BFH Beschluss v. - I B 12/06

Zulassung der Revision bei besonders schwerwiegenden Rechtsfehlern; Auslegung einer in englischer Sprache abgefassten Erklärung durch das FG

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung von Zahlungen, die der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in den Streitjahren (1988, 1989 und 1991) erhalten hat.

Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren in Deutschland wohnten und zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war seit 1973 Geschäftsführer der M-GmbH und später der E-GmbH, die jeweils Tochtergesellschaften einer norwegischen Kapitalgesellschaft (X) waren. Zwischen X und dem Kläger war vereinbart worden, dass ein Teil des Geschäftsführergehalts in Deutschland und ein weiterer Teil in der Schweiz ausgezahlt werden solle. Dazu hatte X im Mai 1973 eine Aufstellung gefertigt, in der es u.a. heißt, dass der dem Kläger in der Schweiz zu zahlende Betrag durch eine Schweizer Gesellschaft gezahlt werden solle; es sei wünschenswert, dass diese Gesellschaft dem Kläger gehöre. Zwischen der Schweizer Gesellschaft und X solle vertraglich vereinbart werden, dass jene Gesellschaft für X tätig und die dafür erhaltenen Entgelte an den Kläger weiterleiten werde. Dem entsprechend war im August 1973 vereinbart worden, dass der Kläger von der M-GmbH ein monatliches Gehalt von 4 400 DM sowie einen Dienstwagen erhalten sollte, während weitere Zahlungen von X an eine von ihm zu gründende Schweizer Gesellschaft zu leisten waren.

Im Oktober 1973 schloss X mit der Schweizer Y-AG einen Handelsvertretervertrag, nach der die Y-AG Produkte der X vertreiben und dafür eine umsatzabhängige Vergütung, jedenfalls aber eine umsatzunabhängige Mindestprovision erhalten sollte. Bei der Y-AG handelte es sich nach den Erkenntnissen des damaligen Bundesamts für Finanzen um eine wirtschaftlich inaktive Gesellschaft ohne eigene Geschäftsräume. Der genannte Vertrag wurde im Dezember 1980 durch einen Vertrag zwischen der X und der italienischen Firma Z ersetzt, der vorsah, dass Z unabhängig vom vermittelten Umsatz zunächst 72 500 DM pro Jahr erhalten sollte. Dieser Vertrag sollte jeweils zum Quartalsende mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden können. Im Jahr 1987 wurde der von X an Z zu zahlende Betrag auf 91 180 DM erhöht; außerdem wurde Anfang 1987 zwischen dem Kläger und der E-GmbH ein geänderter Dienstvertrag geschlossen, der für den Kläger ein Jahresgehalt von 210 000 DM vorsah, am in Kraft trat und fünf Jahre lang gelten sollte.

Im August 1988 wurde der Kläger aus seinem Dienstverhältnis mit der E-GmbH entlassen. Ferner kündigte X den Agenturvertrag mit Z zum . Im Rahmen dieser Vorgänge schloss der Kläger im August 1988 mit X eine in englischer Sprache abgefasste Vereinbarung, nach der er seine Tätigkeit als von der X benanntes Verwaltungsratsmitglied bei zwei weiteren Unternehmen fortführen sollte und die Vertragsparteien „die Möglichkeit weiterer Aufgaben in Italien erörtern” wollten. Ferner heißt es in der Vereinbarung unter Hinweis auf den Dienstvertrag des Klägers mit der E-GmbH, dass der Kläger für die Zeit bis zum Anspruch auf sein bisheriges Gehalt von 210 000 DM pro Jahr habe und dass er die Hälfte des sich für diesen Zeitraum ergebenden Gesamtbetrags von 710 000 DM noch im Jahr 1988 erhalten werde; der Restbetrag werde auf zwei Jahre verteilt in gleichen halbjährlichen Raten gezahlt. Daraufhin zahlte X an Z 355 000 DM im September 1988 sowie u.a. im Dezember 1988, im Mai 1989 und im Dezember 1989 jeweils weitere 88 750 DM. Ferner erhielt der Kläger im Jahr 1988 von der E-GmbH eine Abfindung in Höhe von 455 000 DM, die —nach Abzug eines Freibetrags von 30 000 DM— gemäß § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermäßigt besteuert wurde.

In der Folge vertrat der Kläger gegenüber X die Auffassung, dass ihm auch die in der Schweiz gezahlten Gehaltsbestandteile (22 795 DM je Vierteljahr zuzüglich einer Abfindung) bis Ende 1991 zustünden. Nachdem X dies zurückgewiesen hatte, kam es zu einem Schlichtungsverfahren vor der Handelskammer in F (Norwegen). In diesem Verfahren legte der Kläger u.a. dar, dass die Verträge mit der Y-AG und mit Z keine „reellen Vertreter-Verträge”, sondern jeweils nur ein „Anhang zum Anstellungsvertrag” gewesen seien; es sei bei der gewählten Konstruktion letztlich darum gegangen, die Höhe der Gesamtbezüge des Klägers innerhalb der X nicht offenzulegen. Nachdem diese Darstellung durch einen vom Kläger benannten Zeugen bestätigt worden war, kam es im Jahr 1991 zu einem Vergleich, nach dem X an den Kläger u.a. insgesamt 452 656 DM Gehalt und Abfindung zahlen sollte. Der genannte Betrag wurde noch im Jahr 1991 durch einen auf den Kläger ausgestellten Scheck bezahlt.

Die Kläger gaben für die Streitjahre Steuererklärungen ab, in denen sie weder die laufenden Zahlungen der X an Z (91 180 DM laufendes Gehalt) noch die von X an Z geleisteten weiteren Zahlungen über insgesamt 710 000 DM (355 000 DM und 88 750 DM in 1988, 2 x 88 750 DM in 1989, 452 656 DM in 1991) als Einnahmen des Klägers angaben. Demgegenüber unterwarf das seinerzeit für die Kläger zuständige Finanzamt (FA N) im Anschluss an eine Außenprüfung bei der E-GmbH die genannten Beträge der Einkommensteuer.

Im Verlauf des deshalb eingeleiteten Einspruchsverfahrens stellten das FA N und der später zuständig gewordene Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) weitere Ermittlungen an. In der Sache folgte das FA nunmehr der Darlegung des Klägers, dass ein Teil der im Jahr 1988 gezahlten laufenden Bezüge auf eine Tätigkeit des Klägers in Italien entfalle und daher nach dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern (RGBl II 1925, 1145) vom (DBA-Italien 1925) in Deutschland steuerbefreit sei. Außerdem ordnete es die Zahlungszuflüsse in zeitlicher Hinsicht anders als zuvor zu. Im Ergebnis ging es davon aus, dass dem Kläger in dem hier interessierenden Zusammenhang steuerpflichtige Einnahmen in 1988 in Höhe von 1 056 877 DM (Gehalt E-GmbH 165 332 DM; Agenturvertrag Z 22 795 DM; Abfindungszahlung X 443 750 DM; Abfindung E-GmbH 455 000 DM abzüglich Freibetrag 30 000 DM), in 1989 in Höhe von 200 295 DM (Agenturvertrag Z 22 795 DM; Abfindung X über Z 177 500 DM) und in 1991 in Höhe von 452 656 DM (Abfindung laut Schlichtungsvereinbarung) erzielt habe. Auf dieser Basis setzte das FA in der Einspruchsentscheidung die Steuer neu fest, wobei es die von der E-GmbH gezahlte Abfindung (455 000 DM) weiterhin gemäß § 34 Abs. 2 EStG begünstigt besteuerte.

Die daraufhin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Wegen eines ihm unterlaufenen Verfahrensfehlers wurden jedoch sein Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (Senatsbeschluss vom I B 32/02, BFH/NV 2003, 627). Im zweiten Rechtsgang wies das FG die Klage erneut ab, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von den Klägern geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn das Urteil auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Einen solchen Mangel sehen die Kläger darin, dass das FG die in englischer Sprache abgefasste Vereinbarung aus August 1988 verwertet habe, ohne sie zunächst von einem Sachverständigen übersetzen zu lassen. Diese Rüge ist unbegründet:

Das FG hat die in Rede stehende Vereinbarung dahin gedeutet, dass die dort von X zugesagte Zahlung in Höhe von insgesamt 710 000 DM nicht —wie von den Klägern vorgetragen— eine zukünftige Tätigkeit des Klägers in Italien abgelten sollte. Vielmehr habe es sich um eine vorzeitige Ablösung derjenigen Gehaltsansprüche gehandelt, die dem Kläger für die Zeit bis zum als Geschäftsführer der E-GmbH zustanden. Diese Deutung hat das FG zum einen daraus abgeleitet, dass in der genannten Vereinbarung ausdrücklich auf die Ansprüche aus dem Vertrag mit der E-GmbH Bezug genommen ist; dass die Vereinbarung eine solche Bezugnahme enthält, wird von den Klägern nicht bestritten. Weiter hat es darauf abgehoben, dass in der Vereinbarung zwar von „künftigen Tätigkeiten” („future services”) des Klägers und davon die Rede sei, dass „die Möglichkeiten weiterer Aufgaben in Italien erörtert” werden sollten; konkret vereinbart worden sei aber nur eine Fortsetzung der Tätigkeit des Klägers als Mitglied des Verwaltungsrats bei zwei italienischen Firmen. Auch insoweit ziehen die Kläger die Richtigkeit der vom FG vorgenommenen Übersetzung nicht in Zweifel. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das FG sodann zu der von den Klägern beanstandeten Auslegung der Vereinbarung gelangt, weshalb nicht erkennbar ist, inwieweit diese Auslegung durch Übersetzungsfehler beeinflusst sein könnte. Der von den Klägern hervorgehobene Umstand, dass in der Vereinbarung von einer „Beendigung” des bisherigen Vertragsverhältnisses die Rede ist („the contract is terminated”) und dass die Vereinbarung nicht von einer „Abfindung” oder „Entschädigung” des Klägers spricht, ändert daran nichts. Auf zusätzliche Ausführungen hierzu wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO verzichtet.

2. Als weiteren Verfahrensmangel rügen die Kläger, dass das FG ihre infolge des Zeitablaufs eingetretene Beweisnot nicht angemessen berücksichtigt habe. Insbesondere habe es nicht ausreichend in Rechnung gestellt, dass frühzeitig benannte und zunächst zu Unrecht nicht angehörte Zeugen aus Altersgründen später nicht mehr zu einer Aussage bereit oder in der Lage gewesen seien. Damit legen die Kläger indessen keinen Grund für die Zulassung der Revision dar. Denn selbst wenn dem FG in dem genannten Punkt ein Fehler unterlaufen sein sollte, könnte dieser allenfalls darin liegen, dass das FG entweder eine Reduzierung der die Kläger treffenden Beweisanforderungen nicht beachtet oder eine zu Gunsten der Kläger wirkende Umkehr der objektiven Beweislast (Feststellungslast) verkannt hat. Sowohl der Bereich der Beweiswürdigung als auch die Beurteilung der Beweislast sind indessen revisionsrechtlich dem Bereich des materiellen Rechts zuzuordnen, weshalb ein in diesem Bereich unterlaufener Fehler keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet (Senatsbeschluss vom I B 47/04, BFH/NV 2006, 746, m.w.N.).

3. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO halten die Kläger zunächst deshalb für geboten, weil das Urteil des FG auf besonders schwerwiegenden Rechtsfehlern beruhe, die im Interesse der Verlässlichkeit der Rechtsprechung vom Bundesfinanzhof (BFH) korrigiert werden müssten. Daran ist zwar richtig, dass ein besonders schwerwiegender Fehler des FG bei der Auslegung revisiblen Rechts die Zulassung der Revision ermöglicht (BFH-Beschlüsse vom IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom VII B 147/04, BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457). Dieser Grundsatz greift aber nur dann ein, wenn das Urteil des FG objektiv willkürlich und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (BFH-Beschlüsse vom XI B 191/04, BFH/NV 2006, 354; vom X B 172/05, BFH/NV 2006, 1318, m.w.N.). Ein solcher Sachverhalt ergibt sich aus dem Vortrag der Kläger nicht. Dieser Vortrag läuft vielmehr letztlich darauf hinaus, dass das FG den Rechtsgrund für die Zahlungen der X an den Kläger verkannt habe; damit rügen die Kläger nur eine schlicht fehlerhafte tatrichterliche Würdigung, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann (BFH-Beschlüsse vom IX B 184/05, BFH/NV 2007, 70; vom IV B 6/05, BFH/NV 2007, 727).

4. Schließlich halten die Kläger § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO deshalb für einschlägig, weil das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des FG Köln abweiche. Mit diesem Vortrag legen sie ebenfalls keinen Grund für eine Zulassung der Revision dar.

Zwar erfasst § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO u.a. die Fälle der Divergenz im Sinne des bis zum Jahr 2000 geltenden Revisionsrechts (BFH-Beschlüsse vom VII B 41/01, BFH/NV 2002, 932; vom X B 102/01, BFH/NV 2002, 1045). Zur Darlegung einer solchen Divergenz ist es aber erforderlich, einander widerstreitende abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und der angeblichen Divergenzentscheidung andererseits so einander gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom I B 29/06, BFH/NV 2007, 465; vom XI B 178/05, BFH/NV 2007, 477, m.w.N.). Das ist im Streitfall nicht geschehen. Der Vortrag der Kläger lässt nicht einmal klar erkennen, ob damit eine Abweichung von dem —vom FG zitierten— (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2002, 469) oder von dem Urteil vom 7 K 735/02 (EFG 2004, 1604) gerügt werden soll. Erst recht haben die Kläger keine voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze benannt und den einzelnen Entscheidungen zugeordnet. Damit ist die Divergenzrüge nicht in statthafter Form erhoben worden. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das letztgenannte Urteil des FG Köln inzwischen aufgehoben worden ist (, BFH/NV 2007, 408), die hier angefochtene Entscheidung aber auch von dem aufhebenden BFH-Urteil nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO abweicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1679 Nr. 9
BAAAC-50783