BGH Beschluss v. - VII ZB 68/06

Leitsatz

[1] a) Zu den Bezügen im Sinne des § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO gehören auch einmalige Ansprüche des Schuldners gegen einen privaten Krankenversicherungsträger, die auf Erstattung der Kosten für ärztliche Behandlungsmaßnahmen im Krankheitsfall gerichtet sind.

b) Die Pfändung der Ansprüche des Schuldners auf Erstattung der Kosten für künftige ärztliche Behandlungsmaßnahmen gegen einen Krankenversicherer kommt aufgrund von Billigkeitserwägungen nach § 850 b Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht.

Gesetze: ZPO § 850 b

Instanzenzug: AG Siegburg 35a M 2438/05 vom LG Bonn 4 T 46/06 vom

Gründe

I.

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer ärztlichen Honorarforderung.

Auf seinen Antrag wurden zunächst sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Auszahlung von Versicherungsleistungen und auf Beitragsrückerstattungen aus dem zwischen dem Schuldner und der Drittschuldnerin bestehenden Krankenversicherungsvertrag gepfändet und ihm zur Einziehung überwiesen. Auf die Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben, soweit Ansprüche auf Auszahlung von Versicherungsleistungen gepfändet worden waren.

Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Amtsgerichts teilweise abgeändert und die gegenwärtigen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Auszahlung von Versicherungsleistungen erneut gepfändet. Das weitergehende Rechtsmittel hat es zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag weiter, die künftigen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Auszahlung von Versicherungsleistungen pfänden und sich zur Einziehung überweisen zu lassen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, der Anspruch des Schuldners aus dem mit der Drittschuldnerin geschlossenen Krankenversicherungsvertrag auf Erstattung der Kosten einer Krankenbehandlung sei nicht gemäß § 851 ZPO unpfändbar. Die Erstattungsforderung sei nicht zweckgebunden für eine Heilbehandlung des Versicherten. Sie entstehe erst im Anschluss an die Heilbehandlung. Mangels entsprechender Vereinbarung bestehe keine treuhänderische Bindung.

Der Anspruch des Schuldners auf Auszahlung der Versicherungsleistung sei jedoch nach § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO nur beschränkt der Pfändung unterworfen. Die Erstattung der Behandlungskosten diene der Unterstützung des Schuldners bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen einer Erkrankung. Die Pfändung künftiger Erstattungsansprüche entspreche nicht der Billigkeit. Sie gefährde den mit der künftigen Leistungsgewährung der Krankenversicherung verfolgten Zweck, es dem Schuldner zu ermöglichen, im Krankheitsfall ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Der Schuldner wäre bei Pfändung dieser Ansprüche gehalten, vor Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu offenbaren, dass deren Bezahlung nach seinen Vermögensverhältnissen nicht gewährleistet sei. Dem Interesse des Schuldners, künftig medizinische Behandlung in Anspruch nehmen zu können, sei gegenüber einem möglichen Forderungsausfall des Gläubigers der Vorrang einzuräumen.

2. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, dem Schuldner, der Leistungen einer privaten Krankenversicherung nicht dazu verwende, die Honorarforderung des Arztes zu begleichen, sei zuzumuten, künftige Erstattungsleistungen des Krankenversicherers zunächst zur Bezahlung des noch offenen Honoraranspruchs zu verwenden. Es fehle im Übrigen an Feststellungen dazu, dass der Schuldner auch künftig nicht in der Lage sein werde, ärztliche Leistungen unter Einsatz sonstiger Mittel zu bezahlen. Es sei ein Gebot der Billigkeit, die Pfändung künftiger Erstattungsforderungen gegen einen Krankenversicherer zugunsten des Gläubigers einer ärztlichen Honorarforderung zuzulassen. Die Pfändung der gegenwärtigen Ansprüche des Schuldners sei für den Gläubiger in der Regel nutzlos.

3. Die Erwägungen des Beschwerdegerichts, mit denen es die Pfändung künftiger Erstattungsansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin abgelehnt hat, halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Erstattung von Kosten für eine ärztliche Heilbehandlung nicht gemäß § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar sind. Erstattungsleistungen eines Krankenversicherers sind in der Regel nicht zweckgebunden. Sie werden unabhängig davon gewährt, ob der Schuldner die Kosten bereits bezahlt hat oder nicht. Die Auszahlung der Versicherungsleistung ist gemäß § 6 Abs. 1 MBKK (Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung) lediglich davon abhängig, dass die geforderten Nachweise erbracht sind (vgl. KG, Rpfleger 1985, 73).

b) Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Erstattung von Heilbehandlungskosten sind nach § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO grundsätzlich nicht pfändbar.

Nach dieser Bestimmung sind Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen unpfändbar, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden. Zu den Bezügen aus einer Krankenkasse im Sinne des § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO gehören auch einmalige Ansprüche des Schuldners gegen einen privaten Krankenversicherungsträger, die auf Erstattung von Kosten für ärztliche Behandlungsmaßnahmen im Krankheitsfall gerichtet sind (h. M., vgl. KG, Rpfleger 1985, 73; LG Lübeck, Rpfleger 1993, 207; LG Hannover, Rpfleger 1995, 511; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850 b, Rdn. 18; Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., Rdn. 1019; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 850 b, Rdn. 16 m.w.N.).

c) Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, künftige Erstattungsforderungen des Schuldners gegen die Drittschuldnerin seien, anders als Ansprüche auf Ersatz der Kosten bereits erbrachter ärztlicher Leistungen, auch nicht gemäß § 850 b Abs. 2 ZPO pfändbar.

Eine Pfändung entspräche hier nicht der Billigkeit. Zu Recht führt das Beschwerdegericht aus, die Pfändung künftiger Erstattungsansprüche gefährde den mit dem Versicherungsvertrag verfolgten Zweck. Auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen früherer Gläubiger ist es nicht zu rechtfertigen, dem Schuldner die Möglichkeit abzuschneiden, ärztliche Behandlung jederzeit in der Gewissheit in Anspruch nehmen zu können, dass die entstehenden Kosten im Rahmen des abgeschlossenen Versicherungsvertrags gedeckt sind. Dies gilt auch gegenüber einem Gläubiger, dessen Forderung ihrerseits eine ärztliche Heilbehandlungsmaßnahme zugrunde liegt, für deren Bezahlung der Schuldner die entsprechende Erstattungsleistung des Versicherers nicht verwandt hat.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 1510 Nr. 21
WM 2007 S. 2017 Nr. 43
DAAAC-52145

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein