Leitsatz
[1] 1. Der Anspruch nach § 1a KSchG entsteht erst mit Ablauf der Kündigungsfrist der zugrunde liegenden betriebsbedingten Kündigung.
2. Endet das Arbeitsverhältnis vorher durch Tod des Arbeitnehmers, kann der Anspruch deshalb nicht nach § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben übergehen.
Gesetze: KSchG § 1a
Instanzenzug: ArbG Siegen 1 Ca 843/05 O vom LAG Hamm 19 Sa 1491/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine von den Klägern in erster Linie auf § 1a KSchG gestützte Zahlungsforderung und in diesem Zusammenhang insbesondere über den Zeitpunkt des Entstehens und die Vererblichkeit des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG.
Die Kläger sind Eltern und gesetzliche Erben ihres 1961 geborenen und im April 2005 verstorbenen Sohnes T, der seit 1980 bei der Beklagten als Handelsfachpacker im Versand tätig war.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Herrn T mit Schreiben vom zum , in dem es ua. heißt:
"Sehr geehrter Herr T,
hiermit kündigen wir das bestehende Arbeitsverhältnis fristgerecht zum . Vorsorglich kündigen wir zum nächst möglichen Termin.
...
Die Kündigung ist ... aus dringenden betrieblichen Erfordernissen unumgänglich. Bei der Sozialauswahl hat sich ergeben, dass Ihnen zu kündigen ist.
Für den Fall, dass Sie keine Kündigungsschutzklage innerhalb der dafür vorgesehenen Frist erheben, bieten wir Ihnen an, dass entsprechend der §§ 1, 1 a KSchG eine Abfindung in Höhe von 30.000,-- € (0,5 Monatsverdienste pro Beschäftigungsjahr im Sinne des § 1 a II KSchG) gezahlt wird.
..."
Mit Rücksicht auf die erteilte Abfindungszusage erhob Herr T keine Kündigungsschutzklage. Er verstarb dann aber wenige Tage vor Ablauf der Kündigungsfrist am .
Die Kläger haben die Ansicht vertreten, der im Kündigungsschreiben zugesagte Abfindungsanspruch sei im Wege der Erbfolge auf sie übergegangen. Da ihr Sohn im Hinblick auf die Abfindungszusage keine Kündigungsschutzklage erhoben habe, sei der Abfindungsanspruch mit Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG entstanden und fällig geworden. Im Übrigen sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihren Sohn über eine etwaige Nichtvererblichkeit des Anspruches aufzuklären, so dass die Abfindung jedenfalls wegen Verletzung der Fürsorgepflicht auszuzahlen sei.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 30.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Entstehung der Abfindung nach § 1a KSchG setze die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die ausgesprochene Kündigung voraus. Finde das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist aus anderen Gründen sein Ende, könne die Abfindung nicht entstehen und deshalb auch nicht vererbt werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Zahlungsbegehren weiter.
Gründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kläger seien zwar gesetzliche Erben ihres verstorbenen Sohnes, der geltend gemachte Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG sei aber bei Eintritt des Erbfalles noch nicht entstanden gewesen. Deshalb habe er auch nicht nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Kläger übergehen können. Der Anspruch nach § 1a KSchG entstehe nach dem eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers erst mit Ablauf der Kündigungsfrist der zugrunde liegenden betriebsbedingten Kündigung. Auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht könnten die Kläger ihr Zahlungsverlangen ebenfalls nicht stützen. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, Herrn T darauf hinzuweisen, dass die Abfindung nach dem Gesetz erst mit Ablauf der Kündigungsfrist entstehe.
B. Dem stimmt der Senat zu.
I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung von 30.000,00 Euro gegen die Beklagte.
1. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 1922 Abs. 1 BGB iVm. § 1a KSchG.
a) Richtig ist, dass die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG insoweit erfüllt sind, als die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Herrn T aus betriebsbedingten Gründen fristgerecht gekündigt und Herr T keine Kündigungsschutzklage erhoben hat.
b) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe Herrn T einen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG gegeben.
c) Der Abfindungsanspruch ist jedoch nicht entstanden, weil Herr T vor Ablauf der Kündigungsfrist verstorben ist und das Arbeitsverhältnis mit dem Tod sein Ende gefunden hat. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, entsteht der Abfindungsanspruch nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG erst mit dem Ablauf der Kündigungsfrist. Endet das Arbeitsverhältnis zu einem davor liegenden Zeitpunkt aus einem anderen Grund, so gelangt der Anspruch nicht mehr zur Entstehung und kann aus diesem Grund auch nicht Gegenstand des auf die Erben übergehenden Vermögens nach § 1922 Abs. 1 BGB sein. Das ergibt die Auslegung von § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG (so auch Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1167; KR-Spilger 8. Aufl. § 1a KSchG Rn. 86 ff., 97 ff.; Reiter BB 2006, 42; Thüsing/Wege JuS 2006, 97 ff.; Giesen/Besgen NJW 2004, 185; Wolff BB 2004, 378; Wennmacher in: Das reformierte Arbeitsrecht § 1a KSchG Rn. 78; Däubler NZA 2004, 177, 178; aA: ErfK/Ascheid/Oetker 7. Aufl. § 1a KSchG Rn. 10; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1a Rn. 22).
aa) Grundsätzlich entstehen schuldrechtliche Ansprüche mit Abschluss des sie erzeugenden Rechtsgeschäftes ( - AP BGB § 613a Nr. 57 = EzA BGB § 613a Nr. 55). Ob der in § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG geregelte Abfindungsanspruch ein rechtsgeschäftlicher Anspruch ist, kann dahinstehen, denn jedenfalls hat der Gesetzgeber hier eine von der genannten Regel abweichende Bestimmung getroffen.
bb) Bereits der Wortlaut der Vorschrift ist deutlich. Danach "hat" der Arbeitnehmer den Abfindungsanspruch unter den im Gesetz genannten weiteren Voraussetzungen "mit dem Ablauf der Kündigungsfrist". Das Gesetz nennt also ausdrücklich einen Zeitpunkt, von dem ab der Arbeitnehmer den Anspruch "hat", was nur bedeuten kann, dass er ihn vorher nicht "hat". Wollte man diese für sich genommen klare Aussage dahin einschränken, das Gesetz treffe lediglich eine Fälligkeitsregelung, so hieße dies dem Wortlaut der Vorschrift Gewalt antun, so lange nicht andere Gesichtspunkte entweder im weiteren Normtext oder im erkennbaren Sinn des Gesetzes aufzufinden wären, die eine solche Einschränkung nahelegten. Solche Gesichtspunkte sind aber im Gesetzeswortlaut nicht ersichtlich. An keiner Stelle findet sich ein Hinweis darauf, dass die Abfindung zu einem früheren Zeitpunkt als dem des Ablaufs der Kündigungsfrist Gegenstand eines Rechtsanspruchs wäre.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Norm eben so verstanden wissen wollte, wie es die wörtliche Auslegung ergibt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf die Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 8 ff., 12) hingewiesen, in der es heißt:
"Der Anspruch auf Abfindung entsteht mit dem Ablauf der Kündigungsfrist, also im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wird das Arbeitsverhältnis zu einem früheren Zeitpunkt beendet, insbesondere durch eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, entsteht der Abfindungsanspruch nicht."
dd) Gegen dieses Ergebnis kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, aus dem Zweck der Regelung des § 1a KSchG, gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, müsse gefolgert werden, der Arbeitnehmer habe durch Verstreichenlassen der Klagefrist seine Gegenleistung für die Abfindung, nämlich Klageverzicht, erbracht und deshalb bestehe kein Anlass, die Leistung nachträglich entfallen zu lassen (so aber: Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1a Rn. 22). Wenn auch einzuräumen ist, dass der Gesetzgeber diese Überlegungen - etwa geleitet von dem aus praktischen Gründen gut nachvollziehbaren Ziel, den Anspruch nach § 1a KSchG zu stärken - hätte anstellen und ihnen im Gesetz hätte Ausdruck verleihen können, so darf doch nicht übersehen werden, dass der Gesetzgeber eben dies nicht getan hat, sondern die Gesetzesbegründung ganz im Gegenteil und sogar ausdrücklich auf dem Standpunkt steht, der Anspruch solle bei Beendigung vor dem Ablauf der Kündigungsfrist gerade nicht entstehen. Überdies sind die genannten Überlegungen zwar nachvollziehbar, aber keineswegs zwingend in dem Sinne, dass die sich bei wörtlicher Auslegung des Gesetzes ergebende Regelung unbrauchbar, unvernünftig oä. wäre. Sie behält vielmehr auch bei dem hier zugrunde gelegten Verständnis einen sinnvoll begrenzten Anwendungsbereich, indem der Arbeitgeber die Abfindung nur unter eben der Voraussetzung zahlen muss, die ihn zum Angebot der Abfindung veranlasst hat, dass nämlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der betriebsbedingten Kündigung beruht, andernfalls aber nicht. Mit Ablauf der Klagefrist steht zwar fest, dass das Arbeitsverhältnis spätestens durch die betriebsbedingte Kündigung endet, eine frühere Beendigung aus anderen Gründen ist jedoch nicht ausgeschlossen. Dies erkennt auch die hier abgelehnte Auffassung, indem sie für den Fall einer zwischen Ablauf der Klagefrist und Ablauf der Kündigungsfrist wirksam werdenden außerordentlichen Kündigung den Abfindungsanspruch in (entsprechender) Anwendung von § 779 BGB oder nach § 313 Abs. 3 BGB wieder entfallen lässt (Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1a Rn. 22).
ee) Die von der Revision vorgetragene Überlegung, das Landesarbeitsgericht habe bei seiner Auslegung nicht ausreichend beachtet, dass der Gesetzgeber eine "einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess" (so die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 15/1204 S. 12) habe schaffen wollen, kann an dem gefundenen Auslegungsergebnis nichts ändern. Im Gegenteil: Gerade dann, wenn der Anspruch erst mit Ablauf der Kündigungsfrist entsteht, sind die Anspruchsvoraussetzungen leicht zu erkennen und ist das Gesetz einfach zu handhaben.
ff) Soweit das Bundesarbeitsgericht sich bisher mit der Frage der Entstehung oder der Fälligkeit von Abfindungsansprüchen auseinandergesetzt hat, kann daraus für die hier gegebene Auslegungsfrage nichts gewonnen werden. Den Entscheidungen (vgl. - 2 AZR 630/03 - BAGE 111, 240; - 2 AZR 250/02 - AP ZPO § 767 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 1; - 9 AZR 277/99 - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 20 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 36; - 9 AZR 227/96 - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 8 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 29; - 2 AZR 373/68 - AP ZPO § 794 Nr. 20 = EzA KSchG § 1 Nr. 15; - 2 AZR 504/86 - EzA KSchG 1969 § 9 nF Nr. 23) lagen durchweg von den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarungen zugrunde, deren Auslegung mit Blick auf die jeweils gegebenen Umstände zu den jeweils gefundenen - unterschiedlichen - Ergebnissen geführt hat. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Auslegung einer von den Parteien formulierten vertraglichen Regelung, sondern um die Auslegung des Gesetzes. Unabhängig davon, welcher Auffassung man sich zur rechtlichen Einordnung des auf der Grundlage des § 1a KSchG entstandenen Abfindungsanspruchs anschließt (vgl. ausführlich Thüsing/Wege JuS 2006, 98 ff. mit zahlreichen Nachweisen), hat die Beklagte jedenfalls in ihrem Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG ausdrücklich klargestellt, einen Anspruch zu den in § 1a KSchG vorgesehenen Bedingungen anzubieten. Selbst wenn also die Parteien einen Klageverzichtsvertrag geschlossen haben sollten, so konnte doch der Abfindungsanspruch nur mit dem im Gesetz niedergelegten Inhalt entstehen.
2. Der Anspruch kann auch nicht als Schadensersatzanspruch (§ 280 BGB) auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht gestützt werden.
a) Eine Aufklärungspflicht besteht insbesondere dann, wenn die Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Billigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicherweise zu erwartende Aufklärung vor der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bewahrt werden muss, weil er sich durch sie aus Unkenntnis selbst schädigen würde (vgl. - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27 = EzA BGB 2002 § 312 Nr. 2; - 10 AZR 340/96 - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 90; zur Aufklärungspflicht in Bezug auf die Altersversorgung: - 3 AZR 106/98 -AP Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Nr. 8 = EzA BGB § 138 Nr. 25 und - 8 AZR 420/85 - AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 99 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 6).
b) Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der für die Kläger ohne Zweifel schmerzhafte Tod ihres Sohnes hatte ersichtlich keinen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Kündigung. Der Anspruchsverlust ist schicksalhaft eingetreten und kann der Beklagten nicht als zu ersetzender Schaden angelastet werden. Nicht das Verstreichenlassen der Klagefrist, sondern der Tod hat den Anspruch vernichtet. Dass die Erhebung einer fristgerechten Kündigungsschutzklage zu einem vererblichen Abfindungsanspruch geführt hätte, ist nicht ersichtlich.
c) Abgesehen davon hat die Beklagte durch Erteilung des Hinweises nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG keine andere als die im Gesetz vorgesehene Verteilung von Rechten und Pflichten ausgelöst. Die dadurch eingetretene Rechtslage kann nicht der Beklagten angelastet werden.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 3086 Nr. 42
NWB-Eilnachricht Nr. 21/2007 S. 1759
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2007 S. 4297
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2007 S. 522
SAAAC-53005
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein