Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5; StGB § 226 Abs. 1 Nr. 3
Instanzenzug: LG Lübeck vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Änderung des Schuldspruchs und hat im Übrigen keinen Erfolg.
I. Schuldspruch:
Die Nachprüfung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten; dagegen ist die in Tateinheit begangene Körperverletzungstat nicht als schwere Körperverletzung nach § 226 StGB, sondern nur als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu beurteilen.
1. Die Feststellungen zum Schuldspruch sind rechtsfehlerfrei getroffen. Auch die Beanstandungen der Revision zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Geschehens vor der Eingangstüre zum Lokal sind unbegründet und zeigen insbesondere keine Widersprüche auf, wie der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom zutreffend dargelegt hat.
2. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags weist keinen Rechtsfehler auf. Dass die Strafkammer die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke nicht erkennbar geprüft hat, beschwert den Angeklagten nicht. Dies wäre nach den getroffenen Feststellungen allerdings geboten gewesen, da der Angeklagte von dem mit ihm befreundeten Geschädigten "freundlich" gebeten worden war, mit vor das Lokal zu kommen, vom Zeugen unbemerkt sein Messer aus der Kleidung nahm, es aufklappte und unvermittelt mehrfach auf ihn einstach. Die Annahme von Heimtücke scheitert grundsätzlich auch nicht an dem Umstand, dass der Angriff zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz erfolgte, da er unmittelbar darauf unter Ausnutzung des Überraschungseffekts mit Tötungsvorsatz fortgesetzt wurde (vgl. BGH NStZ 2006, 502).
3. Soweit das Landgericht den Angeklagten der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gesprochen hat, kann das Urteil keinen Bestand haben. Entgegen der Auffassung der Strafkammer kann die dem Opfer zugefügte Narbe im Gesicht nicht als eine dauernde erhebliche Entstellung im Sinne dieser Vorschrift gewertet werden.
a) Da das Merkmal der erheblichen Entstellung in § 226 Abs. 1 StGB in einer Reihe mit sehr schwerwiegenden Folgen wie Siechtum, Lähmung, geistige Krankheit oder Behinderung, Verlust des Sehvermögens auf einem Auge, eines wichtigen Gliedes u. ä. steht, die für die Einstufung einer Körperverletzungstat als Verbrechen maßgeblich sind, ist eine Verunstaltung des Gesamterscheinungsbildes des Verletzten erforderlich, die in ihrer Bedeutung für den Menschen etwa der Benachteiligung entspricht, die mit den anderen in § 226 StGB genannten Folgen verbunden sind (Horn/Wolters in SK-StGB § 226 Rdn. 12 f.; BGH StV 1992, 115; NStZ 2006, 686). Grundsätzlich können auch verunstaltende Narben im Gesicht eines Opfers erheblich entstellend sein (BGH NJW 1967, 297; NStZ 2006, 686). Aber auch dabei muss - etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen des Gesichts (vgl. ) - im Einzelfall ein Grad an Verunstaltung erreicht werden, der in Relation zu den anderen schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB steht. Ist eine Narbe nur in dem Sinne erheblich, dass sie deutlich sichtbar ist, reicht dies nicht (). In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich ein Tatrichter die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder erleichtern kann.
b) Die hier vom Landgericht festgestellte 12 cm lange, maximal 4 mm breite, blassrötliche, leicht wulstförmige Narbe im linken Halsbereich vom Ohrläppchen nach vorne zum Unterkiefer verlaufend (so UA S. 14, auf UA S. 12 als "zum Kehlkopf" verlaufend beschrieben) mag zwar je nach ihrem Verlauf unter dem Kinn mehr oder weniger sichtbar sein und das ästhetische Empfinden des Betrachters stören, erfüllt jedoch nach diesen Maßstäben die Voraussetzungen einer erheblichen Entstellung im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB nicht. Daher kann offen bleiben, ob der vom Opfer in der Hauptverhandlung nach einer erfolgten Einigung mit dem Angeklagten abgegebenen Erklärung, es empfinde die Narbe "heute nicht mehr" als Beeinträchtigung seines ästhetischen oder körperlichen Wohlbefindens, in diesem Zusammenhang eine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden kann.
c) Der Senat kann nach Sachlage ausschließen, dass in einer neuerlichen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, und hat den Schuldspruch selbst geändert (§ 354 Abs. 1 StPO). Das Vorgehen des Angeklagten erfüllt, wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, die Voraussetzungen der gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB. Der Änderung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte gegen diesen - milderen - Vorwurf anders als geschehen hätte verteidigen können.
II. Strafausspruch:
Der Strafausspruch hat jedoch gleichwohl Bestand, da er sonstige Rechtsfehler nicht aufweist und die verhängte Strafe nicht auf dem fehlerhaften Schuldspruch beruht.
1. Die Einwendungen der Revision gegen den Strafausspruch sind unbegründet.
a) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, war eine aussagekräftige Berechnung des Tatzeitblutalkoholwertes aufgrund der sehr ungenauen Angaben des Angeklagten nicht möglich. Dass die Strafkammer bei der Bewertung der psychodiagnostischen Beweisanzeichen im Ergebnis der Beurteilung des dazu gehörten Sachverständigen und nicht der - erst in der Hauptverhandlung nach Schmerzensgeldzahlungen - geäußerten Einschätzung des mit dem Angeklagten befreundeten Zeugen E. gefolgt ist, zeigt ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.
b) Die Strafkammer durfte auch ohne Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB berücksichtigen, dass der Angeklagte mit massiver Gewalt vorgegangen ist und dem Opfer mehrere Schnitt- und Stichverletzungen zugefügt hat. Denn ein den Tatbestand des versuchten Totschlags erfüllendes Handeln hat sie erst in dem vierten, gegen den Hals des Opfers gerichteten Messerstich gesehen. Damit liegt in den vorausgehenden drei mit Körperverletzungsvorsatz geführten Stichen ein zusätzliches erhebliches Tatunrecht. Entsprechendes gilt für die strafschärfend gewerteten Tatfolgen wie Taubheitsgefühl und Juckreiz, da sie nicht notwendig mit einem Totschlagsversuch verbunden sind.
2. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Subsumtion des festgestellten Sachverhalts auf eine noch mildere Freiheitsstrafe als drei Jahre und neun Monate erkannt hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Strafe nach wie vor dem Strafrahmen für das Verbrechen des versuchten Totschlags zu entnehmen ist und das tateinheitlich begangene Vergehen der gefährlichen Körperverletzung in zwei Tatvarianten verwirklicht ist. Die zugefügte Narbe im Gesicht des Opfers muss - wenn auch nicht zur Begründung des Qualifikationstatbestandes des § 226 StGB ausreichend - als verschuldete Auswirkung des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung erheblich strafschärfend herangezogen werden.
3. Da das Rechtsmittel nur zum Schuldspruch einen geringen Erfolg hat und die Strafe unverändert bleibt, erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten, § 471 Abs. 3 StPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HAAAC-52067
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