Zuordnung des Steuerwerts auf eine Vorstufe des Volleigentums (Anwartschaft) nicht möglich
Leitsatz
Erwirbt der Erbe einen auf die Verschaffung von Wohnungseigentum gerichteten Anspruch, ist der Erbschaftsteuer nicht der Bedarfswert für das Wohnungseigentum, sondern der gemeine Wert des Anspruchs zugrunde zu legen. Eine Zuordnung des Steuerwerts auf eine Vorstufe des Volleigentums (Anwartschaft) kommt nicht in Betracht. Die (niedrigeren) Steuerwerte können nur demjenigen zugute kommen, der noch oder schon Eigentümer des Grundstücks ist.
Gesetze: ErbStG § 7 Abs. 1 Nr. 1, ErbStG § 12, BewG § 9, BewG § 19, BewG § 68
Instanzenzug: ,
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Nichte und Alleinerbin der am verstorbenen Erblasserin (E). E hatte 1994 eine Eigentumswohnung gekauft. Der Kaufpreis war bis Ende 1996 vollständig gezahlt. Die Auflassung wurde am erklärt; am erfolgte die Umschreibung im Grundbuch. Zum Nachlass der E gehörten auch ein Bankguthaben sowie ein Steuererstattungsanspruch.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte durch Bescheid vom gegen die Klägerin wegen des Erwerbs durch Erbanfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes —ErbStG—, § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches —BGB—) Erbschaftsteuer fest. Das FA sah als Gegenstand des Erwerbs der Klägerin nicht das Wohnungseigentum, sondern den auf dessen Verschaffung gerichteten Anspruch an, den es mit dem gemeinen Wert, d.h. hier mit dem Nennwert des Kaufpreises, bewertete. Die im Nachlass befindlichen Kapitalforderungen erfasste das FA ebenfalls mit dem Nennwert. Den Einspruch, mit dem die Klägerin beantragte, als Wert der Eigentumswohnung nicht den gemeinen Wert, sondern den vom Lagefinanzamt durch Bescheid vom festgestellten Grundstückswert (Bedarfswert gemäß § 138 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes —BewG—) der Besteuerung zugrunde zu legen, weil das Wohnungseigentum noch vor dem Tod der E an diese aufgelassen worden sei, wies das FA als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1019 veröffentlicht ist, setzte die Erbschaftsteuer entsprechend dem Antrag der Klägerin, der Besteuerung den Bedarfswert für die Eigentumswohnung zugrunde zu legen, herab. Gegenstand des Erwerbs der Klägerin sei das der E zustehende Anwartschaftsrecht, das mit keinem höheren Wert angesetzt werden dürfe als das mit dem Bedarfswert zu bewertende Vollrecht. Dem Erwerb dieses Rechts komme im Verhältnis zu dem ebenfalls auf die Klägerin übergegangenen Anspruch der E auf Eigentumsverschaffung vorrangige Bedeutung zu, weil die Verkäuferin der Eigentumswohnung noch vor dem Tod der E alles ihr Mögliche getan habe, um den Leistungserfolg herbeizuführen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 10 und 12 ErbStG, der §§ 873, 1922 BGB und der §§ 9, 138 ff. BewG. Entscheidend sei, dass E bei ihrem Tod noch nicht Eigentümerin der Wohnung gewesen sei. Das Anwartschaftsrecht könne nicht dem Grundstückseigentum gleichgestellt werden.
Das FA beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hat durch Beschluss vom II R 61/99 (BFHE 196, 304, BStBl II 2001, 834) das Bundesministerium der Finanzen (BMF) aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.
Das BMF ist durch Schreiben vom dem Verfahren beigetreten und hat keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat durch Beschluss vom das Verfahren gemäß Art. 100 des Grundgesetzes (GG) ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber eingeholt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 vom (BGBl I, 2049, BStBl I, 1523) i.V.m. § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ErbStG, § 12 ErbStG, sowie §§ 13a, 19a ErbStG, dabei § 12 ErbStG i.V.m. den in dieser Vorschrift in Bezug genommenen Vorschriften des BewG, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist. Der Beschluss ist in BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598 veröffentlicht.
Das BVerfG hat durch Beschluss vom 1 BvL 10/02 (BFH/NV 2007, Beilage 2, 237) entschieden, dass § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des JStG 1997 in allen seinen seitherigen Fassungen mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar ist, als er die Erwerber von Vermögen, das nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2, § 12 ErbStG i.V.m. den in § 12 ErbStG in Bezug genommenen Vorschriften des BewG bewertet wird, unabhängig von der jeweiligen Vermögensart mit einheitlichen Steuersätzen belastet. Ferner hat das BVerfG die Weiteranwendung des bisherigen Rechts bis zu einer Neuregelung zugelassen, die spätestens bis zum zu treffen ist.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Besteuerung der Bedarfswert für die Eigentumswohnung zugrunde zu legen ist. Diese Rechtsauffassung ist von § 12 Abs. 3 ErbStG nicht gedeckt. Die auf die Klägerin durch Erbanfall übergegangene Rechtsposition ist vielmehr gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 Abs. 1 BewG mit dem gemeinen Wert zu bewerten.
a) Nach § 12 Abs. 1 ErbStG richtet sich die Bewertung für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke nach den Allgemeinen Bewertungsvorschriften (Erster Teil des BewG). Danach ist grundsätzlich der gemeine Wert des Vermögensanfalls zugrunde zu legen (§ 9 Abs. 1 BewG), soweit in den Absätzen 2 bis 6 des § 12 ErbStG nicht etwas anderes bestimmt ist.
Eine anderweitige Bestimmung für die Bewertung der von der Klägerin erworbenen Rechtsposition enthalten die Absätze 2 bis 6 des § 12 ErbStG nicht, insbesondere kommt eine Anwendung des § 12 Abs. 3 ErbStG nicht in Betracht, wonach Grundbesitz i.S. von § 19 BewG mit dem Grundbesitzwert i.S. der §§ 138 ff. BewG anzusetzen ist.
Bei der von der Klägerin im Wege des Erbanfalls erworbenen Rechtsposition handelt es sich nicht um „Grundbesitz” i.S. des § 19 BewG. Nach dem Katalog des § 68 Abs. 1 BewG gehört zum Grundvermögen u.a. das Wohnungseigentum, nicht jedoch ein Anspruch auf Verschaffung des Wohnungseigentums. Bewertungsrechtlich ist somit für die Anwendung des Steuerwerts (Grundbesitzwerts) allein maßgebend, ob Grundstücks- oder Wohnungseigentum, d.h. das Vollrecht erworben wird (, BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820, 823, die Verwaltungsauffassung in R 36 Abs. 2 Satz 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien —ErbStR—; Meincke, ErbSt-Kommentar, 13. Aufl. 2002, § 12 Rz 24).
Es gibt nach Auffassung des Senats keinen Grund, den Steuerwert (Grundbesitzwert) vom Grundstück (Vollrecht) zu trennen und entgegen den bewertungsrechtlichen Vorschriften dem Sachleistungsanspruch des Erwerbers bzw. der Übereignungsverpflichtung des Veräußerers zuzuordnen (BFH-Urteil in BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820, 823; a.A. Daragan, Betriebs-Berater —BB— 2002, 649, 650). Vielmehr gebietet die zivilrechtliche Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft (Abstraktionsprinzip) den Ansatz des Sachleistungsanspruchs, der Sachleistungsverpflichtung sowie der jeweiligen Gegenleistung (Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises bzw. des Kaufpreisanspruchs) mit dem Nennwert (§ 12 BewG) bzw. dem gemeinen Wert (§ 9 BewG). Denn diese (gegenseitigen) Ansprüche decken sich wertmäßig und gleichen sich gegenseitig aus. Dieser Umstand würde außer Acht gelassen, wenn dem Nennwert des Anspruchs auf den Kaufpreis der (niedrigere) Steuerwert des Sachleistungsanspruchs gegenübergestellt würde (, BFHE 166, 376, BStBl II 1992, 248; vgl. auch Crezelius, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ—, Ausgabe A 1978, 243, 246).
b) Der Senat hat zwar in früheren Entscheidungen (vgl. die Urteile vom II R 143/66, BFHE 122, 152, BStBl II 1977, 556; vom II R 81/82, BFHE 141, 553, BStBl II 1984, 771, und vom II R 133/84, BFH/NV 1988, 489) ausgeführt, dass die kaufvertragliche Verpflichtung zur Grundstücksübereignung wie das Grundstück mit dem Steuerwert zu bewerten sei, weil der schuldrechtliche Verschaffungsanspruch keinen höheren Wert haben könne als das Wirtschaftsgut, auf dessen Verschaffung er gerichtet sei, diese These aber in nachfolgenden Entscheidungen aus der Erkenntnis heraus verworfen, dass dadurch bei den hierbei zu berücksichtigenden Fallvarianten auf der Käufer- wie Verkäuferseite eine „gerechtere” Lösung nicht erreicht werden kann (vgl. die Urteile vom II R 103/86, BFHE 159, 542, BStBl II 1990, 434, und in BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820; vom II R 63/87, BFHE 159, 555, BStBl II 1990, 504; vgl. auch Urteil zum Bewertungs- und Vermögensteuerrecht vom II R 118/86, BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620). Denn es handelte sich dabei lediglich um eine vorzeitige Verschiebung der steuerlichen —belastenden oder entlastenden— Folgen auf einen Zeitpunkt, bevor das gegenseitige Geschäft abgewickelt ist (BFH-Urteil in BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620, 622; vgl. hierzu Moench, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1978, 567, 570; Brosch, BB 1983, 241; Martin, Der Betrieb —DB— 1990, 1536). Eine solche Vorverlagerung der steuerlichen Folgen beseitigt nicht die Brüche und Wertungswidersprüche, die sich aus dem unterschiedlichen Wertniveau von Steuerwert und gemeinem Wert ergeben, sondern verschiebt diese nur bzw. führt zu neuen Schwierigkeiten und Abgrenzungsproblemen (hierzu auch Moench, DStR 1978, 567, 570; Brosch, BB 1983, 241), wie der Fall der Aufhebung eines Schenkungsvertrages bei schon entstandenem Anwartschaftsrecht bei der Beschenkten im Urteil des Senats vom II R 33/01 (BFHE 199, 25, BStBl II 2002, 781) zeigt. Denn die Annahme einer durch das Anwartschaftsrecht eingetretenen steuerbaren Vermögensmehrung der Beschenkten zwänge bei Aufhebung des Grundgeschäfts (Schenkungsvertrages) zur Annahme einer Rückschenkung an den Schenker, obwohl dieser als „Noch-Eigentümer” das Vollrecht weiterhin innehat. Dieser Wertungswiderspruch lässt sich nur vermeiden, wenn das Anwartschaftsrecht, auf das die Beschenkte als Folge der Aufhebung des Grundgeschäfts verzichtet hat, als Gegenstand der Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gegenüber dem Schenker als dem Inhaber des Vollrechts ausscheidet und allein auf die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien abgestellt wird.
c) So kann es im Streitfall nicht darauf ankommen, dass der E im Zeitpunkt ihres Todes aufgrund Auflassung und Eintragung einer Auflassungsvormerkung bzw. des schon gestellten Eintragungsantrags bereits ein Anwartschaftsrecht zustand. Denn das Anwartschaftsrecht ist schon zivilrechtlich mit dem Vollrecht nicht identisch, es verschafft dem Erwerber in Bezug auf das Wohnungseigentum nur eine gesicherte Rechtsposition (vgl. , BGHZ 106, 108, 111; , BGHZ 27, 360, 368) und ein dem Vollrecht so weit angenähertes Recht, dass zivilrechtlich auf dieses allgemein die für das Vollrecht geltenden Regeln hinsichtlich Übertragbarkeit, Pfändbarkeit, Deliktschutz aus § 823 Abs. 1 BGB etc. Anwendung finden (vgl. hierzu: Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 3 Rz 45 ff., § 19 Rz 15 ff.). Das Anwartschaftsrecht ist insoweit nur ein dem Volleigentum wesensähnliches Recht, eine selbständig verkehrsfähige und geschützte Vorstufe des Volleigentums, deren Erstarkung zum Vollrecht vom Veräußerer nicht mehr verhindert werden kann (, BGHZ 83, 395, 399). Diese zivilrechtliche Behandlung des Anwartschaftsrechts hat jedoch keinen Einfluss auf die Bewertung der sich aus einem noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag ergebenden Rechtspositionen der Vertragsparteien (a.A. Crezelius, DStZ, Ausgabe A 1978, 243, 246). Dem Anwartschaftsrecht kann, wie der o.g. Fall in BFHE 199, 25, BStBl II 2002, 781 zeigt, als Vorstufe des Vollrechts keine selbständige schenkungsteuer- und bewertungsrechtliche Bedeutung zukommen. Vielmehr kommt es allein auf den am maßgeblichen Stichtag bestehenden Sachleistungsanspruch an. Eine Regelungslücke, die Anlass zu einer analogen Anwendung des § 12 Abs. 3 ErbStG auf Anwartschaftsrechte geben könnte, liegt deshalb nicht vor. Solange in der Person des Erwerbers noch ein Eigentumsverschaffungsanspruch besteht, kann dieser nicht anders bewertet werden als die Verpflichtung des Veräußerers zur Eigentumsverschaffung sowie die weiteren hiermit rechtsgeschäftlich verbundenen, den Kaufpreis betreffenden Ansprüche und Verpflichtungen, nämlich mit dem Nennwert bzw. gemeinen Wert. Eine Bewertung des Anwartschaftsrechts mit dem Grundbesitzwert (Steuerwert) würde ebenfalls nur zu einer vorzeitigen Verschiebung der steuerlichen —belastenden oder entlastenden— Folgen des noch nicht vollständig abgewickelten Geschäfts führen, nicht aber die Wertungswidersprüche beseitigen. Eine Zuordnung des Steuerwerts auf eine Vorstufe des Volleigentums (Anwartschaft) kommt somit nicht in Betracht. Die (niedrigeren) Steuerwerte können nur demjenigen zugute kommen, der noch oder schon Eigentümer des Grundstücks ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 159, 542, BStBl II 1990, 434, und in BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820).
d) Die Rechtsprechungsgrundsätze zum Zeitpunkt der Ausführung einer Grundstücksschenkung (vgl. , BFHE 163, 214, BStBl II 1991, 320) sind auf den Erwerb durch Erbanfall nicht übertragbar. Beim Erwerb von Todes wegen entsteht die Steuer grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG); nur die in diesem Zeitpunkt in der Person des Erblassers bestehende Rechtsposition kann auf den Erben übergehen.
2. Die Sache ist spruchreif. Die Klägerin wird durch die angefochtene Steuerfestsetzung nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klage ist deshalb abzuweisen.
Das FA hat nach den Ausführungen unter II. 1. den Anspruch auf Übertragung des Wohnungseigentums zutreffend mit dem gemeinen Wert (§ 9 BewG), der dem Kaufpreis für die Wohnung entspricht, bzw. mit dem Nennwert (§ 12 Abs. 1 BewG) angesetzt und für den Erwerb der Klägerin nach einem Steuersatz von 17 v.H. (§ 19 Abs. 1 ErbStG) Erbschaftsteuer festgesetzt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1663 Nr. 9
DStRE 2007 S. 1382 Nr. 21
DStRE 2007 S. 1382 Nr. 21
HFR 2007 S. 1210 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 40/2007 S. 3509
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 14
UVR 2007 S. 261 Nr. 9
YAAAC-50797