Kostenentscheidung: Erledigung der Hauptsache nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG zum Halbteilungsgrundsatz; Aussetzung des Verfahrens
Gesetze: FGO § 138, FGO § 74, FGO § 115
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legte gegen die ihn betreffenden Einkommensteuerbescheide 1990 bis 1993 und 1996 bis 1998 jeweils Einspruch ein. Er stellte den Antrag, die Einspruchsverfahren im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof (BFH) zum sog. Halbteilungsgrundsatz unter den Aktenzeichen II R 47/97, XI R 77/97, I R 24/98 und I R 30/98 anhängigen Revisionsverfahren ruhen zu lassen. Dem entsprach der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) zunächst. Mit Schreiben vom teilte das FA dem Kläger mit, aufgrund bestehender Verwaltungsanweisungen sei ein weiteres Ruhen der Einspruchsverfahren nicht möglich. Es werde hiermit die Fortsetzung der Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) erklärt. Der Kläger möge berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden habe, dass im Hinblick auf die Erfordernisse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung das alte Recht bis zum anzuwenden sei. Mit den nachfolgend ergangenen Einspruchsentscheidungen wies das FA die Einsprüche des Klägers zurück.
Mit seinen anschließend erhobenen Klagen machte der Kläger mit seinem Hauptantrag geltend, die Einspruchsentscheidungen seien isoliert aufzuheben. Denn sie hätten wegen der Anhängigkeit von Musterverfahren noch nicht ergehen dürfen. Hilfsweise sei die Einkommensteuer unter Berücksichtigung des Halbteilungsgrundsatzes in geringerer Höhe anzusetzen. Die beim Finanzgericht (FG) anhängigen Verfahren seien bis zur Entscheidung des BVerfG über die unter dem Aktenzeichen 2 BvR 2194/99 anhängige Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
Durch Urteil vom hat das FG die Klagen abgewiesen. Eine Verpflichtung des FA, die Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 AO ruhen zu lassen, habe nicht bestanden. Denn die vom Kläger benannten, beim BFH anhängigen Verfahren seien im Zeitpunkt der angefochtenen Einspruchsentscheidungen bereits erledigt gewesen. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 2194/99 sei nicht einschlägig. Streitig sei dort zwar der Halbteilungsgrundsatz. Es betreffe aber andere Sachverhaltskonstellationen und andere Streitjahre. Anders als in jenem Verfahren liege die steuerliche Gesamtbelastung des Klägers mit Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Vermögenssteuer bezogen auf dessen zu versteuerndes Einkommen in den Streitjahren zwischen 50,43 v.H. und 54,49 v.H. Diese Größe liege „in der Nähe der hälftigen Teilung”. In den Streitjahren 1990 und 1991 betrage die steuerliche Gesamtbelastung 33,55 v.H. bzw. 50,43 v.H. Lasse man die in diesen Jahren tarifermäßigt besteuerten Einkünfte unberücksichtigt, belaufe sich die steuerliche Gesamtbelastung auf 50,91 v.H. bzw. 53,15 v.H. Zudem sei das Verfahren 2 BvR 2194/99 aussichtslos.
Gegen das ihm am zugestellte Urteil legte der Kläger rechtzeitig Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ein, die er fristgerecht begründete. Er macht geltend, das FG habe § 363 Abs. 2 AO verletzt. Es bedürfe der grundsätzlichen Klärung, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen das FA ein kraft Gesetzes ruhendes Einspruchsverfahren fortsetzen dürfe, obwohl das Musterverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Auch habe das FG das Verfahren zu Unrecht nicht bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvR 2194/99 ausgesetzt. Bei den FG seien, wie die beigefügte Auflistung belege, zahlreiche den Halbteilungsgrundsatz betreffende Verfahren anhängig. Da von namhaften Stimmen in der Literatur die Auffassung vertreten werde, der Halbteilungsgrundsatz sei auch hinsichtlich der ertragssteuerlichen Belastung zu beachten, sei das Verfahren 2 BvR 2194/99 auch nicht aussichtslos.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Eine Aussetzung des Verfahrens durch das FG gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) habe nicht erfolgen müssen. Denn wie der inzwischen ergangene (Deutsches Steuerrecht —DStR— 2006, 555, veröffentlicht am ) belege, gebe es keinen Halbteilungsgrundsatz als Belastungsobergrenze bei der Einkommen- und Gewerbesteuer. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) komme ebenfalls nicht in Betracht. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob § 363 Abs. 2 Satz 4 AO auch in Fällen des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO anwendbar sei, sei im Streitfall jedenfalls nicht mehr klärungsfähig. Denn es sei beim BFH bzw. beim BVerfG kein Verfahren mehr anhängig, auf das sich der Einspruch bezogen habe.
In der Folgezeit haben die Beteiligten den Rechtsstreit im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG in DStR 2006, 555 in der Hauptsache für erledigt erklärt.
II. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt. Der angerufene Senat hat deshalb nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands entspricht es billigem Ermessen, die Kosten im Streitfall gegeneinander aufzuheben (§ 138 Abs. 1 FGO).
1. Geben die Beteiligten in einem wegen der Nichtzulassung der Revision geführten Beschwerdeverfahren —wie im Streitfall— übereinstimmende Erledigungserklärungen ab, ist der Rechtsstreit dann in der Hauptsache erledigt, wenn die Beschwerde zulässig war (, BFH/NV 2000, 571). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
a) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass der Kläger mit seiner Klage ersichtlich nur erstrebt, die von ihm angefochtenen Bescheide bis zum Ergehen einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvR 2194/99 offenzuhalten. Zwar hat das BVerfG diese Entscheidung in dem am veröffentlichten Beschluss vom , DStR 2006, 555 bereits getroffen. Die Bekanntgabe dieser Entscheidung des BVerfG zum Halbteilungsgrundsatz erfolgte jedoch während der den Kläger betreffenden Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde. In einem solchen Fall genügt es, wenn der Kläger durch das angefochtene Urteil formell beschwert ist, sofern seine Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt. Denn nur mittels der Nichtzulassungsbeschwerde kann sich der Kläger die Möglichkeit erhalten, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und das Ziel weiter zu verfolgen, dass dem FA die Verfahrenskosten aufzuerlegen sind (, BFH/NV 1991, 611).
b) Die Beschwerdebegründung entspricht auch den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 FGO.
Der Kläger hat ausführlich dargelegt, dass im Streitfall von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist, ob das FA ein gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruhendes Verfahren nach Satz 4 dieser Vorschrift fortsetzen kann. Hierzu hat er auch ausgeführt, dass das beim BFH unter dem Aktenzeichen XI R 77/97 anhängig gewesene Revisionsverfahren, auf das er sich im Einspruchsverfahren berufen hat, zwar durch Urteil vom (BFHE 189, 413, BStBl II 1999,771) verbeschieden wurde, dieses Urteil aber mittels Verfassungsbeschwerde (2 BvR 2194/99) angegriffen worden ist. Der Zulässigkeit des Beschwerdevorbringens steht auch nicht entgegen, dass der angerufene Senat die vom Kläger aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung durch Urteil vom X R 39/05 (BStBl II 2007, 222) geklärt hat. Dieses Urteil ist nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ergangen. Der Kläger konnte sich mit ihm in seiner Beschwerdebegründung deshalb nicht auseinandersetzen.
c) Der Kläger hat auch schlüssig gerügt, dass das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensfehler beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Eine Verfahrensaussetzung nach § 74 FGO ist dann geboten, wenn vor dem BVerfG ein nicht aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vor dem FG vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die verfassungsrechtlich umstrittene Regelung hat (, BFHE 178, 559, BStBl II 1996, 20).
Der Kläger hat sich auf das beim BVerfG anhängig gewesene Verfahren 2 BvR 2194/99 berufen und dargelegt, dass zu der dort anhängigen Frage der Anwendbarkeit des Halbteilungsgrundsatzes im Bereich der Ertragssteuern zahlreiche Parallelverfahren bei den FG anhängig waren. Auch ist der klägerische Vortrag ausreichend, wonach die vom BVerfG zu entscheidende Streitfrage auch in seinem Klageverfahren erheblich war. Denn es ging darum, ob die in dem zur Vermögensteuer ergangenen (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) aufgestellte steuerliche Belastungsobergrenze „in der Nähe der hälftigen Teilung” auch auf das Ertragssteuerrecht zu übertragen ist. Dies hätte zur Folge, dass die jeweiligen Steuertarife wegen fehlender Ausrichtung an einer Gesamtbelastung von ungefähr 50 v.H. insoweit verfassungswidrig wären. Insoweit hat der Kläger dargelegt, dass seine Gesamtbelastung in den Streitjahren —wenn auch teilweise nur geringfügig— diesen Prozentsatz überstiegen hat. Ob die (angebliche) Belastungsgrenze tatsächlich überschritten ist und deshalb das FG gehalten war, das Verfahren auszusetzen, ist hingegen eine Frage, ob der behauptete Verfahrensverstoß tatsächlich vorgelegen hat.
2. Bei der gebotenen summarischen Beurteilung der Erfolgsaussichten der vorliegenden Beschwerde gelangt der angerufene Senat unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu dem Ergebnis, dass diese als unterdurchschnittlich anzusehen sind.
a) Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kam nicht in Betracht. Ob eine Streitsache grundsätzliche Bedeutung hat, bestimmt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 14 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Da die vom Kläger zu § 363 Abs. 2 AO aufgeworfenen Fragen vom angerufenen Senat inzwischen entschieden sind (siehe oben bei II.1. b), liegen die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht vor. Hinzu kommt, dass bei summarischer Betrachtung das FA auch nicht verpflichtet war, das Einspruchsverfahren weiterhin gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruhen zu lassen. Denn auch das vom Kläger als Ruhensgrund benannte unter dem Aktenzeichen XI R 77/97 anhängige Verfahren war durch Urteil abgeschlossen und damit rechtskräftig verbeschieden. Damit hatte sich der Ruhensgrund erledigt. Das Einspruchsverfahren war daher fortzusetzen, ohne dass es einer Fortsetzungserklärung i.S. von § 363 Abs. 2 Satz 4 AO bedurft hätte (, BFH/NV 2004, 462). Dass der Kläger sich gegenüber dem FA vor Erlass der angefochtenen Einspruchsentscheidungen auf die inzwischen gegen das vorgenannte BFH-Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde berufen hat, ist seiner Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
b) Die Erfolgsaussichten sind auch insoweit gering, als sich der Kläger auf einen Verstoß gegen § 74 FGO berufen hat. Da der angerufene Senat die Erfolgsaussichten nur summarisch zu beurteilen hat, sieht er es nicht als seine Aufgabe an, verbindlich zu klären, bei welchem Prozentsatz die angebliche Belastungsobergrenze in der Nähe der hälftigen Teilung überschritten wäre. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob sich diese Obergrenze nach dem Verhältnis der Gesamtsteuerbelastung zum zu versteuernden Einkommen bestimmt oder (was für den Kläger ungünstiger wäre) die Steuerbelastung mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte zu vergleichen wäre. Jedenfalls erreicht die Gesamtsteuerbelastung des Klägers bezogen auf das jeweilige zu versteuernde Einkommen nach den vom FG hierzu getroffenen Feststellungen in den Streitjahren 1990, 1993 und 1996 nicht den Prozentsatz von 52 v.H. Hinsichtlich dieser Jahre spricht die ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch im Falle einer Anerkennung des Halbteilungsgrundsatzes die „Nähe zur hälftigen Teilung” nicht überschritten wäre. Hinsichtlich der übrigen Streitjahre beträgt die Gesamtsteuerbelastung zwischen 53,07 v.H. und 54,49 v. H. Insoweit sieht der Senat es als offen an, ob der (angeblich geltende) Halbteilungsgrundsatz verletzt wäre. Insoweit kann nach Ansicht des angerufenen Senats jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Festlegung einer eng gezogenen Obergrenze für die steuerliche Gesamtbelastung eine ungerechtfertigte Begrenzung des Gesetzgebers darstellt (vgl. hierzu die abweichende Meinung des Richters Böckenförde zum Beschluss des BVerfG in BVerfGE 93, 121, 149, 152 ff., BStBl II 1995, 655, 665, und P. Fischer, Finanz-Rundschau 1999, 1292).
Bei der zu treffenden Kostenentscheidung hat der angerufene Senat berücksichtigt, dass auch im Falle der Zulassung der Revision der Beschwerdeführer letztlich auch dann in vollem Umfang die Kosten zu tragen hätte, wenn er im Endergebnis unterlegen wäre. Andererseits hat der Senat dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass es nach der Rechtsprechung zum Recht individueller Rechtsführung eines Bürgers gehört, dass sein Verfahren zum vorübergehenden Stillstand gebracht wird, wenn bereits ein Musterprozess beim BVerfG anhängig ist (, BFHE 202, 49, BStBl II 2003, 719).
3. Aus Gründen der Klarstellung war auszusprechen, dass das angefochtene Urteil gegenstandslos ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz 25).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HAAAC-50768