BAG Beschluss v. - 1 ABR 14/06

Leitsatz

[1] 1. Der Leiter der Kostümabteilung eines Theaters ist in der Regel kein Tendenzträger.

2. § 118 Abs. 1 BetrVG steht dem Recht des Betriebsrats auf Einblick in die Liste von Künstlergagen nicht entgegen.

Gesetze: BetrVG § 75; BetrVG § 79; BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 80 Abs. 2 Satz 2; BetrVG § 99 Abs. 1; BetrVG § 118 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 3 Satz 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; ZPO § 256 Abs. 1

Instanzenzug: ArbG Wilhelmshaven 1 BV 9/03 vom LAG Niedersachsen 11 TaBV 2/05 vom

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht bei der Einstellung des Leiters der Kostümabteilung und ein Recht auf Einblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Schauspielhaus. Der Antragsteller ist der von den Beschäftigten gewählte fünfköpfige Betriebsrat. Mit Wirkung zum stellte die Arbeitgeberin Frau K befristet bis zum als Leiterin ihrer Kostümabteilung ein. Den Betriebsrat beteiligte sie daran nicht. Zu den mit der Leitung der Kostümabteilung verbundenen Aufgaben gehören nach Angaben der Arbeitgeberin im Wesentlichen das Heraussuchen von Probekostümen aus dem Fundus, die Absprache mit dem Kostümbildner über die Stoffe und Schnitte der Kostüme, das Maßnehmen bei den Schauspielern, das Zeichnen der Schnitte nach Vorlage des Kostümbildners, das Zuschneiden, Nähen, Ändern und Anproben der Kostüme und ihr Einsortieren in den Fundus, das Bestellen der vom Kostümbildner ausgewählten Stoffe und von sonstigem Material wie Nähzubehör, Schuhe oder Wäsche, die Kosten- und Stoffkalkulation, die Arbeitsverteilung in der Schneiderei, die Probenbetreuung in technischer Hinsicht, die Kostenabrechnung für das Theaterstück, das Erstellen und Überwachen der Dienstpläne für die Garderobieren und Schneider sowie Fahrten zu Handwerkern und zum Einkauf.

Die Arbeitgeberin wendet auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter unabhängig von deren Tarifbindung je nach Tätigkeit entweder den Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der L N N GmbH vom , den sog. Normalvertrag Bühne oder den Bundes-Angestelltentarifvertrag an. Anfang Februar 2004 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, ihm Einblick in die Lohn-, Gehalts- und Gagenlisten der Mitarbeiter zu gewähren. Die Arbeitgeberin lehnte dies jedenfalls für die Empfänger von Künstlergagen ab.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm stehe bei der Einstellung des Leiters der Kostümabteilung ein Mitbestimmungsrecht zu. Der Inhaber dieser Stelle übe keine künstlerischen Tätigkeiten aus und sei deshalb kein Tendenzträger. Der Betriebsrat hat überdies gemeint, er habe ein Recht auf Einsichtnahme in die Bruttovergütungslisten sämtlicher - auch der künstlerischen - Mitarbeiter.

Der Betriebsrat hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, beantragt

1. festzustellen, dass ihm bei der Einstellung einer Leiterin/eines Leiters der Kostümabteilung ein Mitbestimmungsrecht gem. § 99 BetrVG zusteht;

hilfsweise

festzustellen, dass ihm bei der Einstellung der Frau K als Leiterin Kostümwesen ein Mitbestimmungsrecht gem. § 99 BetrVG zusteht;

2. der Arbeitgeberin aufzugeben, seinem Vorsitzenden Einblick zu gewähren in die Bruttogehaltslisten, Bruttolohnlisten und Bruttogagenlisten betreffend die Gagen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auf Grundlage des Normalvertrags Bühne bzw. des Normalvertrags Solo bzw. des Tarifvertrages für technische Angestellte mit teilweise künstlerischer Tätigkeit an Landesbühnen (BTTL) beschäftigt werden, ohne Anwesenheit eines von ihr bestellten Vertreters, der seinen Vorsitzenden überwacht oder mit dessen Überwachung beauftragt ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Einstellung eines Leiters der Kostümabteilung sei nicht mitbestimmungspflichtig. Der Stelleninhaber sei Tendenzträger. Der Betriebsrat habe kein Recht auf Einsichtnahme in die Listen der Künstlergagen. Insoweit bestehe keine kollektive Regelung. Solistengagen im künstlerischen Bereich würden traditionellerweise individuell und ohne bindende Grundsätze vereinbart. Einem Einblicksrecht stehe zudem die nötige Vertraulichkeit der Gagen entgegen.

Die Vorinstanzen haben den Anträgen des Betriebsrats stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren weiter, die Anträge abzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung des Leiters der Kostümabteilung bejaht und die Arbeitgeberin verpflichtet, dem Betriebsratsvorsitzenden Einblick in sämtliche Bruttoentgeltlisten zu gewähren.

I. Der Hauptantrag zu 1. ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist zulässig. Der Betriebsrat besitzt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Zwar ist das Arbeitsverhältnis der eingestellten Frau K mittlerweile beendet. Zwischen den Beteiligten besteht jedoch weiterhin Streit über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung des Leiters der Kostümabteilung. Der Betriebsrat kann deshalb die Frage, ob er bei der künftigen Stellenbesetzung ein Mitbestimmungsrecht hat, durch einen abstrakten Feststellungsantrag losgelöst vom konkreten Einzelfall zur gerichtlichen Entscheidung stellen (vgl. - AP BetrVG 1972 § 87 Akkord Nr. 9 = EzA BetrVG 1972 § 87 Leistungslohn Nr. 19, zu B I der Gründe mwN). Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass es diese Stelle bei der Arbeitgeberin nicht mehr gibt oder sie künftig nicht mehr besetzt werden soll.

2. Der Antrag ist begründet. Der Betriebsrat hat bei der Einstellung des Leiters der Kostümabteilung nach § 99 BetrVG mitzubestimmen.

a) Gem. § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern vor der Einstellung eines Arbeitnehmers die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Die Arbeitgeberin beschäftigt die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern.

b) § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG steht einem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen.

aa) Nach dieser Regelung finden die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen dienen, keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder Betriebs dem entgegensteht. Der Unternehmer soll autonom darüber entscheiden können, auf welche Weise er seine künstlerischen Zwecke verfolgen will. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats haben soweit zurückzutreten, wie durch ihre Ausübung die Freiheit des Unternehmers, seine künstlerischen Ziele in bestimmter Weise zu verwirklichen, ernsthaft beeinträchtigt werden kann ( -BAGE 53, 237, zu B II 1 a der Gründe).

bb) Die Arbeitgeberin ist ein Tendenzunternehmen. Sie betreibt ein Theater.

Theater verfolgen künstlerische Zielsetzungen iSd. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ( - BAGE 36, 161, zu B II 3 der Gründe). Bei personenbezogenen Maßnahmen in Tendenzbetrieben kommt eine Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats in Betracht, wenn die betreffende Maßnahme sog. Tendenzträger betrifft ( - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 80 = EzA BetrVG 2001 § 98 Nr. 2, zu B I 2 b bb der Gründe). Das ist hier nicht der Fall. Der Leiter der Kostümabteilung der Arbeitgeberin ist kein Tendenzträger.

(1) Beschäftigte sind Tendenzträger, wenn die Bestimmungen und Zwecke des jeweiligen in § 118 Abs. 1 genannten Unternehmens oder Betriebs für ihre Tätigkeit prägend sind ( - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 80 = EzA BetrVG 2001 § 98 Nr. 2, zu B I 2 b bb der Gründe). Dies setzt voraus, dass der Beschäftigte die Möglichkeit einer entsprechenden inhaltlichen Einflussnahme auf die Tendenzverwirklichung hat ( - BAGE 103, 329, zu B II 2 b bb der Gründe mwN). Eine bloße Mitwirkung bei der Tendenzverfolgung genügt dafür nicht ( - BAGE 61, 305, zu B II 2 c der Gründe mwN).

Durch eine Beschäftigung mit künstlerischen oder überwiegend künstlerischen Tätigkeiten wird ein Arbeitnehmer nicht ohne Weiteres zu einem Tendenzträger. Eine solche Tätigkeit lässt nicht zwingend darauf schließen, dass er auch einen prägenden Einfluss auf die Tendenzverwirklichung hat ( -BAGE 53, 237, zu B II 1 d der Gründe). Die Kunstfreiheit des Unternehmers aus Art. 5 Abs. 3 GG wird durch dieses Verständnis des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht verletzt. Sie lässt es zu, dass Arbeitnehmer, die nur mittelbar an der eigentlichen Produktion beteiligt sind, nach dem Maß ihrer Eigenverantwortlichkeit dem Kreis der Tendenzträger zugeordnet werden. Je weniger eigenverantwortlich ein Mitarbeiter an der Produktion beteiligt ist, desto stärker kann der Unternehmer kraft seiner Weisungsbefugnis Einfluss auf die künstlerische Gestaltung der Aufführungen nehmen und so seine Vorstellungen verwirklichen. Für die Tendenzträgereigenschaft muss deshalb nicht ohne nähere Prüfung allein darauf abgestellt werden, ob der Mitarbeiter einen künstlerischen Beitrag leistet ( -). Dementsprechend kommt es in einem Theaterbetrieb darauf an, ob der Arbeitnehmer einen maßgeblichen inhaltlichen Einfluss auf die betreffende Produktion und Inszenierung nehmen kann.

(2) Danach hat das Landesarbeitsgericht eine Tendenzträgereigenschaft des Leiters der Kostümabteilung im Theaterbetrieb der Arbeitgeberin zu Recht verneint. Dieser hat nach Maßgabe seiner Befugnisse keinen prägenden Einfluss auf die Tendenzverwirklichung. Produktion und die Inszenierung eines bestimmten Theaterstücks kann er schon nach dem eigenen Vorbringen der Arbeitgeberin nicht maßgeblich beeinflussen. Danach bestimmt der Kostümbildner darüber, welche einzelnen Kostüme von den Schauspielern in den jeweiligen Stücken getragen werden. Aufgabe des Leiters der Kostümabteilung ist es hingegen, Probenkostüme aus dem Fundus herauszusuchen und mit dem Kostümbildner Stoffe und Schnitte für das jeweilige Stück zu besprechen. Darin verwirklicht sich kein eigener Gestaltungsspielraum. Selbst wenn die Ideen des Leiters der Kostümabteilung in die Absprachen mit dem Kostümbildner einfließen, liegt die Entscheidung über die zu verwendenden Kostüme doch bei diesem. Mit den übrigen Leitungsaufgaben sind nennenswerte künstlerische Gestaltungsspielräume von vornherein nicht verbunden. Aus der notwendigen Zusammenarbeit mit Regisseuren und Bühnenbildnern und der Anfertigung bestimmter Kostümdetails folgt kein prägender Einfluss. Dies gilt unabhängig davon, welche dramaturgischen, künstlerischen, kunst- und kostümgeschichtlichen Fachkenntnisse für die Stelle erforderlich sind. Auch der Umstand, dass der "Leiter des Kostümwesens" gem. § 1 Abs. 3 Unterabs. 1 Normalvertrag (NV) Bühne in den Kreis verantwortlicher Theaterberufe mit Leitungsfunktion eingeordnet ist, besagt nicht, dass er die Tendenzverwirklichung maßgeblich beeinflussen könnte. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin wird auf diese Weise für die Tendenzträgereigenschaft nicht das Vorliegen völliger "Tendenzherrschaft" verlangt. Erforderlich ist lediglich die Möglichkeit eines prägenden Einflusses, an der es dem Leiter der Kostümabteilung trotz seiner teilweise künstlerischen Aufgaben wegen des Fehlens von Entscheidungsbefugnissen mangelt.

Unberechtigt ist die Rüge der Arbeitgeberin, das Landesarbeitsgericht habe die mit der Abteilungsleitung einhergehenden Tätigkeitsaufgaben teilweise falsch wiedergegeben und ihre angebotenen Beweise für die anfallenden Tätigkeiten übergangen. Das Landesarbeitsgericht hat das gesamte diesbezügliche Vorbringen der Arbeitgeberin als wahr unterstellt hat; einer Beweisaufnahme bedurfte es nicht.

II. Auch der Antrag zu 2. ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist zulässig. Er ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin soll verpflichtet werden, dem Vorsitzenden des Betriebsrats Einblick in die Bruttoentgeltlisten sämtlicher Arbeitnehmer, einschließlich der Gagenempfänger zu gewähren. Die Angabe der tariflichen Rechtsgrundlagen im Antrag bezieht sich nur auf die letztgenannte Personengruppe und soll den Anspruch auf Einsichtnahme in die Bruttolohn- und -gehaltslisten für die übrigen Arbeitnehmer ersichtlich nicht einschränken. Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, dem Betriebsratsvorsitzenden den gewünschten Einblick ohne die Anwesenheit eines Vertreters der Arbeitgeberin zu gewähren, der diesen dabei überwacht oder überwachen soll, führt das nicht zur Unbestimmtheit. Der Antrag beschreibt lediglich den Inhalt des geltend gemachten Anspruchs nach Maßgabe seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung (dazu - BAGE 80, 329, zu B II 2 der Gründe). Ob eine während der Einsichtnahme anwesende Person den Betriebsratsvorsitzenden tatsächlich überwacht oder überwachen soll, ist ggf. im Vollstreckungsverfahren zu klären.

2. Der Antrag ist begründet. Der geltend gemachte Anspruch des Betriebsrats folgt aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG.

a) Nach dieser Vorschrift sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen sind der Betriebsausschuss oder, wenn ein solcher nicht gebildet werden kann, der Betriebsratsvorsitzende berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Damit steht das Einblicksrecht dem Betriebsrat zwar nur insoweit zu, wie dies zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist. Es setzt jedoch nicht voraus, dass ein besonderes Überwachungsbedürfnis konkret vorgetragen werden muss ( - BAGE 35, 342, zu B III 2 der Gründe). Der nötige Aufgabenbezug ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Zu diesen zählt auch § 75 Abs. 1 BetrVG. Aus der dort normierten Verpflichtung zur Wahrung der Grundsätze von Recht und Billigkeit folgt die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Das Einblicksrecht in die Bruttoentgeltlisten dient insbesondere der Prüfung, ob der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nachkommt.

Der Darlegung eines besonderen Anlasses für die Ausübung des Einblicksrechts bedarf es dabei auch im Hinblick auf individuell vereinbarte übertarifliche Vergütungen nicht. Der Betriebsrat benötigt die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob insoweit ein Zustand innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit erreicht ist oder nur durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann ( - BAGE 35, 342, zu B III 2 der Gründe). Ein Einblicksrecht besteht deshalb auch dann, wenn der Betriebsrat gerade erst feststellen will, welche Arbeitnehmer Sonderzahlungen erhalten und wie hoch diese sind.

Die Grenzen des Einblicksrechts liegen allerdings dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt. Auch wenn es regelmäßig keines besonderen Anlasses für die Einblicknahme in die Entgeltlisten bedarf, ist der Betriebsrat verpflichtet zu prüfen, ob ein sachlicher Grund besteht, Einblick in die Entgeltlisten zu nehmen. Ein willkürliches Einblicksverlangen verstieße gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG und wäre rechtsmissbräuchlich ( - AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 12 = EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 16, zu II 3 e der Gründe).

b) Hier liegt der für ein Einblicksrecht erforderliche Aufgabenbezug nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 Nr. 1, § 75 BetrVG vor.

Für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betriebsrats gibt es keinen Anhaltspunkt. Sein Einblicksverlangen dient auch hinsichtlich der künstlerischen Mitarbeiter mit Gageneinkünften der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Überwachungsaufgabe. So sehen § 58 Abs. 1, § 67 Abs. 1 Normalvertrag (NV) Bühne für die Bereiche "Solo" und "Bühnentechniker" die Zahlung einer Mindestgage vor. Die Gagen sind zudem entsprechend den Änderungen der tariflichen Grundvergütung der Angestellten des Bundes anzupassen. Für die Bereiche "Chor" und "Tanz" sind in §§ 75 ff. und §§ 88 ff. NV Bühne differenzierte Vergütungsregelungen mit verschiedenen Gagenklassen und Anpassungspflicht getroffen worden. Ferner haben alle in den Geltungsbereich des NV Bühne fallenden Bühnenmitglieder unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung (§§ 13 ff. NV Bühne), auf vermögenswirksame Leistungen (§§ 16 ff. NV Bühne) und auf Zahlung von Urlaubsgeld (§§ 21 ff. NV Bühne). Zur Überprüfung der Einhaltung dieser Regelungen ist der Einblick in die Entgelt- und Gagenlisten mit sämtlichen Vergütungsbestandteilen - einschließlich der individuell vereinbarten Gagen - erforderlich. Eine Beschränkung der Einsichtnahme auf kollektiv geregelte Entgeltbestandteile ist nicht ohne inhaltliche Veränderung der Listen möglich. Dann wiederum wäre eine uneingeschränkte Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe ausgeschlossen.

Für den von der Arbeitgeberin geäußerten Verdacht, der Betriebsrat wolle lediglich die durch das Einblicksrecht erworbenen Kenntnisse über die neu einzustellenden Arbeitnehmer zur Stärkung ihrer Verhandlungsposition - unter möglichem Verstoß gegen § 79 BetrVG - weitergeben, gibt es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keine Grundlage.

c) Dem Einblicksrecht des Betriebsrats steht § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch hinsichtlich der Gehaltslisten von Tendenzträgern nicht entgegen.

aa) Für den Anspruch auf Einsichtnahme in die Gehaltslisten von Zeitungsredakteuren sowie von Lehrern und Erziehern an einer Privatschule hat der Senat eine Einschränkung durch § 118 Abs. 1 BetrVG in st. Rspr. verneint ( - 1 ABR 26/79 - BAGE 35, 342, zu B II 1 der Gründe; - 1 ABR 45/77 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 12 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 21, zu II 2 c aa der Gründe).

bb) Hinsichtlich der Gagenlisten von künstlerisch tätigem Theaterpersonal gilt nichts anderes. Durch den Einblick des Betriebsrats in die Gagenlisten wird die künstlerische Freiheit der Theaterleitung, soweit sie sich in der Vereinbarung bestimmter Entgelte für die am Theater künstlerisch tätigen Personen ausdrückt, nicht eingeschränkt (vgl. - NZA-RR 1999, 274, zu II 2 c aa der Gründe). Durch bloße Informations-, Anhörungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats wird ein Tendenzunternehmen in der Verfolgung seiner geistig-ideellen Ziele grundsätzlich nicht gehindert oder ernsthaft beeinträchtigt. Dessen Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bleibt trotz der Beteiligung des Betriebsrats in vollem Umfang erhalten. Durch die Einsicht in die Gehaltslisten von Tendenzträgern wird dem Betriebsrat auch kein verfassungsrechtlich unzulässiger Einfluss auf die geistig-ideelle Zielsetzung des Arbeitgebers eröffnet ( - BAGE 35, 342, zu B II 1 der Gründe; - aaO). Die Entscheidung über die Gehaltshöhe eines Tendenzträgers mag Tendenzbezug haben, sie ist aber im Zeitpunkt der Einsichtnahme des Betriebsrats bereits gefallen. Im Übrigen schließt der Tendenzschutz des Arbeitgebers nicht jegliches Tätigwerden des Betriebsrats in Bezug auf das Arbeitsentgelt von Tendenzträgern von vornherein aus. Damit würde die aus der Schutzfunktion des Betriebsrats folgende Vielfältigkeit der Aufgaben und Unvorhersehbarkeit eines möglichen Ansatzes für ein Tätigwerden verkannt.

Dem von der Arbeitgeberin und Teilen des Schrifttums (vgl. Kurz Praxishandbuch Theaterrecht S. 469) angeführten Gesichtspunkt der Vertraulichkeit von Künstlergagen, die allgemein üblich sei und von den Betroffenen erwartet werde, kommt kein entscheidendes Gewicht zu. Ihm wird durch die Pflicht des Betriebsrats zur Vertraulichkeit nach § 79 BetrVG ausreichend Rechnung getragen. Zwar fallen Lohn- und Gehaltsdaten nicht notwendig unter diese Vorschrift. Bei der Höhe der mit Bühnenmitgliedern eines Theaterunternehmens individuell vereinbarten Gagen handelt es sich aber um Geschäftsgeheimnisse im Sinne dieser Bestimmung. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse iSv. § 79 BetrVG sind alle im Zusammenhang mit einem Betrieb stehenden Tatsachen, Erkenntnisse oder Unterlagen, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem Willen des Betriebsinhabers auf Grund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden sollen. Lohn- und Gehaltslisten können deshalb als Teil der Kalkulation über Umsätze und Gewinnmöglichkeiten ein Geschäftsgeheimnis darstellen ( - BAGE 55, 96, zu II 2 c der Gründe mwN). Für ein Theaterunternehmen trifft dies regelmäßig zu. Die mit den Bühnenmitgliedern individuell vereinbarten Gagen sind von erheblichem Einfluss auf seinen künstlerischen und damit auch wirtschaftlichen Erfolg, zumal dann, wenn die betroffenen Arbeitnehmer die Wahrung der Vertraulichkeit erwarten. Durch ihre ausdrückliche Kennzeichnung als geheimhaltungsbedürftig liegt es an der Arbeitgeberin, die Geheimhaltungspflicht des Betriebsrats auszulösen.

Fundstelle(n):
BB 2007 S. 1680 Nr. 31
UAAAC-50755

1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein