BFH Beschluss v. - VII R 23/06

Vorlage an den EuGH: Verjährung des Anspruchs auf Rückforderung von Ausfuhrerstattung (Az. des EuGH: C-279/07)

Gesetze: VO (EWG) Nr. 2988/95, BGB § 195

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat 1993 Rindfleisch zur Ausfuhr nach Jordanien abfertigen lassen. Ihr ist dafür antragsgemäß vorschussweise Ausfuhrerstattung gewährt worden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt —HZA—) hat die in diesem Zusammenhang gestellte Sicherheit freigegeben. Nachdem aufgrund Anfang 1998 durchgeführter Prüfungen festgestellt worden war, dass das Fleisch im Transit- oder Reexportverfahren in den Irak befördert worden ist, hat das HZA jedoch die Ausfuhrerstattung von der Klägerin mit Bescheid vom zurückgefordert.

Hiergegen richtet sich die Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgegeben hat, weil der Rückforderung Verjährung entgegenstehe. Dies ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 (VO Nr. 2988/95) des Rates vom über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 312/1).

Nach dieser Verordnung beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten bei einem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeiten. Die einschlägige Vorschrift lautet:

„Artikel 3

(1) Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.

Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei den mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluß des Programms.

...

(3) Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 bzw. Absatz 2 vorgesehene Frist anzuwenden.”

In Deutschland bestand in dem hier in Betracht zu ziehenden Zeitraum keine Vorschrift, welche die Verjährung eines Anspruches auf Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung oder —allgemeiner— zu Unrecht gewährter verwaltungsrechtlicher Vergünstigungen speziell regelte. Von der Verwaltung und der Rechtsprechung wurde insofern vielmehr das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) entsprechend angewandt, das bis Ende des Jahres 2001 Folgendes regelte:

„§ 194

(1) Das Recht, von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung.

...

§ 195

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt dreißig Jahre.”

Inzwischen beträgt die in dieser Vorschrift geregelte „regelmäßige” Verjährungsfrist nur noch drei Jahre.

II. Die vom Senat zu treffende Entscheidung erfordert die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, welche dem Senat durch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), insbesondere auch das Urteil vom Rs. C-278/02 („Handlbauer” - EuGHE 2004, I-6171), nicht ausreichend geklärt scheinen.

Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgung einer Unregelmäßigkeit —wozu nach dem Urteil des EuGH in EuGHE 2004, I-6171 auch das Verlangen der Rückerstattung eines rechtswidrig gezahlten Geldbetrages gemäß Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 gehören soll— vier Jahre ab Begehung der die Verfolgung auslösenden Tat. Diese Frist war bei Erlass des angefochtenen Bescheides abgelaufen. Die Unregelmäßigkeit, die zur Rückforderung der der Klägerin gewährten Geldbeträge geführt hat, ist jedoch bereits vor Inkrafttreten der Verordnung begangen worden. Deshalb stellt sich die Frage der „rückwirkenden” Anwendung des Art. 3 VO Nr. 2988/95 auf die Rückforderung von Geldbeträgen, die infolge einer vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift begangenen Unregelmäßigkeit erlangt worden sind. Würde diese Frage bejaht, stellten sich weitere Fragen, nämlich erstens, ob gemäß Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 die ehemals längere Verjährungsfrist des deutschen Rechts anzuwenden ist, nämlich die in entsprechender Anwendung des § 195 BGB in der hier noch anzuwendenden Fassung (im Folgenden: a.F.) geltende 30-jährige Frist; und zweitens, ob, wenn § 195 BGB a.F. nicht anzuwenden ist, die gemeinschaftsrechtlich festgelegte Vier-Jahres-Frist bereits mit Begehung der betreffenden Unregelmäßigkeit oder dem Erlass des Erstattungsbescheides oder vielmehr erst mit Inkrafttreten der VO Nr. 2988/95 beginnt, wenn dieser Zeitpunkt auf die zuvor bezeichneten folgt, die Verjährungsregelung also in diesem Sinne zurückwirkt.

1. Der beschließende Senat ersucht zunächst um Beantwortung der Frage, ob die 4-jährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 einschlägig ist, wenn vor dem Inkrafttreten der Verordnung gewährte Ausfuhrerstattung zurückgefordert wird und die dafür ursächlichen Unregelmäßigkeiten vor dem Inkrafttreten der Verordnung begangen worden sind. Diese Frage ist in der Rechtsprechung des EuGH und des Gerichts erster Instanz bisher nicht, jedenfalls nicht klar und eindeutig beantwortet.

Sie stellt sich in dem vorliegenden Verfahren. Denn die Verordnung ist in dem am ausgegebenen Amtsblatt veröffentlicht worden und nach ihrem Art. 11 am dritten Tag nach dieser Veröffentlichung, mithin am in Kraft getreten. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist am ergangen, also nach Inkrafttreten der Verordnung; alle Handlungen und Unterlassungen der Klägerin, welche gemäß Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 als Unregelmäßigkeit in Betracht kommen, sind jedoch vor dem Inkrafttreten der Verordnung begangen worden. Allerdings lag zwischen diesen Unregelmäßigkeiten und dem Ergehen des vorgenannten Bescheides kein so langer Zeitraum, dass nach den bis zum Inkrafttreten der Verordnung zweifellos anzuwendenden (nationalen) Vorschriften bei Inkrafttreten der Verordnung bereits Verjährung eingetreten gewesen wäre; denn als nationale Verjährungsregelung würde insofern nur § 195 des deutschen BGB in seiner früheren, im Streitfall ggf. noch anzuwendenden Fassung in Betracht kommen, da spezielle marktordnungsrechtliche Vorschriften über die Verjährung von Rückforderungsansprüchen bei zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung bis zum Inkrafttreten der VO Nr. 2988/95 nicht bestanden.

In dem (hier mithin nicht vorliegenden) Fall, dass eine vor Inkrafttreten der VO Nr. 2988/95 angelaufene Verjährungsfrist bei Inkrafttreten jener Verordnung bereits abgelaufen war, erschiene es dem Senat nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit von vornherein ausgeschlossen anzunehmen, die Verordnung messe sich mit dem Ergebnis Rückwirkung bei, dass die Verjährungsfrist in einem solchen Fall erneut eröffnet wird. Hingegen kann in Betracht kommen, der Verordnung Rückwirkung beizulegen, wenn die Rückforderung der unrechtmäßig erlangten Geldbeträge nach den beim Inkrafttreten der Verordnung anzuwendenden (nationalen) Verjährungsvorschriften noch hätte erfolgen können, die Anwendung der Verordnung auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Unregelmäßigkeiten also lediglich zur Verkürzung einer bereits angelaufenen Verjährungsfrist führt.

Ein dahin gehendes Verständnis der VO Nr. 2988/95 erscheint dem Senat jedoch nicht klar und eindeutig geboten im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom Rs. 283/81 —C.I.L.F.I.T.— (EuGHE 1982, 3415). Der Senat hat dazu folgende Überlegungen angestellt, um deren Prüfung er den Gerichtshof ersucht:

Eine Verkürzung bereits angelaufener (nationaler) Verjährungsfristen könnte je nach Lage des Falls dazu führen, dass der nationalen Verwaltung nach dem Inkrafttreten der Verordnung nur noch eine kurze, eine von vornherein unzureichende oder sogar gar keine Zeitspanne verbleibt, um zu Unrecht gewährte gemeinschaftsrechtliche Leistungen zurückzufordern. Der vom HZA vorgeschlagene Weg, die Verjährung bei den vorstehend erörterten „Altfällen” erst mit Inkrafttreten der Verordnung beginnen zu lassen, kann nach Auffassung des Senats dem nicht abhelfen, weil die VO Nr. 2988/95 keine dahin gehende Regelung enthält und diese auch nicht im Wege der Auslegung zu gewinnen ist.

Hätte der Rat dies bedacht und der Verjährungsregelung Rückwirkung in solchen („Alt"-)Fällen beimessen wollen, so wäre allerdings zu erwarten, dass er für solche Fälle eine entsprechende Übergangsvorschrift schafft, etwa von der Art, dass die 4-jährige Verjährungsfrist erst mit Inkrafttreten der Verordnung zu laufen beginnt. Das ist indes nicht geschehen. Es lässt sich, wenn nicht durch einen gesetzgeberischen Mangel, nur dadurch erklären, dass (jedenfalls die verwaltungsrechtliche) Verjährungsregelung nur für Unregelmäßigkeiten oder Erstattungsbescheide eingreifen soll, die nach dem Inkrafttreten derselben begangen bzw. erlassen werden.

Die Rückwirkung der Verjährungsregelung lässt sich nach Auffassung des beschließenden Senats auch nicht daraus herleiten, dass sie dem Gemeinschaftsgesetzgeber selbstverständlich gewesen wäre. Denn die Verjährungsregelung stellt, soweit sie die Rückforderung zu Unrecht gewährter Vergünstigungen wie Ausfuhrerstattung betrifft, keine bloße, ihrer Natur nach grundsätzlich auch in Verfahren, die unter früherem Verfahrensrecht verwirklichte Sachverhalte betreffen, anwendbare Verfahrensregelung dar —mag sie auch dem Wortlaut der Vorschrift nach (wonach die Verjährungsfrist für die „Verfolgung” gilt) aus der Sicht des Verfahrensrechts formuliert sein—. Sie hat vielmehr nicht anders als z.B. Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex, welchem der (EuGHE 2006, I-2049) zu Recht materiell-rechtliche Wirkung zugemessen hat, zur Folge, dass der Rückforderungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann. Deshalb ist kein tragfähiger Grund erkennbar, weshalb sie anders als jene Vorschrift auf Sachverhalte anwendbar sein sollte, die verwirklicht worden sind, als die Vorschrift noch nicht galt. Dass der damals bestehende Rechtszustand, dass in Deutschland Rückforderungsansprüche praktisch unverjährbar waren, im Lichte des Gebotes der Rechtssicherheit und vor allem des Rechtsfriedens unbefriedigend gewesen sein mag, kann eine nicht anderweit gebotene rückwirkende Anwendung des Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 schwerlich rechtfertigen; denn es ist jedenfalls kein zwingendes Gebot der vorgenannten gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze, dass Rückforderungsansprüche vier Jahre nach Begehung einer sie auslösenden Unregelmäßigkeit verjähren. Inwiefern der Grundsatz des Vertrauensschutzes durch eine längere Verjährungsfrist oder sogar faktische Unverjährbarkeit von Rückforderungsansprüchen betroffen sein könnte, wie solchen Ansprüchen ausgesetzte Marktbeteiligte geltend gemacht haben, ist dem beschließenden Senat von vornherein nicht nachvollziehbar; denn die Marktbeteiligten haben nicht darauf vertraut, dass von ihnen begangene Unregelmäßigkeiten nach vier Jahren verwaltungsrechtlich folgenlos bleiben würden, und konnten darauf auch nicht vertrauen, ganz abgesehen davon, dass ein diesbezügliches Vertrauen allenfalls schutzwürdig wäre, wenn es die Betreffenden zu wirtschaftlichen Dispositionen veranlasst hätte, die sie jedoch offenkundig nicht getroffen haben.

Die Frage, ob die Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 der Rückforderung von Geldbeträgen entgegensteht, die infolge einer vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift begangenen Unregelmäßigkeit erlangt worden sind und deren Rückforderung die bis zum Inkrafttreten der Verordnung anzuwendenden Verjährungsvorschriften nicht entgegenstanden, wird durch das Urteil des Gerichts erster Instanz vom T-125/01 (EuGHE 2003, II-865) nicht beantwortet. Denn in vorgenanntem Urteil ging es um einen Fall, bei dem, wie das Gericht auch ausdrücklich hervorgehoben hat (vgl. Rz 81 der Entscheidungsgründe), die Unregelmäßigkeit zwar vor Inkrafttreten der Verordnung begonnen hatte, jedoch erst danach beendet wurde und folglich die Verjährungsfrist, wie das Gericht ausführt, erst an dem Tag beginnen konnte, an dem die Unregelmäßigkeit beendet war.

2. Der beschließende Senat ist bei diesen Überlegungen davon ausgegangen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 grundsätzlich nicht nur die Frist für die strafrechtliche Verfolgung von Unregelmäßigkeiten bei der Beantragung von Ausfuhrerstattung betrifft, sondern auch für die Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung gilt, wenn diese auf einer Unregelmäßigkeit bei der Beantragung der Erstattung beruht. Das hätte freilich die wenig gerechte Folge, dass der Marktbeteiligte, dem eine Unregelmäßigkeit bei der Beantragung von Ausfuhrerstattung vorzuwerfen ist, nach dem seinerzeit geltenden Recht hinsichtlich der Verjährung der Ansprüche, denen er seitens der Verwaltung ausgesetzt war, besser gestellt war, als derjenige, dem Ausfuhrerstattung zu Unrecht gewährt worden ist, ohne dass ihm eine Unregelmäßigkeit vorgeworfen werden kann. Denn ein solcher Marktbeteiligter musste bis zum Inkrafttreten der Verjährungsregelung in der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 (VO Nr. 800/1999) der Kommission vom (ABlEG Nr. L 102/11) in Deutschland während eines Zeitraums von 30 Jahren mit der Rückforderung der ihm gewährten Ausfuhrerstattung rechnen und wäre überdies noch heute schlechter gestellt als der erstgenannte Marktbeteiligte, weil die Verjährungsregelung der VO Nr. 800/1999 anders als Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 die Verjährung erst mit Ergehen des Ausfuhrerstattungsbescheides beginnen lässt.

Wenn der Senat bei seiner eben entwickelten Fragestellung gleichwohl von der Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 auch auf die Rückforderung von Ausfuhrerstattungen ausgeht, so beruht dies ausschließlich auf dem Urteil des EuGH in EuGHE 2004, I-6171, das in diesem Sinne allgemein verstanden worden ist. Sofern der EuGH aufgrund entsprechender Beantwortung der unter 1. aufgeworfenen Frage in eine Prüfung der richtigen Auslegung vorgenannter Verjährungsregelung eintritt, mag ihm dies jedoch Gelegenheit geben, die Rechtsauslegung insofern erneut zu überprüfen bzw. klarzustellen.

Denn aus dem vom EuGH dort im Anschluss an das Urteil des Gerichts erster Instanz in EuGHE 2003, II-865 erwähnten Umstand, dass nach Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 der Regelungsbereich der Verordnung schuldhaft und schuldlos begangene Verstöße gegen Gemeinschaftsregelungen umfasst, kann nach Überzeugung des beschließenden Senats nicht ohne weiteres geschlossen werden, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 müsse ebenfalls nicht nur für Sanktionen, die eine vorsätzliche oder durch Fahrlässigkeit verursachte Unregelmäßigkeit voraussetzen (vgl. Art. 5 Abs. 1 Halbsatz 1), sondern auch für verwaltungsrechtliche Maßnahmen (Art. 4) gelten, bei denen das nicht notwendigerweise der Fall ist.

Die Verordnung unterscheidet zweifellos zwischen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen (vgl. schon Art. 1 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95). Art. 3 betrifft letztere, während er für verwaltungsrechtliche Maßnahmen nicht nur dem ersten Anschein nach nicht anwendbar zu sein scheint. Das ist zwar in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 nicht ganz deutlich, weil dort —anders als sonst in der Verordnung (vgl. z.B. Art. 7 oder Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 sowie Art. 4 Abs. 1 und 4)— statt des vorgenannten Begriffspaares bzw. eines der beiden Elemente desselben der —sonst nicht verwendete— Begriff „Verfolgung” gebraucht wird, der für sich gesehen dahin mag verstanden werden können, dass er verwaltungsrechtliche Maßnahmen ebenso wie Sanktionen umfasst. Dass dies indes nicht gemeint sein kann, legt der systematische Zusammenhang vorgenannter Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 und Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 nahe, in denen klar und deutlich (nur) von Sanktionen, nicht von verwaltungsrechtlichen Maßnahmen die Rede ist, welche zweifellos keine „Sanktionen” sind (Art. 4 Abs. 4 VO Nr. 2988/95). Dass die Verordnung Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft (so die dritte Begründungserwägung der Verordnung) bekämpfen will, kann nicht dahin verstanden werden, dass ihre Regelungen gleichsam im Zweifel immer für Sanktionen und Maßnahmen gelten sollen; es verdeutlicht lediglich, dass solche Interessen in unterschiedlichen Sachbereichen der Gemeinschaftspolitik betroffen sind, von denen die Marktordnungen und die Ausfuhrerstattungen im Besonderen nur einige sind.

Bedeutung könnte zur Klärung der Anwendbarkeit der 4-jährigen Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung von Ausfuhrerstattung nach Ansicht des beschließenden Senats auch der Entstehungsgeschichte der Verordnung zukommen. In einem dem Senat vorliegenden Schreiben der Europäischen Kommission —Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung— vom heißt es dazu, während der Beratung des Verordnungsvorschlags habe sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten ausdrücklich dagegen gewandt, für die Rückforderung rechtswidrig erlangter Vorteile eine gemeinschaftsrechtliche Verjährungsfrist festzulegen. Es erschiene in hohem Maße unbefriedigend, wenn durch richterliche Auslegung einer Ratsverordnung eine Regelung entnommen würde, gegen die sich die Mitgliedstaaten im Gesetzgebungsverfahren mehrheitlich gerade gewehrt und deretwegen sie eine entsprechende Änderung des Verordnungstextes durchgesetzt haben.

Für eine Vorschrift, die eine Verjährungsfrist für verwaltungsrechtliche Maßnahmen vorsieht, erschiene es dem Senat zudem ungewöhnlich, wenn nicht sachwidrig, die Frist wie in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 von der Begehung der Unregelmäßigkeit an —und nicht von der Gewährung des infolge der Unregelmäßigkeit zu Unrecht erhaltenen Betrages an— laufen zu lassen, so dass ein „bösgläubiger” Marktbeteiligter gut beraten ist, das Erstattungsverfahren möglichst lange hinauszuzögern und dadurch rechtzeitigen Prüfungen vorzubeugen, die zur Aufdeckung der von ihm begangenen Unregelmäßigkeit führen könnten.

3. Sollte die Verjährungsregelung trotz dieser grundsätzlichen Bedenken gegen ihre Anwendung auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung Rückwirkung für Fälle haben, in denen vor Inkrafttreten derselben die zur Zurückforderung Anlass gebenden Unregelmäßigkeiten begangen worden sind und Ausfuhrerstattung gewährt worden ist, so würde sich dem beschließenden Senat die weitere Frage stellen, ob Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten eine längere als die in Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung vorgesehene Frist nur dann anwenden dürfen, wenn dies in ihren Rechtsvorschriften ausdrücklich gerade im Hinblick auf die (kürzere) Frist der VO Nr. 2988/95 oder jedenfalls die wegen eines Verstoßes gegen eine Gemeinschaftsbestimmung gebotene Rückforderung eines rechtswidrig erhaltenen Geldbetrages vorgesehen ist.

Die schon in der Benennung der Verordnung („Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften”) zum Ausdruck kommende allgemeine Zielsetzung der Verordnung spricht indes dafür, dass diese lediglich im Interesse der Gemeinschaft Mindeststandards bei der Verfolgung von Unregelmäßigkeiten festlegen will, welche die Mitgliedstaaten nicht unterschreiten dürfen, dass sie jedoch die Mitgliedstaaten nicht daran hindern will, bei der Verfolgung von Unregelmäßigkeiten strengere Maßstäbe —hier: eine längere Verjährungsfrist— anzuwenden als im Interesse des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaften vom gemeinschaftlichen Verordnungsgeber für unverzichtbar gehalten wird. Deshalb ist das beklagte HZA nach Auffassung des Senats durch die Verordnung nicht gehindert gewesen, die der Klägerin zu Unrecht gewährte Ausfuhrerstattung zurückzufordern; denn nach der Rechtsprechung des Senats zum insofern einschlägigen nationalen Recht stand ihm dafür in entsprechender Anwendung des § 195 BGB a.F. eine Dreißig-Jahres-Frist zur Verfügung. Diese Frist war nach deutschem Recht bei einer Rückforderung solcher Geldbeträge, wie sie die Klägerin erhalten hat, „anzuwenden”. Ob ihre Anwendung in jedem Fall mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie insbesondere mit dem Gebot, nach angemessener Zeit Rechtsfrieden zu gewähren, vereinbar war, mag zweifelhaft erscheinen; im Streitfall stellen sich jedoch dahin gehende Fragen nicht, nachdem zwischen der Begehung der der Klägerin vorgeworfenen Unregelmäßigkeit und der Rückforderung ein Zeitraum von nur rund sechs Jahren liegt.

Gegen die mithin vom Senat für richtig gehaltene Auslegung der VO Nr. 2988/95 mag zwar sprechen, dass nach deren Erwägungsgründen durch die Verordnung „allgemeine Regeln” für die Sanktionen aufgestellt werden sollen bzw. ein „gemeinsamer rechtlicher Rahmen” festgelegt werden soll. Wenn jedoch dieses Ziel nicht so weit gesteckt ist, dass abweichende, für den Marktbeteiligten strengere nationale Regelungen nicht zugelassen werden sollen, was, wie nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 außer Zweifel steht, nicht das Ziel der Verordnung ist, so ist nicht ohne weiteres einsichtig, welche Erwägungen den Verordnungsgeber veranlasst haben sollten, strengere nationale Regeln nur zu dulden, wenn sie bereichsspezifisch sind, wenn sie nach Inkrafttreten der VO Nr. 2988/95 erlassen werden oder wenn sie sogar in gewollter Abweichung von derselben erlassen worden sind. Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 erteilt den Mitgliedstaaten keine Ermächtigung zu einer abweichenden Regelung der Verjährungsfrist, sondern stellt lediglich klar, dass bestehende abweichende Möglichkeiten zu einer längeren Verfolgung von Unregelmäßigkeiten unberührt bleiben sollen, die Verordnung also die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, zu Unrecht gewährte Subventionen zurückzufordern, nicht einschränken will, ganz gleich woraus sich diese Möglichkeiten ergeben. Dass Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 den Mitgliedstaaten die Anwendung einer längeren Frist nicht nur insoweit vorbehält, als eine solche Frist gerade im Hinblick auf die Regelungsgegenstände der Verordnung festgelegt ist, legt überdies schon ein Vergleich des Abs. 3 mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 VO Nr. 2988/95 nahe, in welchem dem gemeinschaftlichen Gesetzgeber die Festlegung einer kürzeren Frist gerade nur in „sektorbezogenen” Regelungen vorbehalten wird.

Den finanziellen Interessen der Gemeinschaft, welche die VO Nr. 2988/95 schützen will, wäre im Übrigen ohnehin mit einer einengenden Auslegung des Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 nicht gedient und der mutmaßliche Gewinn an Rechtseinheit im Verhältnis der Mitgliedstaaten durch eine sachgesetzlich nicht ohne weiteres legitime Ungleichbehandlung von aufgrund gemeinschaftlicher und auf der Grundlage rein nationaler Vorschriften gewährten Subventionen erkauft.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1726 Nr. 9
JAAAC-50805