Leitsatz
[1] Auch eine nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist nur auf Verfahrensrüge hin zu prüfen, wenn das Urteil erneut zugestellt werden musste und der Revisionsführer dadurch die Möglichkeit hatte, die ihm bekannte Verzögerung innerhalb der neu in Gang gesetzten Frist des § 345 Abs. 1 StPO geltend zu machen.
Gesetze: StPO § 344 Abs. 2; StPO § 345 Abs. 1; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: LG Frankfurt am Main vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen - davon in einem Fall wegen Beihilfe - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und die Einziehung von Rauschgift samt Verpackungsmaterial angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt. Sein Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Einer Erörterung bedarf nur die vom Generalbundesanwalt beantragte Schuldspruchänderung und die Frage einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
1. Dem Antrag des Generalbundesanwalts bei drei Taten (Tatzeiten: , und ), den Schuldspruch dahin zu ändern, dass jeweils zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit steht, weil der Angeklagte das Opium teilweise zum Selbstkonsum erworben habe, war nicht nachzukommen.
Zwar wird in den Urteilsgründen vor Konkretisierung dieser Taten die Geschäftsbeziehung des Angeklagten zu M. und L. dargestellt und hierbei auch allgemein ausgeführt, dass der Angeklagte das Opium zum eigenen Gewinn weiterverkaufte und teilweise zum Selbstkonsum verbrauchte. Bei den einzelnen Taten wird dann aber konkret festgestellt, dass der Angeklagte das Opium ausschließlich zum gewinnbringenden Weiterverkauf erwarb.
Wenn der Angeklagte im Rahmen der Geschäftsbeziehung auch (weiteres) Opium zum Selbstkonsum bezog oder sich nach dem Erwerb zum gewinnbringenden Weiterverkauf doch zum teilweisen Selbstkonsum entschloss, lässt dies den Schuldspruch nur wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unberührt.
Da der Generalbundesanwalt trotz der von ihm beantragten Änderung des Schuldspruchs nicht die Aufhebung des Strafausspruchs beantragt hat, war der Senat an einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO nicht gehindert (st. Rspr. vgl. u. a. BGHR StPO § 349 Abs. 2 StPO Verwerfung 4; Kuckein in KK 5. Aufl. § 349 Rdn. 29 m.w.N.).
Dass der Angeklagte für die Tat vom nur wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wurde, obwohl er die tatsächliche Verfügungsgewalt über die 10 kg Opium hatte und damit tateinheitlich ein täterschaftlich begangener unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gegeben ist, beschwert ihn nicht.
2. Ob das Verfahren in einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verstoßenden Weise verzögert worden ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da die erforderliche Verfahrensrüge nicht erhoben ist.
Ein kompensationspflichtiger Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kommt hier zwar grundsätzlich in Betracht, weil das Verfahren nach Urteilserlass in einer der Justiz anzulastenden Weise verzögert wurde. Das Urteil vom wurde dem Verteidiger in einer mit dem Original nicht übereinstimmenden "beglaubigten" Leseabschrift zugestellt. Dieser Fehler wurde erstmals vom Senat bemerkt und die Zustellung des Original-Urteils veranlasst, welche dann am erfolgte. Durch die Zustellung des Original-Urteils begann die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO neu zu laufen.
Will der Beschwerdeführer die Verletzung des Beschleunigungsgebotes geltend machen, erfordert dies grundsätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge (st. Rspr. vgl. u. a. m.w.N.; vgl. auch ). Ein Ausnahmefall, für den der Bundesgerichtshof angenommen hat, das Revisionsgericht habe wegen eines Erörterungsmangels auf die Sachrüge hin einzugreifen, liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Verzögerung erst nach Urteilserlass eingetreten ist.
Allerdings kann für Verzögerungen nach Urteilserlass ein Eingreifen des Revisionsgerichtes von Amts wegen geboten sein, wenn der Angeklagte diese Gesetzesverletzung nicht form- und fristgerecht rügen konnte (st. Rspr., vgl. u. a. Senatsbeschluss vom - 2 StR 78/07 m.w.N.; und vom - 3 StR 329/06), weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2001, 52).
Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht jedoch darin, dass durch die Zustellung des Original-Urteils die Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO wieder eröffnet wurde und der anwaltlich vertretene Angeklagte die ihm bekannte Verletzung des Beschleunigungsgebotes unschwer rügen und seine dadurch möglicherweise entstandenen zusätzlichen Belastungen geltend machen konnte (vgl. auch BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 11).
Deshalb hätte es hier zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot einer Verfahrensrüge bedurft. Eine solche Rüge ist nicht erhoben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 2647 Nr. 36
wistra 2007 S. 392 Nr. 10
DAAAC-51335
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