Leitsatz
[1] Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nrn. 1 bis 4 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt.
Gesetze: ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 2; ZPO § 547 Nr. 4
Instanzenzug: LG Berlin 14 O 233/03 vom KG Berlin 7 U 293/03 vom
Gründe
I. Der Kläger und der Beklagte zu 2, sein nicht ehelicher Sohn, streiten darum, wem eine Forderung gegen die C. AG (nachfolgend: C. ) aus einem Sparvertrag zusteht, den der Kläger am mit der Rechtsvorgängerin der C. abgeschlossen hat. Der als ...- Vorsorgeplan bezeichnete Sparvertrag ist auf den Beklagten zu 2 ausgestellt, der jedoch bis zu seinem 26. Lebensjahr von der Verfügung über das Sparguthaben ausgeschlossen sein sollte.
Die C. verweigerte dem Kläger die Auszahlung des Guthabens, da dieser die Kontoauszüge nicht vorlegen konnte. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank ist diese berechtigt, an den Inhaber der Sparurkunde und der jährlich erteilten Kontoauszüge zu leisten.
Der Kläger hat zunächst die Beklagte zu 1 und sodann den Beklagten zu 2 auf Herausgabe der Kontoauszüge in Anspruch genommen. Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage gegen die Beklagte zu 1 abgewiesen und durch Schlussurteil den Beklagten zu 2 antragsgemäß verurteilt.
Während des Berufungsverfahrens ist über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden. In Unkenntnis dessen hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Landgerichts zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten zu 2 die Klage auch gegen diesen abgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II. Die Revision ist zuzulassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Wegen der Unterbrechung des Verfahrens (§ 240 ZPO) hätte am weder mündlich verhandelt noch am ein Urteil verkündet werden dürfen; auf eine Kenntnis des Gerichts vom Unterbrechungsgrund kommt es nicht an (BGHZ 66, 59, 61). Obwohl die Prozesshandlungen der Parteien unwirksam sind (§ 249 Abs. 2 ZPO), ist das Urteil nicht nichtig, sondern mit dem gegebenen Rechtsmittel anfechtbar (BGHZ 66, 59, 61 f.). Das aufgrund einer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers durchgeführten mündlichen Verhandlung erlassene Berufungsurteil ist zuungunsten einer Partei ergangen, die nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war; ein solcher Verfahrensfehler begründet den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO (, ZIP 1988, 446; Urt. v. - VIII ZR 224/94, NJW 1995, 2563).
2. Wird einer der absoluten Revisionsgründe des § 547 Nrn. 1 bis 4 ZPO mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht und liegt dieser tatsächlich vor, gebietet dies die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
a) Ein Teil der Literatur vertritt allerdings die Auffassung, das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes rechtfertige als solches die Zulassung der Revision nicht (Musielak/Ball, ZPO, 5. Aufl., § 547 Rdn. 2; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 543 Rdn. 5; Wenzel in MünchKomm ZPO, 2. Aufl., Akt.Bd. § 547 Rdn. 2; a.A. Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 543 Rdn. 15b; Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 921). Zur Begründung wird angeführt, die Funktion der absoluten Revisionsgründe bestehe allein darin, dass die Ursächlichkeit des als absoluter Revisionsgrund gekennzeichneten Verfahrensverstoßes für das angefochtene Urteil unwiderlegbar vermutet werde (Musielak/Ball aaO.).
b) Dem ist jedoch nicht beizutreten.
Kennzeichnend für die absoluten Revisionsgründe ist nicht lediglich die unwiderlegbare Vermutung der Ursächlichkeit des Verfahrensverstoßes für die Entscheidung. Vielmehr qualifiziert das Gesetz besonders schwerwiegende Verfahrensfehler als absolute Revisionsgründe (so auch Musielak/Ball, Reichold und Wenzel, jeweils aaO. § 547 Rdn. 1). Dies wird auch daran sichtbar, dass die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nrn. 1 bis 4 mit den Nichtigkeitsgründen des § 579 Abs. 1 ZPO übereinstimmen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils rechtfertigen, weil es der Gesetzgeber für unzumutbar hält, von der unterlegenen Partei zu verlangen, sich mit dem Urteil abzufinden (Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., Vor § 578 Rdn. 27).
Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient über seinen sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebenden Zweck, Divergenzen in den von der Rechtsprechung der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten Rechtssätzen zu vermeiden, auch dazu, die Korrektur von Rechtsanwendungsfehlern zu ermöglichen, die über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (BGHZ 151, 42, 46; 151, 221, 226; 154, 288, 294 f.). Abgesehen von denjenigen Fällen, in denen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ohne eine Korrektur durch das Revisionsgericht eine Wiederholung oder Nachahmung des Fehlers droht, liegt ein solcher Rechtsanwendungsfehler insbesondere dann vor, wenn die Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder ein Verstoß gegen das Willkürverbot geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung als Ganzes zu erschüttern (BGHZ 154, 288, 295 f.; Musielak/Ball aaO. § 543 Rdn. 8d m.w.N.).
Jedenfalls die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nrn. 1 bis 4 ZPO sind insoweit wie die Verletzung von Verfahrensgrundrechten zu behandeln. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts kann sich als Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellen; die fehlende gesetzliche Vertretung einer Partei kann deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzen. Unabhängig davon, ob es sich im Einzelfall so verhält, macht der Gesetzgeber mit der Qualifikation schwerwiegender Verfahrensfehler als absolute Revisionsgründe und als Nichtigkeitsgründe deutlich, dass es nicht erträglich erscheint, der betroffenen Partei abzuverlangen, die auf der Grundlage eines solchen Verfahrensfehlers ergangene Entscheidung hinzunehmen. Es erschiene auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich, der Partei in einem solchen Fall das nach der Verfahrensordnung vorgesehene Rechtsmittel zu versagen und sie auf ein Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen.
Denn das Bundesverfassungsgericht hat es als "aus rechtsstaatlicher Sicht auf Dauer schwer hinzunehmende(n) Zustand" bezeichnet, dass auch ein offenkundiger Verfahrensfehler oder ein absoluter Revisionsgrund nach § 72 a.F. ArbGG die Zulassung der Revision im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht rechtfertigte (BVerfG, NJW 2001, 2161, 2163). Der Gesetzgeber hat dem mit dem Anhörungsrügengesetz vom (BGBl. I 3220) dadurch Rechnung getragen, dass er in § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG bestimmt hat, dass die Revision zuzulassen ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nrn. 1 bis 5 ZPO oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung "entspricht" diese Regelung "der Erweiterung der Zulassungsgründe, wie sie im Bereich der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom (BGBl. I, 1887) bereits eingeführt wurde" (BR-Drucks. 663/04, S. 47). Auch § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG und § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kennen, worauf die amtliche Begründung weiter hinweist, einen entsprechenden - sogar noch weiter gefassten - Zulassungsgrund des Verfahrensmangels.
Auch zur Vermeidung eines weder sachlich gebotenen noch nach dem Vorstehenden dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Auseinanderfallens der Zulassungsgründe in den verschiedenen Verfahrensordnungen ist es hiernach geboten, die Revision jedenfalls dann zuzulassen, wenn einer der absoluten Revisionsgründe des § 547 Nrn. 1 bis 4 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 2702 Nr. 37
WM 2007 S. 1949 Nr. 41
NAAAC-50928
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja