist das nicht ordnungsgemäß erfüllte Berufsausbildungsverhältnis mit einem ordnungsgemäß abgewickelten zu vergleichen. Die §§ 249 ff. BGB finden auf die Schadensermittlung Anwendung ( - AP BBiG § 16 Nr. 1 = EzA BBiG § 16 Nr. 1; - 8 AZR 257/96 - AP BBiG § 16 Nr. 2 = EzA BBiG § 16 Nr. 2).

bb) Nach § 249 Abs. 1 BGB in der ab geltenden Fassung hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

Der Schaden besteht in der Differenz zwischen der Vermögenslage, die eingetreten wäre, wenn der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt hätte und der durch die Nichterfüllung tatsächlich entstandenen Vermögenslage ( - BAGE 81, 294).

Damit ist die Klägerin nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF iVm. § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die Beklagte das Berufsausbildungsverhältnis nicht am außerordentlich gekündigt, sondern bis zum fortgesetzt hätte.

cc) Im streitigen Zeitraum bis hätte die Klägerin Ausbildungsvergütung für insgesamt 15 Monate erhalten. Um diesen Betrag hätte sich ihr Vermögen vermehrt.

Für die Schadensberechnung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF iVm. § 249 Abs. 1 BGB ist ein Vermögensvergleich anzustellen. Nach der Rechtsprechung (vgl. - BAGE 81, 139 und - 5 AZR 690/97 - AP BBiG § 10 Nr. 8 = EzA BBiG § 10 Nr. 4) beinhaltet die Ausbildungsvergütung nicht nur eine Entlohnung. Sie soll auch eine finanzielle Hilfe zur Durchführung der Berufsausbildung sein und die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses gewährleisten. Ungeachtet der besonderen Funktionen der Ausbildungsvergütung hat der zum Schadensersatz nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF verpflichtete Ausbildende, dem Auszubildenden die Ausbildungsvergütung bis zur Aufnahme einer neuen Ausbildung oder ggf. eines Arbeitsverhältnisses weiterzuzahlen (vgl. Wohlgemuth/Lakies BBiG 3. Aufl. § 23 Rn. 30; Leinemann/Taubert BBiG § 16 Rn. 25; HzA/Taubert Stand April 2007 Gruppe 9 Teilbereich 2 Rn. 398; -). Damit wird die Ausbildungsvergütung vermögensrechtlich nicht anders als das Arbeitsentgelt behandelt.

Im Rahmen des nach § 249 BGB anzustellenden Vermögensvergleiches ist daher auch zu berücksichtigen, ob der Klägerin im adäquaten Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis ein vermögenswerter Vorteil durch anderweiten Verdienst zugeflossen ist (sog. Vorteilsausgleich, vgl. - VersR 1990, 495). Bis zur ordnungsgemäßen Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses hätte sie keiner anderweitigen Beschäftigung nachgehen können. Der aus der Beschäftigung als angelernte Verkäuferin (November und Dezember 2003) sowie als Marktleiterin (ab Januar 2004) erzielte Verdienst ist somit ursächlich auf die verfrühte Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses zurückzuführen. Da er unstreitig höher war als die bis zu erzielende Ausbildungsvergütung und nichts dafür dargetan ist, dass er auf überobligatorischen Bemühungen beruhte, war der Vorteilsausgleich durchzuführen. Danach besteht, wenn auf den gesamten Zeitraum abgestellt wird, kein Vergütungsausfall der Klägerin, den die Beklagte nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF iVm. § 249 Abs. 1 BGB auszugleichen hätte.

dd) Entgegen der Meinung der Revision kann die Klägerin nicht die Anrechnung des anderweitig erzielten Verdienstes vermeiden, indem sie die entgangene Ausbildungsvergütung nur für Zeitabschnitte einklagt, in denen sie keinen Verdienst erzielt hat.

Der nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF zu ersetzende Schaden ist ein sog. "Verfrühungsschaden" (vgl. zum § 628 Abs. 2 BGB: - BAGE 98, 275). Er ist aus der Differenz der Vermögenslage der Klägerin zu berechnen, wie sie ohne die vorzeitige Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses bestanden hätte und der Vermögenslage, die auf Grund dieser vorzeitigen Auflösung besteht. Nach § 249 BGB sind nicht nur die Nachteile, sondern auch die Vorteile zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass es für die Schadenshöhe ohne Belang ist, wann und für welche Zeiträume der anderweitige Verdienst durch die Klägerin erzielt worden ist.

Soweit die Revision geltend macht, § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF sichere demgegenüber die monatliche Weiterzahlung der Ausbildungsvergütung wie im Fall des § 615 BGB, verkennt sie, dass der Annahmeverzug einen Fortbestand des Berufsausbildungsverhältnisses voraussetzt (vgl. - BAGE 94, 66). Im Übrigen würde dann nach der Gesamtberechnungsmethode ebenso eine Anrechnung der anderweitig erworbenen Vergütung stattfinden.

ee) Durch diese Schadensberechnung wird die ehemalige Auszubildende nicht an der Durchsetzung ihres Rechtes gehindert.

Wer einen "Verfrühungsschaden" geltend machen will, kann bereits bei Auflösung des Ausbildungsverhältnisses Feststellungsklage (§ 256 ZPO) mit dem Ziel erheben, den ehemaligen Ausbildenden zu verpflichten, ihm alle künftigen Schäden wegen der vorzeitigen Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses zu ersetzen. Für das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse reicht es dabei aus, dass die Entstehung eines zu ersetzenden Schadens wahrscheinlich ist ( - NJW 1992, 697). Diesen Verfahrensweg hat die Klägerin auch eingeschlagen, als sie neben einer Leistungsklage vor dem Arbeitsgericht Darmstadt Klage auf Feststellung erhoben hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den ab dem auf Grund der Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses entstehenden Schaden zu ersetzen.

Eine ehemalige Auszubildende wie die Klägerin ist nicht gehindert, jeweils in Monaten, in denen sie keinen anderweiten Verdienst erzielt, den monatlichen Differenzbetrag zur Ausbildungsvergütung einzuklagen. Geschieht das, so ist in Rechnung zu stellen, dass nach der Gesamtberechnungsmethode ein Vorteilsausgleich stattfindet, ohne dass der Schädiger eine Aufrechnung erklären müsste. Soweit der Geschädigte innerhalb der für die Schadensberechnung zugrunde zu legenden fiktiven Vertragslaufzeit ein anderes Arbeitsverhältnis begründet und dort eine insgesamt den Verdienstausfall übersteigende Vergütung erhält, kann es nachträglich zu einer Überzahlung kommen. Der Schädiger hat dann einen entsprechenden Anspruch auf Rückzahlung aus § 812 BGB (vgl. - BAGE 74, 28; Senat - 9 AZR 804/98 - AP BGB § 615 Anrechnung Nr. 1 = EzA BGB § 615 Nr. 96), den er ggf. im Wege der Vollstreckungsabwehrklage durchsetzen kann.

3. Einen über den Ausfall der Vergütung für Mai bis Oktober 2003 hinausgehenden Schaden hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

So hat sie nicht dargelegt, dass ihr durch die nicht ordnungsgemäß abgeschlossene Berufsausbildung ein zusätzlicher Folgeschaden entstanden ist. Ein solcher könnte sich beispielsweise dadurch ergeben, dass sie auf Grund der nicht abgelegten Abschlussprüfung in einem Arbeitsverhältnis nur einen geringeren Verdienst erzielt hat oder zur Beendigung der Ausbildung ein neues Berufsausbildungsverhältnis eingegangen ist und ihr dadurch Mehrkosten (zB Tätigkeit an einem anderen Ort) entstanden sind (vgl. - AP BBiG § 16 Nr. 1 = EzA BBiG § 16 Nr. 1).

III. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des erfolglosen Revisionsverfahrens zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
EAAAC-53066

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein