BSG Urteil v. - B 12 AL 2/06 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB III § 207a Abs 2; SGB V § 232a Abs 1 Satz 1 Nr 1

Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen L 19 AL 202/05 SG Dortmund S 27 AL 233/05

Gründe

I

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Höhe der von der Beklagten für den Kläger zu übernehmenden Beiträge an ein privates Krankenversicherungsunternehmen.

Der 1945 geborene Kläger meldete sich zum arbeitslos und bezog über das Ende des Jahres 2005 hinaus Leistungen der beklagten Bundesagentur für Arbeit. Er war zu diesem Zeitpunkt in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 6 Abs 3a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) versicherungsfrei und bei dem beigeladenen Krankenversicherungsunternehmen privat kranken- und pflegeversichert. Die Versicherungsprämien betrugen monatlich für die Krankenversicherung (KV) 648,60 €, für die Pflegeversicherung (PV) 37,37 €.

Mit Bescheid vom bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) ab März 2005. Diesen Bescheid korrigierte sie mit Änderungsbescheid vom , indem sie das tägliche Bemessungsentgelt und infolgedessen den täglichen Leistungsbetrag heraufsetzte. Mit Änderungsbescheid vom setzte sie das tägliche Bemessungsentgelt und den täglichen Leistungsbetrag ab Mai 2005 wieder herab. In allen drei Bescheiden ermittelte sie das Leistungsentgelt, indem sie das Bemessungsentgelt um eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 vH des Bemessungsentgelts verminderte. Unter dem erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom , führte aus, dass er als privat Kranken- und Pflegeversicherter mit dem Abzug der Sozialversicherungspauschale nicht einverstanden sei und verlangte einen höheren Auszahlungsbetrag. Unter dem erhob er mit gleicher Begründung "vorsichtshalber" Widerspruch auch gegen die Bescheide vom 30. März und .

Mit Schreiben vom übernahm die Beklagte die Beiträge des Klägers zu seiner privaten KV und PV, und setzte die für März 2005 an ihn zu erstattenden Beträge auf 403,26 € bzw 37,37 € fest. Mit Schreiben vom 12. und setzte sie die Beträge für April und Mai 2005 in gleicher Höhe fest. Mit Widerspruch vom wandte sich der Kläger gegen die unter dem für den Monat März vorgenommene Betragsfestsetzung, mit Widersprüchen vom 13. Mai und gegen die unter dem 12. und erfolgten Betragsfestsetzungen für die Monate April und Mai. Die ausgewiesenen Beträge würden in der Höhe nicht anerkannt, weil deren Bemessung unzutreffend nur 80 vH der Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt worden seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom hat die Widerspruchsstelle der Beklagten "auf den Widerspruch ... vom " gegen "den Bescheid vom in der Fassung des Änderungsbescheides vom " wegen "Höhe des Arbeitslosengeldes" entschieden, dass der Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen sei. In der Begründung des Widerspruchsbescheides ist ausgeführt, dass die Beklagte mit Bescheid vom Alg bewilligt habe, sich der Widerspruch gegen diesen Bescheid richte und der Widerspruch nach Erlass des Änderungsbescheides vom nicht mehr begründet sei. Im Folgenden wird die Berechnung des täglichen Leistungsbetrags des Alg erläutert. Darüber hinaus wird dargelegt, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen Bezieher von Alg die Übernahme von Beiträgen an ein privates Krankenversicherungsunternehmen beanspruchen können und wie diese Beträge zu ermitteln sind. Insoweit wird im Einzelnen "auf die dem Widerspruchsführer übersandten Berechnungen verwiesen". Abschließend wird ausgeführt, der Widerspruch habe "daher" keinen Erfolg haben können.

Der Kläger hat Klage erhoben. Er hatte ursprünglich beantragt, die Beklagte "unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom in der Fassung des Änderungsbescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom " zu verurteilen, zusätzlich zu dem in diesen Bescheiden ausgewiesenen Leistungsbetrag weitere, der Höhe nach näher bestimmte Beträge zu seiner privaten KV und PV zu übernehmen. Hilfsweise hatte er "unter Abänderung der Bescheide vom , und " die Verurteilung der Beklagten mit dem gleichen Ziel beantragt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen Antrag umgestellt und nunmehr beantragt, die Beklagte "unter Abänderung des Bescheides vom in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom " zu verurteilen, ihm Beiträge für die Krankenversicherung in Höhe von monatlich 504 € ab März 2005 zu erstatten. Mit Urteil vom hat das Sozialgericht (SG) diese Klage abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens haben sich die Beteiligten dahingehend geeinigt, dass Gegenstand des Verfahrens nur noch der Beitragsbescheid vom für den Monat März 2005 sein und die Beklagte verpflichtet sein soll, die Bescheide über die Beitragszahlung für die Folgezeit entsprechend dem rechtskräftigen Ausgang des Verfahrens anzupassen. Der Kläger hat sodann beantragt, unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils und des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom die Beklagte zu verurteilen, "für ihn bezüglich des Monats März 2005 einen weiteren Betrag in Höhe von 100,74 Euro als Beitrag zur privaten Krankenversicherung zu übernehmen". Mit Urteil vom hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ua ausgeführt: Die gegen den Bescheid vom erhobene Klage sei nicht unzulässig. Die Beklagte habe im Widerspruchsbescheid vom lediglich die Bescheide vom 9. März und aufgeführt, obwohl sich die Widerspruchsentscheidung auch über die Höhe des zu übernehmenden Beitrags verhalte. In der Sache hat das LSG die von der Beklagten vorgenommene Berechnung des für den Kläger für März 2005 zu übernehmenden Beitrags zur privaten KV als zutreffend angesehen.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung von § 207a Abs 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) und von § 232a Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom sowie den Bescheid der Beklagten vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Kläger bezüglich des Monats März 2005 einen weiteren Betrag in Höhe von 100,74 € als Beitrag zur privaten Krankenversicherung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

II

Die Revision des Klägers erweist sich im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung als begründet. Zu Unrecht haben die Vorinstanzen eine Entscheidung in der Sache getroffen. Die Klage ist derzeit noch unzulässig.

1. Zu entscheiden ist über die Anfechtung des Bescheides der Beklagten vom und die gegenüber der Beklagten erhobene Forderung des Klägers, "für ihn bezüglich des Monats März 2005 einen weiteren Betrag in Höhe von 100,74 € als Beitrag zur privaten Krankenversicherung zu übernehmen". Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass das Begehren des Klägers von Beginn an auf die Differenz zwischen dem geforderten monatlichen Betrag und dem schon erstatteten Betrag für seine private KV gerichtet war, mit Klage und Berufung zunächst die Übernahme bzw Erstattung von Beiträgen nicht nur für März 2005, sondern auch für die Folgemonate verlangt war, das SG hierüber auch entschieden und der Kläger das erstinstanzliche Urteil ursprünglich in diesem - vollen - Umfang mit der Berufung angefochten hat. Nach dem vor dem LSG geschlossenen Teilvergleich hat der Kläger sein Rechtsschutzbegehren jedoch auf den im Monat März 2005 anfallenden Beitrag beschränkt. Nicht im Streit war und ist der von der Beklagten für März 2005 festgesetzte, auf die PV des Klägers entfallende Betrag. Weil dieser Betrag dem Kostenaufwand entspricht, den der Kläger auch tatsächlich zu tragen hatte, hat dieser seiner Klage insoweit nicht weiter verfolgt.

2. Die vom Kläger mit dem Ziel erhobene Klage, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom für den Monat März 2005 zur Übernahme eines weiteren Betrags in Höhe von 100,74 € als Beitrag zur privaten KV zu verurteilen, ist derzeit unzulässig. Denn entgegen der Vorschrift des § 78 Abs 1 iVm Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat ein Vorverfahren nicht stattgefunden.

Obwohl der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom unter dem Widerspruch erhoben hat, ist das Vorverfahren iS von § 78 Abs 1 Satz 1 SGG nicht durchgeführt worden. Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist. Hieran fehlt es. Eine auf die Feststellung des objektiven Erklärungsinhalts zielende Auslegung des Widerspruchsbescheids vom am Maßstab der Auslegungsregel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches, zu der das Revisionsgericht befugt ist, führt zu dem Ergebnis, dass die Beklagte mit diesem Widerspruchsbescheid über die Recht- und ggf Zweckmäßigkeit ihres Bescheids vom nicht befunden hat.

Das LSG hat im angefochtenen Berufungsurteil erkennbar die Auffassung vertreten, dass im Widerspruchsbescheid vom auch eine Rechtsbehelfsentscheidung über den Bescheid vom enthalten ist, "obwohl die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom lediglich die Bescheide vom 09.03. und aufgeführt hat". Es hat für diese Auslegung zum Anhalt genommen, dass sich der Widerspruchsbescheid in seiner Begründung auch zur Höhe des zu übernehmenden Krankenversicherungsbeitrags verhalte. Diese Auslegung hält der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

Die Beklagte hat sich in dem Widerspruchsbescheid vom unter der Überschrift "Widerspruchsbescheid" zur Kennzeichnung des Gegenstandes des Widerspruchsverfahrens ausdrücklich auf die Bescheide der Beklagten vom 9. März und bezogen. Sie hat zu dessen Verdeutlichung an gleicher Stelle auf den gegen den Bescheid vom unter dem erhobenen Widerspruch des Klägers verwiesen und den Inhalt der von ihr beurteilten Bescheide mit dem Zusatz "wegen Höhe des Arbeitslosengeldes" skizziert. In der "Entscheidungsformel" hat sie den genannten Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, in der "Begründung" des Widerspruchsbescheides den Bescheid vom in Bezug genommen, den die Prüfung veranlassenden Widerspruch als gegen diesen Bescheid gerichtet angesehen und diesen Widerspruch im Hinblick auf den ändernden Bescheid vom , der kraft Gesetzes Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sei, als nicht mehr begründet angesehen. Vor diesem Hintergrund musste der objektive Erklärungsinhalt des Widerspruchsbescheides vom aus der Sicht des Erklärungsempfängers so verstanden werden, dass die Beklagte darin auf den Rechtsbehelf des Widerspruchs nur über die Bewilligung des Alg ab März 2005 bzw Mai 2005 in ihren Bescheiden vom 9. März und entschieden hat.

Dieser objektive Erklärungsinhalt wird nicht dadurch geändert, dass in der Begründung des Widerspruchsbescheids auf dessen letzter Seite die gesetzlichen Maßgaben dargestellt sind, nach denen sich die Übernahme von Beiträgen durch die Beklagte an ein privates Krankenversicherungsunternehmen vollzieht. Angesichts der unmissverständlichen Kennzeichnung des Gegenstandes des Widerspruchsverfahrens im Kopf des Widerspruchsbescheids vom ist auch aus dem Hinweis auf "die dem Widerspruchsführer übersandten Berechnungen" nicht zu entnehmen, dass die Beklagte darin außerdem über den Widerspruch vom gegen den Bescheid vom entscheiden wollte. Anders als die Daten der Alg bewilligenden Bescheide sind diejenigen der Bescheide zur Beitragsübernahme im Widerspruchsbescheid nicht genannt. Ebenso wenig lässt sich für eine hiervon abweichende Auslegung etwas daraus herleiten, dass am Schluss der Begründung des Widerspruchsbescheids vom resümiert wird, der Widerspruch habe "daher" keinen Erfolg haben können.

Wenn es nach allem noch einer Bestätigung bedarf, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom nicht auch über den Bescheid vom eine Rechtsbehelfsentscheidung getroffen hat, dann liegt sie darin, dass der Kläger als Adressat des Widerspruchsbescheides die darin enthaltenen Aussagen der Beklagten iS des § 95 SGG zunächst auch nicht anders verstanden hat, denn als solche ausschließlich über die Bescheide vom 9. März und . Denn mit seinem ursprünglichen Klageantrag hat er sich prozessual so verhalten, wie es jemand tut, der ein Vorverfahren gegen den Bescheid vom als noch nicht durchgeführt ansieht. Mit seinem Hauptantrag hatte er nämlich nur die Bescheide vom 9. März und "in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom " angefochten, während der Bescheid vom - ebenso wie derjenige vom 12. und derjenige vom - in dem Hilfsantrag isoliert angegriffen worden war.

Wegen der objektiven Funktion des Vorverfahrens und seiner förmlichen Ausgestaltung im SGG (vgl hierzu im Einzelnen Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom , B 12 KR 8/98 R, SozR 3-1500 § 78 Nr 3 S 6 f) kann der Widerspruchsbescheid in solchen Fällen - auch im Hinblick auf prozessökonomische Erwägungen - nicht durch eine sachliche, auf Abweisung der Klage und/oder Zurückweisung der Berufung als unbegründet gerichtete Einlassung der für den Widerspruch zuständigen Behörde ersetzt werden. Entsprechend können die Klageerwiderung der Beklagten vom und deren Berufungserwiderung vom nicht in einen Widerspruchsbescheid "umgedeutet" werden. Die Auffassung des Senats zur Notwendigkeit eines Vorverfahrens in diesen Fällen fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des BSG ein, wonach die Durchführung des Vorverfahrens nach der Konzeption des § 78 SGG als unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung anzusehen ist. Im Hinblick hierauf hat das BSG trotz entsprechender sachlicher Einlassungen der Behörde im Gerichtsverfahren auf der Durchführung eines Vorverfahrens auch bestanden in den Fällen der Klageänderung (vgl , SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1 S 11, unter Bezugnahme auf , SozR 3-2500 § 85 Nr 12 S 75 f; , SozR 3-2500 § 37 Nr 5 S 30), auch einer solchen durch Beteiligtenwechsel auf der Kläger- oder Beklagtenseite (vgl die Rechtsprechungsnachweise im Urteil vom , aaO, S 6), wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt den Widerspruchsführer und einen Dritten in gleicher Weise beschwert, jedoch nur der am Vorverfahren nicht beteiligte Dritte klagt (vgl aaO, S 5 f; ferner , SozR 4-2500 § 18 Nr 5, für die Klage eines Familienversicherten, wenn der Widerspruchsbescheid nur gegenüber dem Stammversicherten ergangen ist) oder wenn die Behörde keinen Widerspruchsbescheid erlassen und diese Weigerung zu Unrecht damit begründet hat, der Kläger könne einen Widerspruchsbescheid nicht beanspruchen (vgl aaO, S 10 ff). Mit dieser Rechtsprechung zu Gunsten einer Selbstkontrolle der Verwaltung und zu Lasten der Prozessökonomie soll der Schutz des betroffenen Bürgers verbessert und soll die Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden (vgl Urteil vom , aaO, S 6).

Steht der Zulässigkeit der Klage derzeit noch das fehlende Vorverfahren entgegen, so kann dieser Zulässigkeitsmangel in der Tatsacheninstanz behoben und so der Weg zu einer Sachentscheidung im anhängigen Verfahren freigemacht werden. Zur Behebung des Mangels ist der Rechtsstreit deshalb gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Berufungsgerichts vorbehalten.

Fundstelle(n):
SAAAC-51463