BGH Urteil v. - V ZR 244/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; VermG § 7 Abs. 7 Satz 2

Instanzenzug: LG Berlin 13 O 636/04 vom KG Berlin 11 U 3/06 vom

Tatbestand

Die Klägerin ist Miteigentümerin eines in Berlin-Niederschönhausen belegenen Grundstücks. Es wurde seinen früheren jüdischen Eigentümern in den Jahren 1935 bis 1938 verfolgungsbedingt entzogen, 1950 als Eigentum des Volkes gebucht und nach der Wiedervereinigung Deutschlands durch Bescheid vom dem beklagten Land zugeordnet.

Seit 1990 wurde das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück als sog. Literaturhaus, einer Begegnungsstätte für Autoren und Publikum, genutzt. Dabei handelte es sich zunächst um eine nachgeordnete Einrichtung des Beklagten. Ab 1993 befand sich das Literaturhaus in privater Trägerschaft und wurde durch den Beklagten gefördert. Ein Entgelt für die Nutzung des Grundstücks vereinbarte und erhob der Beklagte nicht.

Durch Restitutionsbescheid vom wurde das Grundstück auf die Klägerin und die Mitberechtigte J. G. zurückübertragen. Die Übergabe des Grundstücks erfolgte am .

Die Klägerin verlangt für den Zeitraum vom bis zum auf der Grundlage der für das Grundstück erzielbaren Miete Ersatz für nicht gezogene Nutzungen in Höhe von 289.534,37 €.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Kammergericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hält den geltend gemachten Zahlungsanspruch für unbegründet. Die Vorschrift des § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG verpflichte den Verfügungsberechtigten nur zur Herausgabe gezogener Nutzungen. Sie sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, wenn der Verfügungsberechtigte keine Nutzungen gezogen habe. Die Klägerin könne die für das Grundstück erzielbare Miete auch nicht als Schadensersatz beanspruchen. Zwar bestehe zwischen dem Verfügungs- und dem Restitutionsberechtigten ein gesetzliches Schuldverhältnis. Die unentgeltliche Überlassung des Grundstücks an den privaten Träger des Literaturhauses verletze die daraus folgenden Pflichten jedoch nicht.

II.

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Allerdings entspricht das Berufungsurteil, das anstelle eines Tatbestandes lediglich Prozessgeschichte und die Berufungsanträge enthält, nicht den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Ein Berufungsgericht kann zwar von einer eigenen Darstellung des Sach- und Streitstandes absehen, wenn die maßgeblichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil enthalten sind. Es muss dann aber ausdrücklich auf diese Bezug nehmen. Fehlt es sowohl an eigenen tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts als auch an einer Bezugnahme auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung, unterliegt das Berufungsurteil - weil es dann an der für die revisionsrechtliche Nachprüfung erforderlichen maßgeblichen Beurteilungsgrundlage nach § 559 ZPO fehlt - grundsätzlich von Amts wegen der Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. Senat, BGHZ 158, 37, 41 f.; , NJW-RR 2004, 494; Urt. v. , VI ZR 362/03, NJW 2005, 830, 831; Urt. v. , VIII ZR 130/04, DAR 2006, 143).

Von der Aufhebung des Berufungsurteils kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben (vgl. Senat, Urt. v. , V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290, 1291; , aaO; Urt. v. , VIII ZR 130/04, aaO). Das ist hier der Fall. Das Berufungsgericht erwähnt das Urteil des Landgerichts mehrfach und legt seiner rechtlichen Beurteilung erkennbar dessen tatsächliche Feststellungen zugrunde. Änderungen oder Ergänzungen des relevanten Sachverhalts sind weder ersichtlich noch genannt. Das lässt den Schluss zu, dass das Berufungsgericht sich die Feststellungen des Landgerichts zu Eigen machen wollte und lediglich übersehen hat, dass dies nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO eine ausdrückliche Bezugnahme erfordert.

2. In der Sache hält das Berufungsurteil revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch fehlt.

a) Ein Anspruch auf Ersatz nicht gezogener Nutzungen ergibt sich nicht aus § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG. Nach dieser Bestimmung hat der Verfügungsberechtigte dem Berechtigten die Entgelte herauszugeben, die ihm aus einem Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnis zugeflossen sind oder zustehen. Hat der Verfügungsberechtigte den zurückzuübertragenden Vermögensgegenstand - wie hier - unentgeltlich einem Dritten überlassen, fehlt es an einem solchen Entgelt. Die Vorschrift des § 7 Abs. 7 Satz 1 VermG ist in diesem Fall auch nicht entsprechend anwendbar. Das hat der Senat in seinem Urteil vom bereits näher begründet (BGHZ 141, 232, 236 ff.; vgl. auch Senat, BGHZ 132, 306, 311).

b) Entgegen der Auffassung der Revision führt der Umstand, dass der Beklagte das für das Grundstück erzielbare Nutzungsentgelt nicht realisiert hat, zu keiner Schadensersatzverpflichtung wegen schuldhaft ordnungswidriger Verwaltung des Vermögensgegenstandes.

aa) Zwar entsteht mit der Anmeldung des Rückübertragungsanspruchs zwischen dem Berechtigten und dem Verfügungsberechtigten ein gesetzliches Schuldverhältnis, das Züge einer gesetzlichen Treuhand trägt und Schadensersatzpflichten aus positiver Forderungsverletzung oder aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. begründen kann (vgl. Senat, BGHZ 128, 210, 211; Urt. v. , V ZR 185/04, ZOV 2005, 359, 360). Diese Rechtsbeziehung ist allerdings nicht umfassend, sondern nur in einzelnen, von dem Gesetz hervorgehobenen Fällen wie ein Treuhandverhältnis ausgebildet (, NJW-RR 2005, 391, 392). Hierzu zählen die Fälle, in denen der Verfügungsberechtigte nach Anmeldung des Rückübertragungsanspruchs ausnahmsweise Rechtsgeschäfte vornehmen darf (§ 3 Abs. 3 VermG; vgl. Senat, Urt. v. , V ZR 493/99, WM 2002, 613, 614). Diese Geschäfte hat er so zu führen, wie es das Interesse des Berechtigten mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen erfordert (§ 3 Abs. 3 Satz 6 VermG). Gleiches gilt in dem weiteren Fall der Herausgabepflicht nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG (Senat, Urt. v. , V ZR 493/99, aaO; Urt. v. , V ZR 39/02, WM 2004, 889, 890; Urt. v. , V ZR 185/04, ZOV 2005, 359, 360).

bb) Aus diesem Schuldverhältnis folgt jedoch keine Verpflichtung des Verfügungsberechtigten, eine unentgeltliche Nutzung des zu restituierenden Vermögensgegenstands zu unterlassen und stattdessen ein entgeltliches Nutzungsverhältnis zu begründen. Der Verfügungsberechtigte ist nicht verpflichtet, aus der Nutzung des Vermögensgegenstands einen Überschuss für den Berechtigten zu erwirtschaften (Senat, Urt. v. , V ZR 257/06 - zur Veröffentlichung bestimmt). Etwas anderes ergibt sich weder aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG noch aus § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG.

(1) Wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt und auch die Revision zugesteht, ist die Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG, die den Verfügungsberechtigten verpflichtet, den Abschluss dinglicher Rechtsgeschäfte und die Eingehung langfristiger vertraglicher Verpflichtungen zu unterlassen, schon von seinem Regelungsgegenstand her nicht einschlägig. Sie schützt die künftige - also mit der bestandskräftigen Rückübertragung beginnende - Dispositionsbefugnis des Berechtigten (Senat, BGHZ 128, 210, 214), ändert aber nichts an der Konzeption des Vermögensgesetzes, wonach der zu restituierende Vermögenswert bis zur Bestandskraft des Rückübertragungsbescheids im Eigentum des Verfügungsberechtigten verbleibt und diesem daher grundsätzlich auch die Nutzungen der Sache gebühren (vgl. § 7 Abs. 7 Satz 1 VermG sowie Senat, BGHZ 141, 232, 235 ff.; Urt. v. , V ZR 105/04, ZOV 2005, 88, 89; , WM 1998, 1348, 1349).

(2) Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich eine Verpflichtung des Verfügungsberechtigten, erzielbare Nutzungsentgelte zu realisieren, auch nicht aus der Vorschrift des § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG herleiten. Die hieraus folgende Verpflichtung des Verfügungsberechtigten, mit einer Vermietung oder Verpachtung des Vermögensgegenstands verbundene Geschäfte so zu führen, wie es das Interesse des Berechtigten mit Rücksicht auf dessen tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen erfordert, knüpft an ein am bestehendes oder zu diesem Zeitpunkt oder später begründetes Nutzungsverhältnis an (Senat, Urt. v. , V ZR 493/99, WM 2002, 613, 614). Sie schützt den Berechtigten davor, dass sein - gemäß § 7 Abs. 7 Satz 3 VermG erst mit bestandskräftiger Rückübertragung des Vermögensgegenstands entstehender - Herausgabeanspruch aus § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG durch schuldhaftes Verhalten des Verfügungsberechtigten wirtschaftlich ausgehöhlt wird. Da dieser Herausgabeanspruch aber auf die Entgelte aus bestehenden Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnissen beschränkt und, wie dargelegt, auf andere Nutzungen nicht entsprechend anwendbar ist (Senat, BGHZ 141, 232, 236 f.), bezieht sich auch die durch § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG begründete Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung allein auf Entgelte, die dem Verfügungsberechtigten zugeflossen sind oder ihm zustehen. Die schuldhafte Einwirkung auf bestehende Entgeltansprüche kann Schadensersatzansprüche wegen positiver Forderungsverletzung des zwischen dem Verfügungsberechtigten und dem Berechtigten bestehenden Schuldverhältnisses begründen (vgl. Senat Urt. v. , V ZR 493/99, WM 2002, 613, 614; Urt. v. , V ZR 185/04, ZOV 2005, 359, 360). Demgegenüber lässt sich der Vorschrift des § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG keine Verpflichtung des Verfügungsberechtigten entnehmen, Ansprüche auf Nutzungsentgelt erstmals zu begründen (in diesem Sinne bereits: Senat, Urt. v. , V ZR 493/99, WM 2002, 613, 614 zu II. 1. b).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
IAAAC-52139

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein